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REDE/410: Dr. Angela Merkel zum Haushaltsgesetz 2010, 20.01.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand - 20.01.10

Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 20. Januar 2010 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das alte Jahrzehnt endete mit einer internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise und in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Einbruch der Wirtschaft von fünf Prozent - ein einmaliger Vorgang in der Geschichte unseres Landes. Das neue Jahrzehnt beginnt hier im Parlament in der Tat mit der Debatte über einen Bundeshaushalt mit der höchsten Neuverschuldung mit über 85 Milliarden Euro - auch das natürlich ein Vorgang von großer Bedeutung. Ich sage Ihnen: Wer nicht sieht, dass das eine mit dem anderen direkt verknüpft ist, wer nicht sieht, dass eine Antwort auf minus fünf Prozent Wachstum, die eine geringere Neuverschuldung mit sich bringen würde, eine falsche Antwort im Geiste der 30er Jahre wäre und dass wir aus der Geschichte gelernt haben, der braucht an dieser Debatte gar nicht weiter teilzunehmen.

Ich sage Ihnen: So sehr wir uns alle eine andere Situation wünschen würden, so sehr sind wir dazu verpflichtet, der Realität ins Auge zu sehen. Die Welt hat 2008/2009 am Abgrund gestanden. Wir haben es geschafft - wenn ich "wir" sage, dann meine ich auch die, die damals in der Großen Koalition Mitverantwortung getragen haben, und dann meine ich auch die FDP als damalige Opposition -, international und national in diesem Hause die richtigen Lehren daraus zu ziehen, das Richtige zu tun und den Absturz in den Abgrund zu verhindern. Das war richtig, das war wichtig, und das war ein Beitrag zur internationalen Stabilität.

Aber mit dem, was wir getan haben, ist die Krise noch nicht vorbei. So wie wir klug den Abschwung gedämpft haben, so geht es jetzt darum, klug aus dem Tal wieder herauszukommen. Ich sage Ihnen: Das wird sicherlich kontroverse Debatten hervorrufen. Aber es wird vor allen Dingen neues Denken erfordern. Das ist nicht etwas - auch das will ich gleich ankündigen -, worüber wir nur im Januar des Jahres 2010 debattieren, sondern dieser Wirtschaftseinbruch wird uns über weite Teile dieser Legislaturperiode beschäftigen. Wenn wir es geschafft haben - so besagen es jedenfalls die Prognosen -, im Jahr 2013 wieder das Vorkrisenniveau zu erreichen, dann haben wir nach heutigem Stand gute Arbeit gemacht. Das ist die Dimension der Aufgabe, vor der wir stehen.

Wir haben uns vorgenommen, diese Krise nicht nur irgendwie durchzustehen, sondern wir wollen, dass Deutschland stärker aus dieser Krise herauskommt, als es in sie hineingegangen ist. Das ist der Anspruch der christlich-liberalen Koalition.

Dazu müssen wir uns anschauen, von welchen Entwicklungen weltweit die Dinge bestimmt sind.

Ich möchte drei Entwicklungen nennen:

Es gibt einen weltweiten Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung, weit über unseren Kontinent hinaus. Es gibt die Sehnsucht von immer mehr Menschen auf der ganzen Welt - ich sage, das ist eine berechtigte Sehnsucht -, eigene Wege zu gehen, Teilhabe zu erreichen, Wohlstand zu erwerben. Wir befinden uns gleichzeitig in einem Informationszeitalter und haben völlig neue Kommunikationsmöglichkeiten, durch die Wettbewerb, Arbeitsteilung und Ideenaustausch massiv vorangetrieben werden.

Es gibt eine zweite Entwicklung: Wir machen die Erfahrung von Abhängigkeiten und Knappheiten von Ressourcen, von denen wir früher dachten, dass sie uns unendlich zur Verfügung stehen. Da geht es um Energieträger, um Rohstoffe, um stabile Klimaverhältnisse. Wir sehen, dass andere Ressourcen, die wir in früheren Zeiten für uns für reserviert hielten, zum Beispiel Information und Wissen, heute mit allen geteilt werden müssen. Das bedeutet, dass kein Land mehr alleine seinen Wohlstand erhalten kann, dass kein Land mehr alleine Sicherheit gewährleisten kann und dass wir in eine immer stärkere Abhängigkeit voneinander geraten.

Die dritte Entwicklung ist eine Suche nach Zusammenhalt und Schutz. Es gibt die Hoffnung der Menschen, dass der eigene Lebensentwurf im schnellen Wandel nicht umgeworfen wird, dass Gemeinschaften zusammenbleiben, die Sehnsucht nach Heimat, Vertrautheit und Sicherheit.

Wenn wir die richtigen Antworten auf diese Krise finden wollen, wenn wir wirklich stärker aus dieser Krise herauskommen wollen, dann müssen wir diese Entwicklungen nicht nur verstehen, sondern sie auch als Chance für unser Land begreifen. Auf diesem Fundament machen wir unsere Politik.

Dabei setzt die christlich-liberale Koalition auf Freiheit in Verantwortung. Unser Land ist durch Offenheit und Freiheit in seiner 60-jährigen Geschichte erfolgreich geworden. Unser Land ist immer dann erfolgreich gewesen, wenn es Vertrauen in den Einzelnen gesetzt hat, in seine Fähigkeiten, seine Fertigkeiten und seinen Willen, etwas zur Gemeinschaft beizutragen. Unser Land wurde erfolgreich, weil es die Ordnung von Freiheit in Verantwortung in das Gesellschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft umgesetzt hat. Das ist das Fundament des solidarischen Miteinanders in unserer Gesellschaft.

Unsere Vorstellung von Freiheit und Verantwortung hat uns in Bündnisse mit gemeinsamen Wertefundamenten geführt, wie die Europäische Union und die NATO. Sie machen unser Land in einer vernetzten Welt auch in Zukunft erfolgreich.

Heute stehen wir vor der Aufgabe, in schwierigen Zeiten und in neuen Zusammenhängen genau diese Stärken weiterzuentwickeln und dabei das zu bewahren, was uns stark gemacht hat, aber da zu erneuern, wo Erneuerung notwendig ist. Das ist die Aufgabe.

Ich möchte die Arbeit der christlich-liberalen Koalition an Beispielen deutlich machen, da, wo wir erneuern werden. Die christlich-liberale Koalition wird die Wirtschaftskraft unseres Landes erneuern durch nachhaltiges Wachstum; genau darüber können wir streiten. Aber wir werden das tun, und ich glaube, wir werden es gut machen.

Das beginnt mit den Sofortmaßnahmen in der Krise. Viele von ihnen haben wir gemeinsam beschlossen. Aber wir haben in den ersten Tagen unserer gemeinsamen neuen Regierung etwas dazugesetzt: Wir haben das Wachstumsbeschleunigungsgesetz verabschiedet. Ich sage Ihnen: Das ist eine wichtige Ergänzung dessen, was wir an konjunkturpolitischen Maßnahmen im vergangenen Jahr gemacht haben.

Wir haben erstens wichtige Korrekturen an der Unternehmensteuerreform vorgenommen, die nach der Meinung jedes Fachmanns oder jeder Fachfrau - das weiß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ganz genau - prozyklische Effekte, also verstärkende krisenhafte Effekte, hatte. Diese wurden jetzt durch unsere Maßnahme beseitigt. Deshalb muss man den Kommunen, wenn man ein wenig Redlichkeit hat, sagen, dass durch diese Maßnahme keine Einnahmeausfälle stattfinden, sondern dass dadurch überhaupt die Grundlage dafür gelegt wird, dass in den Kommunen wieder Gewerbesteuereinnahmen fließen können. Das ist die Wahrheit.

Wir haben zweitens Korrekturen bei der Erbschaftsteuerreform vorgenommen. Wir sind uns, glaube ich, einig, dass wir die kleinen und mittleren Unternehmen, die Familienunternehmen, in unserem Lande als das Rückgrat unserer Wirtschaft bezeichnen können. Wenn wir die gemeinsame Auffassung haben, dass der Übergang von einer Generation auf die andere bezüglich der Erbschaftsteuer so gestaltet werden sollte, dass man Betrieben nicht mit Misstrauen, dass sie bestimmt nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen wollen, sondern mit ein bisschen Vertrauen - das ist das Erfolgsrezept der sozialen Marktwirtschaft - begegnet, dann musste man die Änderungen in der Erbschaftsteuer so gestalten, wie wir es gemacht haben. Das haben wir getan.

Als dritten Punkt will ich die Entlastung von Familien nennen. Dass man im Steuerrecht aus steuersystematischen Gründen Kinder wie Erwachsene behandeln könnte, ich glaube, darüber sollte es keinen Streit geben. Dass jetzt aber die Maßnahmen zur Verbesserung der Kaufkraft, die wir gemeinsam eingeleitet haben, bei der Sozialdemokratie plötzlich mit dem Wechsel von der Regierungsverantwortung in die Opposition sozusagen zu einer nicht vernünftigen Sache mutiert, damit müssen Sie fertig werden und nicht wir. Wir haben etwas für Familien getan, und das war notwendig.

Was ist passiert? Wir hatten die Steuerschätzung im Mai 2009, und wir hatten die Steuerschätzung im November 2009. Es ist dieser Bundesregierung gelungen, einen Haushaltsentwurf vorzulegen, durch den das Wachstumsbeschleunigungsgesetz verabschiedet werden konnte, ohne dass die Neuverschuldung höher ist als das, was wir in der Großen Koalition im Sommer miteinander verabredet haben.

Warum ist das möglich gewesen? Das ist möglich gewesen, weil genau das eingetreten ist, was wir wollten. Wir haben gehandelt. Wir haben Konjunkturpakete und Maßnahmen zum Kurzarbeitergeld verabschiedet und Steuerveränderungen im Mittelstandsbereich veranlasst. Wir haben weitere Kaufkraftstimulierungen angeregt. Genau daraus ist eine bessere Wirtschaftsentwicklung bis November entstanden, so wie wir das wollten. Die hat uns Spielräume eröffnet, den nächsten Impuls zu setzen, um für die Steuerschätzung im Mai wieder eine bessere Entwicklung zu haben. Das ist unsere Philosophie. Wer diese Art, zu denken, nicht aufbringt, der muss wirklich in sich gehen. Es ist notwendig, dass wir diesen Kurs fortsetzen, dass wir weiter auf Wachstum setzen und uns gleichzeitig mit der Haushaltskonsolidierung befassen.

Natürlich spiegelt dieser Haushalt - ich habe es am Anfang gesagt - die Sondersituation wider. Wenn Sie sich einmal redlich die europäischen Daten anschauen, dann merken Sie, dass für Frankreich 2010 ein Defizit von minus 8,2 Prozent voraussagt wird - so tut es jedenfalls die EU -, Großbritannien 12,9 Prozent, Japan 8,9 Prozent und die USA 13 Prozent. Das, was wir hier zu bewältigen haben, ist mit minus fünf Prozent nicht einfach, aber es zeigt auch, dass wir gar nicht so schwach, sondern stark in diese Krise hineingegangen sind und damit dieser Krise besser trotzen können, wenn wir das Richtige tun.

Wenn es um die Frage geht, wer wie mit Geld umgehen kann, möchte ich daran erinnern, dass wir, bevor wir 2005 als Union in die Regierungsverantwortung kamen, drei Jahre hintereinander, also 2003, 2004 und 2005, die Situation hatten, dass die rot-grüne Bundesregierung die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages nicht eingehalten hat. Bei minus 0,2 Prozent hatten Sie ein Defizit von über vier Prozent. Das war die Wahrheit von Rot-Grün, und nur durch den Regierungswechsel ist das wieder in solide Bahnen gekommen.

Wir sichern mit unseren Maßnahmen die Grundlagen des Aufschwungs. Wir haben die Regelung für die Kurzarbeit verlängert. Wir lassen die automatischen Stabilisatoren weiter wirken - im Übrigen einer der wichtigsten Posten in diesem Haushalt. Wir sind von einem Darlehen für die Bundesagentur zu einem Zuschuss für die Bundesagentur übergegangen, was nichts anderes heißt - damit das für die Bürgerinnen und Bürger klar ist -, als dass wir die Beitragszahler nicht mit den Folgen der Krise alleine lassen, sondern die Gesamtheit der Steuerzahler die Folgen dieser Krise trägt. Das ist richtig, das ist solidarisch, und deshalb haben wir das gemacht. Ein Zuschuss von 16 Milliarden Euro für die Bundesagentur für Arbeit und knapp vier Milliarden Euro für den Gesundheitsbereich, das sind 20 Milliarden Euro zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme und eine solidarische Maßnahme aller Steuerzahler zur Bekämpfung der Krise.

Wir führen die Kredit- und Bürgschaftsprogramme weiter, die Investitionen ermöglichen. Wir wissen, dass die Versorgung der Wirtschaft, vor allem der kleinen und mittleren Unternehmen, mit Krediten ein wichtiger, vielleicht der existenzielle Punkt dieses Jahres sein wird, um den Aufschwung auch wirklich in die richtigen Bahnen zu lenken. Wir haben dazu die staatlichen Warenkreditversicherungen aufgestockt, das KfW-Sonderprogramm flexibilisiert und einen Kreditmediator eingesetzt. Wir werden auch mit den Banken beständig im Gespräch sein, um die Entwicklung weiterzuverfolgen und gegebenenfalls weitere Maßnahmen durchzusetzen.

Mit unserem Haushaltsentwurf und unserer Koalitionsvereinbarung haben wir vor allen Dingen deutlich gemacht, dass es notwendig ist, in die Zukunft zu investieren, weil wir stärker aus der Krise hervorgehen wollen. Deshalb gehen wir wichtige Schritte hin zu einer Bildungsrepublik. Bei aller Notwendigkeit, Ausgaben zu begrenzen, werden wir in dieser Legislaturperiode zwölf Milliarden Euro zusätzlich in Bildung und Forschung investieren.

Wir sind davon überzeugt, dass das Ziel, zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung und Bildung auszugeben - drei Prozent für Forschung und sieben Prozent für Bildung -, richtig ist und über die Zukunft unseres Landes entscheidet. Deshalb ist der Bund bereit - so haben wir es im Übrigen mit allen Ministerpräsidenten verabredet -, einen größeren Anteil als den normalen Anteil zu zahlen, um die Lücke zwischen den heutigen Bildungsausgaben und den sieben Prozent zu füllen. Normalerweise beträgt der Anteil des Bundes an den Bildungsausgaben zehn Prozent. Wir haben gesagt: Wir sind bereit, bis zu 40 Prozent zu geben, um die Lücke zu füllen. Wir werden bis zum Sommer mit den Ländern darüber verhandeln, wie wir das sinnvoll und vernünftig tun können.

Ich habe von neuem Denken gesprochen. Das heißt auch: Die Art unseres Wachstums wird sich ändern. Es geht um nachhaltiges Wachstum. Dabei sage ich ausdrücklich: Deutschland muss an seine Stärken anknüpfen. Das heißt, Deutschland wird seinen Wohlstand nur sichern können, wenn es weiter eine starke Exportnation bleibt. Alle Aussagen, wir brauchten jetzt nicht mehr so viel zu exportieren, halte ich für falsch. Vielmehr muss das, was unsere Stärken ausgemacht hat - Chemie, Automobilindustrie, Medizintechnik, Verkehrstechnik -, weiterentwickelt und nachhaltiger gemacht werden, aber darf niemals aufgegeben werden. Das ist unsere Philosophie.

Deshalb setzen wir vor allen Dingen in den Bereichen Forschung und Innovation in Kombination mit unseren klassischen Stärken auf die Informationsgesellschaft. Wir werden die Breitbandstrategie zielstrebig umsetzen. Dazu wird es noch vieler Anstrengungen bedürfen. Wir werden den Bereich E-Government deutlich stärken. Wir werden insbesondere darauf achten, dass die Freiheit durch die neuen Möglichkeiten des Internets nicht eingeschränkt wird. Arbeitnehmerdatenschutz, Stiftung Datenschutz und Datenschutz-Audit, all das sind Stichpunkte dazu.

Ein großer Schwerpunkt unserer Politik wird das Thema Energie sein. Das ist ein Thema, bei dem es ohne Kontroversen sicher nicht geht. Diese Frage muss in einem Industriestandort aber notwendigerweise gelöst werden. Wir brauchen ein in sich schlüssiges berechenbares Energiekonzept für die nächsten Jahre oder Jahrzehnte. Anders wird der Industriestandort Deutschland nicht erhalten werden können.

Die christlich-liberale Koalition setzt darauf, dass wir möglichst schnell das Zeitalter der regenerativen Energien erreichen. Dabei ist es dann aber auch notwendig, dass die dazu benötigte Infrastruktur erzeugt wird. Dazu ist es notwendig, dass wir die benötigten Brücken bauen, weil wir nicht von heute auf morgen unmittelbar zu einer ausschließlichen Versorgung durch regenerative Energien kommen können, ohne dass sich die Preise so entwickeln, dass die Industrie aus Deutschland verschwindet. Das ist unsere Überzeugung. Genau das werden wir tun.

Für diese Brücken brauchen wir auch moderne Kohlekraftwerke. Jeder, der behauptet, dass das nicht sein muss, der sorgt dafür, dass die alten Kohlekraftwerke weiterbetrieben werden, dass unsere EVUs Kohlekraftwerke in Polen kaufen werden und dafür aus Deutschland verschwinden. Das kann nicht die Antwort sein. Wir setzen auf neue Kohlekraftwerke, und wir setzen darauf, dass das dann auch ein Exportschlager in andere Teile der Welt werden kann.

Wir werden im Sinne dieses in sich geschlossenen Energiekonzepts darüber sprechen, ob wir verlängerte Laufzeiten - ich sage: ja, wir brauchen das - für Kernkraftwerke brauchen, natürlich unter Berücksichtigung aller Sicherheitsstandards. Aber es hat keinen Sinn, dass wir hier nicht der Wahrheit ins Auge sehen.

Wir werden ein neues Forschungsprogramm für erneuerbare Energien entwickeln: Speichertechnologien, intelligente Netztechnik und Biokraftstoffe der zweiten Generation. Wir wollen, dass Deutschland Leitmarkt für Elektromobilität wird. Die Bundesregierung wird dazu am 3. Mai dieses Jahres einen Gipfel durchführen mit Vertretern der Wirtschaft, der Arbeitnehmer und der Wissenschaft. Ich glaube, das ist richtig. Sie sollten mit uns gemeinsam ein Interesse daran haben, dass wir hier wieder führend sind, dass auch das Auto des 21. Jahrhunderts ein Auto ist, das in Deutschland gebaut wird, so wie es mit den Autos des 20. Jahrhunderts war.

Nachhaltiges Wachstum heißt natürlich auch Fortschritte im internationalen Klimaschutz. Ich glaube, wir sind uns einig, dass die Ergebnisse, die wir in Kopenhagen erreicht haben, enttäuschend waren. Deshalb sage ich: Europa wird seine Vorreiterrolle weiterführen. Ich sage auch: Deutschland hat sich bereits - das zeigt auch die Koalitionsvereinbarung - entschlossen, dass wir bis 2020 unsere CO2-Emissionen um 40 Prozent reduzieren werden. Aber ich sage auch: Ich bin sehr dafür, dass die Europäische Union auf 30 Prozent geht. Das kann nur passieren, wenn andere europäische Mitgliedstaaten das 30-Prozent-Ziel genauso unterstützen, wie die Bundesrepublik Deutschland das tut. Was ich nicht zulassen werde - ich glaube, darüber sollten wir uns einig sein -, ist, dass wir von 30 auf 40 Prozent gehen, andere ihre Position nicht verändern und wir anschließend etwas versprechen sollen, was wir zum Schluss realistischerweise nicht halten können. Deshalb arbeiten wir daran, dass Europa sein Reduktionsangebot von 30 Prozent gegebenenfalls, wenn die Mitgliedstaaten mitmachen, dann auch ohne dass andere folgen, unterfüttern kann. Solange wir das nicht können, sage ich: 30 Prozent Reduktion für Europa ja, aber nur wenn andere Teile der Welt genauso ambitionierte Verpflichtungen eingehen. Alles andere hilft dem Klima auf der Welt nicht weiter.

Kopenhagen hat ein viel schwierigeres Thema aufgeworfen. Das werden Sie durch die Beschimpfung von Regierungen allein nicht lösen. Dieses Thema heißt: Ist es auf der Welt möglich, gibt es die Bereitschaft, dass andere Länder bindende Vereinbarungen eingehen, so wie wir das im Kyoto-Protokoll getan haben? Wir, die Europäische Union und auch andere entwickelte Industrieländer - die Vereinigten Staaten haben es nicht gemacht -, sind bindende internationale Verpflichtungen im Rahmen der Klimarahmenkonvention eingegangen.

Die eigentliche Enttäuschung in Kopenhagen war, dass die Schwellenländer gesagt haben, dass sie sich zum ersten Mal mit Verpflichtungen im Sinne der Verbesserung der Energieeffizienz beschäftigen, aber unter keinen Bedingungen zustimmen, dass die Verpflichtungen bindend im internationalen Sinne sind. Das hat das indische Parlament beschlossen. Das ist die starke Meinung von China. Man ist nicht einmal bereit, eine internationale Überwachung der nationalen Maßnahmen zuzulassen, die Vergleichbarkeit bedeuten würde, weil diese Länder sagen: Das ist ein Eingriff in unsere Souveränität. - Das wischt man nicht einfach weg, indem man sich gegenseitig bezichtigt, schuld zu sein, sondern darüber muss generell gesprochen werden. Das ist ein dickes Brett, das wir bohren müssen. Es weist uns auf den Kern globaler Zusammenarbeit hin. Ich bin überzeugt, wir sind überzeugt: Es geht nur mit international verbindlichen Verpflichtungen, aber dann für alle. Daran müssen wir arbeiten. Das ist die Aufgabe dieses Jahres, bis hin zur nächsten Konferenz in Bonn und zur Konferenz in Mexiko am Ende des Jahres. Wir können und werden also unsere Wirtschaftskraft erneuern.

Wir wollen ein Zweites tun. Die christlich-liberale Koalition will das Verhältnis von Bürger und Staat erneuern: durch Stärkung der Eigenverantwortung, damit Sicherung der Handlungsfähigkeit des Staates und dadurch Erhaltung der Solidarität in der Gesellschaft. Das ist der Zusammenhang. Wer nicht auf die Eigenverantwortung setzt, wird nur noch Mangel verwalten. Ohne Eigenverantwortung werden wirkliche Solidarität und ein handlungsfähiger Staat nicht möglich sein.

Deshalb setzen wir in allen Lebensbereichen darauf, dass, wo immer das möglich ist, Entscheidungsfreiheit besteht. Das beginnt bei der Familienpolitik. Wahlfreiheit ist das Credo. Wir schreiben den Menschen nicht vor, wie sie leben sollen. Deshalb wird der Bund weiter seiner Aufgabe nachkommen, den Ausbau der Betreuung von Kindern unter drei Jahren fortzusetzen.

Ich sage, an die Kommunen gerichtet, allerdings auch: Es ist nicht nachvollziehbar, wenn geäußert wird, dass das vereinbarte Geld nicht ausreicht. Die Kommunen rechnen jetzt so, als würden sie den Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr für das erste und zweite Lebensjahr so auslegen, als wenn jedes Kind ganztägig in einer Betreuungseinrichtung untergebracht wäre. Das erscheint uns nicht realistisch. Aber wir werden darüber im Gespräch bleiben. Wir wollen das.

Jetzt ein Wort zum Betreuungsgeld. Ich sehe die Probleme, die damit verbunden sind. Wir haben dieses Thema noch nicht abschließend behandelt. Wir wollen das Betreuungsgeld im Übrigen erst 2013 einführen. Aber dass aus der Bezuschussung der Betreuung von Kleinkindern, die nicht zu Hause betreut werden, im Sinne der Wahlfreiheit vielleicht auch der Gedanke erwächst, Familien zu unterstützen, die sich ganz selbstbewusst für die Betreuung zu Hause entscheiden, kann im Sinne der Wahlfreiheit nicht grundsätzlich falsch sein. Deshalb werden wir einen Weg finden, der auf der einen Seite falsche Effekte vermeidet und auf der anderen Seite die Wahlfreiheit stärkt.

Im Verhältnis von Bürger und Staat spielt das Thema Bürokratie eine zentrale Rolle. Viele Menschen fühlen sich entmutigt. Deshalb werden wir die Arbeit des Normenkontrollrates nicht nur fortsetzen und nicht nur die Berichts- und Statistikpflichten um 25 Prozent reduzieren, sondern wir werden auch in umfassenden Pilotprojekten mit den Ländern bei Elterngeld und Wohngeld Erfahrungen sammeln: Wie kann man Bürokratie, auch für die Bürger fassbar, reduzieren? Dadurch werden wir auch die Arbeit des Normenkontrollrates stärken.

Das Thema "Bürger und Staat" wird natürlich ganz wesentlich auch durch die Steuerpolitik bestimmt. Die Wahlprogramme waren transparent. Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten, die das schon seit zehn Jahren nicht mehr gemacht haben, halten wir uns an unsere Wahlprogramme. Jeder wahlberechtigte Bürger in Deutschland konnte lesen, was die Union vorhatte.

Zu Ihrer großen Freude konnten Sie im Wahlkampf sogar verfolgen, dass es leichte Differenzen zwischen CDU und CSU gab. Sie haben auch gesehen, dass sich das FDP-Programm von den Programmen der Unionsparteien unterschieden hat. Aber in allen Programmen war Steuersenkung ein Thema, und zwar nicht irgendeine Steuersenkung, sondern vor allen Dingen eine Steuerstrukturreform, verbunden mit einer einfacheren Gestaltung unseres Steuersystems - nach 60 Jahren erkennbar kein so einfaches Unterfangen - und mit dem Willen, gerade die Ungerechtigkeiten bei kleinen und mittleren Einkommen abzubauen. Ich kann, ehrlich gesagt, nur schwer verstehen, dass Parteien, die sich allen Bereichen der Bevölkerung verpflichtet fühlen, überhaupt nicht mehr darüber sprechen.

Alles, was wir hier vereinbaren - ob wir die erneuerbaren Energien fördern, ob wir das Rentensystem unterstützen, das Gesundheitssystem oder sonst etwas -, beruht auf Steuereinnahmen des Staates. Deshalb brauchen wir motivierte Bürgerinnen und Bürger, die wissen, warum sie Steuern zahlen, und die finden, dass es dabei gerecht zugeht. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

Es liegt in der Natur der Sache, dass man darüber streitet. Wir sind jedenfalls davon überzeugt, dass es im Einkommensteuersystem Ungerechtigkeiten gibt, die beseitigt werden müssen, und dass Entlastungen möglich sind, notwendig sind und sogar Wachstum schaffen. Das ist unsere Überzeugung. Wir werden zwischen November und Mai tun, was wir zwischen dem letzten Mai und dem November getan haben: Wir werden auf die Steuerschätzung warten. Jetzt sagen manche: Wir wissen doch, was herauskommt, wenn wir wissen, wie das Wachstum ist. - Das ist, wenn man nur auf das Wachstum schaut, im Prinzip richtig.

Die Überraschung, die wir zwischen Mai und November erlebt haben, kam gerade daher, dass keiner in der Lage ist, bei einem Wachstum von minus fünf Prozent die Entwicklung des Arbeitsmarktes zu prognostizieren. 100.000 Arbeitslose mehr oder weniger bedeuten für den Haushalt eine Differenz von zwei Milliarden Euro. So können sich erhebliche Verschiebungen ergeben, die Veränderungen im Haushalt nach sich ziehen. Die Wachstumsprognosen sind völlig klar, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Wirkung der automatischen Stabilisatoren und vieles andere aber nicht. Deshalb warten wir die Steuerschätzung ab - sie findet bekanntermaßen noch vor der NRW-Wahl statt -, und dann werden wir den Gesetzentwurf für den Haushalt 2011 vorbereiten. Die Steuerstrukturreform bleibt weiter auf der Tagesordnung.

Von der Entlastung im Umfang von 24 Milliarden Euro, die wir vereinbart haben, haben wir mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz bereits einen Teil umgesetzt. Warten wir die Steuerschätzung ab; dann wissen wir, was für Aufgaben noch vor uns liegen.

Ein weiterer Punkt - das müssen wir zusammenbringen; das ist das Schwierige an unserer Arbeit - ist, dass das Verhältnis der Bürger zum Staat geprägt wird von der Frage, ob wir nachhaltige, solide Finanzen haben. Bei der Schuldenbremse war die Sozialdemokratie nun wirklich nicht der Treiber - ich würde mal sagen, die Treiber der Schuldenbremse sitzen eher hier bei uns -; auch wenn man sagen muss: Sie haben dankenswerterweise mitgemacht.

Wir haben - parteiübergreifend; sonst kann man in Deutschland die Verfassung nicht ändern - eine Schuldenbremse in das Grundgesetz aufgenommen. Jeder, der in diesem Hause sitzt, weiß, dass man nicht sehenden Auges gegen ganz spezifische Festlegungen des Grundgesetzes verstoßen kann. Das wissen wir alle; da brauchen Sie uns nicht zu verklagen. Die Schuldenbremse ist so etwas wie eine Leitplanke unserer gesamten Arbeit. Die Schuldenbremse beginnt 2011 zu wirken. Die politische Kunst - zu dieser Art von Politik sind wahrscheinlich nur wir fähig, so wie wir jetzt regieren - besteht darin, Wachstum und solide Finanzen miteinander zu vereinbaren. Das ist unsere Aufgabe. Diese Aufgabe ist nicht einfach; aber wir werden sie lösen.

Die internationale Krise hat gezeigt, dass der Staat Verpflichtungen hat. Wenn Freiheit und Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger erlebbar sein sollen, dann bedarf es Regeln. Regeln haben auf den internationalen Finanzmärkten gefehlt; da herrschte Freiheit ohne Verantwortung, das waren Exzesse. Deshalb geht es jetzt darum, die Regeln, soweit sie im G20-Prozess vereinbart sind, in diesem Jahr umzusetzen. Einiges ist in Gang gekommen; Wolfgang Schäuble hat gestern darüber gesprochen.

Es geht - das gilt insbesondere für die G20-Treffen, die in Kanada und in Südkorea stattfinden werden - darum, Wege zu finden, zu verhindern, dass Banken so groß sind oder so verflochten sind, dass sie uns immer wieder sozusagen erpressen können. Es gibt verschiedene Modelle. Auch Deutschland wird mit einem Modell in die Debatte gehen. Wir müssen darauf achten - das ist die größte Herausforderung bei der Bewältigung der Krise -, dass wir eine international abgestimmte Exit-Strategie finden. Es nützt nichts, wenn Deutschland die Schuldenbremse hat, und es nützt immer noch nichts, wenn sich ganz Europa an den Stabilitäts- und Wachstumspakt hält, wenn zugleich in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Japan oder anderswo eine völlig andere Politik betrieben wird. Was hat uns die Krise denn gezeigt? Sie ist nicht vorrangig von Europa ausgegangen. Sie hat uns gezeigt: Wenn sich ein großer Spieler in dem globalen Wettbewerb nicht an Regeln hält, dann müssen alle für die Folgen aufkommen. Deshalb wird es eine der herausragenden Aufgaben sein, nicht nur mit der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission eine Exit-Strategie zu vereinbaren und nicht nur das zu tun, was Deutschland einzigartig in seinem Grundgesetz verankert hat, sondern auch dafür zu sorgen und alles daranzusetzen, so schwierig es auch ist, dass andere dem folgen.

Ich nenne einen dritten Punkt, dem sich die christlich-liberale Koalition verpflichtet fühlt. Wir müssen den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erneuern: zwischen Jung und Alt, zwischen Kranken und Gesunden, zwischen Ärmeren und Wohlhabenderen, zwischen Einheimischen und Zugewanderten, zwischen Ost und West. Auch geht es um den internationalen Zusammenhalt in unseren Bündnissen. Nur durch diesen Zusammenhalt ist Solidarität in unserer Gesellschaft möglich.

Dazu gehört natürlich die Frage, wer Hilfe leistet und wer der Hilfe bedarf. Da ist die Diskussion über die Frage natürlich essenziell, wie wir das Arbeitslosengeld II, bekannter unter Hartz IV, gestalten. Ich sage ganz deutlich: Ich glaube, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen, was den Zwang, die Aufgabe oder die Notwendigkeit der Arbeitsaufnahme anbelangt, eindeutig ausreichend sind. Wer eine zumutbare Arbeit nicht annimmt, hat heute Sanktionen zu befürchten.

Die Frage, ob die Umsetzung unserer rechtlichen Regelungen überall ausreichend erfolgt, muss man sich immer wieder anschauen.

Da gibt es zwei Aufgaben:

Die erste Aufgabe ist, möglichst viele Arbeitsangebote zur Verfügung zu stellen. Da wird immer wieder über Optionen diskutiert, zum Beispiel in vielen neuen Bundesländern über sogenannte Bürgerarbeit oder anderes. Diese Diskussion werden wir fortsetzen. Aber es gelingt uns heute noch nicht - das muss man ganz einfach sagen -, jedem, der Arbeit sucht, wirklich eine Arbeit anzubieten. Wir müssen dabei aber auch aufpassen, dass wir nicht in eine Situation geraten, in der wir den mittelständischen Unternehmen Arbeit wegnehmen, weil wir zu viel staatlich geförderte Arbeit anbieten. Auch diese Diskussion muss geführt werden; wir führen sie ja auch schon seit vielen Jahren.

Die zweite Aufgabe ist folgende: Die Anreize, Arbeit aufzunehmen, sind mit Sicherheit noch nicht optimal geregelt. Sie alle kennen die Meinung, dass man 100 Euro dazuverdienen könne. Viele, die Arbeitslosengeld II bekommen, sagen, mehr dürften sie ja nicht. Diese Frage der Hinzuverdienstmöglichkeiten muss so neu geregelt werden - dies werden wir in der ersten Hälfte dieses Jahres tun -, dass Anreize gesetzt werden, ohne Vollbeschäftigung zu schwächen, was wir auch nicht wollen. Das ist eine ziemlich schwierige Aufgabe.

Wir haben das Schonvermögen vergrößert; dies wird jetzt im Parlament debattiert werden. Ich glaube, das war eine richtige Entscheidung, zu der viele sehr lange nicht bereit waren.

Wir müssen darüber diskutieren, wenn es um Armut in unserem Lande geht, ob die Frage von gleichen Chancen immer eine Frage nur von Geld ist oder ob sie nicht auch eine viel kompliziertere Frage ist. Es geht nicht ohne Geld; Geld ist sogar sehr wichtig. Aber wer glaubt, er könne das Problem nur mit Geld lösen und es gebe sonst kein anderes Problem zu lösen, der arbeitet an der Aufgabe vorbei. So einfach ist das. Darüber brauchen wir uns auch gar nicht aufzuregen.

Ich sage ganz eindeutig: Wir finden uns mit Arbeitslosigkeit nicht ab. Wir wollen und glauben auch, dass es möglich ist, im nächsten Jahrzehnt Vollbeschäftigung zu erreichen. Wir wollen jedem eine Chance geben, weil sich die freiheitliche Entfaltung des Menschen durch selbstverdientes Geld viel besser vollziehen kann. Das wollen wir erreichen.

Wir wollen Solidarität in unserer Gesellschaft: im Rentensystem, im Gesundheitssystem und in der Pflege. Aber wer an dem demografischen Wandel, an den Veränderungen des Altersaufbaus unserer Gesellschaft einfach vorbeisieht, wer so tut, als müsse und könne man die Rente mit 67 Jahren rückgängig machen, wer so tut, als könne man die Lohnzusatzkosten einfach an die Arbeitskosten gekoppelt lassen, wer so tut, als brauche man keine Kapitaldeckung in der Pflege, der lebt nicht im Sinne eines nachhaltigen Lebens, sondern der lügt sich in die Tasche. Das ist die Wahrheit.

Deshalb werden wir sowohl das Thema der Kapitaldeckung in der Pflege angehen als auch uns die Frage stellen, wie wir langfristig unser Gesundheitssystem weiterentwickeln. Ich sage ganz deutlich: Diese christlich-liberale Koalition steht dafür, dass es keine Zweiklassenmedizin gibt, dass jeder, der medizinische Leistungen braucht, sie auch bekommt, aber in einer Art und Weise, die die Beschäftigungsmöglichkeiten in unserem Lande nicht unterminiert. Dieser Aufgabe stellen wir uns. Wir werden sie lösen, so wie wir als Koalition aus Union und FDP die großen Sozialsysteme dieses Landes auf den Weg gebracht haben. Auch das ist die Wahrheit. In dieser Tradition bewegen wir uns.

Wir werden der Integration von Zugewanderten in unserem Lande weiter eine große Bedeutung zumessen. Wir haben als eine der ersten Maßnahmen dafür gesorgt, dass die Anerkennung von Berufsabschlüssen ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger verbessert wird, ein Thema, das schnell angegangen werden muss. Wir werden im 20. Jahr der deutschen Einheit die Solidarität zwischen Ost und West weiterentwickeln. Der Solidarpakt gilt - ich sage das ausdrücklich -, weil die strukturellen Probleme der neuen Bundesländer nach wie vor andere sind als in den alten Bundesländern.

Wir werden natürlich auch den Zusammenhalt nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern insgesamt auch in unserer Außen- und Sicherheitspolitik deutlich machen. Ich werde nächste Woche in einer Regierungserklärung zu Afghanistan darlegen, wie wir uns die nächste Etappe des Afghanistan-Einsatzes vorstellen. Wir werden schwierige Verhandlungen mit dem Iran führen, bei denen es um Sanktionen gehen wird. Wir werden eine neue Strategie der NATO auszuarbeiten haben. Aber wir werden unseren Bündnisverpflichtungen gerecht werden.

Die christlich-liberale Koalition will ein starkes Deutschland, ein lebenswertes Deutschland und bei der menschlichen Gestaltung der Globalisierung an vorderster Stelle mitarbeiten. Deshalb erneuern wir unsere Wirtschaftskraft, das Verhältnis von Bürger und Staat und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

Vor zwei Jahrzehnten waren wir alle hier Zeugen eines unglaublichen Vorgangs, nämlich des Endes des Kalten Krieges, des Falls der Mauer und des Sieges der Freiheit auf unserem Kontinent. Aus Gegnern wurden Partner. Am 3. Oktober dieses Jahres werden wir 20 Jahre deutsche Einheit feiern. Man darf sagen: Deutschland und Europa haben ihre Chance in der damaligen historischen Situation genutzt.

Vor zehn Jahren, im ersten Jahrzehnt unseres 21. Jahrhunderts, haben wir festgestellt, obwohl manche in den 90er Jahren schon vom Ende der Geschichte gesprochen haben, dass neue Bedrohungen, neue Herausforderungen auf uns zukommen. Der 11. September 2001 war sicherlich das markanteste Beispiel für asymmetrische Bedrohung, Terrorismus und religiösen Extremismus.

Jetzt stehen wir an der Schwelle eines neuen Jahrzehnts. In diesem neuen Jahrzehnt, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, wird sich entscheiden, wie unsere Gesellschaft mit diesen Bedrohungen und mit diesen Gefahren umgeht. Ich finde, die Art und Weise, wie wir bisher durch die schwerste Wirtschaftskrise seit 60 Jahren gekommen sind, macht uns Mut, dass wir das schaffen können: durch neues Denken, durch interessante Vorschläge und durch harte Debatten. Das befruchtet unsere Diskussionskultur, aber es müssen ehrliche und vernünftige Debatten sein.

Wenn wir das in Angriff nehmen, dann darf ich Ihnen jedenfalls heute Morgen mitteilen: Die christlich-liberale Koalition stellt sich diesen Aufgaben mit Mut und Zuversicht, und wir glauben, wir können das schaffen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 06-1 vom 20.01.2010
Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Haushaltsgesetz 2010
vor dem Deutschen Bundestag am 20. Januar 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2010