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MELDUNG/023: Umweltaktivistin-Festnahmen in Gießen und Frankfurt waren rechtswidrig (Cécile Lecomte)


Cécile Lecomte - Pressemitteilung, 8. April 2010

OLG: Umweltaktivistin-Festnahmen in Gießen und Frankfurt waren rechtswidrig

OLG betont Rechtswidrigkeit zweier Festnahmen der Fassadenkletterin Lecomte durch die Polizei in Gießen und Frankfurt am Main. Aktivistin referiert am 27.4. in Marburg über ihre Erfahrungen mit gewaltfreien politischen Aktionen und mit den Reaktionen der Staatsmacht darauf.


Am 15. Juli 2009 wurde die Umweltaktivistin Cécile Lecomte in Gießen verhaftet und bis zum nächsten Tag in Gewahrsam genommen. Die Freiheitsentziehung war von Anfang an (also ab Zeitpunkt der Festnahme 18:42 Uhr) rechtswidrig, so die Auffassung des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main. Damit bestätigt das OLG, dass die Festnahme willkürlich ohne jegliche rechtliche Grundlage erfolgte. Es korrigiert weiter den Beschluss vom Landgericht Gießen, das sich aus formalen Gründen geweigert hatte, Feststellungen für die Zeit zwischen 18 Uhr 43 und 21 Uhr zu treffen.

Die junge Französin ist bundesweit für ihr umweltpolitisches Engagement bekannt. Dem Eichhörnchen - wie ihr Spitzname lautet - gelingt es immer wieder, die Öffentlichkeit auf sein politisches Anliegen durch kreative und spektakuläre Kletteraktionen aufmerksam zu machen. Dies passt dem Staatschutz, der politischen Polizei nicht. Nicht selten wird die Aktivistin zur Verhinderung "politisch motivierter Aktionen" festgenommen und in der Ausübung ihrer Grundrechte eingeschränkt. Nicht selten sind diese polizeiliche Maßnahmen rechtswidrig.

Am 15. Juli 2009 demonstrierte Cécile Lecomte anlässlich einer Gerichtsverhandlung gegen zwei Genfeldbefreier vor dem Gießener Landgericht. Damit wollten sie ihre Solidarität mit den Angeklagten und dessen Gedankengut zeigen. Im Laufe der Protestveranstaltung kletterte Cécile Lecomte ein paar Meter an der Fassade des Landgerichts hinauf und brachte ihren Protest symbolisch - drei Worte mit Kreide - zum Ausdruck. Die anwesende Polizisten reagierten äußerst brutal und unverhältnismäßig, sie nahmen die Aktivistin fest.

Bereits bei ihrer Festnahme wies die Aktivistin die Beamten auf die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens hin. Die Polizei setzte ihre Maßnahme trotzdem fort und misshandelte die Betroffene. Der Vorgang wurde von den eingesetzten Beamten selbst mit Videokamera dokumentiert und ist Gegenstand einer weiteren Klage vor dem Verwaltungsgericht Gießen. Die mündliche Verhandlung wurde für den 7. Juni 2010 angesetzt (Az. 9 K 1708/09.GI). Gegen die verantwortlichen Beamten wurde zudem Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung erstattet.

Das Oberlandesgericht traf eine Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme insgesamt und kam zum Ergebnis, dass die Freiheitsenziehung zum Zweck der "Verhinderung von politisch motivierten Aktionen" von vornherein unzulässig war. Das Oberlandesgericht stellte den eindeutigen Demonstrationscharakter der Protestaktion fest und bekräftigte, es habe weder Anhaltspunkte für eine zu verhindernde Straftat gegeben, noch habe sich die erfahrene Fassadenkletterin selbst gefährdet. Die Entscheidung ist rechtskräftig (Az: 20 W 264/09).

"Der Polizei ging es in der Tat um eine illegale Bestrafung für vom Staatsschutz als kritisch angesehenes Verhalten, das obendrein - wie das Gericht es nun bestätigte - von den Grundrechten der Versammlungs- und Meinungsfreiheit gedeckt war.", kommentierte Cécile Lecomte beim Erhalt des Beschlusses.

Zeitgleich erhielt sie - ebenfalls vom Oberlandesgerichts Frankfurt am Main - einen weiteren Beschluss, in dem die Rechtswidrigkeit einer Ingewahrsamnahme von 24 Stunden anlässlich von diversen Fassadenkletteraktionen in der Frankfurter Innenstadt festgestellt wurde.

Über ihre Erfahrungen mit gewaltfreien Aktionen gegen Atomenergie und Gentechnik sowie mit den Reaktionen der Staatsmacht darauf, wird die Kletteraktivistin auf Einladung der Humanistischen Union mit ihrem Anwalt Tronje Döhmer unter dem Titel "Wie weit darf Gewaltfreiheit gehen?" in Marburg berichten. Die Veranstaltung findet am 27. April 2010 um 19:00 Uhr im Hörsaalgebäude der Philipps-Universität statt.

Unbeugsames Eichhörnchen, 8. April 2010



Für weitere Informationen:
http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/de.html

OLG-Beschluss zu Gießener Vorfall im Volltext:
http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/repression/Giessen-OLG-Beschluss2010.pdf

OLG-Beschluss zum Frankfurter Vorfall im Volltext:
http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/repression/Fassadenklettern-OLG-Beschluss-2010.pdf


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Quelle:
Pressemitteilung, 08.04.2010
Cécile Lecomte
Internet: www.eichhoernchen.ouvaton.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2010