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INTERNATIONAL/048: Argentinien - Gericht untersucht Verbrechen der Franco-Diktatur (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Dezember 2011

Argentinien: Gericht untersucht Verbrechen der Franco-Diktatur

von Marcela Valente

Exhumierung von Franco-Opfern in Zaragoza - Bild: © 'Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica'

Exhumierung von Franco-Opfern in Zaragoza
Bild: © 'Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica'

Buenos Aires, 29. Dezember (IPS) - Ein argentinisches Bundesgericht wird auf der Grundlage einer im April 2010 eingereichten Klage Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersuchen, die in Spanien während des Bürgerkriegs und der Diktatur von Francisco Franco begangen wurden.

Die zuständige Richterin María Servini de Cubría hat Spanien aufgefordert, ihr die Listen mit den Namen von Militärs aus der Franco-Zeit, von Verschwundenen, Hinrichtungsopfern und Kindern zuzuschicken, die sich das Regime illegal angeeignet hatte. Darüber hinaus ist Spanien angehalten, die Firmen zu benennen, die von Zwangsarbeit damaliger Häftlinge profitierten.

Die Richterin hatte den Fall aufgrund der zunächst in Spanien angelaufenen Ermittlungen zu den Akten gelegt. Doch die argentinische 'Cámara Federal', ein Strafgericht der zweiten Instanz, forderte Servini de Cubría auf, die Effektivität der spanischen Justiz in dieser Angelegenheit zu prüfen.

Auf diese Weise ist der Fall erneut auf Servini de Cubrías Tisch gelandet. Mit dem Hinweis auf die Ausübung universellen Rechts forderte sie bei der spanischen Justiz die Überstellung der Beweismittel sowie die Anschriften der überlebenden Sicherheitskräfte der Franco-Ära und Totenscheine der bereits verstorbenen Militärs an.

Die Anwälte der argentinischen Kläger hatten der Bundesrichterin ein neues Dokument vorgelegt, in dem sie darauf hinwiesen, dass es nach 36 Jahren Diktatur und ebenso vielen Jahren Demokratie weder eine Wahrheitskommission gibt, noch die entführten Kinder identifiziert werden konnten.


Zweifel an politischem Willen Spaniens

"Der Fall wird nun in Argentinien aufgerollt, weil es selbst der sozialistischen Regierung Spaniens offensichtlich am nötigen politischen Willen fehlte, ihn voranzubringen", sagte der Anwalt der Kläger, Beinusz Szmukler, in Anspielung auf die letzte Regierung der Sozialistischen Arbeiterpartei, die Spanien von 2004 bis zum 21. Dezember regierte.

Der fehlende politische Wille manifestiert sich Szmukler zufolge nicht zuletzt im Umgang mit dem ehemaligen Untersuchungsrichter des höchsten spanischen Strafgerichts 'Audiencia Nacional', Baltasar Garzón, der seit Mai 2010 wegen Rechtsbeugung im Zusammenhang mit der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen etliche Entscheidungsträger der Franco-Diktatur vom Amt suspendiert ist.

Garzón hatte sich erfolgreich auf das Prinzip der universellen Menschenrechte berufen, um Verbrechen der argentinischen und chilenischen Diktaturen in den 70er und 80er Jahren zu ahnden, was aufgrund nationaler Bestimmungen in beiden südamerikanischen Ländern nicht möglich war. Als sich Garzón jedoch der Menschenrechtsverbrechen der Franco-Diktatur annahm, wurde er seines Amtes enthoben. Ihm droht ein 20-jähriges Berufsverbot.

Diese Entwicklung veranlasste die spanische Menschenrechtsorganisation 'Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica' und ein Dutzend argentinischer Gruppen, die Klage der Opfer der Franco-Ära in Buenos Aires zu unterstützen.

Mit ähnlichen Argumenten, wie sie bereits Garzón ins Feld geführt hatte, beantragten die Anwälte im Namen von sechs in Argentinien lebenden Angehörigen der spanischen Franco-Opfer die Untersuchung der in Spanien begangenen Verbrechen durch die argentinische Justiz. Einer der Kläger ist der 91-jährige Darío Rivas, Sohn des 1936 durch ultrarechte spanische Falangisten ermordeten Severino Rivas.

Severino Rivas war Bürgermeister der galicischen Ortschaft Castro de Rei in der Provinz Lugo im Nordwesten Spaniens. Er wurde festgenommen und erschossen, sein Leichnam blieb Jahrzehnte lang verschollen. 2005 konnte er in einem Massengrab ausfindig gemacht werden. Er und auch die Angehörigen der Klägerin Inés García Holgado waren durch Genickschüsse hingerichtet worden, einer Mordtechnik, die die Falange perfektionierte.

Holgado ist die Nichte von Elías García Holgado, dem ehemaligen Bürgermeister von Lumbrales und früheren Abgeordneten der westspanischen Provinz Salamanca, der ein Jahr nach seiner Verhaftung 1936 ebenfalls umgebracht wurde.

Unter ähnlichen Umständen seien Zehntausende von Menschen systematisch ermordet worden, heißt es in der Anklageschrift. Bei der Präsentation ihrer Klage wiesen die Juristen darauf hin, dass es ihnen nicht darum gehe, das spanische Amnestiegesetz von 1977 in Abrede zu stellen, sondern die universelle Rechtsprechung im Fall von straflos gebliebenen Menschenrechtsverbrechen in Argentinien auszuüben.

Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der im spanischen Bürgerkrieg und während der Franco-Ära 'Verschwundenen' auf 113.000. Die meisten Opfer sollen in rund 2.500 Gemeinschaftsgräbern verscharrt worden sein. Geschätzt wird ferner, dass 30.000 Kinder ihren Eltern weggenommen wurden und bis heute unter falscher Identität leben.


Großmütter der Plaza de Mayo treten als Klägerinnen auf

Aus Solidarität mit den inzwischen erwachsenden Kindern treten die argentinischen Großmütter der Plaza de Mayo als Klägerinnen auf. Die Frauen suchen bis heute nach ihren Enkeln, die man ihren inhaftierten Müttern während der argentinischen Diktatur von 1976 bis 1983 weggenommen hatte.

"Wir wollen eine tiefgehende Untersuchung, die die Wahrheit ans Licht bringt und Verantwortlichkeiten etabliert. Wenn sie nicht von Spanien durchgeführt wird, tun wir es", versicherte Szmukler. "Zum Glück besteht die Möglichkeit der Zusammenarbeit." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2011