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REDE/035: Leutheusser-Schnarrenberger zum Präimplantationsdiagnostikgesetz, 14.4.11 (BPA)


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Rede der Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, in der Debatte zum Präimplantationsdiagnostikgesetz vor dem Deutschen Bundestag am 14. April 2011 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Fast am Ende der Debatte scheinen zur Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik fast alle Argumente vorgetragen zu sein. Ich stehe hier auch, um den Antrag von Frau Flach und vielen anderen zu unterstützen. Fasst man die Vielfalt der Meinungen zusammen, mag man dem Deutschen Ethikrat in seiner einhelligen Feststellung zustimmen, dass der verfassungsrechtliche Status des Embryos in vitro, auf den es bei der Problematik der PID ankommt, derzeit nicht streitfrei bestimmt werden kann. Oder anders ausgedrückt: Die Problematik der PID ist nicht durch Rückgriff auf einen eindeutigen verfassungsrechtlichen Status des Embryos zu klären. Zu sehr ist der Diskurs zur PID und zum Rechtsstatus des Embryos in vitro von vorrechtlichen, metaphysischen, ja religiösen Festlegungen, Erwägungen und Vorstellungen durchsetzt, als dass er derzeit einem breiten gesellschaftlichen Konsens zugänglich wäre.

Wenn auch nicht ganz unerwartet, so erstaunt diese Uneinigkeit insofern, als gerade wir, der deutsche Gesetzgeber, im Rahmen der letzten Neufassung des Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches den Schutzbedarf und den Schutzumfang des Embryos in vivo in einer Weise zur rechtlichen Geltung gebracht hatten, die ausweislich des entsprechenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts mit den Forderungen des Grundgesetzes in Einklang steht. Auch das 1991 und zuletzt 2001 geänderte Embryonenschutzgesetz folgt dieser offensichtlich verfassungskonformen Linie. Genau auf dieser Linie liegt auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom Juli 2010. Obgleich, wie der Bundesgerichtshof darlegt, dem Wortlaut des geltenden Rechts weder eine eindeutige Ablehnung noch eine eindeutige Billigung der PID zu entnehmen ist, schließt der Bundesgerichtshof - das möchte ich noch einmal betonen; nach meiner Ansicht zu Recht - aus der in Paragraf drei Absatz zwei des Embryonenschutzgesetzes normierten Ausnahme vom Verbot der Geschlechterauswahl durch Verwendung ausgewählter Samenzellen, dass der Gesetzgeber sehr wohl den aus den Risiken von Erbkrankheiten resultierenden Konfliktlagen der Eltern Rechnung tragen wollte.

Damals formulierten wir, der Gesetzgeber, unmissverständlich, es könne einem Ehepaar nicht zugemutet werden, sehenden Auges das Risiko einzugehen, ein krankes Kind zu bekommen, wenn künftig die Möglichkeit bestehen sollte, durch Spermienselektion ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Der urteilende Senat des Bundesgerichtshofs konnte wegen der insoweit vom Gesetzgeber schon damals getroffenen Werteentscheidung und dazu gegebenen Begründungen eben nicht annehmen, dass der Gesetzgeber, der die extrakorporale Befruchtung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im Embryonenschutzgesetz ohne weitere Voraussetzungen erlaubt hat, die zur Verminderung gravierender Gesundheitsrisiken geeignete PID an pluripotenten Zellen verboten hätte, wenn sie seinerzeit schon zur Verfügung gestanden hätte.

Es ist ein weiterer Blick notwendig auf Paragraf 15 Absatz eins Satz eins des im Wesentlichen am 1. Februar 2010 in Kraft getretenen Gendiagnostikgesetzes, wonach vorgeburtliche genetische Untersuchungen während der Schwangerschaft ausdrücklich erlaubt sind. Auch daraus war der Bundesgerichtshof ein gesetzliches Verbot der PID herzuleiten nicht in der Lage; denn sonst hätte es der Gesetzgeber auch damals, 2010, ausdrücklich gesagt.

Nach diesen einschlägigen Entscheidungen folgt meiner Auffassung nach, dass das der bestehenden Rechtslage zugrunde liegende Embryonenschutzkonzept und der Rechtsstatus des Embryos auf die zur Herbeiführung einer Schwangerschaft strikt begrenzte und deshalb zulässige PID übertragbar ist. Aus meiner Sicht kann ein PID-Gesetz nur den Sinn haben, auf der Basis des vom geltenden Recht umfassten Schutzkonzeptes die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen die PID rechtmäßig zur Anwendung kommen darf, zu präzisieren.

Mein letzter Satz: Ein Verbot der PID würde die bestehende Rechtslage gravierend ändern, würde unerklärbare, höchst problematische Wertungswidersprüche im Fortpflanzungsrecht erzeugen und würde genau das tun, was der deutsche Gesetzgeber doch eigentlich als unzumutbar ausschließen wollte, nämlich hartherzig die Augen vor dem unsäglichen Leid der Eltern zu verschließen, die dann ihren legitimen Kinderwunsch aufgeben oder nur durch künstliche Befruchtung unter dem Risiko schwerer und schwerster, zuweilen tödlicher Erbkrankheiten des Kindes erfüllen könnten.

Deshalb unterstütze ich den Gesetzentwurf von Frau Flach und vielen anderen aus tiefster Überzeugung.


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Quelle:
Bulletin Nr. 42-2 vom 14.04.2011
Rede der Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
in der Debatte zum Präimplantationsdiagnostikgesetz
vor dem Deutschen Bundestag am 14. April 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2011