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STRAFRECHT/307: Sicherungsverwahrung auch bei Jugendlichen (BMJ)


Bundesministerium der Justiz - Berlin, 18. Juli 2007

Kabinett: Künftig auch nachträgliche Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen


Nachträgliche Sicherungsverwahrung soll künftig auch bei nach Jugendstrafrecht Verurteilten verhängt werden können. Das Bundeskabinett hat heute auf Vorschlag der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries den Entwurf eines entsprechenden Gesetzes beschlossen.

"Sicherungsverwahrung ist eine der schärfsten Sanktionen, die das deutsche Strafrecht vorsieht. Sie verhindert, dass ein Straftäter in Freiheit kommt, obwohl er seine gerichtlich festgesetzte Strafe voll verbüßt hat. Vor diesem Hintergrund darf die Sicherungsverwahrung immer nur ultima ratio sein, also nur angewendet werden, wenn es kein anderes Mittel gibt, um die Allgemeinheit zu schützen. Das gilt umso mehr bei jungen Menschen, die ihre Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen und ihr ganzes Leben noch vor sich haben. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Delinquenz bei jugendlichen Straftätern oft nur eine Episode während ihrer Entwicklung hin zum Erwachsenen darstellt und sie später ein gänzlich straffreies Leben führen. Auch schwere Verbrechen, die die Ausnahme darstellen, werden nicht selten aus einer einmaligen Konfliktlage oder einer ganz spezifischen Situation heraus begangen.

Allerdings gibt es - wenn auch nur sehr wenige - junge Täter, die nach einer verbüßten langen Jugendstrafe wieder schwerste Delikte begehen. Mit entsprechendem Gefährdungspotential können solche Extremfälle eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Deshalb hat sich die Bundesregierung entschieden, für solche Fälle einen Regelungsvorschlag zu unterbreiten", sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in Berlin.

Bislang ist Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht - anders als im Erwachsenenstrafrecht - nicht möglich.

Der heute beschlossene Gesetzentwurf ändert dies. Künftig wird eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung - also am Ende einer verbüßten Haftstrafe - bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht möglich sein.

Der Regierungsentwurf sieht die Möglichkeit einer solchen gerichtlichen Anordnung vor,

o bei schwersten Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung sowie in Fällen von Raub- oder Erpressungsverbrechen mit Todesfolge,

o wenn deswegen eine Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verhängt wurde und

o die Anlasstat mit einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung oder Gefährdung des Opfers verbunden war und

o das Gericht aufgrund einer Gesamtwürdigung nach Einholung von zwei Sachverständigengutachten die Gefährlichkeit des Täters mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für die Zukunft annimmt.


Beschränkung auf nachträgliche Sicherungsverwahrung

Bei jungen Menschen, die über eine kürzere Lebensgeschichte verfügen und deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, ist eine ausreichend sichere Gefährlichkeitsprognose nur sehr schwierig zu treffen. Das Fehlerrisiko ist bei ihnen besonders hoch.

Deshalb beschränkt sich der Regelungsvorschlag der Bundesregierung auf die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (anders bei Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht: dort kann im Strafurteil selbst unmittelbar die Sicherungsverwahrung angeordnet oder ein Vorbehalt aufgenommen werden, der eine Anordnung am Haftende ermöglicht). Wegen der besonderen Entwicklungssituation und der Aussichten für eine positive Einwirkung im Vollzug der Jugendstrafe soll bei jungen Menschen über die Anordnung der Sicherungsverwahrung immer erst aufgrund einer Gesamtwürdigung am Ende des Strafvollzugs entschieden werden können, auch wenn wesentliche Anzeichen für eine künftige Gefährlichkeit bereits anfänglich erkennbar waren.

Zum anderen ist das erhöhte Prognoserisiko Grund dafür, die "formalen" Anordnungsvoraussetzungen enger zu fassen als bei Erwachsenen.


Beispielsfälle

Beispielfall 1: Ein 18-Jähriger quält und vergewaltigt eine junge Bekannte, die er unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt hat. Um die Tat zu verdecken, tötet er sein Opfer anschließend. Nach Aufdeckung des Geschehens wird er zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt. Im Vollzug zeigt er sich wiederholt aggressiv gegenüber Mitgefangenen und Anstaltspersonal. Ein Therapieversuch wird von ihm nach kurzer Zeit abgebrochen; später verweigert er jede Mitwirkung an Therapiemaßnahmen. Auch nach mehreren Jahren im Jugendstrafvollzug hält das Gericht eine Aussetzung des Strafrests nicht für verantwortbar. Nach Vollverbüßung seiner Jugendstrafe steht der inzwischen 29-Jährige zur Entlassung an. Anstaltspsychologin und Anstaltsleitung halten ihn nach wie vor für hochgefährlich.

Nach dem Vorschlag der Bundesregierung kann das Gericht künftig in einem solchen Fall nachträglich die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn es vor Ende des Strafvollzugs und nach Einholung von zwei Sachverständigengutachten aufgrund einer Gesamtwürdigung davon ausgeht, dass von dem Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere schwere Straftaten der beschriebenen Art zu erwarten wären. Das gilt auch, wenn im Beispielsfall zu der Vergewaltigung nicht auch noch ein Mord hinzugekommen wäre.

Beispielfall 2: Ein 16-jähriger hat einen siebenjährigen Junge sadistisch gefoltert, sexuell missbraucht und schließlich getötet. Der Täter hat 8 Jahre Jugendstrafe voll verbüßt und steht kurz vor der Entlassung. Im Vollzug verhielt sich der Betroffene völlig unauffällig. An einer Therapie nahm er bis zu deren Abschluss teil. Eine Strafrestaussetzung zur Bewährung erfolgte jedoch nicht, weil der Therapeut und ein Gutachter zu der Ansicht kamen, dass das konstruktive Vollzugsverhalten nur eine äußerliche Anpassung des hoch intelligenten jungen Gefangenen darstellte, um seine Freilassung nicht zu gefährden.

Bei der Frage, wie nach neuer Rechtslage in einem solchen Fall am Ende der verbüßten Haft verfahren wird, gibt es grundsätzlich verschiedene Optionen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel als eine nachträgliche Sicherungsverwahrung geeignet ist, künftige Straftaten des Täters zu verhüten. In Betracht kommen dabei Maßnahmen der Führungsaufsicht einschließlich gezielter Weisungen und ihrer Überwachung nebst intensiver Nachbetreuung. Das gesetzliche Instrumentarium der Führungsaufsicht hat der Gesetzgeber jüngst verbessert, unter anderem sind seither strafbewehrte Kontaktverbote möglich.

Wenn nach Überzeugung des Gerichts solche Maßnahmen nicht genügen, dann wird nach dem neuen Recht anders als bisher in einem solchen Fall nachträgliche Sicherungsverwahrung möglich sein. Dabei macht das Beispiel im Vergleich zu Fall 1 deutlich, dass das Vollzugsverhalten nur ein Indikator ist. Entscheidend ist die umfassende Gesamtwürdigung - wenn danach von einer hohen künftigen Gefährlichkeit auszugehen ist, wird das Gericht Sicherungsverwahrung anordnen.

Beispielfall 3: Im Beispielfall 2 hat der Täter seine Jugendstrafe nicht voll verbüßt. Da die hohe Gefährlichkeit nicht erkannt worden war, ist der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt worden. Während der Bewährungszeit geschieht eine neue Tat.

Hier wird zunächst die Aussetzung zur Bewährung widerrufen und der Vollzug der ursprünglichen Jugendstrafe fortgesetzt werden. Außerdem wird eine neue Jugendstrafe wegen der weiteren Tat verhängt werden. Vor Ende des Vollzugs der Jugendstrafe wird nach dem neuen Recht auch über eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung entschieden werden können.


Verhältnis Sicherungsverwahrung / Unterbringung im Maßregelvollzug (psychiatrisches Krankenhaus)

Beispielfall 4: Im Beispielfall 1 geht das Gericht davon aus, dass dem Verbrechen eine psychotische Störung des jungen Täters zugrunde lag. Dieser wird deshalb wegen Schuldunfähigkeit nicht zu einer Jugendstrafe verurteilt, sondern es wird die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach mehreren Jahren wird festgestellt, dass eine Psychose nicht oder nicht mehr besteht und die Voraussetzungen für die laufende Unterbringung im sogenannten Maßregelvollzug nicht mehr vorliegen. Gleichwohl wird von einer fortbestehenden hohen Gefährlichkeit für andere ausgegangen.

Nach bisherigem Recht müsste jetzt wegen Erledigung der Maßregel "Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus" die Entlassung des Betroffenen in die Freiheit erfolgen. Der Entwurf der Bundesregierung eröffnet hier - parallel zu den Möglichkeiten bei Erwachsenen - in solchen Fällen die nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung, bevor der Täter aus dem psychiatrischen Krankenhaus entlassen wird.


Zuständiges Gericht / Überprüfungsfrist

In Fällen, in denen später die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht möglich sein könnte, wird künftig generell die Jugendkammer bereits als erkennendes Gericht des ersten Rechtszugs für das Urteil über die Tat zuständig sein. Außerdem wird bei nachträglicher Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht die Fortdauer jedes Jahr erneut überprüft (anders im allgemeinen Strafrecht, in dem dafür eine Zwei-Jahres-Frist gilt).

Hinweis:
Bei den Fallbeispielen handelt es sich um fiktive Fälle. Die meisten in den letzten Jahren bekannt gewordenen einschlägigen Fälle betrafen Erwachsene und Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht.

Dokumente:
RegE_Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht.pdf:
https://ssl.bmj.de/files/-/2325/RegE_Sicherungsverwahrung_bei_Verurteilungen_nach_Jugendstrafrecht.pdf


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Quelle:
Pressemitteilung vom 18.07.2007
Herausgegeben vom Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
des Bundesministeriums der Justiz
Verantwortlich: Eva Schmierer
Redaktion: Ulf Gerder, Dr. Henning Plöger, Christiane Wirtz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2007