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STRAFRECHT/373: Strafbarkeitslücken gesucht (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 6. Mai 2009

Strafbarkeitslücken gesucht

Sicherheitsbehörden drängen auf Gesetzesverschärfungen, um möglicherweise die linke Opposition zu überwachen. Bundesregierung und große Koalition mißachten mit dem geplanten »Terrorcamp-Gesetz« elementare rechtsstaatliche Grundsätze

Von Ulla Jelpke


In den letzten sieben Jahren ist mit über 50 »Sicherheits«-Gesetzen in die Grund- und Bürgerrechte sowie die Privatsphäre der Menschen eingegriffen worden, angefangen von der immer weiter um sich greifenden Speicherung persönlicher Daten (Konto-, Reise-, Telekommunikationsdaten) über die Erfassung biometrischer Merkmale, die Schaffung neuer Datenbanken auf Bundes- und EU-Ebene bis zur verstärkten Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten.

Die Bundesregierung ist wieder einmal dabei, unter dem Vorwand der »Bekämpfung des Terrorismus« rechtsstaatliche Prinzipien wie beispielsweise den Verfassungsgrundsatz der Bestimmtheit von Strafvorschriften massiv zu verletzen. Dies ergab eine Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags am 23. April zum »Gesetzentwurf zur Verfolgung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten« (Bundestags-Drucksache 16/12428) und weiteren, ähnlich legislatorischen Vorhaben des Bundesrats und der Regierungsfraktionen. Namhafte Rechtswissenschaftler sparten nicht mit heftiger Kritik an den in der Öffentlichkeit unter dem Stichwort »Strafbarkeit des Aufenthalts in sogenannten Terrorcamps« bekannten Vorschlägen von CDU/CSU und SPD, deren Inhalt sogar noch viel umfassender in die Bürgerrechte eingreift.

Die Vorgehensweise der Bundesregierung folgt dabei altbekannten Mustern. Zuerst werden angebliche »Strafbarkeitslücken« behauptet. So wurde die rechtsstaatlich ohnehin fragwürdige Bestimmung, wonach man sich schon mit der bloßen Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung« strafbar macht, ohne daß dem Beschuldigten konkrete eigene Taten nachgewiesen werden müssen, als unzureichend angesehen. Die Bundestagsmehrheit setzte schon vor mehreren Jahren durch, daß gemäß Paragraph 129b Strafgesetzbuch (StGB) auch die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung unter Strafe gestellt ist.

Wozu dies führt, sieht man im gerade laufenden Verfahren gegen die »Sauerland-Gruppe« vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Dort lautet einer der Anklagevorwürfe auf Mitgliedschaft in der usbekischen »Islamischen Dschihad-Union« (IJU). Ob es diese »ausländische terroristische Vereinigung« überhaupt gibt, ist aber strittig. Schon zu Beginn der Ermittlungen gegen die Tatverdächtigen wurde eine Einschätzung aus dem Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg bekannt, daß die IJU in Wahrheit gar nicht existiere. Manche Fachleute halten die IJU für eine Erfindung des usbekischen Geheimdienstes. Die Existenz einer angeblichen »terroristischen Vereinigung« oder Vorgänge in einem Guerillacamp nachzuprüfen, fällt im Ausland naturgemäß schwerer; die Vermittler sind darauf angewiesen, daß die ausländischen Polizeiorgane und Geheimdienste daran mitwirken.

Genau das aber ist hochproblematisch, wie gerade der Fall der Kölner »Kofferbomber« zeigt. Hier waren die Sicherheitsbehörden mit dem von ihnen früher vehement geforderten Paragraph 129b StGB schon nicht mehr zufrieden; sie riefen einmal mehr nach neuen Gesetzen. Denn der Vorwurf, in zwei Koffern Sprengstoff für Anschläge auf Regionalzüge plaziert zu haben, richtete sich gegen zwei junge Männer aus dem Libanon. Eine terroristische Vereinigung liegt aber definitionsgemäß erst ab drei Personen vor. Eine fieberhafte Suche nach einem dritten Verdächtigen setzte ein. Da ein solcher nicht gefunden wurde, verlangten das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesinnenministerium (BMI), künftig schon zwei Beschuldigte als »Vereinigung« im Sinne des Paragraphen 129b StGB anzusehen. Andernfalls gäbe es Strafbarkeitslücken.

Mit dieser absurden Argumentation drangen die Hardliner ausnahmsweise nicht durch, zumal im Falle eines Tatnachweises ohnehin eine Strafbarkeit wegen versuchten Mordes vorlag, somit von einer »Lücke« im StGB nicht die Rede sein konnte. Tatsächlich wurden die beiden Angeklagten schuldig gesprochen, der eine Angeklagte in Beirut, der andere in Düsseldorf. Die vom selben Richter wie im jetzigen Sauerland-Prozeß verhängte lebenslange Freiheitsstrafe war allerdings fragwürdig, weil die Verteidigung darauf hinweisen konnte, daß das Sprengstoffgemisch gar nicht explosionsfähig war und es sich mithin nicht um einen Mordversuch, sondern um eine nicht zur Realisierung gedachte Drohung gehandelt habe.

Es fällt allerdings auf, daß die Rechtsfigur der »terroristischen Vereinigung« immer nur gegen linke sowie islamistische Vereinigungen angewandt wird, nicht aber gegen Rechtsextremisten. Dabei dürfte es hier angesichts diverser Waffenfunde, insbesondere im vergangenen Winter in Niedersachsen, ausreichend Gründe geben, von der Existenz rechtsterroristischer Gruppen auszugehen - das sind zumindest keine schlechteren Gründe als in den anderen Fällen.


Vorbereitungshandlung strafbar

Als nächste angebliche »Strafbarkeitslücke« präsentierten die Sicherheitsbehörden dann die Teilnahme an »Terrorcamps« beispielsweise in Pakistan. Dahinter steckt der übliche Grundgedanke des Innenministeriums: Man will davon abgehen, daß erst konkrete Tathandlungen strafbar sind. Schon in einem Frühstadium, lange vor der eigentlichen Tat, soll die Strafverfolgung einsetzen. Dies galt bisher - genauso wie bei den Bestimmungen über kriminelle und terroristische Vereinigungen - im StGB als systemwidrig. Jeder Jurastudent lernt spätestens im zweiten Semester, daß bloße »Vorbereitungshandlungen« straflos sind. Zwischen dem Erwerb eines Küchenmessers und dem tatsächlichen Vollzug einer Körperverletzung liegt eine solche Diskrepanz, daß es völlig unsinnig wäre, bereits den Kauf zu sanktionieren. Denn eine solche Vorverlagerung der Strafbarkeit ist offenkundig unsinnig und führt rasch zu einer Art »Gesinnungsstrafrecht«. Deshalb galt immer die Formel: Erst »der Beginn der Ausführungshandlungen« (der Täter hebt den Arm, um mit dem Messer auf das Opfer einzustechen) führt zur Strafbarkeit wegen »Versuchs«. Strafbar ist dann selbstverständlich die Vollendung einer Tat. Diese Systematik ist klar und nachvollziehbar: Vollendung und (bei manchen vom Gesetz bestimmten Delikten) Versuch sind strafbar, bloße Vorbereitungshandlungen dagegen nicht. Dies ist eine rechtsstaatlich saubere Abgrenzung von strafbarem und straflosem Verhalten.

Sobald man beginnt, an den Aufenthalt in einem »Terrorcamp« als Strafbarkeitsmerkmal anzuknüpfen, wird diese bewährte Systematik verlassen. Dies ist natürlich auch dem BKA und dem BMI bewußt. Deshalb intonieren sie das laufende Gesetzgebungsverfahren mit schriller Begleitmusik. Immer wieder wird die »terroristische Bedrohung« an die Wand gemalt und die Prophezeiung des früheren bayerischen Innenministers und CSU-Hardliners Günther Beckstein wiederholt, wonach es keine Frage des »Ob«, sondern nur des »Wann«, also des Zeitpunkts sei, daß in Deutschland ein Terroranschlag passiert. Regelmäßig werden der Öffentlichkeit Videos mit »Drohbotschaften« präsentiert. Innenstaatssekretär August Hanning wird nicht müde, in Interviews auf angebliche verstärkte »Reisebewegungen« von Deutschland nach Pakistan oder Afghanistan zu verweisen. Aus nicht näher nachprüfbaren Geheimdienstinformationen wisse man, daß »Islamisten« aus Deutschland dort eine »Ausbildung« erhielten, dann zurückkehrten und nunmehr das »Knowhow« für Anschläge hätten. Da dürfe man nicht tatenlos zuschauen, sondern müsse schon an dieser Stelle mit Verurteilungen zu Freiheitsstrafen eingreifen.

Hierüber gab es in der großen Koalition längere Zeit interne Diskussionen, aber letztlich ließ sich auch Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) auf die Forderungen der CDU/CSU ein. Die Gesetzentwürfe der beiden Fraktionen der Regierungsparteien vom 27. Januar 2009 (Drucksache 16/11735) und der Bundesregierung vom 25. März 2009 (Drucksache 16/12428) enthalten im einzelnen folgende Regelungen: Ein neuer Paragraph 89a StGB sieht eine Strafbarkeit vor für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Danach soll künftig beispielsweise der Aufenthalt in einem Guerillacamp mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft werden. Voraussetzung hierfür ist, daß der Täter mit dem Vorsatz handelt, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorzubereiten. Strafbar nicht nur nach dem Waffengesetz, sondern künftig bereits als terroristische Vorbereitungstat ist es auch, bestimmte Waffen herzustellen, sich zu verschaffen oder diese zu verwahren. Strafbar ist es außerdem, sich »Grundstoffe« zu verschaffen oder zu verwahren, um solche Waffen, Sprengsätze oder sonstige Anschlagsmittel herzustellen. Letzteres zielt darauf ab, schon den Einkauf von Wasserstoffperoxid - wie im »Sauerland-Fall« - unter Strafe zu stellen und nicht erst den tatsächlichen Anschlag, jedenfalls dann, wenn die Ermittlungsbehörden unterstellen, der Einkauf der Chemikalie diene dem Zweck, einen Terroranschlag vorzubereiten. Es wird deutlich, daß die »Absicht« einer Handlung ins Visier der Fahnder gerät.

Der Gesetzentwurf geht auch an anderer Stelle weit über das öffentlich bekannte Thema »Terrorcamps« hinaus. Gemäß Paragraph 89b StGB soll sich künftig auch strafbar machen, wer in der Absicht, sich in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unterweisen zu lassen, Beziehungen zu einer terroristischen Vereinigung aufnimmt oder unterhält. Strafbar ist hier schon die bloße Kontaktaufnahme zu Mittelsmännern oder sogenannten Terrorgruppen, die eine Ausbildung in »Terrorcamps« vermitteln. Paragraph 91 StGB des Entwurfs erfaßt das Verbreiten oder das Anpreisen von Anleitungen, die zur Begehung eines Anschlags anregen könnten, und bedroht diese Verhaltensweisen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Auch das Herunterladen oder Beschaffen von Anschlagsanleitungen soll strafbar sein. Damit will man gegen Internetnutzer vorgehen. Schließlich soll auch das Sammeln von Geld zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat bestraft werden. Wie BKA-Präsident Jörg Ziercke anmerkte, könnten dann die Spenden von in Deutschland lebenden Kurden an die Arbeiterpartei Kurdistans PKK als Vorbereitung einer terroristischen Straftat verfolgt werden, da diese Gelder auch für den Unterhalt der Guerilla dienten. Bislang wurden die Spenden als Verstöße gegen das Vereinsgesetz im Regelfall mit Geldstrafen verfolgt, zukünftig drohte dann Gefängnis.

Rechtsstaatlich gefährlich sind aber nicht nur die neuen StGB-Vorschriften, sondern auch die daran anknüpfenden Eingriffsbefugnisse in Ermittlungsverfahren. So sollen bei einem Anfangsverdacht die Überwachung der Telekommunikation, die Wohnraumüberwachung sowie die Wohnungsdurchsuchung möglich sein. Im Prinzip werden hier die gleichen Sondervollmachten für die Polizei geschaffen, wie sie bereits die unseligen »Terrorparagraphen« 129a und 129b StGB enthalten. Auch das Ausländerrecht wird verschärft, indem ein neuer Regelausweisungstatbestand eingeführt wird.


Täter soll Unschuld beweisen

Unklar ist, wie der Vorsatz, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorzubereiten, festgestellt werden soll. Den Ermittlungsbehörden genügt der Anfangsverdacht, um Lauschangriffe, Observationen usw. einzuleiten. Aber wonach sollen die Gerichte entscheiden? Äußerungen der Bundesjustizministerin lassen befürchten, daß Richter bereits aus dem bloßen Aufenthalt in einem »Terrorcamp« auf den Vorsatz schließen sollen. Brigitte Zypries behauptete in einem taz-Interview vom 22. April 2009: »Manchmal kann man dabei vom Handeln auf die Absicht schließen. Wer etwa ein Al-Qaida-Lager besucht, muß schon gut begründen, daß er keine terroristischen Absichten hatte.« Das heißt: Der Beschuldigte soll nachweisen, daß er kein Terrorist ist. Dies wäre eine Umkehr der Beweislast und eine Verletzung der Unschuldsvermutung.

Der bekannte Grundsatz »In dubio pro reo« (Im Zweifel für den Angeklagten) besagt, daß die Strafjustiz dem Täter die Schuld nachweisen muß, und daß nicht etwa der Täter dem Staat seine Unschuld zu beweisen hat. Wenn schon die Bundesjustizministerin so leichtfertig über die Umkehr der Beweislast daherredet, ist höchste Alarmstufe geboten. Verfassungsschutzmitarbeiter Klaus Michael Rogner vertrat die Ansicht, daß ein »militant islamistischer Hintergrund« eines Beschuldigten ausreiche, um ihm eine Anschlagsabsicht statt bloßer Abenteuerlust beim Besuch eines Ausbildungslagers zu unterstellen. Tätergesinnung und Täterpersönlichkeit statt der Unrechtsgehalt einer weder begangenen noch versuchten und noch nicht einmal konkret geplanten Tat sollen nun Grund für eine Bestrafung sein.

Zudem besteht die Gefahr, daß die Staatsanwaltschaften fehlende Beweise über Vorgänge in weit entfernten »Terrorcamps« durch Informationen von ausländischen Geheimdiensten ersetzen. Der Manipulation wird damit Tür und Tor geöffnet. Oder aber man präsentiert deutschen Gerichten »Beweise«, die aus Ländern stammen, in denen nachweislich Folter an der Tagesordnung ist. Dies spielt auch im Sauerland-Prozeß eine Rolle, denn dort sollen Beweise aus dem Folterstaat Usbekistan eingeführt werden. Ob der Belastungszeuge, der in usbekischer Haft sitzt, tatsächlich gefoltert wurde, entzieht sich naturgemäß einer eindeutigen Feststellung, zumindest, solange er in Haft bleibt. In solchen Fällen gilt derzeit, daß solche Zeugenaussagen nur eingeschränkt verwendet werden dürfen. Diese Einschränkung möchte die Bundesanwaltschaft gerne lockern.

Die Beweisprobleme liegen jedenfalls, solange man noch rechtsstaatliche Maßstäbe anlegt, bei dem Terrorcamp-Gesetz auf der Hand. Möglicherweise geht es auch gar nicht um Verfolgung von Straftaten, sondern darum, den ohnehin schon weitgreifenden Anspruch des Staates auszubauen, alles zu überwachen, was potentiell Opposition sein könnte. Der innenpolitische Kommentator der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, hat daher am 29. Januar 2009 die Vermutung geäußert, das Gesetz tauge in Wahrheit gar nicht zur Bestrafung, sondern nur zur Verfolgung. Genau dies werde bezweckt. »Die Hauptsache ist«, schreibt Prantl, »daß der Staat ermitteln, belauschen und Computer durchsuchen darf.« Diese massiven Grundrechtseingriffe zu ermöglichen, sei die tatsächliche Absicht des Gesetzgebers, der sich dabei auf »allerdünnstem Eis« bewege. Die Strafjustiz werde mit einem solchen Gesetz »verhöhnt«.


»Verfassungsrechtlich auf Kante«

Von derlei Kritik waren manche der von CDU/CSU und SPD in der Bundestagsanhörung am 22. April 2009 aufgebotenen Experten freilich nicht zu beeindrucken. Das war auch nicht anders zu erwarten, wurden doch Angehörige des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), des BKA und der Bundesanwaltschaft als Sachverständige benannt, also genau jener Behörden, die sich für das neue Gesetz stark machen. Rainer Griesbaum, ständiger Vertreter des Generalbundesanwalts, ließ an der Absicht, die Strafverfolgung erleichtern zu wollen, keinen Zweifel. Seiner Meinung nach kommt es den »Belangen der Strafrechtspflege ganz entschieden entgegen, daß die schwere staatsgefährdende Gewalttat nur in groben Zügen konkretisiert und nicht so weit gediehen sein muß, daß auch die strengeren Anforderungen nach Paragraph 30 StGB (Verabredung zu einer schweren Straftat) erfüllt wären«. Das heißt im Klartext: je unbestimmter eine Strafnorm, umso besser! Eine solche Sichtweise mißachtet den Verfassungsauftrag, Strafgesetze so bestimmt zu formulieren, daß klar ersichtlich ist, wann ein Verhalten strafbar ist (»Nulla poena sine lege certa« - keine Strafe ohne bestimmtes Gesetz, Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz).

Demgegenüber betonte Dr. Katrin Gierhake von der Universität Bonn, in dem Gesetz zeige sich eine »Abkehr vom Tatprinzip«. Neuerdings sollen Tätergesinnung und Täterpersönlichkeit an Stelle des Unrechtsgehalts der Tat Grund für eine Bestrafung sein. Dies bedeute eine »extreme Vorverlagerung des pönalisierten (unter Strafe gestellten - d. jW-Red.) Verhaltens vor eine Rechtsgutsverletzung ohne konkrete Rechtsgutsgefährdung« und führe zu einem »Feindstrafrecht«. Dies sei prinzipiell abzulehnen und rechtsstaatlich nicht haltbar. Unter »Feindstrafrecht« versteht man die vor allem vom Bonner Strafrechtsprofessor Günter Jakobs und dem Bonner Rechtsphilosophen Otto Depenheuer vertretene Lehre, daß bestimmte Personen von den »normalen« Regeln des Strafrechts und Strafverfahrensrechts auszugrenzen seien. »Terroristen« seien nicht als Straftäter, sondern als »Feinde« einzustufen. Deshalb stünden ihnen rechtsstaatliche Verfahrensgarantien nicht zu. Als Folge dieses absurden Grundansatzes hatte der frühere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) einmal vorgeschlagen, verdächtige Personen, denen man keine terroristischen Straftaten nachweisen könne, dennoch bis zu einem Jahr in »Sicherungshaft« zu nehmen. Auch die Methode der Amerikaner, »feindliche Kämpfer« (»enemy combattants«) in Guantánamo ohne Anklage, ohne richterlichen Haftbefehl, ohne faires Verfahren, ohne Verteidigung und ohne Benachrichtigung der Angehörigen in einem Folterknast jahrelang festzuhalten, entspricht genau der Denkweise des »Feindstrafrechts«.

In der Sachverständigenanhörung brachte Professor Florian Jeßberger von der Humboldt-Universität Berlin noch einen neuen Aspekt in die Debatte. Er sah in der Ausdehnung des deutschen Strafrechts auf das Ausland eine Kollision mit völkerrechtlichen Normen. Denn die neuen Gesetze beziehen sich auch auf im Ausland vorbereitete Taten, die den Bestand oder die Sicherheit eines ausländischen Staates oder einer nicht näher definierten ausländischen internationalen Organisation beeinträchtigen. Wie schon beim Paragraphen 129b StGB gegen »ausländische terroristische Vereinigungen« werden zukünftig wohl außenpolitische Interessen der Bundesregierung über eine mögliche Strafverfolgung entscheiden.

Rechtsanwältin Anke Müller-Jacobsen, die eine gemeinsame Stellungnahme des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer vortrug, vertrat die klare Auffassung, daß »die Bedrohungen durch terroristische Anschläge mit den bestehenden Regelungen ausreichend abgewehrt werden können«. Besonders kritisch setzte sich die Bundesrechtsanwaltskammer mit dem neuen Paragraph 91 StGB (»Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Tat«) auseinander. Dieser erscheine »inakzeptabel, weil er die Meinungsfreiheit gefährdet, ohne eine konkrete Rechtsgutverletzung vorauszusetzen«. Der Tatbestand verzichte auf jeglichen objektiven Bezug zu der schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Er knüpfe die Strafbarkeit ausschließlich an subjektive Merkmale. »Das als strafbare Handlung definierte Verhalten kann als solches in vielen Fällen sozial üblich sein.« Eine klare Bestimmbarkeit des strafbaren Verhaltens werde nach diesem Straftatbestand nicht möglich sein - ein Verstoß gegen Artikel 103 GG. Frau Müller-Jacobsen kam insgesamt zu dem Ergebnis, daß die Gesetzentwürfe der Bundesregierung und der großen Koalition verfassungswidrig seien.

Selbst die Bundesjustizministerin hat zugegeben, daß ihr Entwurf »verfassungsrechtlich auf Kante« genäht sei. Im taz-Interview vom 22. April 2009 erläuterte Zypries, sie habe damit darauf hinweisen wollen, »daß wir juristisches Neuland betreten und sich möglicherweise das Bundesverfassungsgericht damit befassen wird«. Dies ist ein äußerst bemerkenswerter Vorgang: Aufgabe einer Justizministerin wäre es, für eine grundgesetzkonforme Gesetzgebung zu sorgen. Statt dessen wird von der Bundesregierung offenbar ausgelotet, wie weit man gehen kann.

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) erklärte am 23. April 2009 anläßlich der öffentlichen Vorstellung seiner Verfassungsklage gegen das BKA-Gesetz: »Wir erleben eine sicherheitspolitische Aufrüstung ohne Ende.« Diese Bewertung gilt auch für die Terrorcamp-Gesetzespläne von CDU/CSU und SPD, die wohl in den nächsten Wochen mit den Stimmen der Regierungskoalition beschlossen werden.


Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke


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Quelle:
junge Welt vom 06.05.2009
mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2009