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FORSCHUNG/006: Regeln für das zweite Ich - Second Life, World of Warcraft ... (impulse - Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 1/2009

Regeln für das zweite Ich
Second Life, World of Warcraft und Co. - Virtuelle Welten sind keine rechtsfreien Räume

Von Benedikt Buchner, Jens. M. Schubert und Jürgen Taeger


Virtuelle Welten machen für ihre Nutzer manche Träume wahr, die sich in unserer hiesigen realen Welt nicht erfüllen ließen. Doch sind diese Phantasiewelten kein rechtsfreier Raum. Rechtswissenschaftler der Universitäten Oldenburg, Lüneburg und Bremen analysieren die Rechtlage und suchen nach Lösungen.


In der Gestalt des sogenannten Avatars können sich Nutzer in der virtuellen Welt eine zweite Identität ganz nach ihren eigenen Vorstellungen zulegen, sie können in Sekunden-Bruchteilen von A nach B fliegen und heroische Kämpfe ausfechten, sie können Land erwerben, Handel treiben, mit virtuellen Traumpartnern virtuelle Sonnenuntergänge betrachten und vieles mehr. Allein in Second Life sind 19 Millionen Nutzer registriert, die dort für ihr zweites Ich, ihren Avatar, eine eigene virtuelle Traumwelt schaffen können. In der Phantasiewelt World of Warcraft besitzen mehr als 11 Millionen Spieler einen aktiven Account, um in dieser Welt Missionen zu erfüllen, Kämpfe auszutragen und Handel zu treiben.

Die wirtschaftliche Dimension dieser virtuellen Welten ist enorm. Allein bei Second Life haben Nutzer nach Angaben des Betreibers Linden Lab im Jahr 2008 umgerechnet mehr als 350 Millionen US-Dollar für virtuelle Güter und Dienstleistungen ausgegeben. Die Möglichkeit, in virtuellen Welten auch echtes Geld zu verdienen, hat manchen Teilnehmer schon dazu veranlasst, seine Arbeit in der hiesigen Welt zu kündigen und seinen Lebensunterhalt künftig ganz in der virtuellen Welt zu bestreiten - sei es als deren Mitentwickler, sei es als Händler oder Dienstleister mit virtuellen Angeboten.

Wo so viele Menschen aufeinander treffen und so viel Geld im Spiel ist, bleiben Interessenkonflikte nicht aus. Die Frage ist, nach welchen Regeln diese zu entscheiden sind. Auch für die virtuelle Welt gilt: Sie ist kein rechtsfreier Raum, in dem jeder tun und lassen darf, was er will. Das virtuelle Zusammenleben in Second Life und Co. bedarf ebenso wie das Zusammenleben in der realen Welt klarer rechtlicher Rahmenbedingungen. Eben von solchen Rahmenbedingungen für die virtuelle Welt sind Rechtsprechung und Rechtslehre aber bislang noch weit entfernt. Abgesehen von einzelnen Urteilen und wissenschaftlichen Beiträgen fehlt es an einer Aufarbeitung rechtlicher Fragestellungen in der virtuellen Welt.

Rechtswissenschaftler der Universitäten Oldenburg, Lüneburg und Bremen haben sich zum Ziel gesetzt, diese Lücke zu schließen. In einem von der Stiftung Bremer Wertpapierbörse geförderten Forschungsprojekt sollen Rechtsfragen, die sich in virtuellen Welten stellen können, identifiziert und einer kohärenten Lösung zugeführt werden. Der Bogen rechtlicher Fragestellung ist dabei weit gespannt: Er reicht von Fragen des anwendbaren Rechts über Bilanz- und Steuerrecht bis hin zur Verfolgung von Straftaten in der virtuellen Welt. Die Rechtsverhältnisse zwischen den Nutzern untereinander müssen ebenso geklärt werden wie deren Verhältnis zu den Anbietern virtueller Welten. Der Schutz von materiellen und immateriellen Gütern ist ebenso eine Herausforderung wie der Schutz von Persönlichkeitsrechten, der Daten- und der Jugendschutz.

Eine besondere rechtliche Herausforderung virtueller Welten liegt darin, dass Lebenssachverhalte, die an sich altbekannt und juristisch unproblematisch sind, nicht real, sondern nur virtuell passieren und sich daher in die klassischen rechtlichen Strukturen nicht oder nur schwer einfügen lassen. Ein Gegenstand, der in einer virtuellen Welt geschaffen wird (ein Schmuckstück, ein Schwert, ein Gebäude), ist gerade keine "Sache" im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches und damit kann etwa auch kein klassisches Eigentum an diesem Gegenstand erworben werden. Ein Avatar, der in Second Life beleidigt wird, ist gerade kein Mensch, dessen Rechtsfähigkeit, wie es § 1 BGB formuliert, "mit der Vollendung der Geburt" beginnen würde. Er kann daher auch keine Verletzung eines eigenen Persönlichkeitsrechts geltend machen. Der Avatar mag zwar wie ein Mensch aussehen und sich auch wie ein solcher in der virtuellen Welt verhalten, tatsächlich aber kommt für diesen virtuellen Menschen allenfalls ein Schutz als urheberrechtlich geschütztes "Werk" in Betracht.


Der Kölner Dom als virtuelles Werk

Mit Rechten an virtuellen Gegenständen hatte sich ein deutsches Gericht erstmals am Beispiel des Kölner Doms auseinanderzusetzen, der als virtuelles Modell auch in Second Life besucht werden kann. Die Prozessparteien, die gemeinsam eine virtuelle Nachbildung des Kölner Doms für Second Life erstellt hatten, stritten sich nach ihrem Zerwürfnis um die Urheberrechte an diesem Dom, konkret um die Urheberrechte an den Texturen für die Domfenster und die Bodenmosaike. In seinem Urteil vom April 2008 stellt das Landgericht Köln zunächst einmal klar, dass auch in virtuellen Welten urheberrechtlich geschützte Werke entstehen können. Als "reine Kunst" wollte das Gericht den virtuellen Dom allerdings nicht einordnen, dieser sei gerade keine "der rein ästhetischen Anschauung dienende Darstellung".

Aus Sicht des Gerichts handelt es sich bei dem Dom vielmehr um sogenannte angewandte Kunst, mithin also um einen Gebrauchsgegenstand mit künstlerischer Formgebung. Als ein solcher kann der virtuelle Kölner Dom nur dann urheberrechtlichen Schutz beanspruchen, wenn seine Gestaltung auf ein überdurchschnittliches Können jenseits des Handwerklichen und Alltäglichen hinweist. Eben dies ist aber aus Sicht des Gerichts nicht der Fall. Übertragen auf andere "Werke" in Second Life und Co., egal ob Avatare, Gebäude oder Schmuckstücke, bedeutet dies, dass auch diese regelmäßig keinen urheberrechtlichen Schutz genießen werden, wenn sie sich in ihrer künstlerischen Gestaltung nicht deutlich von ihrem Umfeld abheben.


Virtuelle Super-Betten

Ebenso wie das Urheberrecht kann auch das Markenrecht die Gerichte im Falle virtueller Streitigkeiten beschäftigen. Markenrechtsverletzungen sind in der virtuellen Welt gang und gäbe. Gleichwohl sehen Unternehmen bislang oftmals noch von einer Verfolgung dieser Rechtsverstöße ab, sei es, weil es bereits Probleme bereitet, die hinter einem Avatar stehende reale Person zu identifizieren, sei es, weil sich die wirtschaftlichen Schäden solcher Rechtsverletzungen in Grenzen halten. Teils ist die Nutzung einer Marke in der virtuellen Welt aus Unternehmenssicht offensichtlich sogar willkommen. Coca-Cola etwa erlaubt inzwischen generell die Nutzung seiner Marke in Second Life.

Virtuelle Unternehmen sind insoweit weniger großzügig. Viel Aufmerksamkeit bei der Durchsetzung seiner Markenrechte hat vor allem das Unternehmen Eros erlangt. Eros bietet in Second Life ein Sexspielzeug namens SexGen an: ein virtuelles Super-Bett, welches angeblich mehr als 150 Sex-Animationen beherrscht und für 12.000 Linden-Dollar (die offizielle Währung in Second Life; umgerechnet 45 US-Dollar) erworben werden kann. Nach eigenen Angaben hat Eros bereits mehr als 100.000 solcher Spielzeuge verkauft. Nachdem in Second Life zunehmend Plagiate dieses "SexGen" zu Dumpingpreisen angeboten wurden, sah sich Eros veranlasst, gegen mehrere dieser Anbieter wegen Markenrechtsverletzungen gerichtlich vorzugehen und auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 75.000 US-Dollar zu klagen.


Das Persönlichkeitsrecht von Zwergen und Gnomen

Nicht nur Marken- und Urheberrechte können in der virtuellen Welt verletzt werden, sondern auch Persönlichkeitsrechte. Beleidigen können sich nicht nur reale Menschen hier auf dieser Welt, sondern auch Avatare in der virtuellen Welt. Letztere allerdings sind, da nicht natürliche, sondern virtuelle Person, rechtlich betrachtet nicht beleidigungsfähig. Dies ist auch dann nicht anders zu beurteilen, wenn ein Spieler seinen Avatar mit viel Zeit und Energie zu einer echten "Persönlichkeit" in der virtuellen Welt aufgebaut hat. Beleidigungsfähig ist und bleibt allein die hinter dem Avatar stehende reale Person. Wobei nicht jede Äußerung, die wir in der realen Welt als Beleidigung einordnen würden, auch in der virtuellen Welt als eine solche zu gelten hat. In mancher virtuellen Welt ist die Kundgabe von Missachtung vielmehr Alltag und damit möglicherweise bereits als "sozialadäquat" einzuordnen. Zwerge und Gnome in der World of Warcraft müssen sich mehr gefallen lassen als Kleinwüchsige in der realen Welt; was hier unstreitig eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen würde, ist nicht notwendigerweise auch in der virtuellen Welt als eine solche einzuordnen. Mehr noch: In Welten wie "Team Fortress 2" ist die Kundgabe gegenseitiger Missachtung sogar selbstverständlicher Teil des Spiels, der Spieleanbieter selbst hält hier vorgefertigte Soundschnipsel bereit, mit denen sich die Spieler gegenseitig beleidigen können.


Altes Recht für neue Welten

Die besondere Herausforderung für das Recht ist im Falle virtueller Welten darin zu sehen, dass virtuelle Welten zwar in vielerlei Hinsicht die Realität nachbilden, gleichwohl aber die Rechtsanwendung sich nicht so ohne Weiteres aus der hiesigen realen auf die virtuelle Welt übertragen lässt. Was hier als realer Lebenssachverhalt kaum rechtliche Fragen aufwirft, kann als virtueller Sachverhalt gänzlich neue Probleme und Fragestellungen aufwerfen. Dies heißt jedoch nicht, dass es deshalb eines "neuen" Rechts bedarf. Schon die wenigen hier angeführten Beispiele zeigen, dass das "alte" Recht, wie es für die reale Welt geschrieben worden ist, auch für die Streitigkeiten in der virtuellen Welt die passenden Antworten bereit hält - mögen diese auch nicht immer leicht zu finden sein. Das Recht ist flexibel genug, auch auf neuartige Fragen und Herausforderungen reagieren zu können. Ebenso wie der Einzug des Internets das Recht nicht grundlegend geändert, sondern lediglich hier und da modifiziert und fortgeschrieben hat, werden auch Second Life und Co. keine grundlegenden rechtlichen Umwälzungen nach sich ziehen. Genug Arbeit wird für Juristinnen und Juristen gleichwohl bleiben, um auch unser zweites Leben in virtuellen Traumwelten in geordnete rechtliche Bahnen zu lenken.


Weitere Informationen: www.iaw.uni-bremen.de

Benedikt Buchner ist Professor am Fachbereich Recht der Universität Bremen und geschäftsführender Direktor des Instituts für Gesundheits- und Medizinrecht (IGMR).

Jens M. Schubert ist Junior-Professor für Arbeitsrecht und Europäisches Recht an der Leuphana Universität Lüneburg. Von 2007 bis 2008 verwaltete er an der Universität Oldenburg als "title holder" die Jean Monnet Professur für Europäisches Wirtschaftsrecht. 2008 verlieh ihm die Universität Lüneburg den 1. Preis in der Kategorie "Best Young Researcher of the Year 2007".

Jürgen Taeger ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Oldenburg und dort Direktor des Instituts für Rechtswissenschaften. Er ist zudem Direktor des Center für Lebenslanges Lernen (C3L) an der Universität Oldenburg und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung für Recht- und Informatik (DSRI).


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 1/2009, Seite 10-13
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2009