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VÖLKERRECHT/068: Unabhängigkeitserklärung des Kosovo - Völkerrecht verletzt (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 1/2010

Völkerrecht verletzt
Andreas Zimmermann von der Universität Potsdam ist Gutachter in Verfahren zu Kosovo-Unabhängigkeitserklärung am Internationalen Gerichtshof in Den Haag

Von Andreas Peter


Die Generalversammlung der Vereinten Nationen beschloss im Oktober 2008 auf Antrag Serbiens, beim Internationalen Gerichtshof ein Rechtsgutachten zu der Frage einzuholen, ob sich das Kosovo für unabhängig erklären durfte. Jetzt steht das Verfahren vor seinem Abschluss. Die Universität Potsdam ist auf ganz besondere Weise darin involviert. Denn Andreas Zimmermann, soeben an die Hochschule berufener Professor für Öffentliches Recht, vertritt zusammen mit drei anderen international renommierten Kollegen die Interessen der Republik Serbien.


Schon lange glaube ich, dass es einfacher ist, sich durch eine in China verfasste 100-seitige Anleitung für einen Dosenöffner zu quälen als deutsches Recht zu verstehen. Meine Vermutung, dass das auch für das Völkerrecht zutrifft, bestätigt mir Andreas Zimmermann. Geduldig erklärt er mir Unterschiede zwischen dem Internationen Tribunal für das ehemalige Jugoslawien, dem Ständigen Internationalen Strafgerichtshof und dem Internationalen Gerichtshof (IGH). Die beiden Erstgenannten, lerne ich, können einzelne Menschen strafrechtlich zur Verantwortung ziehen. Der IGH, seit 1945 das Hauptrechtsprechungsorgan der UNO, sei hingegen zu einem ganz anderen Zweck geschaffen worden. Er beschäftigt sich nur mit Klagen zwischen Staaten. Es geht hier ausschließlich um Staatenverantwortlichkeit. Im konkreten Falle allerdings wird weder eine Klage Serbiens verhandelt noch wird es am Ende ein Urteil im eigentlichen Sinne geben. Eine Gutachtenanfrage der UN-Generalversammlung sei es, die Klärung erfordert. "Gegenstand des Verfahrens ist also nicht die diplomatische Anerkennung des Kosovo, sondern die Frage, ob seine Unabhängigkeitserklärung völkerrechtswidrig war", erläutert der Jura-Professor. Er selbst bejaht Letzteres. "Der Weltsicherheitsrat", so Zimmermann, "hat 1999 das Kosovo unter internationale Verwaltung durch United Nations Interim Administration Mission im Kosovo (UNMIK) und KFOR gestellt, ohne es de jure aus dem Hoheitsbereich der Republik Serbien herauszulösen. Man wollte ausdrücklich eine Verhandlungslösung." Doch der damalige Vermittler, Finnlands Ex-Präsident Martti Ahtisaari, plauderte 2008 im US-Fernsehsender CNN ziemlich unverblümt aus, was Völkerrechtler wie Zimmermann schon längst vermuteten: Den Kosovo-Albanern habe man von Anfang an zu verstehen gegeben, dass sie keine Kompromisse gegenüber Serbien einzugehen bräuchten, weil die Unabhängigkeit im Prinzip beschlossene Sache sei. "Mit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo einseitig Fakten zu schaffen, stellt eine Verletzung des Völkerrechts dar", argumentiert Zimmermann. "Das hat der Weltsicherheitsrat so nicht gewollt, sondern ausdrücklich eine einvernehmliche Lösung angestrebt." Als Alternative denkbar sei eine Autonomie wie im Falle Hongkong, auch eine Unabhängigkeit, dann aber mit Zustimmung des Sicherheitsrates und Serbiens. Allein der Weltsicherheitsrat hätte das unbefristete Mandat für die internationale Verwaltung des Kosovo ändern können.

Selbst wenn der IGH jetzt der Argumentation der Juristen folgt, das Rad der Geschichte lässt sich bekanntlich nicht zurückdrehen. Zimmermann und seinen Kollegen wissen natürlich, dass sich Serbien nicht wieder mit dem Kosovo vereinen wird. "Im Völkerrecht gibt es, etwas salopp gesagt, keinen Gerichtsvollzieher", so der Potsdamer Uni-Wissenschaftler. "Es obliegt den Organen der UNO, insbesondere dem Sicherheitsrat, aus dem Ergebnis des Gutachterverfahrens die Schlüsse zu ziehen."

Die serbische Regierung steckt nach Einschätzung von Zimmermann in einem Dilemma. Denn in Betracht kommt nur eine friedliche Regelung mit Unterstützung der UNO. Andererseits will man aber an der territorialen Integrität Serbiens festhalten. Trotz aller Schwierigkeiten: Der Balanceakt könnte sogar einen positiven Nebeneffekt für das Land haben. "Ein IGH-Gutachten, welches die Völkerrechtswidrigkeit der einseitigen Loslösung des Kosovo bestätigt, könnte im Kontext der Annäherung Serbiens an die EU relevant sein", so Zimmermanns Einschätzung. Das Verfahren in Den Haag soll noch in diesem Jahr abgeschlossen sein.


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 1/2010, Seite 29
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2010