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DILJA/169: Das Volk soll nicht wissen, was die Regierung treibt (SB)


Ermittlungen nicht nur gegen Journalisten, sondern auch gegen Abgeordnete des Bundestages wegen "Geheimnisverrat"

Der Apparat schottet sich ab - parlamentarische Untersuchungsausschüsse an Desinformation der Regierung beteiligt


"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" - so steht es in Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes. Das "Volk" darf aber nicht wissen, was in seinem Namen und Auftrag von der "Staatsgewalt" unternommen wird - so steht es nirgends in der deutschen Verfassung. Ein solcher Satz wäre mit den dort niedergelegten Prinzipien, namentlich der in Artikel 20 Abs. 1 verankerten Behauptung, die Bundesrepublik Deutschland sei ein "demokratischer und sozialer Rechtsstaat", auch nicht zu vereinbaren. Aus einer solchen Verpflichtungserklärung müßte nämlich zwingend abgeleitet werden, daß die Ausübung hoheitlicher Rechte und staatlicher Gewalt nur von unten nach oben und keinesfalls in entgegengesetzter Richtung gerechtfertigt werden kann.

In einem demokratisch verfaßten Rechtsstaat kommt daher der Position der Abgeordneten eine unvergleichlich hohe Rolle zu, da sie als gewählte Volksvertreter die einzigen sind, die in diesem Konstrukt die Kluft zwischen dem Wahlvolk als dem eigentlichen Souverän und der Organe staatlicher Herrschaft auf demokratische Weise zu überbrücken imstande wären. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes den Abgeordneten des Deutschen Bundestages ins Stammbuch des parlamentarischen Lebens geschrieben, daß sie in "allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt" werden und als "Vertreter des ganzen Volkes an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sind, wie es in Artikel 38 GG heißt.

Zu den Aufgaben und Rechten des Bundestages gehört, wie in Artikel 44 (1) niedergelegt, das "Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt". "Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden", heißt es dort jedoch im unmittelbaren Anschluß. Da beißt sich die Katze in den Schwanz, denn wie soll ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß, in dem Abgeordnete arbeiten, die angeblich "nur ihrem Gewissen" unterworfen sind, die "erforderlichen Beweise" in "öffentlicher Verhandlung" erheben können, wenn "die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann"? Ein unauflösbarer Widerspruch, der den Verdacht erhärtet, es handele sich bei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen um ein Instrument, durch das bei aufkommender Kritik am Vorgehen staatlicher Organe ein Scheinmanöver durchgeführt wird, das einer aus einem solchen Disput womöglich erwachsenden außerparlamentarischen Opposition von vornherein den Wind aus den Segeln nehmen soll.

Ein solcher Untersuchungsausschuß wurde bekanntlich eingesetzt, nachdem öffentlich ruchbar geworden war bzw. nicht mehr verheimlicht werden konnte, daß deutsche Sicherheitsbehörden, namentlich der Bundesnachrichtendienst (BND), nicht nur den US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA bei dessen illegalen Handlungen unterstützt hatten, sondern daß deutsche Bundesbürger bzw. der in Bremen lebende Türke Murat Kurnaz unter Beteiligung deutscher Stellen verschleppt und schwersten Folterungen ausgesetzt worden sind. Die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses hat nun zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen geführt - allerdings nicht gegen beteiligte Politiker oder Amtsträger, sondern gegen 17 Journalisten. Bei ihnen soll es sich um namhafte Redakteure des "Spiegels", der "Frankfurter Rundschau", der "Süddeutschen Zeitung", der "tageszeitung", der "Welt" und der "Welt am Sonntag" handeln.

Ihnen wird "Beihilfe zum Geheimnisverrat" vorgeworfen, weil bislang nicht identifizierte Ausschußmitglieder als "vertraulich" eingestufte Informationen an die Presse weitergegeben haben sollen. Der Vorsitzende des BND-Untersuchungsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), monierte, die Parlamentarier hätten durch diese Weitergabe das öffentliche Meinungsklima in ihrem Interesse beeinflussen wollen, weshalb eine reguläre Ausschußarbeit zunehmend verhindert werde. Kauder hat diese Ermittlungslawine gegen die Journalisten losgetreten, auch wenn diese formal durch eine Ende Mai von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Geheimnisverrats erstattete Anzeige ausgelöst worden war. Kauder hatte dies dem Handelsblatt gegenüber damit zu begründen versucht, daß er "über nicht-öffentliche Unterlagen in der Presse mehr lesen konnte als in den Akten".

Diese Ermittlungen haben einen breiten Sturm der Entrüstung nach sich gezogen. Zu Verurteilungen werden sie kaum führen können, zumal, wie auch Kauder und Lammert bekannt sein müßte, das Bundesverfassungsgericht in seinem Cicero-Urteil festgelegt hat, daß Durchsuchungen und Beschlagnahmeaktionen gegen Journalisten verfassungsrechtlich unzulässig sind, wenn sie allein dem Zweck dienen, die Identität eines Informanten zu ermitteln. Der Informantenschutz ist demnach unmittelbar aus der Pressefreiheit abzuleiten, weshalb die Vermutung naheliegt, daß mit dieser Offensive zur Abschottung des Regierungsapparates Journalisten allein durch die gegen sie durchgeführten Ermittlungen eingeschüchtert und fürderhin von der Veröffentlichung brisanten Materials abgeschreckt werden sollen.

Max Stadler, Obmann der FDP im BND-Untersuchungsausschuß, machte sich diese Kritik zu eigen. Er erklärte, den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nur unter dem Vorbehalt, daß sie nicht gegen Journalisten durchgeführt werden, überhaupt zugestimmt zu haben. Er hob hervor, daß Paragraph 353b des Strafgesetzbuches, der die Weitergabe von Geheimnissen an Dritte unter Strafe stellt, nicht für Journalisten gelte und daß deren Aufgabe gerade darin bestünde, die Öffentlichkeit zu informieren. In einem am 4. August veröffentlichten Gespräch mit der jungen Welt legte er dar, daß nun "auch und vor allem" (!) gegen die "Mitarbeiter des Ausschusses ermittelt werden" müsse, "die vertrauliche bzw. geheime Informationen an die Presse weitergegeben haben." Diese Forderung wurde längst erfüllt, Ermittlungen gegen Abgeordnete wurden eingeleitet.

Auf die eigentliche Problematik, daß der oder die Ausschußmitglieder, die das von der Regierung als geheim eingestufte Material an die Presse weitergegeben haben, dies ihrem Gewissen gehorchend getan haben könnten, um sich nicht an einer von dem Untersuchungsausschuß mitgetragenen Vernebelungsaktion zu beteiligen, ging der FDP-Obmann mit keiner Silbe ein. Dabei machte er in diesem Gespräch immerhin darauf aufmerksam, daß die Bundesregierung ausgiebig von der Option, Akten und brisantes Material als geheim einzustufen, Gebrauch gemacht hat. Auf die Frage, ob die von Kauder erhobene Behauptung, "der Presse hätten mehr Informationen vorgelegen als dem Ausschuß selbst" stimmen würde, antwortete Stadler:

Diese Einschätzung von Herrn Kauder halte ich für übertrieben. Er wollte damit wohl bildhaft zum Ausdruck bringen, daß in größerem Umfang auch als vertraulich oder geheim eingestufte Akten an die Medien gelangt sind. Allerdings hat die Bundesregierung nach Auffassung der Opposition viel zu weitgehend Akten und Material als vertraulich oder geheim eingestuft. Deswegen haben die drei Oppositionsfraktionen gemeinsam vor einigen Wochen eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, damit die Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht durch ungerechtfertigte Einstufung von Material behindert wird.

Der Ausschußvorsitzende Kauder, so war zu vernehmen, habe sich darüber "geärgert", daß im Fall des von der CIA entführten Deutsch-Libanesen Khaled el Masri Informationen öffentlich bekannt geworden waren, die nach dem Willen der Bundesregierung geheimgehalten hätten bleiben sollen. Damit offenbart der Ausschußvorsitzende, daß ihm die Interessen der Bundesregierung wichtiger sind als die Aufklärung eines derart skandalösen Falles zum schweren Nachteil eines Bundesbürgers. Damit diskreditiert Kauder die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der offensichtlich entgegen seines eigentlichen Auftrages dafür Sorge tragen soll, daß keine der Regierung unangenehmen Informationen an die Öffentlichkeit geraten.

Das Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts mag Journalisten unter einen gewissen Schutz stellen, für Abgeordnete und Ausschußmitglieder trifft dies auf keinen Fall zu. Sie machen sich auch nach Auffassung auch des FDP-Innenpolitikers Stadler "zweifellos strafbar". Sie sind die "undichten Stellen", die Kauder zufolge die Arbeit des Ausschusses behindern, was seiner Meinung nach nicht hinzunehmen sei. Gegenüber dem Deutschlandfunk verwies Kauder auf Signale aus dem Bundeskanzleramt, denenzufolge künftig Ausschußmitglieder keine geheimen Akten mehr bekommen sollten.

Damit versucht der Apparat, die letzten Überbleibsel einer demokratischen Kontrolle zu vernichten. Die rechtlich unhaltbare Lage, sich als Abgeordneter in einem solchen Untersuchungsausschuß strafbar machen zu müssen, wenn man die Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung in dem zu untersuchenden Fall nicht akzeptieren kann, wird ebensowenig problematisiert wie gelöst. Im Gegenteil wird dieser höchstsensible Konflikt zwischen der behaupteten parlamentarischen Kontrolle und der faktischen Abschottungspolitik der Exekutive zum Anlaß genommen, den Mitgliedern parlamentarischer Untersuchungsausschüsse von vornherein brisantes Material vorzuenthalten. Dann jedoch kann nicht einmal mehr der minimalste Anschein einer wirksamen Kontrolle durch das Parlament aufrechterhalten werden. Das Volk soll ganz offensichtlich nicht wissen, was in seinem Namen geschieht.

6. August 2007



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