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MEINUNG/094: Globalisierung im Rückwärtsgang (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2019

Globalisierung im Rückwärtsgang
Deutschlands Exportmodell als weltwirtschaftlicher Geisterfahrer?

von Jürgen Maier


Donald Trumps "Handelskrieg" gegen China und speziell den Huawei-Konzern hat den Börsenwert der Dax-Konzerne um mehr als 50 Milliarden gesenkt. Die meisten Dax-Konzerne investieren deshalb jetzt im großen Stil in den USA. Vor Ort produzieren und Arbeitsplätze schaffen, ganz wie Trump es will. Die USA sind seit einigen Jahren Deutschlands wichtigster Handelspartner - Frankreich ist nur noch Nummer 2. Den Franzosen geht das Geld aus, der EU-Binnenmarkt insgesamt wird unwichtiger für Deutschlands multinationale Konzerne. Mehr als 50 Milliarden beträgt der deutsche Exportüberschuss mit den USA, mehr als mit jedem anderen Land.


Für die Dax-Konzerne sind die USA inzwischen der wichtigste Markt, dort machen sie 22 Prozent ihres Umsatzes, Deutschland selbst macht nur 21 Prozent aus, China 16 Prozent. Mit seiner extrem weltmarktorientierten Wirtschaftsstruktur ist Deutschland aber ein Sonderfall. Dass die Globalisierung trotzdem keine Einbahnstraße ist, sondern dass es auch wieder rückwärts gehen könnte, ist in der Vorstellungswelt der deutschen Politik und Wirtschaft bisher allerdings nicht vorgesehen. Bisher glaubt man noch, es seien halt Trump und seine ruppigen Politikmethoden. Man arrangiert sich damit, dass er von langen Freihandels-Verhandlungen nichts hält und lieber "Deals" macht. Im Dezember 2018 sprachen die Chefs der deutschen Autokonzerne persönlich im Weißen Haus vor und versprachen Investitionen und Arbeitsplätze in den USA. Die Bundesregierung kündigte jetzt die Subventionierung von Flüssiggasterminals in deutschen Häfen an, um damit die Infrastruktur für Flüssiggasimporte zu schaffen (für die zufällig nur die USA infrage kommen). So sehen in der Ära Trump "Freihandels-Verhandlungen" aus. Dass Freihandelsabkommen vor Trumps Strafzöllen nicht schützen, spürt aktuell Mexiko: Trump droht monatlich um 5 Prozent eskalierende Strafzölle an, um die illegale Einwanderung zu stoppen, wie auch immer das gehen mag. Das widerspricht zwar krass dem soeben sogar von seiner eigenen Administration ausgehandelten Freihandelsabkommen USA-Mexiko-Kanada - aber immerhin zeigt es, was von den Argumenten der CDU und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) zu halten ist, dass es mit TTIP zu keinen US-Strafzöllen gegen deutsche Exporte hätte kommen können.

Ab Juli beginnen die USA ein milliardenschweres Strafzoll-Programm gegen die EU wegen der Airbus-Subventionen, offiziell genehmigt von der Welthandelsorganisation (WTO).(1) Vorstufe für einen Handelskrieg der USA gegen die EU? Der WTO-Streitschlichtungsmechanismus, der Kern der WTO-Welthandelsordnung, steht am Jahresende vor dem Aus, wenn das Mandat weiterer Schiedsrichter ausläuft und damit das Mindestquorum unterschritten wird. Die USA blockieren seit Jahren jede Nachbesetzung. Die WTO-Verträge sind dann nur noch ungefähr so verbindlich wie Klimaabkommen der Vereinten Nationen.

Aber alle diese theatralisch wirksam inszenierten Manöver sind nur Symptome eines größeren Trends. Schaut man sich das Verhältnis des Welt-Bruttoinlandsprodukts (BIP) zum Welthandel an, stellt man fest: Die Wachstumsraten des Welthandels brachen bereits nach der großen Krise 2009 drastisch ein und haben sich seitdem nicht mehr erholt. In den 2000er Jahren wuchs der Welthandel schneller als das Welt-BIP, in den 2010er Jahren nicht mehr. Trump, Brexit & Co sind offensichtlich nicht die Ursachen dafür.

"Slowbalisierung"

Seit dem Crash von 2008/2009 schrumpfen grenzüberscheitende Investitionen, Kredite, Handel und Wertschöpfungsketten im Verhältnis zum Welt-Bruttosozialprodukts. Der niederländische Forscher Adjiedj Bakas prägte dafür den Begriff "Slowbalisierung" - für das führende Wirtschaftsmagazin Economist war das die Titelstory am 24. Januar 2019. Für ihn - und für den Economist - war die "goldene Ära" der Globalisierung die Jahre 1990-2008, das Verhältnis von Welthandel zu Welt-BIP stieg von 39 Prozent auf 61 Prozent. Aber diese Zeiten wachsender globaler Integration sind vorbei. Das ist nicht nur faktisch so (heute sind es 58 Prozent). Selbst ohne den Crash 2008 war schon vor 10 Jahren der Punkt erreicht, dass Zölle und Transportkosten faktisch gar nicht mehr sinken konnten und daher weitere Freihandelsabkommen keinen Globalisierungsschub mehr brachten. Zudem haben viele multinationale Konzerne in neuen Auslandsmärkten festgestellt, dass die erhofften Gewinne sich nicht einstellten. Dies gilt nicht nur für den Warenhandel. Auch der Dienstleistungsexport stagniert global seit 10 Jahren, allen Liberalisierungen und Handelsabkommen zum Trotz.

Die aktuellen "Handelskriege" finden vor diesem weltwirtschaftlichen Hintergrund statt. Schaut man sich die Erwartungen multinationaler Konzerne an, abzulesen in langfristigen Investitionsplanungen, hat man sich in der Wirtschaft offenbar bereits damit eingerichtet. Grenzüberschreitende Investitionen multinationaler Konzerne sanken 2018 um immerhin 20 Prozent. Langfristige Auslandsinvestitionen weltweit sind von 3,5 Prozent des Welt-BIP auf 1,3 Prozent heute zurückgegangen. Chinesische Investitionen in den USA und Europa gingen 2018 um sage und schreibe 73 Prozent zurück. Man kann sich also stärker auf Nordamerika, Europa, Asien orientierte Wirtschaftsräume einstellen.

Der Ökonom Peter Bergeijk schreibt: "Phasen rascher Globalisierung tragen in sich die Saat ihrer eigenen Zerstörung, d. h. sie verursachen Gegenkräfte, die dieser Globalisierung Grenzen setzen und sie schließlich wieder zurückdrängen."(2) Die Gewinne einer Volkswirtschaft aus der Globalisierung konzentrieren sich nach einer Anfangsphase, von der fast alle profitieren, verteilen sich mit wachsender internationaler Integration offensichtlich auf immer weniger Leute. Damit steigen die politischen Kosten, die Bereitschaft, mehr Globalisierung zu akzeptieren, sinkt. Die Globalisierung ist in den Ländern "des Westens" so unpopulär geworden, dass darüber Regierungen stürzen. Waren es bei der letzten großen Rezession in den 1930er Jahren autoritär regierte Länder, die sich von der Globalisierung abwandten, während Demokratien für den Freihandel eintraten, ist es heute genau andersrum.

Das deutsche Exportmodell wird fragil

Die Zeiten der ständig fortschreitenden Globalisierung dürften vorbei sein. Das deutsche Geschäftsmodell der Exportweltmeisterschaft wird vor diesem Hintergrund immer fragiler. Niemand hat von der Globalisierungswelle nach 1990 so profitiert wie die deutsche Wirtschaft. Aber ein Globalisierungsmodell, bei dem es immer weniger Gewinner gibt, wird eben auch international nicht mehr akzeptiert. Der Rest der Welt fordert einen größeren Anteil vom Kuchen, und damit werden die deutschen Exportüberschüsse zurückgehen. Das gilt auch für die Unternehmensbesteuerung: Dass die Gewinne deutscher Konzerne auf der ganzen Welt erwirtschaftet, aber in Deutschland versteuert werden, wird auch nicht mehr lange so weitergehen können - weil es eben nicht nur Herr Trump ist, der das nicht mehr länger mitmacht. Die Konsequenzen für die deutsche Volkswirtschaft werden drastisch sein.

Eine Diskussion über ein anderes, weniger exportlastiges deutsches Wirtschaftsmodell ist daher überfällig, aber die Entscheidungsträger scheuen sie wie der Teufel das Weihwasser. Wer stattdessen meint, er müsse diese Exportabhängigkeit und Exportüberschüsse sogar noch weiter ausbauen, fährt ein gefährliches Spiel. Die 20 Freihandelsabkommen, die die EU noch in der Pipeline hat, werden selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie alle kommen, an diesen weltwirtschaftlichen Megatrends nichts ändern. Wer am meisten auf die Globalisierung gesetzt hat, kann schon bald der größte Verlierer sein, wenn er sich nicht rechtzeitig auf neue Zeiten einstellt. Dass für Deutschlands Wirtschaft und Politik der europäische Markt immer unwichtiger geworden ist, und man lieber neue Märkte in Übersee in Visier nimmt, ist vor diesem Hintergrund fatal.

Es geht um eine neue Wirtschaftspolitik

Für die freihandelskritische Bewegung dürfte deshalb die Herausforderung sein, die Debatte über das deutsche Geschäftsmodell aufzunehmen. Wenn die Globalisierung zurückgeht, brauchen wir ein anderes Wirtschaftsmodell - und dabei steht nicht Handelspolitik im Zentrum, sondern eine Abkehr von der fatalen Standortpolitik, von der Fixierung auf die globale Konkurrenz. Es geht darum, Wirtschaft wieder so zu regulieren, dass sie dem Wohl der Allgemeinheit dient und nicht einer kleinen Elite, und dass sie nicht unsere Lebensgrundlagen zerstört. Auch die Handelspolitik muss dazu beitragen, ist dabei vermutlich aber nicht die zentrale Frage. Es geht um eine Wirtschaftspolitik, die mehr auf regionale Kreisläufe setzt, auf eine ausgeglichene Außenhandelsbilanz, auf eine gezielte Zurückdrängung der Niedriglohnsektoren und Wiedereinführung flächendeckender Tarifbindung, auf Senkung des Rohstoff- und Energieverbrauchs, kurzum: Es geht darum, die deutsche Volkswirtschaft nachhaltig zu machen. Daraus ergeben sich auch völlig andere Prioritäten in der Handelspolitik, denn diese sind immer eine Funktion der Wirtschaftspolitik.


Der Autor ist Geschäftsführer des Forum Umwelt & Entwicklung.


Anmerkungen:
1) https://www.politico.eu/article/eu-told-to-brace-for-multi-billion-trump-tariffs-this-summer/
2) https://voxeu.org/article/brexit-delay-will-not-postpone-deglobalisation.

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Quelle:
Rundbrief 2/2019, Seite 34 - 35
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2019

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