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INTERNATIONAL/287: Verbindliche Regeln für transnationale Konzerne und Menschenrechte (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015

Money for Nothing
Krise als Geschäftsmodell

Verbindliche Regeln für transnationale Konzerne und Menschenrechte
Start des Verhandlungsprozesses der Vereinten Nationen für ein globales Abkommen

von Karolin Seitz


Vom 6. bis 10. Juli 2015 diskutierten in Genf die Vereinten Nationen über ein verbindliches Abkommen, das die Aktivitäten von transnationalen Konzernen im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards regulieren soll. Die Europäische Union boykottierte die historischen Verhandlungen.

Die internationale Debatte über die ökologische, soziale und menschenrechtliche Verantwortung der Wirtschaft hat in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen. Täglich werden Berichte zu Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen veröffentlicht. Sie reichen von Umweltvergehen, der Missachtung grundlegender Arbeits- und Menschenrechtsstandards, Bestechungsvorwürfen, bis hin zu den Steuervermeidungspraktiken von Konzernen. Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen fällt es schwer, sich der übermäßigen Macht der Konzerne entgegen zu stellen, den Vergehen Einhalt zu gebieten und Entschädigung einzuklagen. Mit den 2011 verabschiedeten Leitprinzipien der Vereinten Nationen zu Wirtschaft und Menschenrechten (UNGPs)gibt es bereits erste Bemühungen, Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen zu verhindern und Zuständigkeiten zu regeln. Sie formulieren in drei thematischen Säulen die Pflicht der Staaten, Menschenrechte zu schützen, die Verantwortlichkeit von Unternehmen, Menschenrechte zu respektieren, und die Pflicht der Staaten sicherzustellen, dass die Opfer im Falle von Menschenrechtsverstößen Zugang zu effektiver juristischer und nicht-juristischer Abhilfe erhalten.

Zwar sind die UN-Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, die UNGPs auf nationaler Ebene umzusetzen, jedoch haben bisher nur einige wenige Länder sogenannte Nationale Aktionspläne erstellt - mit unterschiedlichem Umfang und Qualität. Unter Federführung des Auswärtigen Amts läuft seit November 2014 der Prozess zur Erstellung eines Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UNGPs in Deutschland. Der Hauptkritikpunkt an den UNGPs liegt darin, dass sie nur freiwillige und keine rechtsverbindlichen Regelungen darstellen.


Eine historische Gelegenheit

In der Vergangenheit gelang es der Wirtschaftslobby immer wieder, Initiativen für mehr Verbindlichkeit zu verhindern. Doch nun bietet sich mit dem sogenannten "Treaty-Prozess" eine historische Gelegenheit für verbindliche Regeln: Vom 6. bis 10. Juli 2015 fand die erste Sitzung der UN-Arbeitsgruppe über transnationale Konzerne und Menschenrechte (IGWG) unter dem Vorsitz der ecuadorianischen Botschafterin Maria Fernanda Espinosa statt. Diese Arbeitsgruppe soll über einen Zeitraum von drei Jahren ein rechtsverbindliches Abkommen erarbeiten, das die Aktivitäten transnationaler Konzerne (TNCs) mit Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards reguliert. Eine entsprechende Resolution war im Juni 2014 von den Regierungen Ecuadors und Südafrikas in den Menschenrechtsrat der UN eingebracht worden und wurde dort mehrheitlich von 20 Staaten angenommen (bei 13 Enthaltungen und 14 Gegenstimmen).

In ihrer Rede zur Eröffnung der Sitzung verdeutlichte Victoria Tauli-Corpuz, UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte Indigener Völker, warum ein rechtsverbindliches Abkommen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte dringend nötig sei: "Wir beobachten mehr und mehr, dass ausländische Investoren und transnationale Konzerne mit weitreichenden Rechten und extrem starken Durchsetzungsmechanismen ausgestattet werden. Auf der anderen Seite sind globale und nationale Initiativen, Unternehmensverantwortung zu regulieren, durch nicht bindendes Recht gekennzeichnet."


Der Norden glänzt durch Abwesenheit

Ein breites Spektrum an UN-Mitgliedsstaaten war bei der ersten Sitzung der UN-Arbeitsgruppe vertreten. Durch Abwesenheit glänzten allerdings Länder wie die USA, Großbritannien, Australien, Kanada und Norwegen, die weltweit die größte Anzahl an TNCs beheimaten. Die EU-Mitgliedsstaaten waren durch die EU-Delegation vertreten. Diese nahm allerdings nur an den ersten eineinhalb Tagen der Sitzung teil. Frankreich und die Schweiz beobachteten die Debatte ohne größer zu intervenieren.

Obwohl das Thema Wirtschaft und Menschenrechte bei verschiedenen politischen Prozessen, wie dem Textilbündnis oder dem Prozess zur Erstellung eines Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UNGPs, derzeit in Deutschland behandelt wird, hat sich die Bundesregierung dagegen entschieden, an der Sitzung der UN-Arbeitsgruppe teilzunehmen und sich an den Diskussionen über ein rechtsverbindliches Abkommen zu beteiligen. Damit stellt sie die Glaubwürdigkeit ihrer bisherigen Initiativen in Frage. Selbst die deutsche Wirtschaft scheint den Prozess ernster zu nehmen. Sie war durch einen deutschen Repräsentanten der Internationalen Arbeitgeberorganisation (IOE) in Genf vertreten. Einer Umfrage von The Economist Intelligence Unit zufolge befürworten mehr und mehr Unternehmen rechtsverbindliche Vereinbarungen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte, um dadurch weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten.

Mit Blick auf die Länder, die der ersten Sitzung der IGWG fernblieben, erklärte Surya Deva, Professor an der School of Law der City University Hong Kong: "Meiner Meinung nach verletzen die Regierungen, die an diesem Prozess nicht teilnehmen, die erste Säule der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte."


Substantielle Debatte über Umfang und Inhalt des zukünftigen Abkommens

Bei der ersten Sitzung der Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrates diskutierten 61 UN-Mitgliedsländer, mehrere internationale Organisationen, Rechtsexperten sowie VertreterInnen von Zivilgesellschaft und Wirtschaft über den möglichen Umfang und Inhalt eines zukünftigen Abkommens.

Die meisten Teilnehmenden waren sich einig darüber, dass ein verbindliches Abkommen komplementär zu den bestehenden UN-Leitprinzipien wäre. Einigkeit bestand auch darin, dass ein zukünftiges Abkommen nicht nur schwere Menschenrechtsverletzungen, sondern Verletzungen aller Menschenrechte adressieren soll. Mehrere Regierungen betonten, dass Mechanismen zur Kontrolle der Umsetzung und Einhaltung des zukünftigen Abkommens essentiell seien.

Kontrovers diskutiert wurde insbesondere die Frage, inwieweit Staaten eine menschenrechtliche Verantwortung für die Aktivitäten von TNCs auch außerhalb ihres Territoriums haben. China und Russland argumentierten dagegen mit dem Hinweis auf die territoriale Souveränität. Sie sehen die Gefahr, dass extraterritoriale Rechtsprechung missbraucht werden könnte. VertreterInnen der Wirtschaft argumentieren in ähnlicher Weise und sprachen sich stattdessen für eine Stärkung nationaler Rechtssysteme aus.

Ein weiterer Diskussionspunkt betraf die Frage, ob ein internationales Abkommen nur Staaten verpflichten soll, TNCs zu regulieren, oder auch TNCs direkt adressieren soll. Auch beim Thema Haftung spalteten sich die Meinungen. Kann und soll das zukünftige Abkommen transnationale Konzerne oder/und individuelle Personen für Vergehen rechtlich haftbar machen? Wie weit reicht die rechtliche Verantwortung eines Unternehmens entlang seiner Lieferkette?

Die größten Meinungsverschiedenheiten traten gleich am Anfang der Sitzung zu Tage. So schlug die EU-Delegation vor, das Mandat der UN-Arbeitsgruppe nicht nur auf TNCs zu beschränken, sondern auf alle Unternehmen, das heißt auch lokale Betriebe, auszuweiten. Dieser Vorschlag fand jedoch keine Mehrheit im Saal. In den Diskussionen der folgenden Tage wurde allerdings seitens einiger Länder, NGOs, RechtsexpertInnen und auch WirtschaftvertreterInnen immer wieder betont, dass das zukünftige Abkommen alle Unternehmen adressieren sollte.


Herausforderungen für die Zivilgesellschaft

Die mehr als 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in Genf vertreten waren, bewerteten die erste Sitzung der IGWG positiv. Sie kritisierten allerdings die Entscheidung westlicher Regierungen, nicht an dem Prozess teilzunehmen. Für die Zivilgesellschaft stellt sich nun die Herausforderung, diese Länder und Staatenverbünde wie die EU zur konstruktiven Mitarbeit in der UN-Arbeitsgruppe zu bewegen und das Thema der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen in die breitere Öffentlichkeit zu tragen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen werden sich weiter dafür einsetzen, dass der Verhandlungsprozess transparent bleibt, unangemessener Unternehmenseinfluss verhindert wird, und Betroffene von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen in Genf angehört werden.

Ein weltweites Bündnis von über 600 zivilgesellschaftlichen Organisationen hat sich zur sogenannten "Treaty Alliance" zusammengeschlossen, um den Prozess hin zu einem verbindlichen Abkommen zu unterstützen. In Deutschland verfolgen FIAN Deutschland, Brot für die Welt, Misereor, WEED das CorA-Netzwerk und das Global Policy Forum den Prozess.


Die Autorin arbeitet beim Global Policy Forum, einem internationalen Think Tank, der die Politik der Regierungen in den Vereinten Nationen beobachtet.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015, Seite 26-27
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2015

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