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MEINUNG/011: Euro gescheitert? (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 15. März 2011

Euro gescheitert?

Hilfe für Staatskassen, Billionen für Bankster, Illusionen über eigenen Status: In Westeuropa wird weiter umverteilt - Die Probleme bleiben ungelöst

Von Rainer Rupp


In Brüssel wurde am Freitag ein »Pakt für Wettbewerbsfähigkeit« verabredet. Damit und mit der Verplanung weiterer Milliardensummen aus zukünftigen Steuereinnahmen für »Rettungsschirme« versuchen die westeuropäischen Regierungen, Stabilität ins wankende Verwertungssystem zu bringen. Doch der Zeitpunk für eine Konsolidierung Konzern-Europas ist schlecht.

In Nordafrika und dem Nahen Osten haben sich die politischen Unruhen inzwischen auf Länder wie Libyen ausgeweitet, die als Ölförderer Bedeutung haben. Auch Saudi-Arabien bleibt nicht verschont. Und schon machen sich in Washington und an der Wall Street Ängste breit. Bereits jetzt sind die Dollarpreise für das Faß Petroleum wieder auf dreistelliges Niveau gestiegen. Dieses Jahr könnte nach Berechnung von Experten mit einer um 20 Prozent höheren Ölrechnung als 2010 enden. Das wird nicht ohne Folgen auf die deutsche Konjunktur bleiben, die ohnehin nur eine der Exportwirtschaft ist und die vom starken Wachstum in China und den anderen großen Schwellenländern wie Indien, Brasilien und Rußland besonders profitiert hat.


China bremst

Auch die Inflation regt sich. Wegen der Gefahr einer galoppierenden Teuerung (zum Jahresende 2010 lag sie bereits bei über fünf Prozent), kündigte Chinas Präsident Hu Jintao anläßlich der Eröffnung des Nationalen Volkskongresses in Peking an, daß sein Land auf die Bremse treten werde. Die exorbitanten Wachstumsraten des Landes sollen statt bisher über zehn auf sechs bis sieben Prozent pro Jahr reduziert werden. Derweil werden die stark erhöhten Importpreise für Öl und andere Rohstoffe, insbesondere aber für Lebensmittel, auch die Wachstumsraten in vielen anderen Schwellenländern verringern. Das läßt zugleich weniger Spielraum, um Maschinen in Deutschland zu kaufen.

An den Finanzmärkten herrschte in den zurückliegenden Wochen relative Ruhe. Die Börsen feierten neue Zwölf-Monats-Höchststände der Aktienkurse. Dies ließ die Illusion aufgekommen, das Schlimmste sei überstanden. Gemeint ist die große Krise, die zwar insbesondere die USA und die Länder Europas heimgesucht hatte, aber global für ökonomische Verheerungen sorgte. Was soll jedoch überstanden sein, wenn die Finanzwirtschaft nach wie vor bis ins Fundament marode ist? Sie floriert nur oberflächlich, die Bankster (US-amerikanisches Schimpfwort, gebildet aus Banker und Gangster) nützen das jedoch sogleich aus, um sich erneut mit milliardenschweren Bonuspaketen zu beschenken. Tatsächlich aber müßten die meisten »systemrelevanten« Finanzinstitute auf der Stelle Konkurs anmelden. Doch die Regierenden erlauben es ihnen weiterhin, die Masse der noch nicht abgeschriebenen Schrottpapiere als erstklassig in ihren Bilanzen zu bewerten.

Auch die reale Wirtschaft krebst weiter vor sich hin. Trotz der ungeheueren Finanzspritzen zur Konjunkturankurbelung in den USA und den meisten europäischen Ländern ist nichts von einem selbsttragenden Aufschwung zu sehen. Zugleich haben die »Sanierungs-« und »Spar«-maßnahmen, die den überschuldeten Problemländern verordnet wurden, deren Wachstum abgewürgt. Dringend benötigte Steuereinnahmen werden deshalb nicht fließen. Der Teufelskreis aus Aufnahme von Krediten und deren Bedienung auf Pump setzt sich fort. Weder die USA noch die europäischen Länder haben dieses Problem gelöst.

Durch die »Rettung« der Banken ist die Staatsverschuldung extrem gestiegen. Insbesondere in den Problemländern Griechenland, Portugal und Irland hat das zu der grotesken Entwicklung geführt, daß die Regierungen ihre Bevölkerung über mehrere Generationen in die Zinsknechtschaft verkauft haben - und das vor allem deshalb, damit sie die Darlehen, die ausländische Großbanken gewährt hatten, zurückzahlen.


Sozialer Kahlschlag

Die Kinder und Enkel der heutigen Steuerbürger in den bedrängten Volkswirtschaften werden die uns (noch) vertrauten Leistungen des Sozial- und Bildungsstaates nicht mehr kennenlernen. Dafür sorgen die neoliberalen Rezepturen, die von den finanzmarktdominierten Regierungen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien verordnet wurden. Zugleich greift die Krise zunehmend auf Spanien über, das in den zurückliegenden Tagen eine erneute Herabstufung seiner Kreditwürdigkeit erfuhr. Die spanischen Großbanken stehen auch wegen ihres gigantischen Engagements auf dem heimischen, völlig überdimensionierten Immobilienmarkt auf wackeligen Füßen. Ein Indiz dafür ist, daß die Zentralbank des Landes von zwölf dieser Finanzkonzerne derzeit verlangt, ihr Eigenkapital um 15 Milliarden Euro aufzustocken.

Inzwischen hat man selbst bei der Europäischen Zentralbank (EZB) die Inflation zur Kenntnis genommen - die man beispielsweise durch den Kauf von Staatsschuldverschreibungen der Krisenländer selbst befeuert hat. Die Euro-Notenbank signalisierte nun, daß die lange Phase der Niedrigzinsen zu Ende geht. Das aber könnte die Krise im Währungsraum weiter verschärfen. Mag es in Deutschland derzeit rosig aussehen und eine Zinserhöhung zur Inflationsbekämpfung verkraftbar erscheinen, ohne in eine neue Rezession zu stürzen - ist das bei den Problemstaaten ganz anders. Für diese wären höhere Zinsen ein tödliches Gift, nicht nur für die Konjunktur, sondern auch wegen der enormen Verschuldung.

Die Unterschiede in der Produktivität der Euro-Staaten sind immens. Ein Ausgleichsmechanismus über schwankende Währungen steht nicht mehr zur Verfügung. Obwohl es die Tagträumer von einer Großmacht Europa noch nicht wahrhaben wollen: Das Euro-Experiment ist gescheitert. Jetzt. Je länger daran herumgeflickt wird, umso schlimmer wird es. Daher wird die größte Herausforderung für die politische Führung der EU-Staaten im nächsten Jahrzehnt darin bestehen, einen Weg zur geordneten Rückabwicklung zu finden. Und die Tatsache, daß der Euro momentan relativ stark scheint, hat neben der Aussicht auf höhere Zinsen einen einfachen Grund: Die Probleme der US-Amerikaner und auch der Japaner sind noch größer.


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Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2011