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DILJA/166: Kriegsermächtigung durch das Bundesverfassungsgericht (SB)


Klage gegen den Tornado-Einsatz in Afghanistan abgelehnt

Bundesverfassungsgericht erweist sich als verlängerter Arm von Bundeswehr und NATO


Der 3. Juli 2007 wird in die Geschichte des Bundesverfassungsgerichts als der Tag eingehen, an dem das höchste deutsche Gericht seine kriegbegünstigende "Recht"-Sprechung auf eine qualitativ neue Stufe gestellt hat. Eine Klage der Bundestagsfraktion der Linken gegen den Tornado-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wurde abgelehnt. Doch dabei ließ es das Karlruher Gericht nicht bewenden, lieferte es doch eine Begründung, die diesen wie mögliche weitere Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland durch seine verfassungsrechtlichen Weihen begünstigen wird. Die offensive Strategie der NATO, die ihren Anspruch, ein Verteidigungsbündnis zu sein, längst konterkariert hat durch eine Praxis, in der völkerrechtlich verbotene Angriffskriege in friedenserhaltende Maßnahmen umdefiniert wurden, wurde vom Bundesverfassungsgericht vollinhaltlich übernommen.

Damit bröckelt eine der letzten Fassaden des demokratischen Rechtsstaats. Das Bundesverfassungsgerichts, das im Geflecht rechtsstaatlicher Institutionen einen besonderen Rang annimmt, weil es beansprucht, über die Einhaltung des Grundgesetzes mit letztgültiger Urteilskraft zu wachen, untergräbt mit dieser Entscheidung die eigene Position und Glaubwürdigkeit, weil schwerlich in Abrede gestellt werden kann, daß es den eigentlich zu schützenden Verfassungsgrundsatz, in diesem Fall die strikte Begrenzung militärischer Maßnahmen auf den Zweck der Landesverteidigung, in sein Gegenteil verkehrt hat. Das Karlsruher Gericht hat sich in konsequenter Fortsetzung vorheriger Entscheidungen zum juristischen Wasserträger einer Kriegführungsstrategie der NATO gemacht, mit der Bundesregierung und Bundeswehr ohnehin längst konform gehen.

Der Zweite Senat hatte die von der Fraktion Die Linke vorgebrachte Klage für zulässig erachtet, womit die Partei im Unterschied zu den Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler (CSU) und Willy Wimmer (CDU) schon einmal die erste Hürde genommen hatte. Die beiden Abgeordneten waren mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Bundestages vom 9. März, in Afghanistan Tornado-Aufklärungsflugzeuge der Bundeswehr einzusetzen, gescheitert. Zur Begründung war angeführt worden, daß einzelne Abgeordnete in solchen Fällen nicht klagebefugt wären. Dieses Argument ließ sich gegen eine Bundestagsfraktion nicht ins Feld führen, und so kam das Bundesverfassungsgericht nicht umhin, die am 21. März eingereichte, ähnlich lautende Klage der Linken zur Entscheidung anzunehmen.

Am 31. März lehnte Karlsruhe einen Eilantrag der Linken gegen den Tornado-Einsatz ab, und so konnte wie geplant die Verlegung der Bundeswehrmaschinen nach Afghanistan sowie deren Indienstnahme durchgeführt werden. Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion und Völkerrechtler, hatte zur Begründung der Klage angeführt, daß die "widerspruchslose Übernahme des präventiven Verteidigungskonzeptes" der USA ein "schwerer Verstoß gegen den ursprünglichen Inhalt des NATO-Vertrages" sei. Paech hatte am 30. März vor dem Bundestag erklärt, das Bundesverfassungsgericht müsse prüfen, "inwiefern eine Umwandlung der NATO von einem reinen Verteidigungsbündnis in ein offensives Bündnis für globale Interventionen und Sicherheitsdienstleistungen vorliegt". Der NATO-Vertrag von 1955, so Paechs Argumentation, decke eine solche Änderung nicht, weshalb die Rechte des Bundestages verletzt wurden, weil eine solche Änderung dem Parlament nie zur Entscheidung vorgelegt worden ist.

Diese Argumentation ist ebenso plausibel wie stichhaltig und läßt sich, da sie an den Versprechungen und Behauptungen anknüpft, mit denen das einst als Verteidigungsgemeinschaft konzipierte Militärbündnis der führenden westlichen Staaten ins Leben gerufen worden war, eigentlich auch schwer aushebeln. Das Bundesverfassungsgericht hat sich jedoch den sprachregulativen Maßnahmen, mit denen seit 2001 auch in der offiziellen NATO-Strategie militärische Angriffe in (vorwärts-) "verteidigende" Maßnahmen umdeklariert wurden, unterworfen. Die Klage der Linken, gestellt in der Absicht, die völkerrechtswidrige Kriegsbeteiligung Deutschlands am Afghanistankrieg zu beenden, hat sich in gewisser Weise als Boomerang erwiesen, weil das Karlsruher Gericht diese Gelegenheit ergriff, um in einem konkreten Fall Grundsatzentscheidungen zu treffen, die eine Rückwirkung auf mögliche weitere Kriegseinsätze der Bundeswehr haben werden.

So gesteht das Bundesverfassungsgericht zwar zu, daß die Einbindung der Bundeswehr in die NATO gemäß Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes unter den Vorbehalt der Friedenswahrung gestellt ist. Doch damit ist im Sinne der Klägerin nicht das geringste gewonnen, da, wie der näheren Begründung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Entscheidung zu entnehmen ist, "Frieden" allein aus der erklärten Absicht des Angreifers rückgeschlossen werden könne. Mit anderen Worten: Sobald ein Militärbündnis wie die NATO behauptet, einen Kriegseinsatz außerhalb des eigenen Territoriums durchzuführen in der Absicht, Frieden und Sicherheit zu wahren, stellt dies keinen kriegerischen Akt, sondern eben irgendwie eine Friedensmaßnahme dar. Die NATO erklärt sich zur wohl größten Friedensbewegung der Welt, und das Bundesverfassungsgericht leistet ihr dabei Steigbügelhalterdienste. Konsequenterweise liest sich seine Urteilsbegründung dann auch nicht anders als entsprechende Verlautbarungen aus dem Brüsseler Hauptquartier der NATO. So behauptet der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in seiner Begründung:

1. Der NATO-geführte ISAF-Einsatz in Afghanistan dient der Sicherheit des euro-atlantischen Raums. Er bewegt sich damit innerhalb des Integrationsprogramms des NATO-Vertrags, wie es der Deutsche Bundestag im Wege des Zustimmungsgesetzes zu diesem Vertrag mitverantwortet.

(zit. n.: "Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet", junge Welt vom 04.07.2007, S. 3)

Dazu wurden noch weitere Ausführungen gemacht, die das Problem aus der Welt schaffen sollen, daß Kampfeinsätze der NATO zumindest einen "regionalen Bezug" aufweisen müßten, um als Verteidigungsmaßnahme deklariert werden zu können. So wird ins Feld geführt, daß die gemeinsame Abwehr des Bündnisses sehr wohl Angriffe auf das Territorium des "angreifenden Staates" beinhalten könnten:

a) Der regionale Bezug als Kernelement des Integrationsprogramms des NATO-Vertrags bedeutete von Beginn an nicht, daß militärische Einsätze der NATO auf das Gebiet der Vertragsstaaten beschränkt sein müßten. Mit dem Zweck der NATO als System mehrerer Staaten zur gemeinsamen Abwehr militärischer Angriffe von außen waren abwehrende militärische Einsätze außerhalb des Bündnisgebiets, nämlich auch auf dem Territorium eines angreifenden Staates, von vornherein impliziert. Insofern entspricht neben der militärischen Verteidigung gegen einen Angriff auch ein damit sachlich und zeitlich in Verbindung stehender komplementärer Krisenreaktionseinsatz auf dem Gebiet des angreifenden Staates noch der regionalen Begrenzung des NATO-Vertrags.

Diese Argumentation hat einen entscheidenden Fehler, der allerdings so schwerwiegend ist, daß er die Absicht des Gerichts, hier auf Biegen und Brechen eine Kriegsermächtigung für die Feldzüge der Bundeswehr in Gegenwart und Zukunft zu schaffen, offenlegt. Welcher Staat sollte denn, zumal es in der Entscheidung um den Tornado-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan geht, der "angreifende Staat" sein? Etwa das besetzte Afghanistan, dessen Karsai-Regierung so pro-westlich ist, wie es ein von den Okkupanten eingesetztes Stellvertreterregime nur sein kann? Dies kann schlecht zutreffen, zumal die Operationen der NATO keineswegs der regulären Armee Afghanistans gelten, sondern wahlweise den "Taliban" oder "Al Qaida", bei denen es sich jedoch auch nach westlichem Verständnis um Organisationen, nicht jedoch um Staaten handelt. Somit fällt der Argumentationsversuch des Bundesverfassungsgerichts in sich zusammen, da er auf den Fall, für den er ins Feld geführt wird, überhaupt nicht anwendbar ist.

Das hindert das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht daran, den Begriff "Sicherheit" in diesem Kontext so zu definieren, daß Kriegseinsätze in Afghanistan, aber auch anderswo, mit ihm gerechtfertigt werden können. So heißt es unter Punkt II 1. b) in der Begründung des Gerichts:

Eine Lösung der NATO von ihrem regionalen Bezugsrahmen kann in dem ISAF-Einsatz in Afghanistan nicht gesehen werden. Denn dieser Einsatz ist ersichtlich darauf ausgerichtet, nicht allein der Sicherheit Afghanistans, sondern auch und gerade der Sicherheit des euro-atlantischen Raums auch vor künftigen Angriffen zu dienen. Der ISAF-Einsatz hat von Beginn an das Ziel gehabt, den zivilen Wiederaufbau Afghanistans zu ermöglichen und zu sichern, um dadurch ein Wiedererstarken von Taliban, Al Qaida und anderen friedensgefährdenden Gruppierungen zu verhindern. Die Sicherheitsinteressen des euro-atlantischen Bündnisses sollten dadurch gewahrt werden, daß von einem stabilen afghanischen Staatswesen in Zukunft keine aggressive und friedensstörende Politik zu erwarten ist, sei es durch eigenes aktives Handeln dieses Staates, sei es durch duldendes Unterlassen im Hinblick auf terroristische Bestrebungen auf dem Staatsgebiet. Die Verantwortlichen im NATO-Rahmen durften und dürfen davon ausgehen, daß die Sicherung des zivilen Aufbaus Afghanistans auch einen unmittelbaren Beitrag zur eigenen Sicherheit im euro-atlantischen Raum leistet.

Diese Sätze stellen, verkürzt gesagt, eine friedenspolitische Katastrophe dar. Das höchste deutsche Gericht erteilt damit der Bundeswehr und im übertragenen Sinne auch der NATO die Lizenz, gegen Staaten militärisch vorzugehen, sprich sie anzugreifen, bis dort ein Staatswesen etabliert ist, von dem nach Ansicht der Angreifer "in Zukunft keine aggressive und friedensstörende Politik zu erwarten ist, sei es durch eigenes aktives Handeln dieses Staates, sei es durch duldendes Unterlassen im Hinblick auf terroristische Bestrebungen auf dem Staatsgebiet". Dies stellt in wenig verklausulierter Form eine Selbstermächtigung zur militärischen Alleinherrschaft der NATO-Staaten über den gesamten Erdball dar und kann gar nicht ernst und wörtlich genug genommen werden in Hinsicht auf die sich aufdrängende Schlußfolgerung, dann im zweiten, dritten und vierten Schritt auch in allen anderen Regionen der Welt, die noch nicht vollständig unter westlicher Kontrolle stehen, mit purer Waffengewalt willfährige Vasallenregime zu installieren.

4. Juli 2007



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