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AUSLAND/053: Deutscher Anwaltverein solidarisiert sich mit türkischer Anwaltschaft (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 17. Juni 2017

Deutscher Anwaltverein solidarisiert sich mit türkischer Anwaltschaft

DAV kritisiert EU-Menschrechtsgerichtshof wegen Umgang mit Verfahren aus der Türkei


Ankara (DAV). Von einem funktionierenden Rechtsstaat in der Türkei kann nicht gesprochen werden. Die staatlichen Repressionen haben nun endgültig auch die Anwaltschaft in der Türkei erreicht. Dies zeigen die jüngsten Verhaftungen von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Aufgrund dieser Entwicklungen unterschrieben Vertreter des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und der Union der türkischen Rechtsanwaltskammern ein Freundschaftsabkommen in Ankara. Außerdem fordert der DAV, die Hürden für Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu senken, soweit Fälle aus der Türkei betroffen sind.

"Wir stehen angesichts der schweren Zeiten für die freie Anwaltschaft in der Türkei fest an der Seite unserer türkischen Kolleginnen und Kollegen", sagte DAV-Präsident, Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg, bei der Unterzeichnung des Freundschaftsabkommens am Samstagabend in Ankara.

In dem vom Präsidenten der Union der türkischen Rechtsanwaltskammern Metin Feyzioğlu und dem DAV-Präsidenten Schellenberg unterzeichneten Abkommen stellen beide Seiten die Bedeutung einer freien Anwaltschaft für den Rechtsstaat heraus. So heißt es in dem Abkommen unter anderem: Waffengleichheit zwischen Bürger und Staat kann es nur geben, wenn das Recht auf ungehinderte Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit garantiert wird. Auch untersteht das Verhältnis zwischen Mandanten und Rechtsanwälten dem besonderen staatlichen Schutz und ist frei von staatlicher Einflussnahme.

Anwälte sind das Rückgrat des Rechtsstaates

"Es bleibt in Europa keinesfalls unbemerkt, wenn - wie zuletzt - erneut 22 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Türkei festgenommen werden", so Schellenberg. Anwälte seien das Rückgrat des Rechtsstaates - auch und insbesondere in ihrer Rolle als Menschenrechtsverteidiger. "Wenn es fast schon zur Tagesordnung gehört, unliebsame Anwältinnen und Anwälte festzunehmen, dann müssen wir uns dem entgegenstellen", sagte der DAV-Präsident.

Der Präsident der türkischen Anwaltskammer, Metin Feyzioğlu, hob hervor: "Mit diesem Freundschaftsabkommen machen wir gemeinsam deutlich, welch wichtige Rolle das Recht und die Anwaltschaft für eine funktionierende Gesellshaft haben." Außerdem werde unmissverständlich klar gemacht, dass sich der DAV und die türkische Rechtsanwaltskammer strikt gegen staatliche Eingriffe in die Arbeit der Anwaltschaft aussprechen.

Gerichtshof für Menschenrechte darf sich nicht hinter Formalien verstecken

In Ankara forderte der DAV-Präsident zudem, die formellen Anforderungen an türkische Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht über Gebühr zu strapazieren. "Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sollte sich im Fall der Türkei nicht hinter formellen Anforderungen wie der Rechtswegerschöpfung verstecken", sagte Schellenberg. Wenn die Verfahren vor dem EGMR immer wieder mit der Begründung verworfen würden, in der Türkei hätten die Betroffenen nicht alle Instanzen ausgeschöpft, dann sei das ein fatales Zeichen.

Eine Beschwerde wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist beim EGMR nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Hierzu zählt, dass zunächst der nationale Rechtsweg erschöpft werden muss. Allerdings muss der nationale Rechtsweg ausnahmsweise nicht erschöpft werden, wenn das unzumutbar erscheint.

"Die Türkei ist aus rechtsstaatlicher Sicht nicht mit anderen Ländern in Europa zu vergleichen", sagte Schellenberg. Dies müsse auch beim EGMR berücksichtigt werden. "Wenn in einem Land innerhalb kürzester Zeit fast ein Drittel aller Richter und Staatsanwälte verhaftet werden und eine freie Anwaltschaft aufgrund von Repressionen faktisch nicht existiert, dann steht die Frage der Unzumutbarkeit des Rechtsweges in einem anderen Lichte", so der DAV-Präsident. Die Betroffenen kämen so einfach nicht zu ihrem Recht.

Die Delegationsreise nach Ankara war der zweite Türkeibesuch des DAV-Präsidenten in diesem Jahr. Bereits im Januar hatte Schellenberg Vertreter der türkischen Anwaltschaft in Ankara getroffen, um sich ein persönliches Bild von der Situation vor Ort zu machen.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 6/17 vom 17. Juni 2017
Deutscher Anwaltverein (DAV)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2017

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