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WÄHRUNG/135: "Euro-Krise bedeutet nicht Untergang des Abendlandes" (Bremer Uni-Schlüssel)


Bremer Uni-Schlüssel - Nr. 114, Juli 2010
Die interne Zeitung der Universität Bremen

"Euro-Krise bedeutet nicht Untergang des Abendlandes"

Von Kai Uwe Bohn


Geht's mit Euro und Eurozone endgültig bergab? Zahlen wir bald wieder mit Mark, Peseten und Drachmen? Ist die Euro-Krise überhaupt eine Krise - und wenn, wie lässt sie sich überwinden? In einer Diskussionsveranstaltung im Großen Hörsaal ging es genau um diese Themen.


Früher gab's das öfter an der Bremer Uni, heute ist es eine Seltenheit: Ein Fachbereich sagt seine Lehrveranstaltungen ab, um sich stattdessen in einer breiten öffentlichen Diskussion einem gesellschaftlich wichtigen Thema zu stellen. Bis es heute dazu kommt, muss es schon wirklich unter den Nägeln brennen - und bei den Wirtschaftswissenschaftlern ist das derzeit der Fall. "Die Zukunft der Eurozone" beschäftigte Anfang Juni fünf Hochschullehrer auf dem Podium. Sie tauschten im gut gefüllten Großen Hörsaal ihre Argumente aus - vor vielen Studierenden, aber auch etlichen Mitarbeitern und interessierten Bürgern. Zu einer kurzen Diskussion mit den Zuhörern kam es anschließend auch noch.

Die weltwirtschaftliche Struktur und ihre dynamische Entwicklung, das Verständnis darüber und die richtige Deutung der Geschehnisse - das ist das Tagesgeschäft für Ökonomen und die, die es werden wollen. In Zeiten, in denen der wirtschaftliche und politische Zusammenhalt Europas und die gemeinsame Währung auf der Kippe zu stehen scheinen, besteht besonders hoher Gesprächsbedarf - und dem wollten Dekan Professor Jochen Zimmermann und seine Kollegen Raum geben. Schließlich geschehen mittlerweile Dinge, von denen man noch vor Kurzem nicht zu träumen wagte: Europas Politiker beschließen Stützungspakete bisher unbekannten Ausmaßes, die Europäische Zentralbank (EZB) finanziert Staatsschulden durch die Notenpresse - und alles das "Euro-Krise bedeutet nicht Untergang des Abendlandes" mit der legitimierenden Begründung der Alternativlosigkeit. Wo soll das alles enden? Auf dem Podium suchten unter Zimmermanns Moderation die Hochschullehrer Stefan Traub, Andre Heinemann, Thorsten Poddig und ihr emeritierter Kollege Rudolf Hickel nach Antworten. Sie taten dies durchaus kurzweilig, spielten sich die Stichworte zu und wagten auch mal den einen oder anderen kleinen Disput - wobei die Gemeinsamkeiten über die Auslöser der Krise und die Einschätzung der Lage allerdings deutlich überwogen. Begleitend nutzte Hickel die Zusammenkunft intensiv, um auf bereits erschienene wie noch kommende Bücher und Zeitungsartikel aus seiner Feder hinzuweisen, die sich unter anderem mit dem diskutierten Themenkomplex beschäftigen.


"Schwere Geburtsfehler"

Keiner der Kollegen auf dem Podium mochte der von Rudolf Hickel formulierten Eingangsthese widersprechen, dass die Gründung des "Eurolandes" viel zu früh erfolgte, schwere Geburtsfehler aufwies und katastrophal inszeniert war. "Das waren völlig verschiedene Länder mit absolut unterschiedlichem ökonomischen Hintergrund. Die Annahme von Finanzminister Waigel und Bundeskanzler Kohl, dass sich der Wirtschaftsraum nach der Einführung des Euro schnell 'vereinheitlichen' werde, war eine völlige Fehleinschätzung", so Hickel. Dass ein Land schwere Fehler mache oder sogar abwirtschafte, sei praktisch nicht vorgesehen gewesen - die Rechnung dafür gebe es jetzt. "Das Hilfspaket für Griechenland war unverzichtbar, es reicht aber noch nicht aus", so Hickel. "Wenn in drei Jahren die Hilfsmaßnahmen auslaufen, hat Griechenland immer noch große Schulden." Er optiere für einen "Haircut" - also einen Teilerlass der Schulden durch die Gläubiger.

Thorsten Poddig erinnerte daran, dass schon vor Gründung der Eurozone viele Fachleute darauf hingewiesen hätten, "dass das so gar nicht funktionieren kann". Die sich an die jeweilige Situation anpassenden Wechselkurse zwischen den Währungen hätten bis zur Euro-Einführung als Dämpfer in schwierigen Zeiten gedient. "Als die Wechselkurse weg waren, hat das sofort die ganzen Spannungen im Gefüge erhöht", konstatierte Poddig. "Die Webfehler des Euro-Landes standen vorher fest, und Ereignisse, vor denen gewarnt worden war, sind eingetroffen. Hier haben die Ökonomen nicht geirrt." Vom Rauswurf Griechenlands aus dem Euro-Verbund hielt er ebenso wenig wie vom Austritt Deutschlands mit Wiedereinführung der D-Mark. "Man muss die Webfehler beseitigen und einen 'Länderfinanzausgleich' einführen - so, wie es jetzt schon durch das Hilfspaket geschehen ist." Auch wenn der Länderfinanzausgleich nicht so heiße: "Es glaubt doch kein vernünftiger Mensch daran, dass wir diese 'Kredite' an Griechenland jemals zurückgezahlt bekommen!"


Europa: 60 Jahre Frieden

André Heinemann erinnerte Europa-Kritiker noch einmal an die Vorzüge Europas mit seiner nunmehr 60-jährigen Geschichte: "Das ist die Grundlage für sechs Jahrzehnte, die wir in Europa in Frieden und Freiheit leben konnten." Dass der mangelhafte Umgang mit den Staatsverschuldungen und die Aufweichung der Verschuldungsgrenzen einmal soweit führen würde, dass die EZB selbst wertlose Staatsanleihen aufkauft und damit ihre Neutralität faktisch aufgibt - "das hätte ich mir vor einigen Jahren noch nicht vorstellen können." Heinemann optierte in der Griechenland-Frage für einen "strukturellen Neubeginn durch eine geordnete Insolvenz. Nach solch einer Insolvenz wird die Welt anders aussehen - und wir hätten komplett neue Spielregeln im wirtschaftlichen Miteinander."

Stefan Traub machte zunächst einmal deutlich, dass die Euro-Krise nicht "den Untergang des Abendlandes" bedeute. "Der Euro ist nicht in einer ökonomischen Krise - Auf- und Abbewegungen einer Währung sind normal. Die Inflationsrate des Euro ist unter zwei Prozent, damit ist diese Währung stabiler, als es die D-Mark war!" Allerdings erwiesen sich die Mittel der Politik derzeit als relativ untauglich - "sie sollen auch vom Politikversagen ablenken." Auch er befürwortet den "Haircut" - und verwies unter Zustimmung seiner Kollegen im Übrigen darauf, dass der nun aufgespannte "Rettungsschirm" auf Deutschland bezogen eine eindeutig verfassungswidrige Handlung gewesen sei.


90 Minuten im Nu vorbei

Es ging so munter hin und her, dass die 90 Minuten der Podiumsdiskussion im Nu vorüber waren - nur vier Fragen aus dem Auditorium konnten überhaupt beantwortet werden. Dekan Jochen Zimmermann hatte die Veranstaltung schon Appetit auf mehr gemacht: "Man müsste einen 'Dies academicus' zu diesem und ähnlichen Themen machen - dann hätte man mehr Zeit zum diskutieren!"


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Quelle:
Bremer Uni-Schlüssel Nr. 114, Juli 2010, S. 5
Herausgegeben im Auftrag des Rektors von der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2010