Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → FAKTEN

INTERNATIONAL/098: Argentinien - Mangelnde Kontrolle über Hausarrest, Straftäter auf Freigang (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Februar 2013

Argentinien: Mangelnde Kontrolle über Hausarrest - Straftäter auf selbst gewähltem Freigang

von Marcela Valente



Buenos Aires, 18. Februar (IPS) - Sie fahren Fahrrad, gehen im Supermarkt einkaufen und in Restaurants essen - Straftäter der argentinischen Militärdiktatur der 80er Jahre können unter bestimmten Bedingungen unter Hausarrest gestellt werden, statt ins Gefängnis zu müssen. Doch da dieser kaum kontrolliert wird, führen sie ihr normales Leben häufig weiter und ignorieren die offiziellen Vorgaben. Menschenrechtsorganisationen befürworten zwar diese Art des Strafvollzugs, fordern aber stärkere Kontrollen.

Bis Ende 2012 saßen in Argentinien 813 Menschen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein. 37,5 Prozent von ihnen müssen keine Gefängnisstrafe ableisten, sondern stehen unter Hausarrest, so die staatliche Einrichtung zur Koordination der Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur. Profitieren können von der Straferleichterung alte Menschen über 70 Jahre, Menschen mit unheilbaren Krankheiten oder mit Leiden, die in den regulären Haftanstalten nicht behandelt werden können.


Opfer treffen ihre Peiniger auf der Straße

"Es kommt immer wieder vor, dass die Opfer selbst ihre Peiniger auf der Straße wiedererkennen und anzeigen", berichtet Alan Iud, Anwalt der Großmütter der Plaza de Mayo, die die häufig in Gefangenschaft geborenen Kinder von Verschleppten aus der Zeit der Militärdiktatur suchen. Bis zu 30.000 Menschen sollen während der Jahre von 1976 bis 1983 verschwunden und umgebracht worden sein.

Zu Zeiten der Militärdiktatur war es gängige Praxis, dass Kinder von Verschleppten von Angehörigen des Militärs adoptiert wurden, die beispielsweise selbst keine Kinder bekommen konnten. Rund 300 Kinder werden noch immer vermisst.

Im Januar dieses Jahres wurde Carlos Hidalgo Garzón in Buenos Aires auf dem Fahrrad gesehen. Hidalgo arbeitete für den Heeresgeheimdienst. Er wurde wegen mehr als 200 Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, unter anderem für die 'Aneignung' von Laura Catalina de Sanctis, der Tochter eines verschwundenen Paares, die er als sein biologisches Kind in die Geburtsurkunde eintragen ließ.

Auf der Straße erkannt hat den Ex-Miliär De Sanctis selbst. Nachdem diese herausgefunden hatte, dass sie als Kind entführt worden war und Hidalgo nicht ihr biologischer Vater ist, hatte sie ihn vor Gericht angezeigt. Hidalgo lebte unter Hausarrest in einem Seniorenwohnheim in Buenos Aires. Doch nachdem er beim Fahrradfahren erwischt worden war, wurde er per Gerichtsbeschluss in ein Gefängniskrankenhaus überführt.

Auch Jorge Luis Magnacco steht wegen Kindesentführung unter Hausarrest. Er hat im größten argentinischen Foltergefängnis, der Militärschule ESMA, als Geburtshelfer eine Vielzahl von Kindern zur Welt gebracht, den Eltern weggenommen und an Militärangehörige weitergegeben.

Im Februar wurde er gesehen, wie er mit seiner Frau durch die Straßen von Buenos Aires spazierte. Den Besuch eines Einkaufszentrums und später eines Restaurants haben Mitglieder von H.I.J.O.S. gefilmt. Zu der Menschenrechtsorganisation haben sich vor allem Kinder von Verschwundenen zusammengeschlossen. Magnacco wurde daraufhin per Gerichtsbeschluss in ein Gefängnis überführt.


"Fahrlässiger Umgang der Behörden"

Grundsätzlich sind die Menschenrechtsorganisationen einverstanden mit dem Hausarrest, wenn das Alter oder eine Krankheit dies rechtfertigen, "doch darf der Hausarrest nicht als Freispruch missverstanden werden", fordert Lorena Balardini von der Menschenrechtsorganisation CELS. "Nicht der Hausarrest ist das Problem, sondern der fahrlässige Umgang der Behörden mit dieser Art des Strafvollzugs."

Dass die argentinische Rechtsprechung einigen Straftätern erlaube, ihren Freiheitsentzug in ihren eigenen vier Wänden zu verbringen, sei ein besonderes Entgegenkommen. "Doch die Betroffenen müssen ihren Part der Vereinbarung einhalten. Wenn nicht, muss ihnen dieses Privileg entzogen werden."

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, zu kontrollieren, ob der Hausarrest eingehalten wird. "Der Richter oder ein Assistent kann Überraschungsbesuche abhalten oder immer mal anrufen", sagt der Anwalt Alan Iud. Wenn der Richter dies nicht leisten könne, dann müsse eine Organisation mit den Kontrollen beauftragt oder eine neue Einrichtung geschaffen werden, die die Kontrollen übernimmt. (Ende/IPS/jt/2013)


Links:

http://www.mpf.gov.ar/Noticias_Institucional.asp?IdInstitucional=6
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102361

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. Februar 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2013