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DILJA/158: Ungehorsam - Offizier bringt Bundeswehr in Bedrängnis (SB)


Oberstleutnant Rose verweigert den Kriegsdienst in Afghanistan

Bundeswehr und Bundesregierung stehen schon vor dem Tornadoeinsatz vor massiven Akzeptanzproblemen


Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war in der Bundesrepublik Deutschland an eine Remilitarisierung nicht zu denken. Die Wehrmacht wurde nicht nur aufgelöst; sie war von vielen Menschen, die aus den Jahren der totalitären Diktatur und Angriffskriege den Schluß gezogen hatten, "Nie wieder Krieg" und "Nie wieder Faschismus" zuzulassen, als verbrecherisch empfunden worden. Deshalb bedurfte es in der Nachkriegszeit gewaltiger propagandistischer Anstrengungen und massiver Druckmittel seitens der NATO-Staaten, um in dem westlichen Frontstaat Bundesrepublik die Wiederbewaffnung durchzusetzen. Um dafür eine einigermaßen tragfähige politische Akzeptanz zu erwirtschaften, wurden weitgehende "Sicherungen" konzipiert und verfassungsrechtlich verankert, die die Gewähr dafür bieten sollten, daß von deutschem Boden auch dann, wenn auf ihm wieder bewaffnete Streitkräfte stünden, nie wieder Krieg ausgehen könne.

Das Ende der schönen Geschichte ist bekannt. Die vielgeschmähte DDR blieb der einzige deutsche Staat, von dem tatsächlich niemals ein Krieg ausging. Nach der Wiedervereinnahmung ging Gesamtdeutschland mit Riesenschritten daran, die Lasten der Vergangenheit abzustreifen und die antimilitaristische Grundpositionierung des Staates, seiner Verfassung und seiner Armee zu perforieren, umzudefinieren und schließlich in ihr faktisches Gegenteil zu verkehren. Die ersten Bomben, die 1999 von deutschen Tornados über der Bundesrepublik Jugoslawien abgeworfen wurden, sind der todbringende Beweis für die Transformation eines sich friedliebend präsentierenden Staates in eine Angriffsmacht, die, eingebunden in die westlichen imperialistischen Staaten, den Rest der Welt letztlich auch mit Waffengewalt nach ihren Vorstellungen und Absichten zu formen im Begriff steht. Die NATO, ursprünglich konzipiert als transatlantisches "Verteidigungsbündnis", definierte noch während des Jugoslawienkrieges ihre Doktrin um und ersetzte die Verteidigung der eigenen Territorien durch die "Verteidigung" ihrer (imperialistischen) Interessen an Rohstoffquellen und Absatzmärkten.

Wenngleich diese im übrigen völkerrechtswidrige Abkehr vom vorherigen Defensivkonzept zu einer "Präventiv"-Kriegsrhetorik von nicht wenigen Menschen mit- und nachvollzogen wurde, traten in der Folgezeit einzelne Persönlichkeiten in Erscheinung einzig und allein deshalb, weil sie an den Leitmotiven und Grundsätzen, unter denen sie in Politik und Militär einst angetreten waren im besten Glauben an die damit verknüpften Versprechen, festhielten. Der CSU-Parlamentarier Peter Gauweiler, politisch großgeworden immerhin als "Ziehsohn" von Franz-Josef Strauß, zählt ebenso zu diesen neuen Außenseitern wie sein Unionskollege Willy Wimmer (CDU), die beide aus Sicht der heutigen Bundesregierung unangenehm aufgefallen sind durch ihre gegen den am 9. März im Bundestag beschlossenen Tornado-Einsatz eingelegte Verfassungsbeschwerde.

Namentlich Willy Wimmer hatte zuvor schweres und deshalb auch angemessenes Geschütz aufgefahren. Der ehemalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsminister unter der Regierung Kohl bezeichnete den nun beschlossenen Tornado-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan als einen "einzigen Kollateralschaden" angesichts der hohen Zahl vorhersagbarer ziviler Toter. In der Verfassungsbeschwerde Wimmer/Gauweilers war von der "völkerrechtswidrigen Kriegführung der Vereinigten Staaten" die Rede gewesen. Die Entsendung der Tornados sei der "letzte Schritt" einer langjährigen Politik der Bundesregierung, an einer substantiellen und vom deutschen Gesetzgeber nicht gewollten Änderung des NATO-Vertrages mitzuarbeiten.

Bei einer Ablehnung des Tornadoeinsatzes durch über 70 Prozent der Bevölkerung kann die wenig später vom Bundesverfassungsgericht abgeschmetterte Klage der beiden Unionspolitiker die ohnehin mangelnde Akzeptanz nur noch weiter geschmälert haben. Wimmers warnende Worte, die Tornado-Piloten würde bei diesem Einsatz "direkt nach Den Haag" zum dortigen Kriegsverbrechertribunal fliegen, dürften gerade auch unter Bundeswehrangehörigen die ohnehin vorhandene Unruhe noch verstärkt haben. In den ersten Jahrzehnten der wiederbewaffneten Bundesrepublik hatte das Leitbild eines (mündigen) "Bürgers in Uniform" Pate gestanden, um den Kontrast zwischen Bundes- und Reichswehr zu unterstreichen durch der Behauptung, mit den Streitkräften eines demokratischen Staates ließen sich verbrecherische Kriege wie die Nazideutschlands einfach nicht führen. Dies fand seinen Niederschlag nicht nur in dem grundgesetzlichen Verbot von Angriffskriegen sowie in der Entscheidung, auch jegliche Vorbereitungshandlung für einen solchen Krieg unter schwerste Strafandrohung zu stellen.

Dem blindwütigen Gehorsam, der in totalitären Staaten dem Militär die Voraussetzungen bietet, um mit einer Befehlskette von oben nach unten fremde Länder wie auch die eigene Bevölkerung mit Terror überziehen und angreifen zu können, wurde das Leitbild eines Soldaten entgegengestellt, der sein Gewissen eben nicht am Kasernentor ablegt und im Zweifelsfall, wenn ein Befehl ihm rechtswidrig erscheint, etwa weil dieser dem Kriegsvölkerrecht widerspricht oder die Begehung einer Menschenrechtsverletzung verlangt, diesen auch verweigert. Der mündige Bürgersoldat muß ihn geradezu verweigern, um sich nicht gegebenenfalls selbst strafbar zu machen durch die Befolgung "verbrecherischer" Befehle. Niedergelegt ist dies in Paragraph 11 II des Soldatengesetzes, in dem es heißt, daß ein Befehl nicht befolgt werden darf, wenn dadurch eine Straftat begangen werden würde.

Als ein lebendes Beispiel für den propagierten mündigen Bürger in Uniform könnte Oberstleutnant Jürgen Rose gelten. Er ist in dem Wehrbereichskommando IV des Streitkräfteunterstützungskommando in München tätig und ist dort für die logistische Unterstützung der Auslandseinsätze der Bundeswehr verantwortlich. Der Offizier, Vorstandsmitglied des Vereins Darmstädter Signal, einer Organisation kritischer ehemaliger und aktiver Bundeswehrsoldaten, hatte am vergangenen Donnerstag, wie im NDR-Magazin "Panorama" berichtet wurde, bei seinen Vorgesetzten beantragt, von allen Aufträgen im Zusammenhang mit dem Tornadoeinsatz in Afghanistan und jeglicher Unterstützung für die "Operation Enduring Freedom" freigestellt zu werden.

Er könne dies mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, so begründete der streitbare Offizier seinen Antrag und machte gravierende verfassungsrechtliche, völkerrechtliche und strafrechtliche Bedenken geltend. Die Bundeswehrführung nahm diesen Vorfall keineswegs auf die leichte Schulter. Klaus Treude, ebenfalls Oberstleutnant und Sprecher des Wehrbereitskommandos IV des Streitkräfteunterstützungskommandos in München, sprach von einer "brisanten Angelegenheit". "So einen Fall haben wir noch nicht gehabt", so Treude, der die Presse am vergangenen Donnerstag wissen ließ: "Zur Zeit brüten die zuständigen Vorgesetzten über dem Antrag." Und sie taten dies tatsächlich mit großer Eile. Wie Rose selbst gegenüber der jungen Welt in einem am Samstag veröffentlichten Interview erklärte, wurde ihm am Freitag von seinem Vorgesetzten eröffnet, ab der kommenden Woche in einer anderen Abteilung des Wehrbereichskommandos Dienst zu tun. Damit wurde ihm so etwas wie eine "gewissensschonende Handlungsalternative" zur Verfügung gestellt.

Jürgen Rose ist keineswegs der erste Soldat, der die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben verweigert, weil er völkerrechts- und verfassungswidrige Kriegseinsätze der Bundeswehr nicht unterstützen wollte. Die Verantwortlichen im Fall Rose müssen bei ihrer jetzigen Entscheidung den Fall des Majors Florian Pfaff vor Augen gehabt haben, der sich während des Irakkriegs 2003 geweigert hatte, an einem Software-Projekt weiterzuarbeiten, weil dieses dem US-Militär im Irakkrieg von Nutzen gewesen wäre. Pfaff wurde daraufhin in die Psychiatrie verbracht und später degradiert. Auf dem Klagewege allerdings bekam er später in vollem Umfang Recht. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschied in seinem Urteil vom 21. Juni 2005, daß Pfaff rechtmäßig gehandelt hat und legte fest, daß die Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Krieges ihrerseits ein Völkerrechtsdelikt ist.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Fall Pfaff, der vollständig rehabilitiert wurde, verlangt, daß die Bundeswehr ihm eine "gewissensschonende Handlungsalternative" zur Verfügung stellen müsse. So geschehen jetzt auch im Fall Rose, was die Schlußfolgerung nahelegt, daß die Bundeswehrführung alles nur erdenklich Mögliche tun wollte um zu verhindern, daß die Frage der Rechtmäßigkeit des vom Bundestag am 9. März beschlossenen Afghanistan-Einsatzes einem hohen deutschen Gericht zur Entscheidung vorgelegt wird. Dies wäre aller Voraussicht nach geschehen, wäre auch nur der Versuch unternommen worden, Jürgen Rose über ein Disziplinar- oder Militärstrafverfahren gefügig zu machen. Schließlich hatte dieser schon in einem anderen Konflikt seine Bereitschaft unter Beweis stellt, für seine Überzeugungen bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Er war im Dezember vergangenen Jahres von einem Truppendienstgericht zu einer Geldstrafe von 750 Euro verurteilt worden, weil er der deutschen Generalität im Mai 2006 in einem Artikel der Zweiwochenzeitschrift Ossietzky "Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit" vorgeworfen hatte. Das Militärgericht befand, Rose habe "die Würde seiner Kameraden" (gemeint waren die über 200 Bundeswehr-Generäle, die den völkerrechtswidrigen Irakkrieg des US-Militärs durch die Bewachung von US-Kasernen hierzulande wie auch durch die Bereitstellung der deutschen Awacs-Besatzungen ausnahmslos unterstützt hatten) herabgesetzt. Und da er seine Meinung nicht "besonnen, tolerant und sachlich" formuliert habe - Rose hatte geschrieben: "Hätte die deutsche Generalität auch nur einen Funken Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewußtsein im Leibe, so hätte der Generalinspekteur im Verein mit seinen Teilstreitkraftinspekteuren sich geweigert, den völkerrechts- und verfassungswidrigen Ordres der rot-grünen Bundesregierung Folge zu leisten" - wäre diese Meinungsäußerung auch nicht vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt gewesen, so die Auffassung der Militärrichter.

Rose hatte in diesem Zusammenhang klargestellt, daß es ihm um eine Grundsatzentscheidung zu der Völkerrechts- und Verfassungswidrigkeit des Irakkriegs gehe. So hatte er am 1. August 2006 gegenüber der jungen Welt erklärt:

Zur Not gehe ich auch vors Bundesverfassungsgericht. Ich will eine Grundsatzentscheidung bewirken. Es geht nicht nur um meine persönliche Meinungsfreiheit: Es kann doch nicht sein, daß die Bundesregierung in Tatgemeinschaft mit der Bundeswehrführung einen Angriffskrieg unterstützt und daraufhin nichts passiert. Ich will einen Gerichtsbeschluß, der den Irak-Krieg ächtet und ein für allemal unterstreicht, daß der Krieg und die Beihilfe dazu völkerrechts- und verfassungswidrig waren.

Es liegt auf der Hand, daß Roses Vorgesetzte im jetzigen Fall ebenfalls damit rechnen müssen, daß der Oberstleutnant den Instanzenweg voll ausschöpfen und bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen würde, um die Frage juristisch klären zu lassen, ob der am 9. März vom Bundestag beschlossene Tornado-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan aufgrund seiner Eingebundenheit in die Kriegführung der USA nicht wie diese völkerrechtswidrig und damit für alle beteiligten Bundeswehrsoldaten verfassungswidrig und strafbar sei. Die Bundeswehrführung mußte in dieser Frage - nach Ansicht ihres Sprechers, Oberstleutnant Treudes, eine "hochwichtige Angelegenheit" - zwischen zwei für sie unangenehmen Optionen wählen. Würde sie auf eine Pflichterfüllung Roses pochen mit disziplinar- wie militärstrafrechtlichen Druckmitteln, könnte am Ende eine für die Bundesregierung ähnlich unliebsame Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wie im Fall Pfaff stehen.

Sollte das höchste deutsche Verwaltungsgericht anläßlich des Falles einer vermeintlichen Diensteidverletzung eines Soldaten zu der Feststellung gelangen, der Tornadoeinsatz sei wie die sogenannte Antiterror-Kriegführung der USA in Afghanistan völkerrechtswidrig, wäre dieses Urteil zwar nicht für die Bundesregierung rechtlich verbindlich, würde die ohnehin bestehenden Akzeptanzprobleme jedoch noch massiv verstärken. Schon jetzt lehnt eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger den Tornado-Einsatz ab, und so muß in Berlin eigentlich damit gerechnet werden, daß Oberstleutnant Rose zwar der erste Soldat ist, der die Teilnahme am Afghanistan-Krieg verweigert, jedoch nicht der einzige bleiben wird.

Der Verein kritischer Soldaten "Darmstädter Signal" hat in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, daß Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung die Öffentlichkeit belogen habe mit seiner Behauptung, der Tornado-Einsatz sei kein Kampfeinsatz, worin ihm schon sein Amtsvorgänger Peter Struck widersprochen hatte. Der Darmstädter Arbeitskreis erklärte, Jung würde wider besseren Wissens die Behauptung aufstellen, der Tornado-Einsatz diene ausschließlich der "Aufklärung", so als ob dies ein Gegensatz zu einem Kampfeinsatz wäre. Gegenüber der jungen Welt führte Oberstleutnant Rose dazu aus:

Aber auch Herrn Jung müßte eigentlich klar sein, daß man keine Ziele bekämpfen kann, deren Standort und militärische Bedeutung zuvor nicht aufgeklärt wurden.

Dieser Sachverhalt und noch viel mehr würde vor Gericht und damit öffentlich zur Sprache gebracht werden, hätten Roses Vorgesetzte seinem Antrag, von der direkten Beteiligung an dem Afghanistaneinsatz entbunden zu werden, nicht entsprochen. Um zu vermeiden, daß ein Bundesgericht den gesamten Tornado-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan für verfassungswidrig erklären könnte, mußte die Bundeswehrführung zähneknirschend das Risiko in Kauf nehmen, daß nun umso mehr weitere Bundeswehrsoldaten diesem Präzedenzfall folgen werden. Die Argumente, mit denen in der Öffentlichkeit die Bewertung dieses Krieges als völkerrechtswidrig begründet wurde, sind so fundiert und schwerwiegend, daß jeder am Afghanistaneinsatz beteiligte Soldat sich schon im eigenen Interesse fragen muß, ob er nicht durch die Befolgung der entsprechenden Befehle eine weitaus größere Straftat begehen würde, als er es mit einem Disziplinarvergehen wie einer Befehlsverweigerung je könnte.


Erstveröffentlichung am 20. März 2007

18. April 2007



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