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STRAFRECHT/331: Jugendgewaltpolitik (Grundrechtekomitee)


INFORMATIONEN 1/2008 - Februar 2008
Komitee für Grundrechte und Demokratie

Jugendgewaltpolitik

Von Helmut Pollähne


Soll man sich beruhigt zurücklehnen, weil der hessischen CDU die Wahlkampfkampagne gegen "junge kriminelle Ausländer" auf die Füße gefallen ist? Sind mit "law & order"-Kampagnen keine Wahlen mehr zu gewinnen, oder waren es nur die rassistischen Untertöne des Intensivtäters Koch, die die Wähler verschreckt haben?


Wenn die politischen Auseinandersetzungen der letzten Wochen etwas Gutes hatten, dann war es das wachsende Interesse an Fragen des kriminalpolitischen Umgangs mit straffälligen Jugendlichen, an Jugendstrafvollzug, Justiz, Jugendhilfe ... ihre Beantwortung konnten Koch & Konsorten nicht mehr steuern, die suggestive Kraft des reality-TV aus der Münchener U-Bahn verblasste.

Und doch können diese Auseinandersetzungen nicht unkommentiert bleiben, angefangen mit der vermeintlichen Selbstverständlichkeit, es gebe überhaupt ein besonderes - und noch dazu ethnisch dominiertes - Jugendgewalt-Problem, das es zu bekämpfen gelte. Die Kriminalität junger Menschen, von der alle wissen, dass sie nicht erfolgreich zu "bekämpfen" (oder gar abzuschaffen) ist, verlangt einen fairen, rechtsstaatlichen Umgang, solange an dem Konzept der Kriminalisierung festgehalten wird.


Lange Verwahrung und kurze Prozesse?

Und doch hat man sich quer durch alle realpolitischen Lager auf die Bekämpfungslogik verständigt. So brüstet sich ausgerechnet die Sozialdemokratie damit, die Sicherungsverwahrung ins Jugendstrafrecht einzuführen, wohl wissend, dass sie einerseits so gut wie nie zur Anwendung kommen wird, dass sie aber andererseits zu einer weiteren Vergiftung des kriminalpolitischen Klimas führt und verheerende Auswirkungen auf den Strafvollzug hat.

Zugleich wird landauf landab der kurze Prozess propagiert: je schneller, je besser?! Sicher ist den Betroffenen nicht zuzumuten, über lange Zeit hinweg im Ungewissen über den Ausgang eines gegen sie geführten Strafverfahrens zu bleiben. Wer aber darauf besteht, Jugendliche vor das Strafgericht zu zerren, um sie für die ihnen vorgeworfenen Taten (die ihnen ja erst noch nachgewiesen werden müssen: dass auch für "Jugendgewalttäter" die Unschuldsvermutung gilt, gerät allzu leicht aus dem Blick) zur Rechenschaft zu ziehen und abzustrafen, hat rechtsstaatlich einwandfreie Verfahren und effektive Verteidigung zu gewährleisten. Die Zeit muss sein!


Lagerdenken

Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte verbietet es sich, von Erziehungslagern zu reden, also fordert man "Camps". Es fällt leicht, zur Abwehr solcher Forderungen auf die Exzesse in US-amerikanischen "boot camps" zu verweisen - um sogleich hinzuzufügen, dass solches hier selbstverständlich ausgeschlossen wäre, man aber doch 'offen' über alternative Formen des Jugendstrafvollzuges nachdenken müsse. Über Alternativen zum Jugendstrafvollzug muss in der Tat beständig nachgedacht werden, denn es ist und bleibt ein Armutszeugnis, Jugendliche einzusperren - stattdessen aber steht eine Ausweitung des Systems stationärer Maßnahmen zu befürchten, noch dazu verbunden mit einem Einstieg in die Privatisierung.


Jugendstrafvollzug unter der Lupe

Es hatte sich zu einem grandiosen rechtsstaatlichen Skandal gemausert, dass der Jugendstrafvollzug auch über 30 Jahre nach den Grundsatzentscheidungen zur verfassungskonformen Regelungsbedürftigkeit des Strafvollzuges keine gesetzliche Grundlage gefunden hatte. Das BVerfG musste dem Gesetzgeber erst die Pistole auf die Brust und eine Frist bis Ende 2007 setzen, um ein Jugendstrafvollzugsgesetz zu erlassen ... es fällt schwer, an einen Zufall zu glauben, dass just zu jenem Zeitpunkt die CDU-geführten Bundesländer durchgesetzt hatten, die Vollzugsgesetzgebung zu föderalisieren.

Seit dem 1.1.2008 gelten also in allen Bundesländern Landesgesetze zum Jugendstrafvollzug - ist nun alles gut? Davon kann keine Rede sein, denn außer der formalen Vergesetzlichung ist kaum mehr als die Festschreibung des status quo zu verzeichnen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Gesetzen halten sich zwar in Grenzen, es handelt sich aber eher um eine informelle Einigung auf niedrigem Niveau. Den verfassungsrechtlichen Vorgaben ist man dabei ebenso wenig gerecht geworden wie den internationalen Standards. Wann und wo ein moderner, den grundrechtlichen Anforderungen genügender Jugendstrafvollzug realisiert wird, steht in den Sternen. Eher werden sich restriktive Tendenzen fortsetzen: Überbelegung, Rückgang von Vollzugslockerungen und offenem Vollzug, Endstrafenorientierung, zunehmende Reglementierung und Überwachung, erzieherische Disziplinierung ...

Immerhin wird es mithilfe der Gesetze (und eines endlich adäquater ausgestalteten Rechtsschutzes) unter Verweis auf verfassungsrechtliche und internationale Standards leichter fallen, dem Vollzug auf die Finger zu sehen. Das darf jedoch nicht den Betroffenen und den in diesem Feld ohnehin zu selten engagierten Anwälten überlassen bleiben: die demokratische Öffentlichkeit bleibt zur Wachsamkeit aufgerufen.


Runde Tische mit Ecken und Kanten

Die Vorstellung, zur Lösung sozialer Probleme müsse man nur alle Akteure (die Betroffenen in der Regel ausgenommen) an einen Tisch holen und mit allen Informationen versorgen, greift um sich, und in der Tat ist man bisweilen fassungslos, wer alles was nicht gewusst haben will. Geht es jedoch um individuelle "Interventionen", die in der Regel mit erheblichen Grundrechtseingriffen verbunden sind, geraten Kompetenzgrenzen und Datenschutz in Gefahr.

Es muss hier nicht geklärt werden, wer eigentlich den Anstoß gegeben hat: Lehrer, die sich mit der Problembewältigung überfordert bzw. alleingelassen fühlen? Eltern, die um die berufliche Zukunft ihrer Kinder fürchten? Jedenfalls greifen in den Ländern sog. Kooperationsvereinbarungen um sich, die die Schulen u.a. dazu verpflichten, Straftaten zur Anzeige zu bringen: Lehrer drohen zu Hilfssheriffs zu werden. Unter gezielter Verschleierung selbstverschuldeter Defizite in der Jugendpolitik (Bildung, Freizeit, Ausbildung ...) findet eine zunehmende Kriminalisierung und Verpolizeilichung statt.


Helmut Pollähne ist Kriminologe und Mitglied im Komitee-Vorstand.


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Quelle:
INFORMATIONEN - 1/2008, Februar 2008, S. 1-2
Herausgeber: Komitee für Grundrechte und Demokratie
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Tel.: 0221/97 269-20, Fax: 0221/97 269-31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2008