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INTERNATIONAL/067: Kolumbien - Für immer entstellt, schärfere Strafen für Säureattacken geplant (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Juli 2012

Kolumbien:
Für immer entstellt - Schärfere Strafen für Säureattacken geplant

Von Helda Martínez



Bogotá, 10. Juli (IPS) - Den Grund für den Selbstmord wird man nie erfahren: Waren es Schuldgefühle, Reue, Angst? Jhon Jairo Echenique wurde ins Gefängnis in der kolumbianischen Stadt Cartagena de Indias gebracht, weil er angeklagt war, seine ehemalige Freundin erstochen und verbrannt zu haben. Nur wenige Stunden später erhängte er sich mit Hilfe seines eigenen Hemdes in seiner Zelle.

Die Jurastudentin Angélica Gutíerrez wurde in ihrem Zuhause angegriffen. Sie schrie um Hilfe, ihr Peiniger floh, und die Nachbarn brachten sie schließlich ins Krankenhaus. Dort erlag sie ihren Verletzungen. Hauptverdächtiger war ihr Ex-Freund Echenique.

In Cartagena, einer Stadt mit rund einer Million Einwohnern, sind nach Polizeiangaben in diesem Jahr bereits fünf Frauen getötet worden. Weitere 213 haben Anzeige wegen Verletzungen erstattet, und 196 Männer wurden in dem Zusammenhang festgenommen.

Gewalt gegen Frauen ist weit verbreitet in Kolumbien, und in letzter Zeit häufen sich vor allem Säureattacken. Das Parlament befasst sich nun mit einem Gesetzentwurf, um die Strafen für diese Gewaltakte zu verschärfen. In der Regel ist das Gesicht des Opfers Ziel des Angriffs, aber auch andere Körperteile werden verätzt. Die betroffenen Hautstellen werden vollständig entstellt, und das vorherige Aussehen ist auch mit chirurgischen Eingriffen kaum wiederherstellbar.

Die Abgeordnete Gloria Stella Díaz ist Mitglied der Kampagne 'Gesichter ohne Spuren der Straflosigkeit' - Bild: © Helda Martínez/IPS

Die Abgeordnete Gloria Stella Díaz ist Mitglied der Kampagne
'Gesichter ohne Spuren der Straflosigkeit'
Bild: © Helda Martínez/IPS

"Die Täter sorgen dafür, dass das Opfer niemals den Angriff vergisst und sich dadurch immer daran erinnert, was zu der Tat geführt hat", sagt die Abgeordnete Gloria Stella Díaz von der Unabhängigen Bewegung der absoluten Erneuerung (MIRA). Häufig ist Eifersucht der Grund und meist Frauen die Opfer. Auch Minderjährige sind schon Säureattacken ausgesetzt gewesen.

Neben häuslicher Gewalt kommt es immer wieder zu Säureangriffen mitten auf der Straße. Díaz berichtet von zwei Fällen in der Hauptstadt Bogotá. "In einem Fall war es schlicht Bösartigkeit, im anderen Fall hatte das Opfer die Herausgabe seines Geldes verweigert", erzählt Díaz. Eines der Opfer war noch minderjährig. Der Junge erlitt Verbrennungen zweiten und dritten Grades. In einem dritten Fall habe eine Frau eine andere angegriffen, weil sie annahm, dass diese ein Verhältnis mit ihrem Ehemann hatte. Die Angreiferin wurde zu neun Jahren Haft verurteilt.


Strafmaß erhöhen

Neun Jahre sind nach aktuellem Recht die Höchststrafe für eine Säureattacke. Bei gutem Benehmen kann diese Strafe reduziert werden. Díaz will mit ihrem Gesetzesvorschlag 197/2012 erreichen, dass die Strafe erhöht wird.

"Das Parlament muss die Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Säureattacken verbessern", sagt Díaz. "Säureangriffe sind grausam, tragisch und die Folgen wirken lange nach. Die Opfer sind nun aus ihrem Schattendasein herausgetreten und unterstützen mit ihrer Unterschrift das Projekt." Unter dem Motto 'Nein zum Schweigen, Ja zur Strafe' ist außerdem die Kampagne 'Gesichter ohne Spuren der Straflosigkeit' gestartet.

"Bisher wird eine Säureattacke unter 'einfachen Körperverletzungen' geführt. Wir wollen, dass sie als eigenständiges Delikt anerkannt wird", erklärt Díaz. Erst dann könne man auch das Strafmaß erhöhen.

Die Kampagne fordert mindestens zwölf Jahre für einen Säureangriff. Wenn er sich gegen eine Frau, gegen Minderjährige oder eine Person des öffentlichen Lebens richtet, die ihre Einkünfte mithilfe eines Berufs erzielt, für den ihr Gesicht eine wichtige Rolle spielt, soll der Täter für 20 Jahre hinter Gitter kommen.


Besseres soziales Netz

Díaz will aber auch ein besseres soziales Netz für die Opfer schaffen. "Der Staat muss den Weg frei machen für umfassende Sozial-, Psycho- und Rechtsberatung für die Opfer." Auch solle der Staat die Kosten für den chirurgischen Eingriff bezahlen und den Opfern helfen, in Jobs zu kommen.

Die Kampagne will außerdem darauf hinwirken, dass die Krankenhäuser den Behörden Fälle von Gewalt gegen Frauen melden, sodass diese adäquat dagegen vorgehen können. "Die Behörden müssen auch kontrollieren, wer diese Substanzen verkauft - wenn es dann zu einem Delikt kommt, kann leicht nachvollzogen werden, wer die Chemikalien erworben hat."

Der Gesetzentwurf hat die erste Hürde schon genommen und wurde in erster Lesung angenommen. Drei weitere fehlen noch. Díaz gibt sich optimistisch: "Der politische Wille ist da." (Ende/IPS/jt/ ck/2012)


Links:
http://www.cej.org.co/doc_sl/SL_PL_SEN_197_2012.pdf
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101136

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IPS-Tagesdienst vom 10. Juli 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2012