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DILJA/193: Justizmühlen - Politisches Einreiseverbot gegen Exiliraker aufgehoben (SB)


Das Berliner Verwaltungsgericht hebt nach drei Jahren politische Willkür-Maßnahme auf

2006 hatte der Berliner Senat gegen den irakischen Exilpolitiker Awni Al Kalemji ein bundesweites Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt


Während des völkerrechtswidrigen Überfalls der angloamerikanischen Kriegsallianz gegen den Irak im Jahre 2003 und der anschließenden militärischen Besetzung des Zweistromlandes nahm die deutsche Bundesregierung eine gewisse "Antikriegs"-Haltung in Anspruch. Gegenüber der bundesdeutschen Öffentlichkeit hätte eine offene Unterstützung dieses Krieges nach Auffassung der damaligen Schröder-Regierung ihr einen unkalkulierbaren Akzeptanzverlust einbringen können. Nachdem wenige Jahre zuvor die Rückkehr der Bundesrepublik in den Kreis kriegführender Staaten durch die Beteiligung an dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien vollzogen worden war, sollte die Bereitschaft der Bundesbürger, die damit eingeleitete Militarisierung hinzunehmen, offensichtlich nicht überstrapaziert werden. Daß den US-Streitkräften für den Krieg gegen den Irak gleichwohl Überflugsrechte gewährt und auch sonstige Unterstützungshandlungen geleistet wurden, offenbarte schon damals die Verlogenheit dieser Position, um von der uneingeschränkten Unterstützung an der propagandistischen Front, an der die Kriegslügen Washingtons uneingeschränkt nachgebetet wurden, gar nicht erst zu reden.

Die aktive Unterstützung Deutschlands für die angloamerikanischen Besatzer eines Landes, das, wie heute längst erwiesen ist und sogar von US-Präsident Bush zugegeben werden mußte, zu keinem Zeitpunkt die ihm unterstellten Massenvernichtungswaffen besessen oder entwickelt hatte, um derentwillen das Land damals angegriffen, besetzt und seiner politischen Führung beraubt wurde, ging jedoch noch weiter und erstreckte sich sogar, noch Jahre später, auch auf die innenpolitischen Verhältnisse in der Bundesrepublik. In einer freiheitlichen Demokratie mit grundgesetzlich geschützter Meinungs- und Pressefreiheit hätte niemals geschehen dürfen, was im Jahre 2006 mit dem exilirakischen Politiker Awni Al Kalemji geschah. Dieser lebt seit 1992 in Dänemark im Exil und ist Europa-Sprecher der 1992 in Schweden gegründeten Irakischen Patriotischen Allianz (IPA), einem Zusammenschluß panarabischer, kommunistischer und religiöser Organisationen.

2005 hatte Kalemji in Deutschland die Auffassung vertreten, daß er keine Möglichkeit sehe, die US-Truppen auf friedlichem Wege zu veranlassen, den Irak zu verlassen. Das geht, so Kalemji in einem in der jungen Welt am 14. März 2005 [1] veröffentlichten Interview, "nur über den bewaffneten Kampf". Da in der UN-Charta der Bevölkerung eines Landes, das auf völkerrechtswidrige Weise angegriffen wird, ausdrücklich das Recht zuerkannt wird, seine Souveränität und das Leben seiner Bewohner zu verteidigen, steht diese Auffassung eines irakischen Exilpolitikers im vollen Einklang mit völkerrechtlichen Bestimmungen. Dies hinderte deutsche Behörden allerdings nicht daran, mit aufenthaltsrechtlichen Maßregeln gegen Awni Al Kalemji vorzugehen. Fraglos zielten diese Willkürmaßnahmen auf einen irakischen Besatzungsgegner, der sich in Europa gegen die Verhältnisse in seinem Heimatland einsetzte. In oben genanntem Interview beantwortete er eine Frage zum Besatzungswiderstand der Iraker folgendermaßen:

In Deutschland herrscht bei vielen Menschen Unklarheit über den Widerstand der Iraker gegen die US-Besatzung. Vielfach hört man, der Widerstand setze sich aus drei Komponenten zusammen: Fanatische Islamisten, Anhänger des ehemaligen Staatschefs Saddam Hussein und Agenten des Terrornetzwerkes Al Qaida. Stimmt das so?

Dem Widerstand im Irak gehören sunnitische und schiitische Muslime ebenso wie Christen an. Zu ihm gehören Araber und Kurden - kurz: das gesamte irakische Volk leistet Widerstand. Daß auch Leute von Al Qaida dabei sind, ist lediglich eine Erfindung der USA, sie wollen damit nur die Besetzung des Landes legitimieren.

Im Jahre 2006 hätte Kalemji auf Einladung von Irakkriegsgegnern eine Vortragsreihe in sechs deutschen Städten halten sollen und wollen, doch daraus wurde nichts. Mit der Begründung, er habe in einem Kurzinterview gegenüber einem Springer-Journalisten erklärt, "wir müssen jeden Tag 100 militärische Operationen gegen die US-Truppen organisieren", leitete die Staatsschutzabteilung der Berliner Polizei im März 2006 Ermittlungen gegen den Exiliraker ein. In Hamburg erschien dann an dem vorgesehenen Versammlungsort ein Großaufgebot der Polizei, obwohl keine ausländerrechtliche Verfügung gegen Kalemji ergangen war. Kalemji wurde in Hamburg vorläufig festgenommen und abgeschoben; er konnte die Vortragsreise nicht durchführen. Ein halbes Jahr später wurde dieses Vorgehen sogar noch verschärft und ausgeweitet durch ein bundesweit gültiges Einreise- und Aufenthaltsverbot, das der rot-rote Berliner Senat gegen Kalemji verhängt hatte.

Der Hamburger Rechtsanwalt Heinz-Jürgen Schneider hatte bereits gegen die Abschiebungsverfügung im Namen seines Mandanten Kalemji sowie des "Komitees Freier Irak", das die Vortragsreihe mit ihm durchführen wollte, Beschwerde eingelegt. In dem Ablehnungsbescheid stellte die Ausländerbehörde daraufhin klar, was es mit der vorgeblichen Antikriegshaltung Deutschlands tatsächlich auf sich hatte. Sie übernahm vollinhaltlich Position und Argumentation der US-Besatzer, aus deren Sicht und nach deren Definition selbstverständlich jeder Widerstand gegen die Besatzung "terroristisch" ist. Rechtlich ist diese Argumentation nicht stichhaltig, denn selbstverständlich ist eine Position wie die Kalemjis, der sich für den bewaffneten Widerstand in seinem Heimatland gegen eine irreguläre Besatzungsmacht ausspricht, durch das Grundgesetz gedeckt.

Gleichwohl hatte die Berliner Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen "Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten" nach Paragraph 126 des Strafgesetzbuches gegen Kalemji eingeleitet. Wollte man dies ernstnehmen, müßte man akzeptieren, daß die Besatzungsrealität im Irak mit dem öffentlichen Frieden hier in der Bundesrepublik gleichzusetzen sei. Eine rechtliche Handhabe gegen einen ausländischen Politiker bietet das Aufenthaltsgesetz lediglich in Paragraph 47, in dem bestimmt wird, daß eine politische Betätigung verboten werden kann, wenn beispielsweise außenpolitische Interessen der Bundesrepublik durch etwaige Redeinhalte verletzt werden. Eine solche Verfügung wurde gegen Kalemji jedoch nicht verhängt, dennoch schob die Hamburger Polizei ihn mit der Begründung ab, er habe zu Straftaten aufgerufen.

Die durch Rechtsanwalt Schneider gegen das bundesweite Einreise- und Aufenthaltsverbot beim Berliner Verwaltungsgericht gegen den Berliner Senat eingereichte Klage Kalemjis wurde erst jetzt, rund drei Jahre später, verhandelt. Am Mittwoch hob das Verwaltungsgericht dieses Verbot kurzerhand wieder auf. Damit ist der Rechtsstandpunkt, den der von SPD und Linkspartei (!) gebildete Berliner Senat in dieser Frage eingenommen hat, per Gerichtsbeschluß für hinfällig erklärt worden. Das Land Berlin hatte in der Ausweisungsverfügung vom 27.9.2006 die Behauptung aufgestellt, daß die durch Kalemji geleistete politische Unterstützung des irakischen Widerstands die "öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt". Und weiter hieß es dort: "Kalemjis Billigung des Widerstands beinhaltet eine Beeinträchtigung der Grundinteressen der Gesellschaft, gerade wenn es um auswärtige Belange der BRD geht, hier das Verhältnis zum Irak und den USA." Die Tatsache, daß es ein solches Widerstandsrecht in der UN-Charta gibt, war den Berliner Behörden sehr wohl bewußt, doch sie zogen es vor, das Grundlagenwerk der Vereinten Nationen zu ignorieren. "Es kommt nicht darauf an, ob der bewaffnete Kampf im Einklang steht mit den Vorstellungen der Vereinten Nationen", hieß es in einer Stellungnahme vom 13.2.2007.

Die jetzige Aufhebung solch offensichtlich politisch begründeter Willkürakte durch das Berliner Verwaltungsgericht ist insofern zu begrüßen, als dadurch kein Präzedenzfall geschaffen wurde. An der politischen Realität in der Bundesrepublik Deutschland, mit Hilfe exekutiver und judikativer Maßnahmen einen politischen Standpunkt durchzusetzen, der als Unterstützung für eine illegitime Besatzung eines Drittstaates zu bezeichnen ist, wird damit jedoch keineswegs gebrochen. Die Behörden können Maßnahmen verhängen, auch wenn diese, wie in diesem Fall, offensichtlich unrechtmäßig sind. Die Mühlen der Justiz mahlen dann so langsam, daß die verhängten Maßnahmen ihre Wirkung nicht verfehlen, selbst wenn sie - Jahre später - nach (noch) geltender Rechtslage wieder aufgehoben werden müssen.

[1] "Nur bewaffneter Kampf wird USA aus Irak vertreiben", Interview mit Awni Al-Kalemji, von Gerd Feldkamp, junge Welt, 14.03.2005

12. Juni 2009



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