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REDE/460: Schäuble zum Haushaltsgesetz vor dem Bundestag, 23.11.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 23. November 2010 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Die Opposition muss sich bei dieser Haushaltsdebatte natürlich überlegen, was sie nun kritisiert. Uns in einem Atemzug vorzuwerfen, wir würden zu viel sparen und zu viel Schulden machen, ist von der Logik her irgendwo nicht zusammenzubringen. Es ist schon wichtig, dass wir uns über die Grundlinien der Finanzpolitik verständigen.

Herr Kollege Schneider, um vorweg noch folgende Bemerkung zu machen: Es war bis Anfang des Jahres offizielle Meinung auch des Bundesfinanzministeriums, von Ihnen damals tatkräftig unterstützt, dass die im Haushalt 2010 durch das Parlament beschlossene Neuverschuldung, das strukturelle Defizit, der maßgebende Wert für die Schuldenbremse sein solle. Ich bin derjenige, der das geändert hat. Das hat dann Ihre Zustimmung gefunden; das ist wahr. Aber jetzt können Sie sich vor lauter Zustimmung gar nicht mehr retten. Jetzt sagen Sie, man müsse das nun nicht mehr nur auf den Zeitpunkt, zu dem wir, das Kabinett, den Haushalt aufgestellt und die mittelfristige Finanzplanung vorgelegt haben, beziehen, sondern fortschreiben.

Ich sage Ihnen: Die mittelfristige Finanzplanung kann gar nicht fortgeschrieben werden. Deswegen ist es richtig, dass wir den Wert, der bei der Aufstellung des Haushalts zum Zeitpunkt der Kabinettsentscheidung im Juli absehbar war, für den Haushalt 2011 und für die mittelfristige Finanzplanung als Ausgangswert für die Schuldenbremse zugrunde gelegt haben. Dabei bleibt es. Damit werden wir den Anforderungen gerecht werden.

Dass es in den Beratungen des Haushaltsausschusses gelungen ist, die Neuverschuldung im Haushalt 2011 auf unter 50 Milliarden Euro zu drücken, ist eine große Leistung, für die ich dankbar bin. Veranschlagt sind aber immer noch 48,4 Milliarden Euro neue Schulden. Deswegen habe ich in einem anderen Zusammenhang gesagt: Manche glauben, wir schwimmen im Geld. Wir schwimmen aber nicht im Geld; wir ertrinken allenfalls in Schulden und versuchen, uns dagegen zu wehren.

Wir kommen aus der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Wir hatten im vergangenen Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von fast fünf Prozent, mit entsprechenden Einbrüchen bei den Steuereinnahmen der öffentlichen Haushalte, also der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden. Es ist uns glücklicherweise gelungen, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in höherem Maße zu begrenzen, als wir es damals zu hoffen gewagt hatten. Das ist eine große soziale Leistung, für die man gar nicht dankbar genug sein kann. Das ist auch ein eindeutiger Beweis für den Erfolg des Modells der sozialen Marktwirtschaft und der sozialen Partnerschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Sie werden in Europa und in der Welt heute viel positiver gesehen als noch vor einigen Jahren. Auch dies muss man dankbar und mit Respekt erwähnen.

Wir sind eingebunden in ein schwieriges internationales, auch europäisches Umfeld. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuellen Debatten und Diskussionen darüber, was in Irland vor sich geht, und der Antrag Irlands, sich unter den europäischen Rettungsschirm zu begeben und um Beistand durch die Euro-Gruppe beziehungsweise die Europäische Union und den Internationalen Währungsfonds zu ersuchen, zeigen ja, dass diese Finanz- und Wirtschaftkrise nach wie vor nachwirkt und dass wir nach wie vor alles daransetzen müssen, um sie zu beherrschen.

Wir werden in den nächsten Tagen noch intensiv mit dem Haushaltsausschuss darüber reden. Die Bundesregierung ist fest entschlossen, so eng wie möglich zu informieren und in gegenseitigen Abstimmungen die notwendigen Entscheidungen, die wir zu treffen haben, vorzubereiten. Aber ich will in diesem Zusammenhang ganz klar sagen: Unsere gemeinsame Währung steht auf dem Spiel. Dafür müssen wir Verantwortung übernehmen. Wenn wir diese gemeinsame Währung nicht als eine stabile Währung nachhaltig verteidigen können, wären die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für unser Land beziehungsweise für die Menschen in unserem Land unabsehbar. Das ist unsere Verantwortung, der wir uns auch in dieser schwierigen Situation zu stellen haben.

Vor diesem Hintergrund ist es außergewöhnlich wichtig, dass es uns in der Bundesrepublik Deutschland gelingt, zu zeigen, dass das, worüber international so viel gesprochen wird, tatsächlich möglich ist, dass man nämlich die Hauptursachen dieser Krise, die zu hohen Defizite in den öffentlichen Haushalten und die Blasen mit zu viel Liquidität auf den Finanzmärkten, maßvoll beseitigen und bekämpfen kann und damit nicht Wachstum zerstört, sondern fördert. Das ist Anfang dieses Jahres noch sehr bestritten worden.

Inzwischen ist Deutschland geradezu die Wachstumslokomotive in Europa und darüber hinaus sowie ein Modell für andere. Deswegen tragen wir Verantwortung. Wir zeigen, dass wir mit dieser soliden Finanzpolitik auf dem richtigen Weg sind, Defizite zu reduzieren und zugleich die Grundlagen für nachhaltiges Wachstum, Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit in unserem Lande sicherzustellen. Deswegen werden wir diesen Weg konsequent, mit Augenmaß, aber auch mit großer Entschiedenheit weiter fortsetzen. Dadurch schaffen wir auch die Spielräume für neue Gestaltungsaufgaben in der Zukunft. Aber wir müssen es Schritt für Schritt tun, und wir dürfen nicht beim ersten Erfolg innehalten, nur weil die Steuereinnahmen ein bisschen besser sind, die Defizite ein bisschen geringer sind, als wir befürchten mussten, und die Wirtschaftslage sich besser entwickelt.

Die gesamtwirtschaftliche Leistungskraft ist übrigens immer noch unter dem Niveau von vor der Finanz- und Wirtschaftkrise. Wenn wir es schaffen, Ende 2011 oder 2012 wieder das Vorkrisenniveau zu erreichen, dann wären wir besser, als wir zu Anfang der Legislaturperiode zu hoffen gewagt haben. Wir werden mit den Steuereinnahmen 2012 gerade wieder mal knapp das Niveau von 2008 erreichen. Das heißt, wir haben allen Grund, diesen Weg konsequent und mit Augenmaß fortzusetzen. Die Erfolge auf diesem Weg zeichnen sich für die Wirtschaft, die Menschen in unserem Lande und auch für die soziale Sicherheit Schritt für Schritt ab. Deswegen gehen wir ihn weiter. Dabei nutzen wir die Spielräume in dem Maße, wie wir sie uns erarbeiten.

Die Kunst von Finanz- und Wirtschaftspolitik ist doch, den richtigen Weg zu finden, öffentliche Haushalte so zu gestalten, dass sie Impulse für wirtschaftliches Wachstum nicht verhindern, sondern verstärken. Genau das ist die Kunst. Wenn Sie nun über alle möglichen Steuererhöhungen reden, müssen Sie immer bedenken, welche Wirkungen diese auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung haben. Wenn die gesamtwirtschaftliche Entwicklung schlechter wäre, dann hätten wir mehr Arbeitslosigkeit, wieder höhere Ausgaben im Bundeshaushalt, damit höhere Defizite und weniger soziale Gerechtigkeit. Ein Erfolgsnachweis für die Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik dieser Bundesregierung ist daher, dass wir neben einer vernünftigen Reduzierung der öffentlichen Defizite zugleich nachhaltiges Wirtschaftswachstum und eine bessere Entwicklung am Arbeitsmarkt erreicht haben. Wir sind entschlossen, genau diesen Weg fortzusetzen.

In dem Maße, wie wir auf diesem Pfad bleiben, erschließen wir uns Spielräume. Jetzt werden wir uns darauf konzentrieren müssen, trotz begrenztem Haushaltsspielraum steuervereinfachende Maßnahmen zu beschließen. Das können wir nur im Einvernehmen mit den Ländern machen; denn diese sind für die Steuerverwaltung zuständig. Auf Ihren Vorschlag, man könne die Steuerverwaltung beim Bund vereinheitlichen, kann ich Ihnen nur entgegnen: Wir müssen uns schon an das Grundgesetz halten. Wir sind ein Föderalstaat, in dem die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern schon durch das Grundgesetz festgelegt ist, und dieses ist verpflichtend für uns alle. Deswegen können wir solche steuervereinfachenden Maßnahmen nur im Einvernehmen mit den dafür zuständigen Ländern machen. Der Spielraum hierfür ist ein begrenzter, und man sollte gleich hinzufügen: Die Erwartungen an Steuervereinfachungen dürfen in der Öffentlichkeit nicht zu sehr geschürt werden. Wenn man nämlich nur einen begrenzten Entlastungsspielraum hat, werden die Auswirkungen auf die Steuerzahler auch nur begrenzt wahrnehmbar sein. Ich warne davor, überzogene Vers prechungen zu machen und zu hohe Erwartungen zu schüren, die sich am Ende in der Realität nicht bestätigen werden.

Die große Frage, die sich an die Finanzpolitik dieser Regierung und dieses Parlaments richtet, ist ja: Wird sie den richtigen Kurs fortsetzen? Niemand in der internationalen Fachwelt bestreitet ja, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das sagen die Forschungsinstitute; das sagt der Sachverständigenrat; das sagen die OECD und die EU-Kommission und auch die Bundesbank. Zweifel bestehen, ob wir angesichts der Erfolge die Kraft haben, diesen Weg fortzusetzen.

Es wird wieder und wieder darauf hingewiesen, dass in der Vergangenheit oft genug der Fehler gemacht worden ist, konjunkturelle Spielräume strukturell zu verschenken. Genau das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, werden wir nicht tun. Wir werden, weil wir durch die Ergebnisse in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt unsere Finanzpolitik bestätigt sehen, noch mehr Kraft darauf verwenden, genau diesen Weg konsequent fortzusetzen. Das dient am besten unserem Land. Das dient am besten unserer Verantwortung in Europa. Das dient am besten unserer Verantwortung für kommende Generationen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 121-1 vom 23.11.2010
Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,
zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag
am 23. November 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2010