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GRUNDGESETZ/101: Der frühe Tod des Grundgesetzes - Teil 2 (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 7. Dezember 2009

Reine Gesinnungsjustiz

Analyse. Das KPD-Verbot - der Präzedenzfall für die
Aushöhlung der Demokratie in der BRD (Teil 2 und Schluß)

Von Hans Heinz Holz


Vorabdruck aus der Halbjahresschrift Topos. Internationale Beiträge zur dialektischen Theorie (Nr. 32). Das Heft mit dem Schwerpunkt »Grundgesetz« enthält Beiträge u.a. von Hermann Klenner, Peter Römer, Hans Heinz Holz, Andreas Fisahn, Peter Alfons Steiniger. Es erscheint in etwa zwei Wochen und kann über die Redaktion bezogen werden: Redaktion-Topos@gmx.de (Einzelheft 12,80 EUR zzgl. Porto und Versand).
Weitere Informationen: www.toposzeitschrift.de


Die schrittweise Aushöhlung der demokratischen Kontrolle der Regierungstätigkeit durch immer neue Grundgesetzänderungen begann 1956 mit dem Verbot der KPD. Die Bundesregierung konzentrierte sich in ihrem Verbotsantrag zunehmend auf die Diskriminierung der kommunistischen Weltanschauung. Das Bundesverfassungsgericht richtete daher im Verlauf der 51 Verhandlungstage nicht über festgestellte strafbare Fakten, sondern degradierte sich durch Übernahme der Regierungsargumentation zu einem Instrument der Klassenjustiz.

Im juristischen Kleinkrieg von Erklärungen und Entgegnungen, von Beweisanträgen und meist deren Ablehnung, des Vortrags von Dokumenten, Publikationen, Redeprotokollen zeichnete sich mehr und mehr ab, daß das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einem Verbot der KPD zuneigte. Die Konzentration auf Ideologie und Agitation statt auf Tathandlungen war ein deutlicher Hinweis. Auch ein Hinweis darauf, daß das höchste Verfassungsorgan der BRD bereit war, sich über unantastbare Normen des Grundgesetzes (GG) - Artikel 4.1, Artikel 5, Artikel 19.2 - hinwegzusetzen.

Dabei verwickelt sich das BVerfG in logische Widersprüche. Durchaus sinnvoll die Historizität der Verfassung und damit die Möglichkeit eines Verfassungswandels unter veränderten gesamtgesellschaftlichen, nicht bloß politischen Bedingungen berücksichtigend, erklärt das BVerfG: »Eine Partei ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie einzelne Bestimmungen, ja ganze Institutionen des Grundgesetzes ablehnt (...) Eine Partei ist auch nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie diese obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkennt, sie ablehnt, ihnen andere entgegensetzt. Es muß vielmehr eine aktive, kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen. Sie muß planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Das bedeutet, daß der freiheitlich-demokratische Staat gegen Parteien mit einer ihm feindlichen Zielrichtung nicht von sich aus vorgeht, er verhält sich vielmehr defensiv, er wehrt lediglich Angriffe auf seine Grundordnung ab«. Sodann aber wird als Rechtsgrund des Verfahrens geltend gemacht: »Das Einschreiten gegen eine Partei aufgrund des Artikel 21 Abs. 2 GG ist seinem Wesen nach eine Präventivmaßnahme, Vorsorge für die Zukunft (...) Es ist der Zweck des Artikel 21 Abs. 2 GG das Aufkommen von Parteien mit antidemokratischer Zielsetzung zu verhindern.« (III, 612 f.) [1]


Systematische Fehler

Präventiv ist aber keine defensive, sondern eine offensive Maßnahme und wird auch völkerrechtlich als solche bewertet, zumal die Vorgabe, präventiv zu handeln, sich auf Unterstellungen und Verdächtigungen stützen kann, die eines Tatbestandsbeweises entbehren. Genauso verfährt das BVerfG, indem es nicht Handlungen zur planvollen Beeinträchtigung des Funktionierens der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« (FDGO), sondern Auszüge aus Reden der auf Zeit gewählten Parteifunktionäre, ja sogar der Reden von Politikern anderer Staaten - DDR, UdSSR - als Erfüllung des Tatbestandskriteriums nimmt. Sodann hält das BVerfG fest: »Diese Einwendungen sind gegenstandslos, denn das Bekenntnis zu einer wissenschaftlichen Lehre wird der KPD nicht zum Vorwurf gemacht. Es handelt sich in diesem Verfahren nicht darum, die Theorie des Marxismus-Leninismus als eine einheitliche Wissenschaft für verfassungswidrig zu erklären (...) Für das Gericht jedenfalls bleiben immer maßgebend die Ziele, d.h. die Vorstellungsbilder von dem, was die Partei sich in ihrer politischen Wirksamkeit im Staate zu erreichen vorgenommen hat.« (III, 614 f.)

Die Ziele einer Partei sind in Programm und Statuten festgelegt. Äußerungen von Funktionären, die über die programmatische Festlegung hinausgehen, können nur für die Person selbst, nicht für die Partei Rechtsfolgen haben. Dafür steht Artikel 18 GG, der rechtssystematisch vom Parteiverbot nach Artikel 20.2 unterschieden ist, so auch im Gesetz über das BVerfG Artikel 13 Punkt 1 und 2. Selbst wenn man die Beweiswürdigung des BVerfG akzeptieren würde, hätte allenfalls ein Verfahren nach Artikel 18 GG gegen namentlich zu nennende Parteifunktionäre geführt werden dürfen. Denn die programmatischen Parteiziele und das Verhalten der großen Masse der Anhänger gaben keinen Verbotsgrund ab, und gegen sie war ebensowenig ein Strafantrag gestellt wie gegen einzelne Funktionäre, denen dann Reden angelastet wurden - wobei juristisch doch wohl zwischen dem tatsächlichen und offenliegenden Verhalten und einer vermuteten Gesinnung zu trennen ist. Trotz gegenteiliger Versicherungen war das Vorgehen des BVerfG reine Gesinnungsjustiz. Denn was die Partei sich jenseits ihrer Programmatik angeblich vorgenommen hatte, wird aus auch noch entstellten Einzelheiten der Theorie des Marxismus-Leninismus abgeleitet, nicht aus den programmatischen Verlautbarungen zur tatsächlichen, allein wirklichen Politik. Das wäre so, als wolle man die Verfassungsmäßigkeit der CDU daran messen, daß im Neuen Testament zu lesen steht: »Der Gott des Friedens zertrete den Satan unter euren Füßen« (Röm. 16, 20 und ähnliche Stellen passim). Man sieht, die Argumentation des BVerfG unterlag bereits in ihrer Grundlegung einem erweislichen Kategorienfehler.


Mißdeutet, verzerrt

Die Darlegungen zum Marximus-Leninismus, der »ausgehend von bestimmten, durchweg von Marx und Engels geprägten geschichtsphilosophischen, staatstheoretisch-politischen und ökonomischen Vorstellungen, eine Wissenschaft von den Entwicklungsgesetzen der Natur und der menschlichen Gesellschaft sein will und dessen Einzelheiten in ihrer Entwicklung und auch kontrovers diskutierten Deutung die KPD als Bestandteile einer einheitlichen, in sich geschlossenen Lehre ansieht« (III, 616 f.), machen die Herauslösung einzelner Theoriestücke und gar ihrer divergierenden Interpretationen als Beweisgründe argumentativ unwirksam. Denn wenige Passagen vorher wurde gerade statuiert: »Das Bekenntnis zu einer wissenschaftlichen Lehre wird der KPD nicht zum Vorwurf gemacht. Es handelt sich in diesem Verfahren nicht darum, die Theorie des Marxismus-Leninismus als eine einheitliche Wissenschaft für verfassungswidrig zu erklären.« Stellt man die aufeinanderfolgenden Teile C II 7 des ersten und A I 1 des zweiten Abschnitts der Urteilsbegründung zusammen, so liegt die Ungereimtheit offen vor Augen. Daß acht Verfassungsrichter das nicht gemerkt haben sollen, ist kaum glaublich, kennzeichnet aber nicht nur die Gewundenheit der Gedankenführung, sondern auch den Stil des Dokuments, der einer gesonderten Analyse wert wäre.

Aus der marxistisch-leninistischen Theorie wird hervorgehoben, daß allen Dingen innere Widersprüche eigen sind, daß der Kampf dieser inneren Gegensätzlichkeiten, zwischen Absterbendem und neu Entstehendem, den inneren Gehalt jedes Entwicklungsprozesses ausmacht und »daß alle Entwicklung sich nicht zufällig, sondern gesetzmäßig als Ergebnis der Ansammlung unmerklicher und allmählicher quantitativer Veränderungen in Gestalt sprunghafter qualitativer Übergänge von einem zum anderen Zustand vollzieht« (III, 614). Nun ist das seit Heraklit (500 v. u. Z.) als eine philosophische Lehre bekannt und anerkannt, die in der Wissenschaft der Logik von Georg Wilhelm Friedrich Hegel ihre explizite Darlegung gefunden hat. Ein Hegelianer kann nur mit Vergnügen feststellen, daß der Hegelianismus in Stalins »Kurzer Lehrgang« hier höchstrichterlich bestätigt wird, und sich verwundern, daß der preußische Staatsphilosoph Hegel nun als ideologischer Vater der Verfassungswidrigkeit entlarvt wird. Difficile est satiram non scribere.

Immerhin gibt das BVerfG zu: »Wie das Endziel der KPD, die Ordnung des Sozialismus-Kommunismus sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung verhält, kann hier dahinstehen, zumal die marxistisch-leninistischen Theoretiker über ihre Ausgestaltung im einzelnen ziemlich wenig sagen.« (III, 624 f.) Hier fällt mehrerlei auf. Das Absterben des Staates kann keinesfalls eine freiheitliche Demokratie beeinträchtigen, also ist das Endziel der KPD nicht verfassungswidrig. Die aktuellen politischen Ziele sind es aber auch nicht, sondern sollen es nur im Hinblick auf das Endziel sein. Wie also: Wenn man das Verhältnis des Endziels zur FDGO dahingestellt sein läßt, so kann daraus rechtens kein Verbotsgrund abgeleitet werden. Wie also: Wenn eine zukünftige Strukturveränderung im dunkeln bleibt (III, 624), was selbstverständlich ist, weil geschichtliche Verläufe eben im einzelnen nicht prognostiziert werden können, wie kann dann gesagt werden, ob diese Struktur der FDGO zuwiderläuft? Also: Ceterum censeo ...

Kann also die wissenschaftliche Lehre des Marxismus-Leninismus den Verbotsgrund nicht hergeben, dann müssen herausgerissene Teilstücke, unter Entstellung ihres theoretischen Gehalts, dafür herhalten: die proletarische Revolution, die Diktatur des Proletariats, die Klassentheorie. Hier kann nicht im einzelnen gezeigt werden, wie in seitenlangen Erörterungen der terminologische Gehalt dieser Begriffe verdreht wird - und das muß nicht einmal böswillig geschehen sein, weil es so sehr mit den publizistischen Mißdeutungen übereinstimmt, daß man eher an eine passive Gehirnwäsche bei den Richtern als an Absicht denken mag. Sachverständige Gutachter - Politologen, Historiker, Soziologen, Philosophen -, die hier unbedingt angebracht gewesen wären, sind nicht gehört worden - außer dem Dominikaner Prof. Bochenski, dessen militanter Antikommunismus allseits bekannt war und dessen Hinzuziehung dann auch nicht zugelassen wurde, der aber jedenfalls seine Wirkung ausgeübt hat (III, 292).

Eine Zwischenbemerkung. Nach den Ausführungen des BVerfG anläßlich des KPD-Verbots war es wohl taktisch angemessen, bei der Gründung der DKP 1968 auf die inkriminierte Terminologie zu verzichten. Begriffe wie Diktatur des Proletariats auf die Dauer aus dem Vokabular einer marxistischen Partei zu streichen, verändert aber deren weltanschauliche Grundlage und ist schlichtweg opportunistisch. Der Kampf um die Legalität einer kommunistischen Partei ist auch ein Kampf um die Legalität der von ihr gebrauchten Kategorien und um ihre präzise Anwendung.

Kommen wir zum Fazit des Urteils: Überzeugende Beweise für die wahre Einstellung der KPD zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ergeben sich, wenn man den Blick auf den in Parteiverlautbarungen und namentlich in der Agitation und Propaganda sichtbar werdenden politischen Stil der Partei richtet (III, 738). Stilfragen sind keine Rechtsfragen, schon gar nicht Verfassungsrechtsfragen. Die KPD mag nach Auffassung des Gerichts einen schlechten politischen Stil gehabt haben. Ich zitierte das BVerfG: »Gesetze werden in einer Weise kritisiert, die nicht nur jeden Respekt vor den Gesetzgebungsorganen vermissen läßt, sondern häufig den Charakter von Beschimpfungen trägt (...). Überaus zahlreich sind Angriffe auf die Bundesregierung, die nach Wortwahl und Ausdrucksweise als grobe Beleidigungen und Verunglimpfungen bezeichnet werden müssen« (III, 739 f.).

Man kann dahingestellt sein lassen, ob diesen Vorwürfen in der Agitation ganz oder teilweise ein Wahrheitsgehalt zukommt. Verbotsgründe sind sie nicht. Was wird nicht alles im politischen Kampf gesagt, und man kann nicht behaupten, daß die Vertreter aller Bundesregierungen seit 1949 oder gar die Funktionäre der Parteien sehr zimperlich gewesen wären. Zudem stellte das BVerfG am Anfang der Urteilsbegründung fest: »Mit dem Angriff gegen das Adenauer-Regime beabsichtigt die KPD zugleich einen Angriff gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung« (III, 695). Vom Stil der Kritik am politischen Gegner ist hier nicht die Rede. Die Urteilsbegründung des BVerfG pendelt dauernd zwischen der allgemeinen Theorie des Marxismus-Leninismus, die nach ihrem eigenen Bekunden nicht Gegenstand des Verfahrens und von Artikel 21.2 GG nicht betroffen ist, der politischen Propaganda, die zulässiger Teil der politischen Funktion der Parteien ist, und aktueller Kritik an der Politik der damaligen Bundesregierung, die per se der FDGO nicht zuwiderlaufen kann, weil ja freie Regierungskritik zu deren Merkmalen gehört. Mit dieser Vermischung wird der Anschein erzeugt, ein Tatbestand nach Artikel 21.2 GG sei gegeben. Die Begründung des Verbots der KPD ist tatsächlich eine logische und juristische Nicht-Begründung.


Der politische Sinn des Urteils

Der Respekt vor dem höchsten Organ, das mit der Wahrung der Verfassung der BRD betraut ist, hindert mich zu sagen, daß dieses Urteil einfach Unsinn ist und daß die urteilenden Richter erkannt haben müßten, daß sie hier contra legem (gegen das Gesetz in seinem Wortlaut - d. jW-Red.) und contra rationem legis (gegen den Geist des Gesetzes - d. jW-Red.) geurteilt haben. Erklärlich wäre dies allenfalls, wenn die Urteilsgründe nur vorgeschoben wären und die Entscheidung aufgrund der im Verfahren nicht zugelassenen Geheimdokumente, Zeugenaussagen Jost und Sachverständigengutachten Bochenski gefällt worden wäre. Eine solche juristische Ungeheuerlichkeit möchte ich dem höchsten Wahrer der Rechtsordnung in der BRD nicht einmal im Gedankenexperiment unterstellen. Wieviel sich über das Unterbewußtsein präjudizierend in die Meinungsbildung einschleichen mag, ist allerdings eine psychologische Frage. Ich frage also lieber nach dem Sinn des ganzen Verfahrens.

Verfassungsfragen sind natürlich nie reine Rechtsfragen. Sie betreffen den politischen Status eines Gemeinwesens. Darum spielten die Geltung des Potsdamer Abkommens und die völkerrechtliche Pflicht zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in den Prozeßverhandlungen eine so große Rolle.

Der Rahmen für die Errichtung einer nationalen Staatlichkeit anstelle des im Krieg untergegangenen Deutschen Reichs und damit für den Antritt von dessen völkerrechtlicher Nachfolge war im Potsdamer Abkommen der Siegermächte festgelegt. Die Bildung eines westdeutschen Teilstaats und in der Folge des ostdeutschen Pendants ergab sich aus dem politischen Gegensatz der Siegermächte der Antihitlerkoalition unter Bruch des völkerrechtlich bindenden Potsdamer Abkommens, das die einzige Rechtsgrundlage für die Entwicklung Nachkriegsdeutschlands in vier Besatzungszonen als regionale Teile eines ganzen Deutschland war. Mit der Eröffnung des Kalten Krieges war es das Interesse der USA, Westdeutschland als militärisches, politisches und ideologisches Glacis gegen das sozialistische System Osteuropas aufzurüsten. Die bürgerlichen Kreise in Westdeutschland bis weit hinein in die von US-amerikanischen Subventionen infiltrierten Gewerkschaftsführungen sahen ihren Nutzen darin, unter Einbindung in die aggressive US-Strategie am Aufbau einer imperialistischen Nachkriegswirtschaft zu partizipieren.

Die KPD war die einzige organisierte Kraft in Westdeutschland, die am Programm der Einheit Deutschlands gemäß dem Potsdamer Abkommen festhielt und dem Widerstand gegen die Remilitarisierung Rückgrat gab. An Wählerstärke aufgrund der zunehmenden Repressionen und Verfolgungen bis hin zu Hochverratsanklagen gegen führende Funktionäre schon stark geschrumpft, stand sie doch im Kampf gegen die Wiederaufrüstung der BRD im Einklang mit den breiten Massen, die auch für Demonstrationen und andere Willenskundgebungen, z.B. Streiks, mobilisiert werden konnten. Wenn auch diese Bewegungen weit über die Anhängerschaft der KPD hinausgingen, war die Bundesregierung sich doch darüber im klaren, daß selbst ein kleiner Kern von disziplinierten und politisch bewußten Aktivisten einem diffusen Widerstand Stoßkraft verleihen konnte. So war es ja auch noch nach dem KPD-Verbot in den Bewegungen »Kampf dem Atomtod« und gegen die Notstandsgesetze. Das ist der Hintergrund, vor dem die widersprüchliche Behauptung der Bundesregierung - die KPD ist nur eine einflußlose Splitterpartei, aber nicht von geringerer Gefährlichkeit - zu sehen ist. Adenauer konnte nicht sicher sein, daß seine Politik der Wiederbelebung des deutschen Imperialismus im Zuge militärischer Westintegration von der Bevölkerung mitgetragen werden würde. Also war der Gegner auszuschalten, den man sozusagen als juristische Person greifen konnte. Zumal die Kommunisten international Gehör hatten und ja auch das Frankreich de Gaulles der Wiedererstarkung Deutschlands ablehnend gegenüberstand.

Dem BVerfG war wohl bewußt, auf wie schwachen Füßen der Verbotsantrag stand und daß er in einer Phase internationaler Spannungen auch inopportun war. Immerhin ließ der Gerichtshof drei Jahre verstreichen - 1951-1954 - bis er auf den Antrag der Bundesregierung hin das mündliche Verfahren eröffnete, und auch dann erst, nachdem Adenauer beim Präsidenten des BVerfG am 13.7.1954 interveniert hatte.

Rechtsanwalt Dr. Kaul hat als Prozeßvertreter der KPD zwischen der Eröffnung der Verhandlung und den parallelen Kommunistenverfolgungen in den USA einen engen Zusammenhang hergestellt (III, 290 ff.). Das mag für den Zeitpunkt zutreffen, klingt jedenfalls plausibel. In größerem Rahmen gehört das KPD-Verbot jedoch in die weitreichend angelegte Strategie des Wiederaufbaus des deutschen Imperialismus. Seit dem sogenannten Blitzgesetz vom 31.8.1951 hat ein kontinuierlicher Abbau der die Herrschaftsgewalt des Staates einschränkenden demokratischen Rechte stattgefunden. Der Verbotsantrag folgte ein Vierteljahr später am 22.11.1951 und war der erste große politische Schlag, den die Repräsentanten des deutschen Imperialismus gegen die staatsrechtlichen Konsequenzen der Niederlage des Hitlerregimes führten. In keiner der westeuropäischen bürgerlichen Demokratien, mit denen die BRD sich langfristig zusammenschließen wollte, waren die kommunistischen Parteien verboten, nicht in Frankreich, England, Italien, nicht in den Benelux- und skandinavischen Staaten. KP-Verbote gab es in Franco-Spanien, im faschistischen Portugal, später dann unter dem Obristen-Regime in Griechenland. Die Bundesregierung scheute den Vergleich nicht - auch das sagt etwas über den Geist, in dem die nun sechzigjährige Bundesrepublik angetreten ist.

Daß das BVerfG aus zweifellos innenpolitischen Gründen der Bundesregierung gefolgt ist, war der Anfang vom Ende des Versuchs, die BRD von ihrer durch zwei Weltkriege geprägten Vorgeschichte abzukoppeln. Was zahlreiche Mitglieder des Parlamentarischen Rates noch erhofften und erwarteten, hatte sich durch den Präzedenzfall eines Herrschaftsdekrets, wie wir es sonst nur aus faschistischen oder halbfaschistischen Staaten kennen, als Illusion herausgestellt. Die Unantastbarkeit der Prinzipien des GG war zerbrochen worden.

Es war nötig, den Verlauf des Prozesses wenigstens in einigen Schritten an den Knotenpunkten nachzuvollziehen, weil der formaljuristische Umgang mit den politischen Inhalten, um die es ging, die geschichtliche Bedeutung des Vorgangs verdeckt. Logische Fehler in der Argumentation und Beweisführung, Verfahrensmängel in der Behandlung von Beweisanträgen, Rechtswidrigkeit in der Vorenthaltung von Geheimakten und anderes mehr - das sind die äußeren Flecken, die das Fleckenwasser formell korrekter Gerichtsbeschlüsse verblassen läßt. Die zunehmend spürbare gereizte Voreingenommenheit einiger Richter mag der langen Verhandlungsdauer und dem polemischen Ton des Hin und Her der Anwälte geschuldet sein. Vermuten kann man nur, daß es wenigstens bei einigen Richtern doch auch ein schlechtes Gewissen gab in dem Vorwissen davon, wie der Prozeß auszugehen habe. Einen so dünnen Antrag, eine so dürftige Beweisführung, eine so widerspruchvolle Argumentationsstrategie hätte sich die Bundesregierung nicht leisten können, die immerhin neben ihren Hausjuristen von ein paar Staranwälten vertreten wurde, wäre sie nicht von vornherein des Ergebnisses sicher gewesen.

Dem Aufbau der BRD zu einer imperialistischen Großmacht in Europa, dessen erste Phase mit der Eroberung der DDR abgeschlossen wurde, stand der ursprüngliche Text des GG im Wege. Verfassungen sind eigentlich das Fundament eines Staates und sollten nur in seltenen Fällen ergänzt oder gar geändert werden. Die unablässige Folge von GG-Änderungen ist ein Indiz, daß es die herrschende Klasse von vornherein mit der Struktur der Demokratie, also mit ihrer eigenen FDGO, nicht ernstgemeint hat. Im Laufe von 60 Jahren BRD hat das BVerfG diesen Prozeß der Demokratie-Zerstörung zuweilen auch gebremst. Das ändert nichts daran, daß es ihn mit dem KPD-Verbot eingeleitet hat. Der 17. August 1956, der Tag der Urteilsverkündung, war der Todestag der jungen deutschen Nachkriegsdemokratie.


Anmerkungen:

[1] Alle Zitate im Text stammen aus dem wörtlichen Protokoll des KPD-Verbots-Prozesses. Gerd Pfeiffer/Hans-Georg Strickert (Hg.), KPD-Prozeß, Dokumentarwerk, 3 Bände, Karlsruhe 1956

Das Verbotsurteil im vollen Umfang findet sich im Internet unter:
www.servat.unibe.ch/law/dfr/bv005085.html - d. jw-Red.


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Quelle:
junge Welt vom 07.12.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2009