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MELDUNG/145: Nach polizeilichem Todesschuss - Sonderrechte für die Berliner Polizei? (ILMR)


Internationale Liga für Menschenrechte - 29. August 2011

Nach dem polizeilichen Todesschuss auf 53jährige »psychisch kranke« Frau:

Sonderrechte für die Berliner Polizei?


Die Internationale Liga für Menschenrechte, Berlin, warnt vor einer sich abzeichnenden Verharmlosung eines polizeilichen Todesschusses in Berlin durch Polizei und Staatsanwaltschaft.

Laut Medienberichten, wurde am Mittwoch, den 24.8.2011 im Märkischen Viertel eine 53jährige Frau bei einem Polizeieinsatz durch einen gezielten Schuss in den Oberkörper tödlich getroffen (vgl. Der Tagesspiegel Online, 25. D. M. 11:16 Uhr). Sie sollte in eine geschlossene psychiatrische Abteilung eingewiesen werden, wogegen sie sich dem Vernehmen nach mit einem Messer in der Hand wehrte. Die Polizei soll Pfefferspray eingesetzt haben, woraufhin die Frau einen Polizisten leicht am Unterarm verletzt und sich anschließend in ihrem Zimmer verbarrikadiert haben soll. In der Folge riefen die Polizisten; "... eine Einsatzhundertschaft und einen Krankenwagen zur Hilfe. Als die Verstärkung eintraf, sei die Frau wieder mit dem Messer auf die angerückten Beamten losgegangen. Daraufhin habe der für die Sicherung zuständige Polizist geschossen." (Der Tagesspiegel Online, 25. d. M.11:16) Die Frau starb wenig später in ihrer Wohnung.

Die Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft wird mit den Worten zitiert: »Wir prüfen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens, ob der Beamte aus Gründen der Notwehr oder Nothilfe gehandelt hat«. Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft wird von der Berliner Zeitung (26.8.2011) folgendermaßen zitiert: »Wer mit einem Messer Polizisten angreift, muss damit rechnen, erschossen zu werden. Allein die Tatsache, das es eine geistig verwirrte Person war, rechtfertigt nicht, dass sich der Polizist hätte erstechen lassen müssen«. In den Presseberichten wird die Frau als "verwirrt", ca. 1,60m groß und maximal 40kg schwer charakterisiert. Nirgendwo findet sich ein Wort der Entschuldigung oder auch nur des Bedauerns in Richtung des Opfers.

Hierzu erklärt H. Eberhard Schultz, Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte: »Diese öffentlichen Äußerungen zu einem polizeilichen Todesschuss sind erschreckend und besorgniserregend, die des Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft zudem zynisch und menschenverachtend.«

Schultz weiter: »Hier geht es nicht etwa darum, davor zu warnen, mit einem Messer auf einen Polizisten loszugehen, oder zu verlangen, dass ein Polizist sich erstechen lässt - Hier ist eine Frau, die als ?psychisch krank? beschrieben wird, im Rahmen eines Großeinsatzes von Polizeibeamten und möglicherweise mit einem einzigen Schuss gezielt getötet worden. Angesichts dieses unfassbaren Vorgangs kann es um nichts anderes gehen, als um eine unvoreingenommene und rückhaltlose Untersuchung der Umstände und der Hintergründe der Tat, um die strafrechtliche Verantwortung und Schuld zu klären. Insbesondere verbietet es sich, als erstes die Frage einer möglichen Rechtfertigung - Notwehr oder Nothilfe - in den Vordergrund der Ermittlungen zu stellen, wie das die Staatsanwaltschaft tut. Damit setzt sie sich zwangsläufig dem Vorwurf der Voreingenommenheit aus. Sie stellt jedenfalls nicht eine unabhängige und unvoreingenommene Prüfung des Falles sicher. Der Sprecher der Polizeigewerkschaft erweckt gar den Eindruck, als hätte die für die Bewältigung von Gefahren speziell ausgebildete und ausgerüstete Polizei keine anderen Reaktionsmöglichkeiten als einen offenbar gezielten Todesschuss gegen den Angriff einer dem offenbar psychisch kranken Frau mit einem Messer auf eine große Zahl von Polizisten.«

In einem demokratischen Rechtsstaat, der die Würde des Menschen und das Recht auf Leben und Unversehrtheit zu den wichtigsten Grundrechten zählt, sollte allgemein anerkannt sein: Die Tötung eines Menschen ist eine Straftat, Notwehr oder Nothilfe kann für die handelnde Polizei nur insoweit gerechtfertigt sein, als die Abwehrmaßnahme gegen den Angriff nicht nur notwendig und erforderlich, sondern nicht zuletzt auch verhältnismäßig war. Dies gilt besonders dann, wenn das Leben eines Bürgers oder einer Bürgerin auf dem Spiel steht. Aus gutem Grund ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass der polizeiliche Schusswaffengebrauch das letzte Mittel sein muss. Er muss vorher angekündigt und es muss ein Warnschuss abgegeben werden. Der Angreifer darf lediglich kampfunfähig gemacht und nicht etwa erschossen werden.

Wenn 20 Polizisten nicht in der Lage sind, eine ältere und schmächtige Frau ohne Todesschuss außer Gefecht zu setzen, drängen sich viele bislang ungeklärte Fragen auf, die sorgfältig zu prüfen sind, und es stünde einer Presse, die ihrer Aufgabe als so genannte »Vierte Gewalt« ernst nimmt, gut an, in solchen Fällen diese Fragen unüberhörbar zu stellen. Schließlich ist es nicht der erste Fall eines - gelinde gesagt - problematischen polizeilichen Todesschusses in Berlin. Die öffentlichen Verharmlosungen und rechtfertigenden Äußerungen, die den Eindruck erwecken, als sei in derartigen Situationen bereits ohne weiteres ein gezielter polizeilicher Todesschuss gerechtfertigt, sind auf das Schärfste zurückzuweisen!

Auch der Messerangriff einer Frau darf kein Freibrief für einen gezielten Todesschuss sein. Wie in anderen vergleichbaren Fällen fordert die Liga daher eine unabhängige Untersuchungskommission für die Aufklärung dieser Tötung und ihrer Hintergründe.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 29. August 2011
Internationale Liga für Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Tel.: 030 - 396 21 22, Fax: 030 - 396 21 47
E-Mail: vorstand@ilmr.de
Internet: www.ilmr.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2011