Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → MEINUNGEN

DILJA/207: Deutsch-israelische Freundschaft im Konflikt mit dem Grundgesetz (SB)


Die "Sicherheit Israels" zur Staatsräson Deutschlands zu erklären, ist durch das Grundgesetz nicht gedeckt

Die bevorstehende gemeinsame Kabinettssitzung israelischer und deutscher Regierungsmitglieder wäre ein Verfassungsbruch


Bekanntlich hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die "Sicherheit Israels" in jüngster Vergangenheit mehrfach als Teil der deutschen Staatsräson bezeichnet. In dieser Einschätzung kann sie sich mit dem neuen deutschen Außenminister Guido Westerwelle einig wissen, hatte dieser doch im deutschen Bundestag am 26. November in seiner anläßlich der Fortsetzung der Bundeswehrbeteiligung am UNIFIL-Einsatz im Libanon erklärt [1]:

Das ist für uns alle, denke ich, Staatsräson: Wir haben als Deutsche ein besonderes Verhältnis und eine besondere Partnerschaft zu dem Staat Israel. Daran gibt es nichts zu rütteln. Wir haben eine besondere Verantwortung, übrigens nicht nur aus historischen Gründen, sondern auch aus Gründen der Gegenwart und unserer gemeinsamen Zukunft.

Wenn die Chefin des deutschen Kabinetts im Einklang mit ihren Ministern und Ministerinnen die Sicherheitsinteressen eines anderen Staates nicht nur zu einem Ziel ihrer Regierung, zu dessen politischer, aber auch militärischer Verfolgung und Durchsetzung sie sich verpflichtet, sondern zu einem Bestandteil der Staatsräson erklärt, wirft dies nicht zuletzt auch verfassungsrechtliche Fragen von nicht geringfügiger politischer Brisanz auf. Laut Duden [2] handelt es sich bei der Staatsräson um den

Grundsatz, nach dem der Staat einen Anspruch darauf hat, seine Interessen unter Umständen auch unter Verletzung der Rechte des Einzelnen durchzusetzen, wenn dies im Sinne des Staatswohls für unbedingt notwendig erachtet wird.

Im deutschen Grundgesetz sucht man das Wort "Staatsräson" aus gutem Grund vergeblich. In ihm heißt es in Art. 1 (3):

Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Die von Bundeskanzlerin Merkel aufgestellte Bewertung, derzufolge die Sicherheitsinteressen Israels als Bestandteil einer deutschen Staatsräson anzusehen seien, stellt eine Mißachtung der Verfassung und der in ihr niedergelegten demokratischen Prinzipien schon allein deshalb dar, weil diese die im Grundgesetz verankerte Grundrechtsgarantie in ihrem Kerngehalt verletzt. Die Staatsgewalt geht nach Art. 20 (2) "vom Volke" aus und wird von diesem "durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung" ausgeübt, wobei nach Art. 20 (3) die "Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung" und "die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Recht und Gesetz gebunden" sind. Einschränkungen der Grundrechte, die das Grundgesetz sehr wohl ermöglicht und zuläßt, sind somit an (Verfassungs-) Recht und Gesetz gebunden.

Mit den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates wäre es somit unvereinbar, von Seiten des Staates in Eigenermächtigung die Rechte des Einzelnen mit der Begründung zu verletzen, dies sei im Interesse des Staatswohls unverzichtbar. Nicht einmal der Begriff "Staatswohl" ist im Grundgesetz, in dem in Art. 1 (1) die Achtung und der Schutz der für unantastbar erklärten Würde des Menschen zur "Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" bestimmt wird, verankert. Das Wohl des Staates, losgelöst von dem eigentlichen Souverän, sprich dem Volk, dessen Wohl in einem solchen Konzept hintangestellt werden müßte, dürfte in einem demokratischen Rechtsstaat keinen gesonderten Stellenwert einnehmen. Da das Grundgesetz weder Staatsräson noch Staatswohl anerkennt oder postuliert, könnte ersatzweise vermutet werden, daß die Bundeskanzlerin möglicherweise habe sagen wollen, daß die Sicherheit Israels ihrer Meinung nach zu den Staatszielen Deutschlands gehöre.

Staatsziele werden laut Duden Ziele genannt, zu deren Verfolgung der Staat laut Verfassung verpflichtet ist, woraus sich in banaler Logik ableiten läßt, daß es keine Staatszielbestimmung geben kann, die nicht im Grundgesetz verankert ist. Zu den bestehenden Staatszielbestimmungen, die keineswegs mit konkreten und individuell einklagbaren Rechtsansprüchen, wie sie beispielsweise aus den Grundrechten abzuleiten sein sollen, versehen sind, werden das Sozialstaatsprinzip und der Umweltschutz gerechnet. Diese Prinzipien sollen, so ist es gedacht, gleichwohl bindende Kräfte an den Gesetzgeber entfalten und einen Einfluß auf die Rechtsanwender in Justiz und Verwaltung ausüben. In einer gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat waren 1993 Empfehlungen ausgesprochen worden, den Umweltschutz und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie den Schutz ethnischer, kultureller und sprachlicher Minderheiten als Staatsziele ins Grundgesetz aufzunehmen; weitere Vorschläge in Hinsicht auf Arbeit, Bildung und Wohnen hatten keine Mehrheit gefunden.

Von außenpolitischen und militärischen Aspekten war in den Debatten um die Staatszielbestimmungen bislang nicht im mindesten die Rede. Die Annahme, Israels Sicherheit könnten als Staatszielbestimmung aufgefaßt oder bewertet werden, entbehrt somit jeglicher verfassungsrechtlicher Grundlage. Die Behauptung Merkels, die Sicherheit Israels sei Bestandteil der deutschen Staatsräson, bietet somit Anlaß zu großer Sorge, zumal gerade die israelische "Sicherheits"-Politik international ob ihrer zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen sowie ihrer völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik schwer in der Kritik steht. Die Ankündigung einer gemeinsamen Kabinettssitzung, an der am heutigen Montag in Berlin neben Vertretern der deutschen Bundesregierung der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Außenminister Avigdor Lieberman, Verteidigungsminister Ehud Barak, Finanzminister Juval Steinitz, Handelsminister Benjamin Ben Elieser, Umweltminister Gilad Erdan und Wissenschaftsminister Daniel Herschkowitz hätten teilnehmen sollen, sorgte bereits im Vorfeld für Proteste.

Am 17. März 2008 hatte in Israel eine erste, wie es hieß, gemeinsame Sitzung der Kabinette beider Länder stattgefunden. Auf dieser waren regelmäßige weitere Konsultationen vereinbart worden, um "das einzigartige Verhältnis zwischen Deutschland und Israel durch zukunftsorientierte politische Maßnahmen zu festigen" und die "strategischen Beziehungen zwischen unseren Staaten" zu verbessern. Aus politischer wie auch verfassungsrechtlicher Sicht sind derartige Gespräche höchst bedenklich. Sie stellen nicht nur eine Unterstützung der israelischen Kriegspolitik durch die deutsche Bundesregierung in einem Ausmaß dar, das die der übrigen westlichen Führungsstaaten noch übersteigt, sondern müssen Argwohn und fundamentale Ablehnung auch deshalb hervorrufen, weil damit der Eindruck erweckt wird, es könnte so etwas wie eine gemeinsame deutsch-israelische Regierungspolitik geben.

Es gehört zu den politischen Gepflogenheiten verbündeter oder auch nur befreundeter Staaten, daß ihre Regierungsvertreter miteinander in Kontakt treten und, in welchem Rahmen auch immer, miteinander kooperieren. Wenn jedoch, wie für die am Montag geplanten Gespräche anberaumt, die jeweiligen Ressort- und Regierungschefs miteinander konferieren und eine gemeinsame Kabinettssitzung aller Beteiligten abgehalten wird, muß die Frage gestellt werden, ob hier nicht eine Einflußnahme israelischer Regierungsvertreter auf die deutsche Bundesregierung (und umgekehrt) vorliegen könnte, die auf deutscher Seite in keiner Weise durch das Grundgesetz abgedeckt ist und deshalb einen Verfassungsbruch darstellen könnte. Israelische Kabinettsmitglieder in einem gemeinsamen Entscheidungsprozeß mit deutschen Regierungsangehörigen - das ist eine Vision, die ganz unabhängig von der Frage der durch Merkel beschworenen besonderen deutsch-israelischen Freundschaft die Alarmglocken aller Demokraten zum Schrillen bringen müßte; schließlich ist die Bundeskanzlerin, nicht jedoch ihr israelischer Amtskollege, gegenüber den vom eigentlichem Souverän gewählten Bundestagsabgeordneten verantwortlich.

Die geplante gemeinsame Kabinettssitzung fand am Montag allerdings nicht statt. Wie das Amt des israelischen Ministerpräsidenten mitteilte, habe sich Netanjahu am Sonntag nicht wohlgefühlt. Eine ärztliche Untersuchung habe eine von schwachem Fieber begleitete Virusinfektion festgestellt. Der Besuch in Berlin wurde deshalb kurzfristig abgesagt und auf Anfang kommenden Jahres verschoben, wie Regierungssprecher Ulrich Wilhelm in Berlin erklärte. Die Argumente und Einwände, die gegen solch gemeinsame Kabinettssitzungen sprechen, so als ob es ein gemeinsames Kabinett geben könnte, werden im Januar noch dieselben sein wie jetzt.

[1] Rede des Bundesaußenministers und FDP-Parteivorsitzenden Dr. Guido Westerwelle im Deutschen Bundestag, fdk - freie demokratische korrespondenz -/2009 - 26. November 2009

[2] Duden - Deutsches Universal-Wörterbuch, 6. Aufl., 2007

30. November 2009



Copyright 2009 by MA-Verlag
Nachdruck und Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.
Redaktion Schattenblick, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
Telefon 04837/90 26 98 · Fax 04837/90 26 97
E-Mail:ma-verlag.redakt.schattenblick@gmx.de
Internet:www.schattenblick.de