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INTERNATIONAL/126: Menschenrechte - Anerkennung des "dritten Geschlechts" auf dem Vormarsch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2014

Menschenrechte: Anerkennung des 'dritten Geschlechts' auf dem Vormarsch

von Thalif Deen


Bild: © Sutthida Malikaew/IPS

Die transsexuelle Thailänderin Sujinrat Prachathai, die in Neuseeland ein Aufenthaltsrecht genießt, zeigt dort ihren Ausweis, der sie eindeutig als Frau identifiziert
Bild: © Sutthida Malikaew/IPS

New York, 6. Mai (IPS) - Langsam aber sicher bewegt sich die Welt auf die Anerkennung des 'dritten Geschlechts' zu. Unter den Entwicklungsländern haben sich Argentinien und Indien als Vorreiter für Transidentität und Intersexualität erwiesen.

"Die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LGBTI) auf ihre eigene Identität und auf den Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Wohnraum und anderen Leistungen werden immer seltener in Frage gestellt", erklärte Charles Radcliffe, Leiter der Abteilung für globale Angelegenheiten des UN- Menschenrechtshochkommissariats, gegenüber IPS.

In Südasien sei das dritte Geschlecht schon lange eine Realität. Pakistan, Bangladesch und Nepal bewegten sich allesamt in Richtung Anerkennung sexueller Minderheiten. Auch andere Weltregionen folgten dem Beispiel, erklärte er und verwies auf ein argentinisches Gesetz aus dem letzten Jahr, dass dem Rest der Welt als Modell dienten könnte.

Europäische Länder, die LGBTI vor der Anerkennung ihrer Rechte eine Sterilisation oder Hormonbehandlung abverlangen, sind Radcliffe zufolge dabei, diese Bestimmungen zu überarbeiten.

Im letzten Monat hat Indiens Oberster Gerichtshof eine Lanze für die LGBTI gebrochen, indem er ihre landesweit geltenden Rechte aufrechterhielt. Mit seiner Entscheidung habe das Tribunal die Diskriminierung von Menschen auf Grundlage ihrer Geschlechtszugehörigkeit als verfassungswidrig erklärt, meinte der UN- Sprecher Stephane Dujarric. Somit seien die Weichen für Reformen, die den sexuellen Minderheiten den Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten und öffentlichen Leistungen ermöglichten, gestellt. Inoffiziellen Angaben zufolge gehören zwei Millionen der 1,3 Milliarden Inder zum dritten Geschlecht.


Indisches Urteil berührt eine Vielzahl von Basisrechten

Grace Poore, regionale Programmkoordinatorin für Asien und die Pazifikstaaten der Internationalen Menschenrechtskommission für Lesben und Schwule (IGLHRC), bezeichnete das im letzten Monat in Indien gefällte Urteil als "phänomenal". Intersexuellen die Identität zu verweigern, sei ein Verstoß gegen die fundamentalsten Menschenrechte wie die Rechte auf Leben, Freiheit und Würde, auf Privatsphäre, Meinungsfreiheit, Bildung sowie auf Schutz vor Gewalt, Ausbeutung und Nicht-Diskriminierung. "Alle diese Rechte können nach Ansicht der indischen Richter durch die Anerkennung des dritten Geschlechts gewährleistet werden", fügte sie hinzu.

Poore zufolge bleibt dem Obersten Gerichtshof nun nichts anderes zu tun, als Homosexualität zu entkriminalisieren und Paragraph 377 des indischen Strafrechts als verfassungswidrig zu erklären.

Boris Dittrich vom Programm für LGBTI-Rechte bei 'Human Rights Watch', bezeichnete das Gerichtsurteil des Obersten Gerichtshofs Indiens als "historisch". Dem dritten Geschlecht komme traditionell eine wichtige soziale Rolle zu, betonte er. "Dank dieses Urteils hat der Oberste Gerichtshof die Würde der Betroffenen wiederhergestellt, indem er das entsprechende Recht aus der britischen Kolonialzeit abgeschafft hat." Nun gelte es Paragraph 377 des indischen Strafrechts abzuschaffen, das LGBTI einer unfairen Behandlung aussetze.

José Luis-Diaz, dem Leiter des UN-Büros von 'Amnesty International', zufolge wird das indische Urteil das Leben von Millionen Menschen verändern, die viele Jahre lang unterdrückt worden waren. Der Richterspruch sei eine Bestätigung der verfassungsrechtlichen Werte von Inklusion und Gleichheit.

Gleichwohl warnte er: "Solange Paragraph 377 des indischen Strafrechts bestehen bleibt, werden Diskriminierung und Gewalt auf der Grundlage der sexuellen Orientierung und Identität eine Bedrohung sein. Der Gerichtshof, der sich nun als sehr progressiv herausgestellt hat, war der gleiche, der Paragraph 377 im Dezember 2013 aufrechterhalten hat. Der Paragraph kriminalisiert einvernehmlichen Sex zwischen gleichgeschlechtlichen erwachsenen Partnern und sollte unbedingt außer Kraft gesetzt werden."


Argentinien als Vorreiter

Auch das südamerikanische Land Argentinien hat für seine sexuellen Minderheiten Geschichte geschrieben, indem es eines der bis dato progressivsten Gesetze zur Anerkennung von Transgender und Intersexualität erließ. Danach darf jeder Bürger über 18 Jahre von allen Ämtern die Korrektur seines Namens, Geschlechts und Fotos verlangen.

In dem Gesetz wird zudem explizit darauf hingewiesen, dass die Änderungen der Ausweispapiere keiner Bestätigung bedürfen, dass sich die betreffende Person einer Geschlechtsumwandlung, Hormon- oder Psychotherapie unterzogen hat. Diejenigen, die sich zu einem Eingriff oder einer Therapie entschließen, haben darüber hinaus einen verbrieften Anspruch darauf, an öffentlichen und privaten Einrichtungen behandelt zu werden.

Die Niederlande, Dänemark und Schweden haben unlängst ebenfalls ihre Gesetze dahingehend modernisiert, dass Personen ihre Ausweisdokumente ohne vorherige Geschlechtsumwandlung oder Hormontherapie ändern dürfen. In Chile liegt ein ähnliches Geschlechtsidentitätsgesetz dem Parlament zur Prüfung vor.

Die Vereinten Nationen haben im indischen Mumbai inzwischen ihr erstes Bollywood-Musikvideo herausgebracht, das eigens für die UN-'Frei-und-gleich-Kampagne' gegen Homophobie gedreht worden war. Etwa zeitgleich wurde das Musical über einen transsexuellen Rocker, 'Hedwig and the Angry Inch', für acht Tony Awards nominiert. Der Tony ist der 'Oscar' für die Auszeichnung der besten Theaterstücke und Musicals, die auf den Broadway-Bühnen in New York aufgeführt wurden. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/05/long-journey-toward-recognition-third-gender/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2014