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MEINUNG/036: Angst vor deutschem steigenden Exportüberschuss? (Karl Mai)


Kurzkommentar
Angst vor deutschem steigenden Exportüberschuss?

von Karl Mai, 6. November 2013



Die deutschen Förderer von Exportüberschüssen sind aufgeschreckt: "USA geißeln Modell Deutschland", berichtet die Presse (z. B. die "BZ" am 1.11.2013). Aus "deutscher Sichtweise" gibt es jedoch nichts zu mäkeln, weil solche Überschüsse "Lohn" für eigene Anstrengungen zur permanenten Erhöhung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Maßstab seien. Insofern wird dies dem schlicht denkenden Bürger gern suggeriert als eine notwendige Vorbedingung für die Sicherung einer hohen Beschäftigung in jenen deutschen Exportindustrie-Branchen, die an den steigenden Exportüberschüssen direkt beteiligt sind. Von dieser gezielten Suggestion sehen sich offenbar auch Vertreter in den DGB-Gewerkschaften beeinflusst; von manchen "deutsch-national " argumentierenden bzw. verpflichteten Makroökonomen ganz zu schweigen.

Oft wird nicht erkannt, dass die Ursachen für Exportüberschüsse (und in der Konsequenz auch die Leistungsbilanz-Überschüsse) durchaus gegensätzlicher Art sind: Einerseits entstehen sie infolge der Stagnation oder Verringerung von Importen aus den defizitären Länder automatisch, wenn dort die Liefer-Fähigkeit durch eine Senkung der Wachstumsimpulse nachlässt (wie z.B. in Südeuropa infolge rigoroser Kreditkürzungen seitens der Banken wegen Senkung der Staatsverschuldung). Andrerseits entstehen sie durch weitere Kostensenkungen bzw. Produktivitätssteigerung in den Überschuss-Ländern auch unabhängig von den gegenläufigen Importtendenzen.

Daraus folgt, dass die wirtschaftspolitischen Ausgleichmaßnahmen der Überschuss-Länder naturgemäß schwierig sind und in Verzug geraten können. Liefert schon die reguläre Statistik kaum zuverlässige Daten für die o.a. beiden Ursachen der Lieferüberschüsse im Export, erweist sich auch die ebenfalls erforderliche zentralisierte Konsens-Ausgleichssteuerung infolge der unterschiedlichen Interessenlage von Staaten und deren Wirtschaft bei den Beteiligten als zu kompliziert bis aussichtslos.

Dabei ist die regionale Dimension des Problems für Deutschland längst über den Rahmen der europäischen Ländergrenzen hinausgewachsen. Inzwischen erzielen sogar die EWU-Länder insgesamt erstmals steigende Exportüberschüsse gegenüber der übrigen Welt. Ist schon in den Ländern der EWU (in den Brüsseler Institutionen) der hierfür vorgesehene administrative Koordinierungs-Mechanismus kaum realisierbar, so fehlt dieser im globalen Maßstab völlig. Dies ist ein Grund, warum internationale Wirtschaftsgremien zunehmend argwöhnisch oder aufgebracht auf den deutschen Exportüberschuss reagieren. "Denn alle Staaten können logischer Weise keine Überschüsse erwirtschaften, es sei denn, die Erde könnte in den Handel mit dem Mond eintreten", wie der Wirtschaftsjournalist Robert von Heusinger kürzlich die Uneinsichtigen erinnerte. ("BZ", vom 1.11.2013, S. 9) Hiervon ausgehend, erscheint selbst eine Differenzierung nach permanent "zulässigen" und permanent "überhöhten" Exportüberschüssen nur als vordergründige bzw. als "taktische" Rückzugslinie der Finanzoligarchie.

Um einen gefährlichen globalen Handelskrieg zu vermeiden, ist eine Änderung der deutschen Wirtschaftspolitik in Richtung auf eine korrigierte bzw. überproportionale Erhöhung der Binnennachfrage zwecks Steigerung der Importe dringend geboten. Dies haben bereits mehrere kritisch denkende Makroökonomen wiederholt vorgeschlagen. Hierzu ist die Erhöhung der abgesunkenen, zu niedrigen deutschen "Lohnquote am BIP" ein wesentliches Mittel, was auch für die DGB-Gewerkschaften einsehbar sein sollte. Wenn sich jedoch die deutsche Wirtschaftspolitik hierzu als unwillig oder unfähig erweist, rückt auch Deutschland einem internationalen oder globalen Wirtschaftskrieg unweigerlich näher.


Literatur:

WISO-Diskurs "Die Weltwirtschaft im Ungleichgewicht. Ursachen, Gefahren, Korrekturen", Juni 2011, Friedrich Ebert Stiftung, ca. 100 Seiten; grundlegende theoretische und statistische Analyse des Phänomens "Leistungsbilanzüberschüsse", von Prof. Jan Priewe (Berlin).

Flassbeck/Spieker, "Prognosen und andere Irrtümer", Januar 2013, für www.nachdenkseiten.de; mit einer ausführlichen Kritik am deutschen Leistungsbilanzüberschuss.

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Quelle:
© 2013 by Karl Mai, Halle/S.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2013