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REDE/425: Regierungserklärung von Dr. Peter Ramsauer, zur Sicherheit im Luftverkehr, 21.04.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Regierungserklärung des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, zur Sicherheit im Luftverkehr vor dem Deutschen Bundestag am 21. April 2010 in Berlin


Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die gute Nachricht von heute vorneweg: Die Vulkanasche im deutschen Luftraum hat sich so stark verflüchtigt, dass der normale Flugbetrieb in Deutschland wieder aufgenommen werden konnte. Das entbindet uns aber nicht davon, flugverkehrliche Vorkehrungen für das Phänomen der Vulkanasche zu treffen. Denn klar ist: Sicherheit steht weiter an allererster Stelle.

Die gigantische Aschewolke, die nach dem Vulkanausbruch auf Island am Mittwoch letzter Woche entstanden ist, stellt für den gesamten europäischen Luftverkehr ein historisch erstmaliges Phänomen und damit auch eine erstmalige Herausforderung dar. Es war deshalb absolut richtig und - ich betone das - alternativlos, bei Vorliegen erster Erkenntnisse unverzüglich Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen und am Donnerstag der vergangenen Woche erhebliche Einschränkungen des Flugverkehrs vorzunehmen.

Die von der Bundesregierung in engem Zusammenwirken mit den europäischen Nachbarländern sowie den zuständigen Luftsicherheitsbehörden getroffenen Entscheidungen basieren auf zwei fundamentalen Grundlagen:

Erstens. Im Flugverkehr kann die oberste Priorität nur größtmögliche Sicherheit sein: Sicherheit für die Passagiere, Sicherheit für die Besatzungen, Sicherheit für die Menschen auch am Boden. Dies gilt für den Donnerstag der letzten Woche, und dies gilt bis heute; es wird auch in Zukunft zu gelten haben.

Die zweite Grundlage bildet das unbestrittene und glasklare internationale Regelwerk, das von allen Verantwortlichen einzuhalten ist.

Ich selber habe nach Bekanntwerden der ersten Warnungen vor den tückischen Vulkanstaubpartikeln nach Rücksprache mit den Experten meines Ministeriums unmittelbar einen zentralen Krisenstab bei der Deutschen Flugsicherung aktiviert. Die ersten Warnmeldungen erreichten mich am Donnerstag gegen Mittag zum Ende der Länderverkehrsministerkonferenz in Bremen. Der zentrale Krisenstab bei der Deutschen Flugsicherung in Langen nahm kurz darauf seine Arbeit auf.

Die Einrichtung des Krisenstabs unter der Federführung meines Hauses bei den anerkannten Experten vor Ort war und bleibt die richtige Entscheidung. In die Arbeit des Krisenstabes wurden - ich möchte das deutlich machen - der Deutsche Wetterdienst, das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, die in Maastricht ansässige europäische Luftraumbehörde Eurocontrol institutionell eingebunden sowie konsultativ die Luftverkehrsgesellschaften. Uns ging es nicht darum, ein völlig neues Gremium zu schaffen, sondern uns ging es darum, schnell und pragmatisch auf den bewährten Sachverstand der Experten und die nur vor Ort ansässigen technischen Einrichtungen setzen zu können.

Am vergangenen Wochenende und auch am Montag erfolgte meinerseits eine enge Abstimmung mit allen nationalen politischen Akteuren. Nach meinem Selbstverständnis gebietet ein derartig sicherheitsrelevantes Thema, keinerlei unterschiedliche Kommunikation zwischen den Regierungsparteien und -fraktionen einerseits und der Opposition andererseits zu betreiben. Denn dieses Thema eignet sich nicht für parteipolitische Profilierungen.

Ich habe unter anderem Gespräche mit den verkehrspolitischen Sprechern aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien geführt, selbstverständlich unter Teilnahme des Vorsitzenden des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Konsultiert wurden zudem die verantwortlichen Länderverkehrsminister. In all diesen Gesprächen herrschte völlige Einmütigkeit über die Notwendigkeit der ergriffenen Maßnahmen. Ich bin außerordentlich dankbar, dass dies von den Beteiligten in aller Einmütigkeit nach außen betont und unterstrichen worden ist. Gleiches gilt als Fazit der gestrigen Sondersitzung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages. Wir alle sind uns einig, dass angesichts der historisch einzigartigen Herausforderungen alle zu ergreifenden Maßnahmen unter dem Gebot einer Strategie bestmöglich fundierter Sicherheit stehen müssen.

Parallel zu den nationalen Abstimmungen stehen sowohl ich persönlich als auch die Fachleute meines Hauses in ständigem bilateralen und multilateralen Kontakt zu den europäischen Verkehrsministerkollegen, ebenso zum verantwortlichen EU-Verkehrskommissar, Siim Kallas, sowie zur spanischen EU-Ratspräsidentschaft und meinem spanischen Kollegen.

Am Montag haben wir im Rahmen einer EU-Sonderkonferenz der Verkehrsminister per Videoschaltung über konkrete Wege hin zu einer verantwortbaren Schritt-für-Schritt-Rückkehr zur Aufnahme eines geordneten und normalen Flugbetriebs beraten. Dies alles geschah unter der Prämisse größtmöglicher Sicherheit.

Alle diese Abstimmungsprozesse betreffen aber - das sei betont - zunächst einmal die rein luftverkehrlichen Fragen. Darüber hinaus unternimmt und unternahm die Bundesregierung intensive Anstrengungen, denen zu helfen, die von den Flugausfällen betroffen sind. Dazu leistet mein Haus im Zusammenwirken mit dem Bundeskanzleramt umfassende Koordinierungsarbeit mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundesinnenministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium. Wichtige Hilfestellungen richten sich an diejenigen Passagiere, die etwa ohne erforderliche Visa bei Zwischenlandungen auf Flughäfen festsitzen, oder besonders dringende Fälle von im Ausland gestrandeten deutschen Flugpassagieren. Gleiches gilt etwa auch bei Krankentransporten sowie Organtransporten für lebensrettende Transplantationen.

Bei der Bewältigung der krisenhaften Folgen des Vulkanausbruchs für die Luftfahrt im wohl am stärksten in Anspruch genommenen Luftraum der Welt betreten alle Beteiligten Neuland. Dies gilt für die Luftsicherheitsbehörden und für die Wissenschaftler ebenso wie für die politisch Verantwortlichen. Dies gilt national wie auch international. Sicherheit und die Befolgung klarer internationaler Regeln müssen oberstes Gebot sein. Wir halten uns bei allen ergriffenen Maßnahmen deshalb an die Vorgaben der internationalen Luftfahrtorganisation ICAO, solange es keine besseren Regelungen gibt.

Das internationale Regelwerk untersagt reine Instrumentenflüge in mit Vulkanasche kontaminierten Lufträumen. Möglich und vom internationalen Recht gedeckt sind jedoch begründete Ausnahmen. Wir haben Flüge im Einklang mit diesem Regelwerk geduldet, die nach den Kriterien des kontrollierten Sichtfluges durchgeführt wurden, selbstverständlich unter bestmöglicher Nutzung der zur Verfügung stehenden Instrumente und selbstverständlich unter Wahrung der gebotenen Sicherheit. Kontrollierte Sichtflüge setzen gute Sichtverhältnisse sowie eine geringe Inanspruchnahme durch die Fluggesellschaften voraus.

Bereits am Samstag erfolgte auf diese Weise eine Reihe von Überführungsflügen unter anderem deutscher Fluglinien, um die Flugzeuge für den Normalbetrieb an ihren Bedarfsstandorten positioniert zu haben. Diese Flüge erfolgten ohne Passagiere und lieferten uns in Absprache mit den Luftsicherheitsinstitutionen wertvolle Erkenntnisse. Am Montag folgten erste Passagierflüge unter den Bedingungen des eben beschriebenen kontrollierten Sichtfluges. Das war vor allem im Interesse der gestrandeten Urlauber, die seit Tagen im Ausland auf Flughäfen festsitzen und nun zurück nach Deutschland reisen können. Wir alle müssen hierzu aber eines wissen: Ein regulärer Flugplan ist unter Sichtflugbedingungen im dicht belasteten europäischen und besonders im deutschen Luftraum nicht möglich.

Um nun schrittweise zu einem regulären Flugbetrieb unter Wahrung größtmöglicher Sicherheit zurückzukehren, sind vor allem zwei Voraussetzungen zu erfüllen:

erstens genaue Kenntnisse über die örtliche Verbreitung der Vulkanasche in der Atmosphäre und

zweitens genaue Kenntnisse über die Auswirkungen von Vulkanasche auf die Triebwerke der Flugzeuge.

Wir brauchen verlässliche Aussagen. Deshalb haben wir im Zusammenwirken mit den wissenschaftlichen Fachdiensten alle Möglichkeiten mobilisiert, um zu möglichst vielen aktuellen und vor allem zu belastbaren Messdaten zu kommen. Von zentraler Bedeutung sind die Erkundungen und Messungen des Forschungsflugzeugs des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Die Maschine, die "Falcon", wie sie immer bezeichnet wird, ist auch im europäischen Kontext eines der wenigen technischen Geräte zur flugzeugbasierten Atmosphärenforschung. Dies zeigt, dass unser Land auf diesem Gebiet technisch gut aufgestellt ist.

In den vergangenen Tagen haben alle Beteiligten, insbesondere die Mitarbeiter der Flugsicherung, die Meteorologen, die Triebwerksingenieure, die Piloten und die staatlichen Stellen, erhebliche empirische Erfahrungen gewonnen. Der Zugewinn an Erkenntnissen ist beträchtlich:

Erstens. Die Ergebnisse zahlreicher Erdbeobachtungsstellen liegen vor.

Zweitens. Inzwischen haben Hunderte von Flugbewegungen mit anschließender Auswertung in Deutschland und Europa stattgefunden.

Drittens liegt die Auswertung der mit dem DLR-Forschungsflugzeug erhobenen Daten vor. An der Maschine ist allerdings ein im Flugalltag gängiger mechanischer Schaden aufgetreten. Nach seiner Behebung wird sie ihre wertvolle Arbeit wieder aufnehmen. Die aus den verschiedenen Quellen gewonnenen Erkenntnisse sind analysiert und systematisiert worden. Die international gültigen ICAO-Regeln können auf Basis dieser wertvollen Erfahrungen weiterentwickelt werden. Ich bin überzeugt, dass wir damit unter schwierigen Bedingungen einen wichtigen Beitrag zur internationalen Flugsicherheit leisten.

Vorsorge treffen und ein umfassendes Maßnahmenbündel für die Zukunft schnüren, das muss jetzt unmittelbar folgen.

Bis wissenschaftlich gesicherte und verifizierte Daten vorliegen, und zwar erstens für die Verbesserung von meteorologischen Verfahren zur Bestimmung von Flugasche und

zweitens für die Herausbildung von Standards für technische Analysen zur Wirkung von Vulkanasche auf Triebwerke, wird noch etwas Zeit vergehen. Wir arbeiten auf europäischer und internationaler Ebene mit Hochdruck zusammen, um hierbei möglichst schnell Fortschritte zu erzielen. Damit kann auch der Beschluss der EU-Verkehrsminister auf der Konferenz am 19. April 2010 umgesetzt werden.

Kurzfristig und als Zwischenschritt brauchen wir allerdings ein Maßnahmenbündel, um einen annähernd regulären Flugbetrieb bei in der Atmosphäre gegebenenfalls wieder auftretender Vulkanasche zu ermöglichen.

Dazu habe ich Folgendes bereits veranlasst:

erstens die Einrichtung eines Meldezentrums beim Luftfahrtbundesamt; es geht um die Meldung von Vorkommnissen bei Flugzeugen, insbesondere bei Triebwerken, die durch Vulkanasche verursacht wurden oder verursacht worden sein könnten;

zweitens eine Meldepflicht für alle Fluggesellschaften;

drittens die Meldung besonderer Vorkommnisse während des Fluges, die durch Vulkanasche verursacht worden sein könnten, an die Flugsicherung;

viertens die Verpflichtung für die Luftfahrtunternehmen, ihre eigenen Risikobewertungen fortzusetzen und dauerhaft zu aktualisieren;

fünftens die Verkürzung der Inspektions- und Wartungsintervalle bei allen Flugzeugen.

Mit diesen Maßnahmen besteht die verantwortbare Chance auf eine geordnete Rückkehr zum normalen Flugbetrieb. Ein reibungsloser Flugverkehr ist für unsere Bürgerinnen und Bürger, aber auch für unsere gesamte Volkswirtschaft inmitten einer globalisierten Welt dauerhaft von erheblicher Bedeutung.

Ich möchte mich bei allen ganz herzlich für die konstruktive Begleitung und Unterstützung in diesen schwierigen Tagen bedanken.


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Quelle:
Bulletin Nr. 41-1 vom 21.04.2010
Regierungserklärung des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
Dr. Peter Ramsauer, zur Sicherheit im Luftverkehr vor dem Deutschen Bundestag
am 21. April 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2010