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STRAFRECHT/329: Prof. Sieber zum aktuellen Steuerfall Liechtenstein (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 21. Februar 2008

Interview mit Prof. Dr. Ulrich Sieber vom 20.2.2008 zu den strafrechtlichen Fragen des aktuellen Steuerfalles Liechtenstein


Der Steuerfall Liechtenstein hat inzwischen zu einer äußerst kontroversen Diskussion der einschlägigen Rechtsfragen geführt: Der liechtensteinische leitende Staatsanwalt Robert Wallner prüft eine Strafbarkeit deutscher BND- und Finanzbeamter. Auch in Deutschland wurde bereits Strafanzeige gegen die Beamten gestellt. Die Verwertbarkeit der erlangten Bankdaten wird deswegen kontrovers diskutiert.
In dem folgenden Interview vom 20.02.2008 mit Prof. Dr. Ulrich Sieber, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, werden die einschlägigen Rechtsfragen erstmals in systematischer und ausführlicher Weise von einem neutralen Experten analysiert.


FRAGE: Der Steuerfall ist durch die liechtensteiner Gegenposition und durch die Diskussion der Amtshilfefragen inzwischen rechtlich kompliziert geworden. Der liechtensteinische Leitende Staatsanwalt Robert Wallner prüft inzwischen sogar die Strafbarkeit möglicher Beihilfehandlungen der deutschen Käufer. Haben sich diese tatsächlich strafbar gemacht?

SIEBER: Genaues lässt sich hier erst nach Klärung des Sachverhalts sagen, der deswegen ja heute auch im Parlamentarischen Kontrollausschuss erörtert wird. Nach liechtensteinischem Recht liegt jedoch insbesondere die Auskundschaftung eines Geschäftsgeheimnisses zugunsten des Auslands nach Paragraf 124 liechtensteinisches StGB nahe. Dieser Tatbestand ist im Übrigen auch auf Handlungen anwendbar, die im Ausland begangen werden, so dass es hier keine Rolle spielt, ob die Verhandlungen und die Übergabe der Daten in Liechtenstein oder in Deutschland erfolgten. Wenn die Geheimnisse dem Täter z.B. als Treuhänder oder als dessen Mitarbeiter anvertraut waren, kommt auch noch der Tatbestand der Verletzung von Berufsgeheimnissen nach Paragraf 121 Liechtensteiner Strafgesetzbuch in Betracht. Bei diesen Delikten ist auch die Beihilfe strafbar, welche die deutschen Beamten - selbst noch nach der Entwendung der Geheimnisse aus der Bank - zu der entscheidenden Tathandlung der der Geheimnispreisgabe und -verwertung leisten konnten.

FRAGE: Haben sich die deutschen Behörden auch nach deutschem Recht strafbar gemacht?

SIEBER: Dies hängt ebenfalls von den konkreten Umständen des Falles ab. Deutschland kennt keinen Straftatbestand der Verletzung von Bankgeheimnissen. Nach deutschem Recht dürfte sich der Verkäufer der Daten jedoch wegen des Verrats von Geschäftsgeheimnissen gem. Paragraf 17 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) strafbar gemacht haben, wenn die Tat in Deutschland begangen wurde, wenn der Täter Deutscher war oder wenn es um bestimmte Geheimnisse von deutschen Unternehmen ging. Falls der Verkäufer die geheimen Bankdaten als Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer oder als Gehilfe dieser Personen erlangte, kommt für Tathandlungen in Deutschland darüber hinaus die Offenbarung von Privatgeheimnissen nach Paragraf 203 StGB in Betracht.

Eine Beihilfe zu diesen Delikten durch die Mitarbeiter des BND wird jedoch nach deutschem Recht durch deren Amtsbefugnisse nach Paragrafen 2 und 3 des BND-Gesetz ausgeschlossen, solange sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit im Ausland Vorgänge von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung aufklärten und nur einen steuerstrafrechtlichen "Beifang" machten. Aufgaben des BND in bestimmten Bereichen der organisierten Kriminalität und der internationalen Geldwäsche sind heute anerkannt. Erlaubt sind dem BND dabei in einem recht weiten Rahmen "Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung", die in einer Dienstvorschrift näher geregelt sind. Die Bezahlung eines ehemaligen Bankmitarbeiters zur Herausgabe entwendeter Daten wird man noch hierunter fallen lassen.

FRAGE: Durften die BND-Beamten die von ihnen zunächst als Beifang erhaltenen Informationen und Steuerdaten dann an die Finanzbehörde weitergeben?

SIEBER: Ja. Dies ergibt sich allerdings nicht aus dem immer wieder zitierten BND-Gesetz, das in Paragraf 9 eine Übermittlung von Informationen zum Zwecke der öffentlichen Sicherheit erlaubt. Einschlägig ist jedoch Paragraf 116 Abgabenordnung (AO), der in der Praxis noch häufig übersehen wird. Danach haben alle Gerichte und Beamten Tatsachen, die auf eine Steuerstraftat schließen lassen, dem Bundeszentralamt für Steuern oder den für das Steuerstrafverfahren zuständigen Finanzbehörden mitzuteilen. Der BND kann daher sogar laufend seine "Beifänge" an die Steuerbehörden weitergeben, er darf dies jedoch nicht durch eine Aufgaben- oder Kompetenzüberschreitung fördern, indem er gezielt Steuerdelikte ermittelt. Die Grenzziehung ist hier natürlich nicht immer einfach.

FRAGE: Deswegen hat der BND den CD-Ankauf wohl auch den Steuerbehörden überlassen. Wie ist dieser nachfolgende Ankauf der CD-Rom durch die Steuerbehörden zu bewerten? In Liechtenstein und bei Verteidigern wird immer wieder von Hehlerei der deutschen Steuerbehörden gesprochen.

SIEBER: Der Vorwurf der Hehlerei ist falsch, zumindest solange man nicht nachweisen kann, dass der Täter die Bankdaten auf eine gestohlene CD und nicht auf eine ihm gehörende CD kopiert hat. Denn Hehlerei nach Paragraf 259 StGB kann in derartigen Fällen nur im Hinblick auf fremde körperliche Sachen begangen werden, nicht jedoch im Hinblick auf unkörperliche Daten und Informationen. Der Begriff der Hehlerei trifft daher nicht den Kern und ist deswegen irreführend, wenn man nicht auf die Hehlerei am leeren Diskettenrohling abstellen will oder wenn der Informant nicht eine Bank-CD mit Kundendaten entwendet hat, was jedoch schon im Hinblick auf das Entdeckungsrisiko dumm gewesen wäre.

Für die Strafbarkeit der deutschen Finanzbeamten ist daher zunächst entscheidend, ob die deutschen Beamten durch ihre Geldzahlung zu einem Verrat von Geschäftsgeheimnissen oder zu einem Verrat von Privatgeheimnissen nach Paragraf 17 UWG angestiftet oder hierzu Beihilfe geleistet haben. Das ist deswegen möglich, weil dieses Delikt - anders als das für den Informanten nach Paragraf 202a StGB strafbare Ausspähen der Daten - auch noch bei der späteren Weitergabe der Daten an die deutschen Behörden verwirklicht wird. Sieht man in dem notariell bestätigten Geldversprechen, das die Geheimnisweitergabe ja zweifellos gefördert hat, eine Beihilfe, so ist entscheidend, ob hierfür ein Rechtfertigungsgrund vorliegt.

Die bereits genannte Weitergabebefugnis von Paragraf 116 AO ist für die Steuerbehörden dabei nicht mehr anwendbar, wenn sie den Ankauf selbst getätigt haben. Entsprechendes gilt für eine Amtshilfe nach Paragrafen 111, 112 AO, mit der man nicht einfach den Aufgabenkreis der Steuerbehörde mit der - für Steuerdelikte nicht anwendbaren - Eingriffsbefugnis des BND zu einer Super-Generalermächtigung für den BND oder die Steuerbehörden zusammenbauen kann: Denn Maßnahmen, die eine Behörde zur Erfüllung eigener Aufgaben nicht vornehmen dürfte, darf sie auch im Amtshilfeverfahren nicht durchführen. Wenn die Steuer(straf)behörden den Vorgang selbst betrieben haben, so sind daher ihre eigenen Ermittlungsbefugnisse entscheidend. Hier findet sich auf den ersten Blick zwar keine einschlägige Norm. Da einfache Geschäftsgeheimnisse in Deutschland jedoch nicht durch Zeugnisverweigerungsrechte geschützt sind, könnte jedoch die Zeugnispflicht des Informanten hier die Erlangung und auch den Verrat der einfachen Geschäftsgeheimnisse rechtfertigen. Diese Überlegung beruht darauf, dass der Informant in Deutschland mangels Zeugnisverweigerungsrecht zur Aussage verpflichtet wäre und seine Unterlagen beschlagnahmt werden könnten, wenn er sich in Deutschland befinden würde. Fraglich ist allerdings, ob diese Argumentation auch noch angesichts der von den Steuerbehörden geleisteten hohen Geldzahlung gilt, die den Liechtensteiner Fall vom Normalfall der Aussage und der straflosen Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen aufgrund der Aussagepflicht des Zeugen unterscheidet. Diese - so bisher noch nicht erörterten - Fragen der Rechtfertigung der Steuerbehörden werden in der Zukunft noch intensiv diskutiert werden müssen. Zu prüfen ist dabei auch, wie die Situation im Hinblick auf Privatgeheimnisse z.B. aus dem Bereich von Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern ist, für die der Informant ein Zeugnisverweigerungsrecht und damit keine rechtfertigende Aussagepflicht hat. Angesichts dieser Zweifel sind für derartige Fälle auch Rechtfertigungsgründe wie Notstand oder Wahrnehmung berechtigter Interessen sowie andere Konstruktionen zu diskutieren, mit denen man den "illegalen" Geheimnissen den strafrechtlichen Schutz absprechen könnte. Das würde weitere höchst problematische Rechtsfragen aufwerfen.

FRAGE: Inwieweit würden strafrechtliche Verstöße bei der Vorbereitung, Anbahnung und Abwicklung des Geschäfts zu Beweisverwertungsverboten in den bevorstehenden Steuerstrafverfahren führen?

SIEBER: Dies hängt vor allem davon ab, wer die strafrechtlichen Verstöße begangen hätte. Eine strafbare Beweisverschaffung durch Privatpersonen würde nur in ganz besonderen - und hier nicht vorliegenden - Fällen zur Unverwertbarkeit der erlangten Beweise führen. Etwas anderes könnte daher nur dann gelten, wenn sich Mitarbeiter der staatlichen Behörden in gravierender Weise strafbar gemacht oder bewusst rechtswidrig gehandelt hätten. Selbst dann könnten jedoch die aufgrund der Daten erlangten mittelbaren Beweise verwertbar sein. Je nach Sachverhalt würden sich dann jedoch schwierige Fragen und Abwägungen stellen. Eine generelle Fernwirkung des Beweisverbots oder eine Doktrin der verbotenen "fruit of the poisonous tree" wie im US-amerikanischen Strafrecht ist in Deutschland zwar nicht anerkannt. Bei einer gravierenden staatlichen Beteiligung an Rechtsverstößen sind hier jedoch ebenfalls Verwertungsverbote möglich.


Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Sieber, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
u.sieber@mpicc.de


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Quelle:
MPG - Presseerklärung vom 21. Februar 2008
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2008