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ARBEITSRECHT/074: Sachverhaltsaufklärung vor Verdachtskündigung (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 9. Dezember 2008

Rubrik: Beruf/Recht/Urteile

Sachverhaltsaufklärung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung


Frankfurt a. M./Berlin (DAV). Will ein Arbeitgeber einen Mitarbeiter wegen des Verdachts einer schweren Verfehlung oder Straftat kündigen (Verdachtskündigung), muss er den Sachverhalt intensiv aufklären und alle Personen befragen, die an dem Vorfall beteiligt waren oder über ihn Kenntnis haben. Dies geht aus einem Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 17. Juni 2008 hervor (AZ: 4/12 Sa 523/07), auf das die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) hinweist.

Eine Klinik entließ eine langjährige Hebamme aufgrund des Verdachts der Entwendung von Schmerzmitteln, die bei Geburten regelmäßig verabreicht werden. Deren unsachgemäße Anwendung kann zu einer Suchterkrankung führen. Nachdem der Eindruck entstanden war, die Mitarbeiterin verbrauche überdurchschnittlich viel eines bestimmten, besonders starken Schmerzmittels, wurden mit ihr mehrfach Gespräche über die Unregelmäßigkeiten geführt. Als dann festgestellt wurde, dass eine Patientin ein ihr verschriebenes starkes Schmerzmittel nicht erhalten hatte und Ampullen eines anderen, schwächeren Beruhigungsmittels fehlten, sprach der Arbeitgeber die Hebamme darauf an. Sie erklärte, sich nicht mehr erinnern zu können. Der Arbeitgeber befragte nur einen weiteren Mitarbeiter zu dem Vorfall und untersuchte stichprobenartig Patientenakten und Eintragungen in dem Betäubungsmittelbuch, aus denen sich weitere Unstimmigkeiten ergaben. Nach einer weiteren Anhörung der Mitarbeiterin, bei der diese lediglich einräumte, mehr Schmerzmittel als andere zu verabreichen, kündigte der Arbeitgeber fristlos wegen des Verdachts der Entwendung von Schmerzmitteln. Mit ihrer Klage wandte sich die Mitarbeiterin gegen die ausgesprochene Kündigung.

Mit Erfolg. Nach Ansicht der Richter sei für eine Verdachtskündigung erforderlich, dass die Verdachtsmomente auf objektiven Tatsachen beruhten und diese geeignet seien, das Vertrauen in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zu zerstören. Ferner müsse der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben. Blieben nach der erforderlichen Anhörung des Arbeitnehmers Zweifel, gehöre zu den gebotenen Aufklärungsmaßnahmen auch die Befragung der Personen, die an dem Vorgang beteiligt waren oder Kenntnisse über diesen haben. Geprüft werden müsse insbesondere, ob nicht andere Personen als Täter in Betracht kämen. In diesem Fall sei nicht festgestellt worden, ob die Mitarbeiterin nach den Kritikgesprächen nur die Patientenunterlagen nicht korrekt geführt, sondern auch die dort angegebenen Mengen des starken Schmerzmittels entwendet oder selbst konsumiert habe. Somit bestehe mangels konkreter Indizien auch kein hinreichend sicherer Tatverdacht. Feststellbar seien nur Differenzen zwischen den Eintragungen im BTM-Buch und in den Patientenakten, nicht aber deren Ursachen. Mit den vorliegenden Indizien könne jedenfalls kein schwerwiegender Unterschlagungsverdacht gegen die Mitarbeiterin begründet werden, sondern allenfalls eine entsprechende spekulative Vermutung.

Um keinen Verstoß gegen das AGG zu begehen, sollten Arbeitgeber sich anwaltlich beraten lassen. Arbeitsrechtsanwälte in der Nähe findet man unter www.ag-arbeitsrecht.de.


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Quelle:
Pressemitteilung ArbR 16/08 vom 9. Dezember 2008
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2008