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INTERNATIONAL/167: El Salvador - Verurteilung wegen Mordes nach Fehlgeburt, María Teresa ist wieder frei (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

El Salvador
Mehrfache Menschenrechtsverletzung an Frau nach Fehlgeburt - María Teresa ist wieder frei

Von Gema Villela Valenzuela


(Mexiko-Stadt, 01. Juni 2016, cimacnoticias) - Der Fall von María Teresa R. "zeigt besonders deutlich", was auf der ganzen Welt und speziell in El Salvador passiert, wenn Abtreibung strafbar ist und "Frauen verurteilt werden, weil sie Frauen sind", so der Anwalt Charles Abbott vom Zentrum für reproduktive Rechte CDR (Centro por los Derechos Reproductivos). Am 20. Mai 2016 wurde María Teresa R. nach einer Anhörung vor dem Obersten Gerichtshof von El Salvador freigelassen, nachdem der Gerichtshof eingestand, dass der Fall ein "Justizirrtum" gewesen sei.


Druck aus der Zivilgesellschaft erreicht Wiederaufnahme des Prozesses

Der Fall von María Teresa war wieder aufgenommen worden, nachdem sich eine Gruppe der Zivilgesellschaft für die Freiheit von 17 Frauen aus El Salvador eingesetzt hatte, die alle wegen Mordes verurteilt wurden, wobei die meisten dieser Frauen Schwangerschaftskomplikationen erlitten hatten.

In einem Telefoninterview mit der mexikanischen Nachrichtenagentur Cimacnoticias sagte María Teresa R.: "Am schlimmsten war für mich die Trennung von meinem Sohn. Als ich erfuhr, dass sie mir eine Haftstrafe über 40 Jahre gegeben hatten, war es am härtesten, an die Zukunft meines Sohnes zu denken. Und ich habe mich gefragt: Wie komme ich hier raus?"

2011 wohnte sie mit ihrem sechsjährigen Sohn und ihrer 59-jährigen Schwiegermutter zusammen. María Teresa war zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt und arbeitete in einem Montagebetrieb. Nach der Geburt ihres Sohnes hatte sie sich von dessen Vater getrennt und ernährte mit ihrem Lohn die Familie.


In Handschellen ans Krankenbett gefesselt

Am 24. November 2011 hatte María Teresa eine Fehlgeburt. Ihre Schwiegermutter rief das Rote Kreuz an und María Teresa wurde bewusstlos in das staatliche Krankenhaus gebracht. Auf dem Notfallblatt ihrer Akte SS-0227-2014 war vermerkt, "Blutdruck 60/40, Atemfrequenz 16 pro Minute, blass", großer Blutverlust durch die Fehlgeburt.

Daraufhin rief das medizinische Personal die Polizei unter der Nummer 911 an, um die Abtreibung von María Teresa anzuzeigen, ohne dass ausreichend Beweismaterial vorlag, dass vorsätzlich eine Schwangerschaftsunterbrechung gemacht worden war. Als sie auf der Intensivstation wach wurde, war sie mit Handschellen an das Krankenbett gefesselt und wurde bewacht. Sie wurde auch von der Polizei und der Staatsanwaltschaft befragt. Sie erklärte, dass sie nichts von ihrer Schwangerschaft gewusst habe und nie zum Arzt gegangen sei, da sie weiterhin ihre Menstruation habe.

Trotzdem wurde María Teresa festgenommen und kam in Untersuchungshaft. "Sie führten mich in eine Zelle und ich wurde sehr schlecht behandelt. Es ging mir noch sehr schlecht. Sie nahmen mir die Medikamente weg, die ich im Krankenhaus bekommen habe", berichtete sie.

Als sie im Juli 2012 zur Anhörung ihres Falles kam, lernte María Teresa erst fünf Minuten vor Beginn der Verhandlung ihren Pflichtverteidiger kennen und der Richter sprach nach vier Stunden das Urteil von 40 Jahren Haftstrafe wegen "Mordes", ohne dass der Sachverständige, der die Autopsie der Totgeburt vorgenommen hatte, anwesend war und ohne Beweismittel für den mutmaßlichen Strafbestand.


Verurteilung wie eine "Massenmörderin"

Laut Rechtsanwalt Charles Abbott beträgt die Höchststrafe in der Rechtsprechung von El Salvador 40 Jahre, die über die Verantwortlichen für die Massaker des Militärs während des Bürgerkriegs und über Massenmörder verhängt wurde. Von den 17 Frauen, für die sich die Kampagne "Für die Freiheit der 17" einsetzt, bekam María Teresa die längste Strafe, da sie wegen Mordes angeklagt wurde.

"Am schwersten war für mich als ich erfuhr, dass meine Strafe 40 Jahre betrug", erzählte María Teresa und dass sie im Gefängnis noch andere Frauen kennenlernte, die in der gleichen Situation waren und wie sie ungerechter Weise der Abtreibung angeklagt wurden.


Diskriminierung aufgrund der Anklage während der Haft

Es wurden ihr nicht nur die Medikamente weggenommen, María Teresa durfte auch keinen Besuch empfangen: "Es begann ein sehr langer Leidensweg, der nur schwer zu ertragen war. Wir wurden wegen unserer Anklagen diskriminiert. Psychologische Misshandlung, wenig Essen und wenig Wasser. Im Gefängnis dürfen dich nur Geschwister, Vater, Mutter, Kinder besuchen, aber ich hatte niemanden mehr, ich hatte nur noch meine Schwiegermutter, die mich nicht besuchen durfte und mir auch meinen Sohn nicht bringen durfte."

Als sie dachte, dass sie ganz alleine wäre, erhielt sie Hilfe von einer Gruppe der Zivilgesellschaft, da eine von den Mithäftlingen die Gruppe informiert hatte. Ana, Freundin und Nachbarin von María Teresa, machte zu dem Zeitpunkt, als das Urteil von 40 Jahren Haftstrafe gefällt wurde, eine Ausbildung bei der Friedensorganisation Servicia Social Pasionista.

"Als ich von dieser ungerechten Strafe hörte, habe ich der Frauenorganisation Colectiva Feminista von dem Fall erzählt und ab sofort haben wir uns für María Teresas Freilassung und die von anderen Frauen eingesetzt, die zwar eine Familie haben, aber arm sind und ihre Rechte nicht kennen," berichtete Ana an Cimacnoticias.


"Ich bin nicht allein"

Die Gemeinschaft der Frauengruppen wie die "Bürgerschaftliche Vereinigung für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in El Salvador" und andere internationale Organisationen unterstützten den Fall auf juristischer Ebene wegen der Menschenrechtsverletzungen.

"Plötzlich erscheinen wunderbare Engel und lassen dich wissen, dass du nicht alleine bist, dass du von einer Million Menschen unterstützt wirst und das hat mir Kraft gegeben. Zu wissen, dass man nicht alleine ist und dass man von einem kleinen Jungen zu Hause erwartet wird. In dem Moment habe ich mir gesagt, 'jetzt kommst du bald hier raus', als ich dieses Zeichen der Solidarität gesehen habe", schilderte María Teresa.


Gnadengesuch wurde abgelehnt

Als die engagierten Frauen der Organisation das Gnadengesuch für María Teresa einreichten, übergaben sie es nicht nur dem Obersten Gerichtshof, sondern auch dem Parlament, denn so funktioniert das Verfahren in El Salvador. Aber das Gnadengesuch wurde abgelehnt.

Die Behörden gaben vor, dass sie ihre "Straftat" nicht bereue und dass ihr Verhalten im Gefängnis zu passiv sei, sie nähme nicht an den Angeboten teil, weshalb ihre soziale Integration nicht gesichert sei, lautete die Rechtfertigung.

Abbott erklärte, dass diese Begründungen für Frauen wie María Teresa, die unschuldig sind, nicht hilfreich seien, denn sie könnten keine Straftat bereuen, die sie nicht begangen hätten. Außerdem seien die Angebote im Gefängnis meist religiöser Art und deshalb dürften die Gefangenen nicht zur Teilnahme verpflichtet werden, unterstrich er. Deshalb war es für Abbott ein "politischer" Grund, der für die Ablehnung des Gnadengesuchs ursächlich war.


Mehrere Menschenrechte verletzt

"Meine Freiheit bedeutet viel. Sie bedeutet große Freude. Jetzt will ich mein Leben wieder neu in die Hand nehmen, zusammen mit meinem Sohn, das ist das wichtigste. Und Arbeit suchen", teilte María Teresa mit.

Bei dem Strafprozess gegen sie wurden verschiedene Rechte verletzt: das Recht auf persönliche Freiheit, auf Gleichheit vor dem Gesetz und das Recht auf Nichtdiskriminierung, das Recht auf ein Leben als Frau ohne Gewalt, das Recht auf Gesundheit, auf Ehre, das Recht auf Rechtsstaatlichkeit, Integrität der Person, das Recht auf ein Privat- und Familienleben, und eine Reihe von Garantien für Bürger gegenüber dem Gesetz, wie das Recht auf Information über die Anklage, das Recht auf Anhörung und die Unschuldsvermutung.


Hoffnung für andere Frauen, die noch im Gefängnis sind

"Es war ein Prozess mit rechtlichen Lücken, denn es gab keine Zeugen und keine Beweisgründe gegen sie, die ihre Aussage übertroffen haben. Letztendlich haben die Wissenschaft, die Unschuldsvermutung und die Unabhängigkeit der Justiz schwerer gewogen als die Vorurteile gegenüber den Frauen bei den Ermittlungen und dies gibt uns Hoffnung für die anderen Frauen, die noch im Gefängnis sind," erklärte Abbott.

Jorge Menjívar, Sprecher der Organisation "Bürgerschaftliche Vereinigung für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in El Salvador", ergänzte, dass von den 17 Frauen, für die sich die Kampagne eingesetzt hatten, drei frei gelassen wurden: Guadalupe, deren Gnadengesuch stattgegeben wurde, Mirna und María Teresa. Trotz allem kommen zu den 14 Frauen, die noch im Gefängnis sind, weitere 11 dazu, die auch wegen Abtreibung kriminalisiert werden.


URL des Artikels:
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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2016

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