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INTERNATIONAL/328: Tansania - Am Rande der Gaspipeline (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2017

Am Rande der Gaspipeline
Lukrative Gasförderung in Tansania - zwischen Ressourcenpolitik und lokalen Interessen

von Rita Schäfer


Erdgasförderung gilt als Schlüssel für Entwicklung, günstiger Energieversorgung und Industrialisierung - diese Zielrichtung verfolgt nicht erst der seit dem 5. November 2015 amtierende tansanische Präsident John Pombe Magufuli. Schon sein Vorgänger Jakaya Mrisho Kikwete propagierte den Ausbau der Erdgasnutzung. Das schlug sich in Gesetzesnovellen zu extraktiven Industrien und Großprojekten wie der Mtwara-Kinyerezi-Gaspipeline nieder.

Doch die Rechnung der Regierungspartei Chama Cha Mapinduzi CCM wurde ohne die lokale Bevölkerung gemacht. Ihr Protest spiegelt grundlegende Interessenkonflikte zwischen Planern in der Hauptstadt und marginalisierten Bürgern in der von staatlichen Dienstleistungen weitgehend ausgeschlossenen Peripherie wider. African Futures erinnerte daran, dass Mtwara im Südosten des Landes schon von den Kolonialherren vernachlässigt wurde. Ein koloniales Großprojekt für den Erdnussanbau entpuppte sich als Fehlschlag, und nachkoloniale Regierungen ignorierten landwirtschaftliche Vermarktungsinteressen dortiger Kleinbauern.

Darüber hinaus motivierten jahrelang unerfüllte Wahlkampfversprechen zur Infrastruktur und zu Arbeitsplätzen den Widerstand der verarmten Bewohner, wie die Zeitung Daily News zu bedenken gab. Schließlich stand der Infrastrukturausbau im Rahmen der Energiepolitik ganz oben auf der Agenda. Seit 2012 betrieben 18 verschiedene ausländische Investoren 63 Gasbohrprojekte in der Region. Schon 2013 dokumentierte das Legal and Human Rights Resource Centre arbeitsrechtliche Probleme. Als Skandal galt auch die Beschäftigung von 300 illegalen chinesischen Arbeitern durch einen ausländischen Zementfabrikanten. Das verstärkte die Wahrnehmung der Bewohner, ihnen würden Jobs verwehrt.


David gegen Goliath?

Ende Januar und im Mai 2013 geriet Mtwara in die Schlagzeilen, denn dortige Proteste gegen den Bau der Gaspipeline eskalierten. Staatliche Sicherheitskräfte gingen gewaltsam gegen Demonstranten vor. Mindestens vier Menschen wurden umgebracht - manche Medien bezifferten die Todesopfer auf über 12; Dutzende wurden verletzt, zahlreiche verhaftet. Während der damalige Energieminister, der Geologieprofessor Sospeter Mwijarubi Muhongo, drastische Senkungen der Strompreise für Bewohner von Mtwara ankündigte und den Oppositionsparteien die Schuld für die aufgeheizte Stimmung gab, zeigten sich vor Ort unterschiedliche Konfliktlinien.

Lokale Oppositionelle bestritten, den Zorn der Bürger parteipolitisch instrumentalisiert zu haben. Sie hätten nur mehrere Widerstandsgruppen koordiniert, wie die Zeitung The Citizen unter Berufung auf Interviews berichtete. Demnach hatte ein friedlicher Demonstrationszug am 27. Dezember 2012 mit mehreren hundert Teilnehmern das Motto: "Gas first, political parties later" ("Gas zuerst, politische Parteien später").

Dennoch gerieten Mitglieder der Chama Cha Demokrasia na Maendeleo (Chadema) und der Civic United Front (CUF) unter Generalverdacht. Einzelne bekamen die Macht der staatlichen Sicherheitskräfte zu spüren, was wiederum zivilgesellschaftliche Demokratiebefürworter kritisierten.

Beobachtern zufolge seien es Haushaltsreden des Finanz- und später des Energieministers gewesen, die lokale Proteste ab Ende Januar 2013 eskalieren ließen. Denn darin wurden nicht die längst versprochenen umfangreichen Entwicklungsförderungen, wie Industrieanlagen im Zusammenhang mit der Gaspipeline, für Mtwara bestätigt - im Gegenteil. Die mageren Budgetpläne wurden vor Ort als abermaliges Abhängen der Region interpretiert. Dieses Fazit zog eine lokale Studie der Tanzania Coalition on Debt and Development (TCDD).


Mehr Partizipation

Nicht eingehaltene Versprechungen und mangelnde Partizipation der Bevölkerung in Planungen von Großprojekten waren Kritikpunkte, die Umweltgruppen im Juni 2015 in einer Stellungnahme zu Gesetzesentwürfen für extraktive Industrien formulierten. Sie verlangten mehr Transparenz und Kontrollmöglichkeiten, schließlich hatten Korruptionsskandale und Steuerhinterziehungen im Energie- und Minensektor in unterschiedlichen Landesteilen wiederholt für Furore gesorgt.

Im Dezember 2016 veröffentlichte das Institute for Human Rights and Business einen detaillierten Bericht über Menschenrechte und Gesetze in der extraktiven Industrie Tansanias. Er bezieht diese auf internationale Abkommen und daraus resultierende Verpflichtungen der tansanischen Regierung. Der Bericht ist in vieler Hinsicht erhellend - nicht nur für Aktivisten vor Ort.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
46. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2017, S. 34
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2017

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