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PATENTRECHT/033: Globale Verschärfung geistiger Eigentumsrechte (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2008

Mit Foren-Wechsel zum Erfolg
Geistige Eigentumsrechte werden in ständig wechselnden Arenen verstärkt

Von Petra Buhr


Insbesondere von Entwicklungsländern fordern Politiker aus den Industriestaaten die stärkere Durchsetzung von geistigem Eigentum. Von den Lobby-Gruppen der Groß-Industrie ständig bearbeitet setzten Ministeriale der EU, Japans und der USA in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Verschärfungen geistiger Eigentumsrechte durch. Dabei nutzen sie eine Vielzahl von Foren. Derzeit haben sie den Schritt zurück in die Geheimdiplomatie vergangen geglaubter Zeiten gewagt: Die USA, Japan und die EU-Kommission verhandeln im Geheimen mit einigen wenigen anderen Staaten über ACTA, das "Anti-Counterfeiting-Trade-Agreement".

Es ist kaum zu glauben, dass im 21. Jahrhundert wenige Industriestaaten ein Abkommen im Geheimen verhandeln, das sie hinterher der ganzen Welt, insbesondere Entwicklungsländern, aufzwingen wollen. Aber es ist Realität. Im Oktober 2007 haben die USA und die EU offiziell bekannt gegeben, dass sie Verhandlungen zu einem Abkommen gegen den Handel mit gefälschten Gütern aufgenommen haben - zum Anti-Counterfeiting-Trade-Agreement, kurz ACTA. Erst ein halbes Jahr später, im April 2008 tauchte erstmals ein "Diskussions-Papier" zu den Inhalten von ACTA auf. Dieses scheint schon im letzten Jahr vom US-Handelsministerium an Interessenvertreter der Industrie versandt worden zu sein. Alle anderen Interessengruppen wurden ausgeschlossen [1].


Beispiel EU Kommission: Mit ACTA am Parlament vorbei

Die EU-Kommission umgeht mit ACTA das EU-Parlament. Was bisher zu den Inhalten von ACTA bekannt geworden ist macht klar, dass die Kommission Regelungen einführen will, die das Parlament gerade erst abgelehnt hat. Die Kommission muss nun erst in einer Studie nachweisen, dass es neuer strafrechtlicher Bestimmungen im Bereich geistiger Eigentumsrechte überhaupt bedarf - bevor das Parlament neuen Regelungen zustimmt. Das entsprechende Gesetz (IPRED 2 - Intellectual Property Rights Enforcement Directive) liegt seitdem auf Eis, die Inhalte aber tauchen in dem ACTA-Diskussionspapier wieder auf: Durch ACTA werden strafrechtliche Bestimmungen geändert, wodurch u. a. private Handlungen kriminalisiert werden sollen. Darüber hinaus sollen neue Behörden entstehen, die Kompetenzen von bestehenden Behörden ausgeweitet und die Freiheitsrechte des Einzelnen eingeschränkt werden. Nur ein Beispiel: Nach ACTA dürfen künftig Zöllner Laptops und andere Geräte durchsuchen, die Daten weltweit an andere Staaten versenden und im Zweifelsfall gefälschte Güter (Dateien) und Vervielfältigungsgeräte (Laptop) zerstören. Ohne Rücksicht auf besonders schützenswerte Personengruppen wie Journalisten, Ärzte, usw.[2] und ohne Rücksprache mit einem Richter.


Nur ein Zug in einer langen Reihe von Initiativen

An allen Parlamenten der Welt vorbei sollen Freiheitsrechte beschnitten und uns allen auch noch die Kosten dafür übertragen werden. Denn ACTA werden die unterzeichnenden Staaten bezahlen. Was auf den ersten Blick verwundert, entpuppt sich auf den zweiten eher als letzter Schritt in einer Reihe von Initiativen, die den Firmen zugute kommen, die viele geistige Eigentumsrechte halten. Das sind vor allem Pharma-, und Unterhaltungsindustrie, Agro-Chemie-Konzerne und Groß-Unternehmen, die ihre Waren weltweit exportieren. Die Lobbyisten dieser Unternehmen treiben international die Politik im Bereich geistiger Eigentumsrechte voran. Dabei springen sie zwischen einer Vielzahl von nationalen wie internationalen Foren hin und her, führen Gespräche, machen Gesetzesvorschläge und treiben so nationale und internationale Standards geistiger Eigentumsrechte immer weiter nach oben.


Innerhalb der Staaten: Parlament und Gerichte

Auf nationaler Ebene entscheiden Parlamente und Gerichte über geltendes Recht. Die Lobbyisten bearbeiten vor allem das Parlament - in Deutschland sehr erfolgreich. Unsere Maximalforderungen erklären sich leicht, denn wir halten die meisten geistigen Eigentumsrechte in Europa, insbesondere die meisten Patente. Verbraucherrechte und allgemeine Interessen geraten bei uns oft ins Hintertreffen. Zuletzt wurden 2007 im Urheberrecht Verbraucherrechte beschnitten: Sind CDs kopiergeschützt und der Hersteller liefert keine Kopier-Möglichkeit mit, dürfen sie eben nicht kopiert werden. Die Lieblings-CD in mp3 umwandeln und unterwegs hören ist seitdem unter Umständen verboten. Ein Rückschritt in die 1960er Jahre: Auch damals, vor der Einführung der so genannten Privatkopie, war das Kopieren verboten. Erst Gerichte hatten die Privatkopie gegen die Klagen von Rechtsinhabern durchgesetzt.

Gerichtsverfahren wirken oft als Korrektiv, aber sie haben entscheidende Nachteile: Erstens sie sind teuer und brauchen lange. Das schreckt insbesondere Privatpersonen und kleine bzw. mittelständische Unternehmen ab. Internet-Tauschbörsennutzer, mit den horrenden Schadensersatz-Forderungen der Industrie konfrontiert, zahlen in der Regel den Betrag, der ihnen als Vergleich angeboten wird anstatt ein Gerichtsverfahren zu riskieren [3]. Das Korrektiv kommt also in vielen Fällen gar nicht erst zum Einsatz. Auch kleinere bis mittlere Software-Firmen verzichten oft lieber auf die Veröffentlichung eines Computer-Programms, wenn ein anderes Unternehmen sie der Verletzung eines Patents beschuldigt [4]. Sie verteidigen ihre Entwicklung oft nicht vor Gericht, sondern lassen sie sich vom Markt drängen, zahlen dazu oft noch Strafen, und entwickeln etwas anderes (oder gehen Pleite). Es gibt Firmen, die nur mit den Zahlungen aus solchen Verfahren Geld verdienen - sogenannte Patent-Trolle [5].

Spezialisierung von Gerichten hilft IP-Maximalisten Zweitens kommt hinzu, dass Gerichte nur dann als Korrektiv wirken können, wenn sie nicht allzu sehr spezialisiert sind. In den USA wurde 1982 ein auf Fragen des Patentrechts spezialisierter Berufungs-Gerichtshof eingeführt. In der Folge fielen die Urteile einseitiger aus - für die Rechteinhaber. Denn der neue Gerichtshof legte z. B. die Reichweite von Patenten weit aus und erhöhte auf der anderen Seite die Hürden für Einsprüche gegen Patente [6]. Auch das oberste Gericht der USA stellte dieses Missverhältnis fest: Im Mai 2007 begann der Supreme Court die Spruchpraxis des Berufungsgerichtes wieder einzuschränken [7].


Daher Vorsicht vor EU-Patentgerichtshof

Angesichts der US-Erfahrungen verwundert es nicht, dass die Maximalisten des "geistigen Eigentums" derzeit die Einführung eines europäischen Spezialgerichtshofs für Fragen des Patentrechts fordern. Auf europäischer Ebene herrscht ein institutionelles Durcheinander. Die Europäische Union (vormals Europäische Gemeinschaft) selbst hat kein so genanntes "Gemeinschaftspatent" - das schlummert aber schon seit Jahren in verschiedenen Schubladen und taucht immer mal wieder auf. Wie derzeit im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens, dass zwischen den Mitgliedstaaten der Union und einigen anderen europäischen Staaten patentrechtliche Fragen regelt. Als erstes hat man sich auf weniger Übersetzungen geeinigt, was Patente nun billiger macht. Als nächstes soll ein europäischer Patent-Gerichtshof geschaffen werden - mit Richtern, die auf Fragen des Patentrechts spezialisiert sind. Verbraucherrechte und gesellschaftliche Interessen (zum Beispiel ein klares "Nein" zu Patenten auf Leben) werden ins Hintertreffen geraten, wie die Erfahrungen in den USA zeigen [8].


Gewachsen: Weltorganisation für geistiges Eigentum

Ähnlich komplex ist die Lage auf internationaler Ebene. Seit dem 19. Jahrhundert wurden internationale Verträge abgeschlossen, in denen sich Staaten gegenseitig geistige Eigentumsrechte anerkannten. Als "Hüterin" dieser (derzeit 24[9]) Verträge ist die World Intellectual Property Organization (WIPO) etabliert worden, die 1974 den Vereinten Nationen angegliedert wurde. Hier werden die Verträge verwaltet in immerhin (mehr oder weniger gerecht) geregelten Verfahren und unter Beteiligung einiger gesellschaftlicher Gruppen. Die Mitgliedstaaten der WIPO können sich auch entscheiden, neue Verträge zu verhandeln - also ein ACTA oder jeden anderen Vertrag [10]. Derzeit wird die WIPO einer Generalüberholung unterzogen: Ihre bisherige Politik wirkt sich nachteilig auf Entwicklung aus. Im Rahmen der WIPO Development Agenda sollen die Probleme erforscht und Lösungen gefunden werden, die es dann umzusetzen gilt. Aber das Interesse der Industriestaaten ist davon längst abgewandert [11].


Erster Ausflug: TRIPs umzäunt Entwicklungsländer

Schon einmal brachen die Industriestaaten aus den gewachsenen WIPO Strukturen aus und brachten geistige Eigentumsrechte in den Gründungsverträgen der Welthandelsorganisation unter. Im Vertrag über die "handelsbezogenen Aspekte geistiger Eigentumsrechte" (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights - TRIPs) wurden weltweit Mindeststandards für geistige Eigentumsrechte festgelegt. Mit den bekannten Nachteilen: hohe Kosten und wenig Nutzen. Im Gegenteil, TRIPs verhindert nachahmende Entwicklung und hemmt die Entwicklungsländer so noch jenseits der direkten Folgen.


Zweiter Ausflug: ACTA macht Staaten zur Polizei der Rechtsinhaber

Derzeit verhandeln wenige Industriestaaten über ACTA. Erklärtermaßen, weil sie keine Chance sehen, es im Rahmen einer der genannten internationalen Strukturen durchzusetzen. Ein Etappensieg für die Lobbyisten der Rechtsinhaber?

Der Vertrag wird Entwicklungsländer besonders treffen: Sie sind unzweifelhaft die Adressaten dieses "geheimdiplomatischen Aktes" und werden spätestens in Verhandlungen zu Freihandelsabkommen zur Einhaltung der ACTA-Bestimmungen gezwungen werden [12]. Auch werden sie die durch ACTA entstehenden Kosten selbst tragen müssen. Noch dazu funktionieren dort weniger Schranken. Rechtsstaatliche Systeme mit ordentlichen Gerichten, die als Korrektiv funktionieren könnten, existieren oft nicht.

Und auch wenn es diese gäbe - Gerichte hebelt ACTA systematisch aus. Vieles, was sie auf nationaler Eben nicht durchsetzen können, wollen die Rechtsinhaber nun im Grenzverkehr durchsetzen.

Neben der Durchsuchung und möglicherweise der Zerstörung elektronischer Geräte wie Laptops ist ACTA ein Abkommen der Daten-Kraken. Weltweit sollen die bei Durchsuchungen erfassten Daten und die Ergebnisse zwischen Behörden und Rechtsinhabern ausgetauscht werden. Internet Service Provider (wie die Deutsche Telekom Töchter) sollen den Datenverkehr scannen und kontrollieren, Webseiten vom Netz nehmen, den Verkehr aufzeichnen, die Daten aufbereiten. Missbrauch gar antiert, wie die Spitzelaffäre um die Telekom gezeigt hat. Und schlecht, weil es eine Grundlage der Informationsgesellschaft gefährdet: den freien Informationsfluss. Er ist auch Grundlage von Demokratie und Rechtsstaat.

Frei ist der Informationsfluss aber nur so lange, wie die Daten im Netz alle gleich behandelt werden. Derzeit kommt nichts schneller durch, kein Geschäftsbrief wird einer Musikdatei vorgezogen, keine Überweisung dem Blog-Eintrag über den Fernsehabend gestern. Alle können sich am weltweiten Netz beteiligen: Friedensgruppen wie Waffenhändler, Wirtschaftsunternehmen und Vereine, Privatpersonen und Staatsmänner. Alle werden gleich behandelt - bisher.

Wir müssen die Kommission zur Räson bringen. Sie darf nicht extern verhandeln, was intern noch nicht beschlossen oder geregelt ist. Und das trifft auf die Inhalte von ACTA eindeutig zu. Wir alle sollten mitbestimmen können, was die Kommission da verhandelt. Wir müssen unsere Parlamentarier auffordern, ihr Recht auf Beteiligung in unserem Namen einzufordern - bei Kommission und Gerichtshof.

Die Autorin ist Koordinatorin des Netzwerk Freies Wissen, einer Initiative zum Schutz und Ausbau der Wissensallmende.

Weitere Informationen, u. a. zu ACTA, finden Sie auf www.wissensallmende.de.


[1] Deutsche Übersetzung auf www.wissensallmende.de. Original, wie von WikiLeaks veröffentlicht: http://www.wikileaks.org/wiki/Proposed_US_ ACTA_multi-lateral_intellectual_property_trade_agreement_(2007)
[2] http://action.ffii.org/acta/Analysis#headbde5a409fdef140e48c4380160a4003cb2562af0.
[3] http://www.golem.de/0604/44452.html
[4] Siehe zum Beispiel die Erfahrungsbeispiele einer Initiative klein[er] und mittelständischer Software-Unternehmen: http://patentfrei.de/.
[5] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/138/179587/
[6] Bessen/Hunt (2004): Working Paper No 03-17/R An Empirical Look at Software Patents (http://www.researchoninnovation.org/swpat.pdf)
[7] http://www.heise.de/newsticker/OberstesUS-Gericht-schraenkt-Trivialpatente-ein--/meldung/89103
[8] Daher gilt es munter zu werden, liest man etwas vom European Patent Litigation Agreement oder dem Gemeinschafts-Patent oder -Gerichtsbarkeit. Insbesondere Software-Patentgegner wie der Förderverein für Freien Informationsfluss setzen sich derzeit dagegen ein - siehe z.B. Kommentare zum Vorschlag zum Patentgericht 2007: http://epla.ffii. org
[9] http://www.wipo.int/treaties/en
[10] http://www.wipo.int/treaties/en
[11] www.wissensallmende.de
[12] Derzeit zwingt z. B. die Europäische Kommission Asien-Karibik- und Pazifikstaaten zur Einführung von sogenannter TRIPS Plus Bestimmungen auf: zur Einführung von Bestimmungen, die strenger sind, als im TRIPs Abkommen vorgesehen. Siehe dazu z. B. eine aktuelle Studie vom Center for International Environmental Law (http://www.ciel.org/Publications/Oxfam_TechnicalBrief_5May08.pdf)


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2008, S. 5-7
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Am Michaelshof 8-10, 53177 Bonn
Tel.: 0228/35 97 04, Fax: 0228/923 993 56
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2008