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EUROPA/015: EU-Kommission leitet ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 30. April 2020

DAV begrüßt Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, fordert aber schnelle einstweilige Maßnahmen


Berlin/Brüssel (DAV). Der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßt die Entscheidung der EU-Kommission zur Einleitung eines weiteren Vertragsverletzungsverfahrens gegen Polens jüngstes Richterdisziplinierungsgesetz: "Dies ist ein wichtiges Signal zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in Polen und in der EU. Allerdings ist ein solches Verfahren nur wirksam und sinnvoll, wenn es mit kurzen Fristen und einem Antrag auf einstweilige Aussetzung der Regelungen verbunden wird", mahnt Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann, Präsidentin des DAV. "Ein Urteil, das die Vertragsverletzung im Jahr 2021 oder 2022 feststellt, würde zu spät kommen."

Nach Ansicht der EU-Kommission könnten nach dem polnischen "Maulkorbgesetz? auch Inhalte von Gerichtsentscheidungen als Grundlage für Disziplinarvergehen dienen. Damit würden Disziplinarmaßnahmen als Instrument der politischen Kontrolle genutzt. Außerdem werden polnische Gerichte durch die Regelungen daran gehindert, Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH einzuholen. Dies ist mit dem Vorrang des EU-Rechts und dem Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar. Auch die in dem Gesetz vorgesehene Offenlegung von Informationen über nicht-berufliche Tätigkeiten von Richterinnen und Richtern verstößt gegen EU-Recht.

Der DAV ist seit längerem ernsthaft besorgt über die Lage der Rechtstaatlichkeit in Polen. Die polnische Regierung hatte zuletzt angekündigt, den Beschluss des EuGH vom 8. April 2020 bezüglich der Aussetzung der Tätigkeit der umstrittenen Disziplinarkammer (siehe DAV-Statement vom 8. April) nicht umsetzen zu wollen. Das polnische Verfassungstribunal hatte sich zudem in zwei Entscheidungen gegen den EuGH sowie das Oberste Gericht Polens gestellt. Am 20. April 2020 verwarf das Verfassungstribunal eine Entscheidung des Obersten Gerichts vom 23. Januar 2020, in der die durch den umstrittenen Landesjustizrat erfolgten Richterernennungen auf Basis einer Vorabentscheidung des EuGH aufgehoben wurden. Das Verfassungstribunal widersetzt sich damit der Bindungswirkung von Urteilen des EuGH und damit einem der wesentlichen Grundsätze des Unionsrechts. Das Oberste Gericht hatte wiederum am 20. April 2020 eine Anordnung zur Aussetzung der Tätigkeit der Disziplinarkammer erlassen. Im Zuge dessen wurden nunmehr disziplinarische Ermittlungen gegen die Ende April 2020 aus dem Amt scheidende Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Malgorzata Gersdorf, eingeleitet.

"Diese Verfahren schwächen grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien in Polen", betont Kindermann. Dies habe erhebliche Auswirkungen auf die justizielle Zusammenarbeit und das gemeinsame Wertefundament in der Europäischen Union. Umso dringender sei es daher, dass die strittigen polnischen Regelungen durch den Europäischen Gerichtshof zügig und effektiv ausgesetzt werden.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 16/20 vom 30. April 2020
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2020

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