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DILJA/182: Der Apparat funktioniert - Oury Jallohs Tod bleibt ungeklärt (SB)


Der Polizei- und Justizapparat funktioniert reibungslos

Der Feuertod Oury Jallohs in einer Dessauer Polizeizelle bleibt unaufgeklärt - die angeklagten Polizisten wurden freigesprochen


Das Landgericht Dessau sprach am Montag zwei angeklagte Polizisten, den 46jährigen Polizei-Dienstgruppenleiter Andreas S. sowie den 44jährigen Streifenpolizisten Hans-Ulrich M., vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung bzw. Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen frei. Im Gerichtssaal kam es unmittelbar nach der Urteilsverkündung zu tumultartigen Szenen, weil aufgebrachte Zuschauer lautstark protestierten und zur Richterbank stürmen wollten. Auf der Richterbank saß der Vorsitzende Richter der 6. Strafkammer des Landgerichts Dessau, Manfred Steinhoff, der mit dieser Entscheidung sämtliche im Prozeßverlauf zuvor durch sein zum Teil engagiertes Auftreten gegenüber der Öffentlichkeit geschürten Hoffnungen auf eine tatsächliche Aufklärung des grausamen Feuertodes des damals 23jährigen Oury Jalloh sowie eine strafrechtliche Aufarbeitung zunichte machte.

Im Endeffekt schloß sich das Gericht nicht nur der Tathergangsversion der Staatsanwaltschaft in vollem Umfang an, sondern blieb mit seiner Urteilsentscheidung noch hinter deren Anträgen zurück. Das Landgericht Dessau machte sich somit den Standpunkt der Anklagebehörde zu eigen, demzufolge der junge Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone, der sich in der Bundesrepublik Deutschland um die Anerkennung als politischer Flüchtling bemüht hatte, am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle an den Folgen eines Brandes gestorben sei, den er selbst zuvor entzündet habe. Oberstaatsanwalt Christian Preissner kann sich nun durch das Gericht in seiner Behauptung, es gäbe "keine andere denkbare Variante als die, daß Oury Jalloh selbst das Feuer angezündet hat", bestätigt sehen, was angesichts der konkreten Umstände dieses Falles eine nahezu intelligenzbeleidigende und das landläufige Vertrauen in die Integrität von Polizei und Justiz über alle Maßen belastende Behauptung ist.

Nach Auffassung des Gerichts wird der Tod Oury Jallohs somit als ein "ganz tragischer Unglücksfall", wie Oberstaatsanwalt Preissner es formulierte, abgeheftet werden können. Das Leben des jungen Mannes, der in alkoholisiertem Zustand von der Polizei aufgegriffen und in Gewahrsam genommen worden war, ohne daß gegen ihn zu irgendeinem Zeitpunkt auch nur der Verdacht, eine Straftat begangen zu haben, erhoben worden war, hätte auch nach Auffassung der Anklagebehörde aller Voraussicht nach gerettet werden können, hätten die verantwortlichen Polizisten, genauer gesagt der Hauptangeklagte, der Dienstgruppenleiter Andreas S., schneller reagiert. Schon zu Beginn des Verfahrens, das nach über zweijähriger Verzögerungszeit am 27. März 2007 eröffnet worden war, hatte Oberstaatsanwalt Preissner dem für die Ingewahrsamnahme Jallohs hauptverantwortlichen Dienstgruppenleiter zum Vorwurf gemacht, daß er das Signal des Rauchmelders aus der Zelle gleich zweimal ausgeschaltet und ignoriert hatte.

Jalloh starb sechs Minuten nach Ausbruch des Feuers, weshalb die naheliegende Schlußfolgerung, daß sein Leben hätte gerettet werden können, wären die Polizisten nach der ersten Rauchmeldung zur Zelle geeilt, von der Ermittlungs- und Anklagebehörde schwerlich ignoriert werden konnte. Im Schlußplädoyer forderte Preissner folgerichtig eine Verurteilung des Hauptangeklagten wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen, stellte dabei jedoch sofort klar, daß sich dessen Verschulden seiner Auffassung nach "im niedrigen Bereich bewege" - so niedrig, daß die Staatsanwaltschaft eine Bestrafung durch eine Geldstrafe in Höhe von 4.800 Euro für angemessen hielt. Den mitangeklagten Streifenpolizisten, dem zunächst zum Vorwurf gemacht worden war, bei der körperlichen Durchsuchung Jallohs ein Feuerzeug übersehen zu haben, wollten Staatsanwaltschaft und Verteidigung gleichermaßen freigesprochen sehen. Das Gericht kam diesem Ansinnen nach, sprach jedoch auch den Hauptangeklagten frei, so daß auch auf diesem nicht einmal mehr der Vorwurf, den Tod eines Menschen - und sei es durch Fahrlässigkeit - verursacht zu haben, lastet.

Rechtsanwalt Felix Isensee, der als Nebenkläger den Bruder des Getöteten vertrat, stellte vollkommen zu Recht oder vielmehr vollkommen begründet fest, daß die These, Jalloh habe das Feuer selbst gelegt, "nicht beweisbar, sondern lediglich eine theoretische Möglichkeit" sei. Und zwar eine sehr, sehr theoretische. Oury Jalloh hatte sich in der unmittelbaren Zeit vor seinem Tod in einem stark alkoholisierten Zustand befunden. Ein Arzt hatte einen Alkoholgehalt von fast drei Promille festgestellt, weshalb der junge Mann aufgrund der Gewahrsamsordnung der Dessauer Polizei, die allerdings erst nach seinem Tod entsprechend geändert worden war, als ein medizinischer Fall in ärztliche Versorgung hätte gebracht werden müssen. In der Nacht zum 7. Januar 2005 hingegen wurde das spätere Todesopfer in eine vollkommen geflieste Ausnüchterungszelle gebracht, in der sich, wie während des Verfahrens eine Reinigungskraft als Zeugin bestätigte, kein weiterer Gegenstand außer einer Matratze befunden hatte.

An dieser wurde der junge Mann an Händen und Füßen "fixiert", so daß seine Bewegungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt waren. Eine zweite Obduktion des Leichnams, die erst auf Antrag der Anwälte der Familienangehörigen Jallohs durchgeführt wurde, hatte ergeben, daß der Leichnam ein gebrochenes Nasenbein sowie eine Mittelohrverletzung aufwies, somit Verletzungen, die Jalloh - auf welche Weise auch immer - vor dem Feuertod zugefügt oder "passiert" sein müßten. Die Zeugin, die die Zelle zuvor noch gereinigt hatte, sagte vor Gericht desweiteren aus, daß die Matratze, auf der Jalloh dann festgeschnallt worden war, unbeschädigt gewesen sei. Dieses Detail ist wesentlich, denn da die Matratze einen feuerfesten Bezug hatte und nicht beschädigt war, läßt sich schwer plausibel machen, wie es Jalloh hätte gelingen können, mit einem Feuerzeug, das er angeblich noch bei sich trug, weil der ihn durchsuchende und nun mitangeklagte Streifenpolizist es übersehen hatte, die Matratze zu entzünden und sich selbst damit in höchste Lebensgefahr zu bringen. Einer weiteren, nicht minder unplausiblen These zufolge soll Jalloh zunächst seine Kleidung entzündet haben, bis dann das Feuer auf die allerdings feuerfeste Matratze übergegriffen habe.

Der nun freigesprochene Streifenpolizist Hans-Ulrich M. hatte sich dem Vernehmen nach noch gut an diesen Fall erinnern können. Vor Gericht hatte er ausgesagt, daß er in Jallohs Taschen unter anderem ein Handy, eine Brieftasche und ein Taschentuch gefunden habe und daß mit Sicherheit kein Feuerzeug dabei gewesen wäre. Diese Einlassung ist keineswegs unglaubwürdig, und so konnte bis heute der naheliegende Verdacht nicht ausgeräumt werden, daß zu Lasten dieses Beamten eine eigentlich absurde These, nämlich die, daß ein an Händen und Füßen im Liegen fixierter Mensch ein Feuer legt, zu einem offiziellen Ermittlungsergebnis und im weiteren Verlauf auch zu einer gerichtlichen Feststellung ausgebaut werden sollte. Das Verhalten der Beamten nach Ausbruch des Feuers, so frag- und strafwürdig es auch immer sein mag, nahm im Verlauf des umfangreichen Verfahrens - in 22 Monaten wurden 60 Verhandlungstage abgehalten - den größten Raum ein, so als ob die Frage, ob denn das Feuer tatsächlich von dem Brandopfer selbst gelegt und somit ein Unglücksfall gewesen sei, tatsächlich zu irgendeinem Zeitpunkt zweifelsfrei hätte geklärt werden können.

Eine Rekonstruktion der Fesselung soll ergeben haben, daß es tatsächlich möglich gewesen wäre, daß der junge Mann ungeachtet seiner eingeschränkten Beweglichkeit ein - wenn überhaupt vorhandenes - Feuerzeug hätte entzünden können. Einmal angenommen, eine solche Möglichkeit bestünde tatsächlich - wie unwahrscheinlich und schwer vorstellbar auch immer -, hätte dies wohl kaum zur Entlastung eines Beschuldigten beitragen können, wenn diesem beispielsweise ein an einem Polizisten verübtes Tötungsdelikt vorgeworfen worden wäre. Der Fall Oury Jalloh weist jedoch auch auf der Indizien-, Beweis- oder womöglich Beweisvertuschungsebene bemerkenswerte Anhaltspunkte auf für den ohnehin naheliegenden Verdacht, hier solle möglicherweise ein Tötungsdelikt vertuscht werden.

Da die zur strafrechtlichen Entlastung der für die Gewahrsamnahme Jallohs verantwortlichen Polizisten essentielle Selbstmord-These in ihrem Kern von einem Feuerzeug abhing, wurde schließlich auch ein - verschmortes - Feuerzeug in der Zelle gefunden. Allerdings erst bei einer zweiten Zellendurchsuchung, weshalb die Möglichkeit, daß dieses wichtige Beweisstück erst nach Jallohs Feuertod in die Zelle gelegt worden sein könnte, nicht ausgeschlossen werden kann.

Ursprünglich hatte es auch eine Belastungszeugin aus den Reihen der Polizei gegeben. Beate H. schwächte ihre in einer ersten Vernehmung gemachten Aussagen vor Gericht erheblich ab. In dem zwei Jahre nach dem Vorfall überhaupt erst begonnenen Prozeß hatte sie erklärt, daß doch alles recht zügig verlaufen sei. In einer ersten Vernehmung hatte sie den hauptangeklagten Dienstgruppenleiter noch belastet durch die Aussage, daß dieser den Brandalarm zweimal weggedrückt sowie die Gegensprechanlage, aus der bereits laute Geräusche aus der Zelle zu vernehmen waren, leise gestellt habe. Laut Anklageschrift waren aus der Gegensprechanlage lautes Rufen, Schreien, Brüllen und metallische Rasselgeräusche zu hören gewesen. Der Hauptangeklagte soll jedoch den Ton leiser gestellt haben, damit er weiter telefonieren konnte. Seine Kollegin, die spätere Zeugin, drehte diesen dem Vernehmen nach wieder lauter und machte ihn auf die Geräusche aufmerksam.

Doch anstatt dem nachzugehen, soll der nun freigesprochene Dienstgruppenleiter auch die Signale des Rauchmelders weggedrückt haben, und erst als Feueralarm für den gesamten Zellentrakt gegeben wurde, sollen sich die Beamten in Bewegung gesetzt haben, wozu die Zeugin den Hauptangeklagten gedrängt hatte. In dem Verfahren vor dem Dessauer Landgericht wurde der Ermittlungsbeamte befragt, der Beate H. seinerzeit vernommen hatte. Sie habe, so der Zeuge, klar und deutlich ihre Angaben gemacht. Später wurde sie - gegen ihren Willen - versetzt. Vor Gericht traten jedoch noch weitere Unstimmigkeiten zutage. So hatte der Hauptangeklagte selbst ausgesagt, daß er in dieser Situation in Begleitung eines weiteren Kollegen versucht hatte, die Zellentür zu öffnen, daß ihnen jedoch aus der dann geöffneten Tür eine solche Rauchwolke entgegengekommen sei, daß es unmöglich gewesen wäre, die Zelle noch zu betreten.

Dieser Einlassung steht die Aussage eines Polizeikollegen entgegen. Gerhardt M. hatte vor Gericht erstmals eingeräumt, daß er selbst, nachdem der Hauptangeklagte die Zellentür geöffnet hatte, ungeachtet des starken Rauchs zwei Schritte in die Zelle hinein gemacht habe. Er habe noch den festgeschnallten Körper Jallohs gesehen und - vergeblich - versucht, die brennende Matratze zu löschen. Jalloh hätte, so der Zeuge, geholfen werden können, hätte man ihn sofort an Armen und Beinen losgebunden, doch er selbst habe keine Schlüssel für die Arm- und Fußfesseln gehabt. Die Schlüssel hätte nach Angaben dieses Polizeizeugen der Hauptangeklagte gehabt. Kaum ein Mensch wird hier nicht eins und eins zusammenzählen und Fragen stellen können, die in eine andere Richtung als die von Polizei und Justiz vorgegebene und höchst abstrus anmutende These, der gefesselte Jalloh habe sich selbst unter dubiosesten Umständen angezündet, deuten.

So blieb dem Vorsitzenden Richter der 6. Strafkammer des Landgerichts Dessau, Manfred Steinhoff, nichts anderes übrig, als die Flucht nach vorn anzutreten. Schon im August dieses Jahres bestätigte er, was die Unterstützer der Angehörigen des Opfers sowie weitere, auch internationale Prozeßbeobachter längst geargwöhnt hatten: "Ich habe den frustrierenden Eindruck, wir haben jetzt nur noch das Pflichtprogramm, um den Prozeß zu Ende zu führen." An anderer Stelle wurde der Richter noch deutlicher und erklärte angesichts der für jeden Anwesenden im Gerichtssaal unübersehbaren Lügen, Widersprüche und Unstimmigkeiten, daß ein demokratischer Rechtsstaat nicht damit leben könne, wenn Polizeibeamte vor Gericht die Unwahrheit sagen.

Den Hauptangeklagten forderte er mehrfach auf, seine Angaben zu überdenken und suchte ihm ins Gewissen zu reden mit dem Argument, daß er ein Beamter des Landes Sachsen-Anhalt sei und wir "in keiner Bananenrepublik" leben würden. Gefruchtet haben diese richterlichen Anwürfe nichts, sieht man einmal von der möglicherweise beabsichtigten Wirkung auf die kritische Öffentlichkeit ab, die sich womöglich veranlaßt sah, aus der Haltung des Richters entgegen des bisherigen Prozeßverlaufs doch noch auf eine lückenlose und schonungslose Aufklärung zu hoffen. Richter Steinhoff schien denn auch über alle Maßen motiviert gewesen zu sein, das Ansehen des Rechtsstaates zu verteidigen gegenüber den Schlußfolgerungen, die aus den Umständen dieses Falles und dem Auftreten des Angeklagten sowie der Polizeizeugen vor Gericht unweigerlich gezogen werden konnten [1]: "Ich werde den Prozeß in Grund und Boden verhandeln. Ich werde notfalls jeden Zeugen zehnmal vorladen. Irgendwann fällt jemand um."

Hier irrte der Richter, denn niemand "fiel um". Nach der Urteilsverkündung blieb Steinhoff seiner Linie treu. Es sei ein Skandal, so schimpfte er, daß Polizeibeamte unaufhörlich lügen und Ermittler schlampig arbeiten und daß er als Richter deshalb keine Chance habe, über den Sachverhalt zu urteilen. Das gesamte Verfahren sei nach Ansicht des Vorsitzenden Richters (!) eine "Ohrfeige für den Rechtsstaat" gewesen. Hier kann ihm schwerlich widersprochen werden; gleichwohl fällt natürlich sofort auf, daß die Konsequenz aus all dem, was er in seiner richterlichen Tirade angeprangert hat, der Freispruch für beide Angeklagten war. Diesen suchte Richter Steinhoff damit zu begründen, daß er anhand von Wahrscheinlichkeiten kein Urteil fällen könne. Dabei war, um daran noch einmal zu erinnern, den für die Ingewahrsamnahme Oury Jallohs verantwortlichen Polizeibeamten kein direktes Tötungsdelikt zum Vorwurf gemacht worden, sondern - basierend auf der mitnichten bewiesenen Selbstentzündungsthese - lediglich vorgehalten worden, nach Ausbruch des Feuers nicht schnell genug reagiert bzw. im Falle des mitangeklagten Streifenpolizisten, bei der körperlichen Durchsuchung Jallohs dessen angeblich vorhandenes Feuerzeug übersehen zu haben.

Unterm Strich gesehen bedeutet dieses Urteil, daß die Justiz der Polizei volle Rückendeckung gibt. Es darf sogar angenommen werden, daß ohne öffentlichen Druck dieses Strafverfahren nicht einmal stattgefunden hätte. Noch im November 2006 war eine Anklageerhebung abgelehnt worden und erst im Januar 2007, volle zwei Jahre nach dem furchtbaren Verbrennungstod eines jungen Menschen in einer Dessauer Polizeizelle, hatte das Landgericht Dessen entschieden, das Verfahren gegen die Polizisten durchzuführen. Zu dieser Entscheidung könnte die ARD-Dokumentation "Tod in der Zelle - warum starb Oury Jalloh?", die ein Jahr nach dessen Tod, im Januar 2006, ausgestrahlt worden war, ebenso beigetragen haben wie die von der SPD und der Linkspartei im Magdeburger Landtag sowie von Flüchtlingsinitiativen wiederholt gestellte Forderung nach einer umfassenden Aufklärung.

In einem anderen, ganz ähnlichen Fall ist es nicht einmal dem Anschein nach zu dem Versuch einer gerichtlichen Aufarbeitung gekommen. Im Jahre 2002 war in derselben Zelle und unter Verantwortung desselben Polizeidienstgruppenleiters schon einmal ein Mensch gestorben. Bei ihm hatte es sich um den 36jährigen Obdachlosen Mario Bichtermann gehandelt, der 15 Stunden im Polizeigewahrsam verbringen mußte und dies nicht überlebte. Sein Leichnam hatte laut Obduktionsbefund innere Verletzungen sowie einen Schädeldachbruch aufgewiesen. Ein Ermittlungsverfahren war eingestellt worden, ohne daß es zu weiteren Schritten oder gar einer Anklageerhebung oder einem Strafverfahren gegen die verantwortlichen Beamten gekommen wäre. In dem jetzigen Verfahren im Fall Jalloh konnte auch dieser zurückliegende Fall zur Sprache gebracht werden, freilich ohne daß dies zu weiteren Konsequenzen geführt hätte.

Nach dem Freispruch für die beiden Polizisten kündigte Rechtsanwalt Felix Isensee, der als Nebenkläger im Auftrag des Bruders von Oury Jalloh aufgetreten war, Revision an. Isensee stellte nach Urteilsverkündung gegenüber der Presse klar, daß die Generalkritik des Richters an der Polizei für ihn nicht ausreichend sei. Er stellte klar, daß es um den Vorwurf geht, daß Menschen in Polizeigewahrsam sterben und daß die Polizisten, in deren Obhut sie sich befinden, dafür verantwortlich sind. Das gehe, so Isensee, viel weiter als der Vorwurf, daß die Beamten vor Gericht lügen würden. Staatsanwaltschaft und Verteidigung zeigten sich, welch Wunder, zufrieden mit der Entscheidung des Dessauer Landgerichts. Auf der Strecke bleiben die Hoffnungen und Erwartungen all derer, die sich Aufklärung und eine strafrechtliche Sanktionierung der Verantwortlichen gewünscht hatten.

Der scheinbare Konflikt zwischen dem Ansehen des Rechtsstaates und den Anforderungen eines Korpsgeistes, der nicht nur innerhalb des Polizeiapparates, sondern im gesamten System der Repressionsorgane anzutreffen ist, und den Richter Steinhoff so eindrucksvoll beklagte, ist 1:0 für den Apparat ausgegangen, der auch in einem so krassen Fall wie dem des Todes von Oury Jalloh reibungslos zu funktionieren imstande ist. Wiewohl es dem Gericht prinzipiell zugute zuhalten wäre, "im Zweifel für den Angeklagten" entschieden zu haben, ist doch schwerlich nachzuvollziehen, worin denn die Zweifel daran, daß die verantwortlichen Beamten nach Ausbruch des Feuers nicht schnell genug reagiert haben, eigentlich bestanden haben sollen. Etwas anderes war ohnehin weder ermittelt noch angeklagt worden, und so hat das Landgericht Dessau mit seiner Feststellung, Oury Jalloh habe das ihn tötende Feuer zuvor selbst gelegt, die ihm in diesem Kontext offensichtlich obliegende Pflicht zur Selbsterhaltung des gesamten Apparates in vollem Umfang erfüllt.

[1] Zitiert aus der Presseerklärung von Pro Asyl "Gericht mit Aufklärung des qualvollen Verbrennungstods von Oury Jalloh im Polizeigewahrsam gescheitert!" vom 5. Dezember 2008, nachzulesen im Schattenblick im Pool BÜRGER UND GESELLSCHAFT\FAKTEN unter BERICHT/839: Aufklärung des Verbrennungstods von Oury Jalloh gescheitert

10. Dezember 2008



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