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DILJA/214: "Haßbrenner" - vorverurteilter Linksaktivist in Berlin freigesprochen (SB)


Freispruch für Christoph T. - Wer brennt denn da vor Haß?

Links gleich schuldig - Berliner Strafermittler praktizieren politisch motivierte Verfolgung


Am vergangenen Freitag sprach das Kammergericht Berlin den Angeklagten Christoph T. vom Vorwurf der Brandstiftung "aus tatsächlichen Gründen" frei und entschied zudem, daß der Betroffene für die gegen ihn verhängte über dreimonatige Untersuchungshaft zu entschädigen sei, weil er das gegen ihn durchgeführte Strafverfahren nicht, wie die zuständige Staatsanwaltschaft behauptet hatte, grob fahrlässig verursacht habe. Damit nahm ein Strafverfahren, das seitens der einschlägigen Presse nach Kräften befeuert worden war, indem von einem "Haßbrennerprozeß" die Rede war, ein für die Anklagebehörden durchaus unrühmliches Ende. Anlaß oder auch Vorwand für die dreimonatige Inhaftierung des von der Polizei als Linksaktivisten identifizierten Angeklagten war ein Vorfall vom 17. Juni 2009 in Berlin-Friedrichshain gewesen. In der Pettenkofer Straße war an diesem Abend ein VW Passat in Brand geraten, was seitens der Polizei sofort als Brandstiftung interpretiert worden war, obwohl die Möglichkeit, daß auch ein technischer Defekt als Brandverursacher in Frage gekommen sein könnte, zu keinem Zeitpunkt der Ermittlungen und späteren Strafverfolgung ausgeschlossen werden konnte.

Wie der Brandsachverständige Rabes in seinem Gutachten später feststellen sollte, hätte die Brandursache in einem Defekt im Bereich der Klimaanlage liegen können, was der Experte keineswegs als unwahrscheinlich einstufte. Da das Landeskriminalamt (LKA) jedoch keine ausreichende Brandursachenermittlung durchgeführt habe, so Rabes, sei die Brandursache ungeklärt geblieben. Diese Fakten werfen ein schlechtes Bild auf die polizeiliche Ermittlungsarbeit und sind geeignet, den Verdacht politisch motivierter Verfolgungsmaßnahmen gegen mutmaßliche Linksaktivisten zu erhärten. So hat die zuständige Brandermittlerin Krüger in dem Verfahren gegen Christoph T. selbst angegeben, über keinerlei technische Sachkenntnisse über Kfz-Brände zu verfügen. Die Vorsitzende Richterin am Berliner Kammergericht Cerener, die in ihrer mündlichen Urteilsbegründung eine "zweifelsfrei erfolgte Vorverurteilung durch die Presse" monierte, nahm zur polizeilichen Ermittlungsarbeit durchaus Stellung. Daß die Brandermittlerin nicht einmal unter die Motorhaube geschaut habe, sage schon alles, so die Richterin.

Um ein für allemal auszuschließen, daß bei einer etwaigen Nachuntersuchung des in Brand geratenen Fahrzeuges die Brandursachenermittlung womöglich noch hätte nachgeholt werden können, war der VW Passat alsbald zur Verschrottung freigegeben worden. Ob, wie vom LKA, das am fraglichen Abend die Anordnung zur Festnahme des Angeklagten sowie des gesondert verfolgten Tim H. gegeben hatte, offensichtlich angenommen, überhaupt eine Straftat (Brandstiftung) begangen worden war, ist somit bis heute nicht erwiesen. Darauf scheint es den Ermittlern bei Polizei und Staatsanwaltschaft jedoch auch nicht primär anzukommen, wenn es gilt, der Öffentlichkeit einen Fahndungserfolg bei den linken Tätern zugeordneten Kfz-Brandstiftungen präsentieren zu können. Christoph T. mußte, so stellt sich die Lage nach dem nun ergangenen Freispruch dar, drei Monate in Untersuchungshaft verbringen, weil er dem Täterprofil der Fahnder zu entsprechen schien.

So hatte in der am vergangenen Freitag vor dem Berliner Kammergericht durchgeführten Zeugenbefragung ein 44jähriger Polizeihauptkommissar ausgesagt, daß er am Abend des 17. Juni 2009 zusammen mit zwei Kollegen als "zivile Aufklärungsstreife" im Umfeld der Pettenkoferstraße im Einsatz gewesen sei, nachdem bei der Polizei die Meldung eingegangen sei, hier fände eine Aktion der linken Szene statt. Christoph T. und Tim H. hätten die Aufmerksamkeit der Zivilfahnder, die ihnen auf ihren weiteren Wegen folgten, auf sich gezogen, bis sie sich in der Bänschstraße zu einer Gruppe weiterer Personen gesellt hätten. Als über Funk die Meldung von dem in Brand geratenen Fahrzeug in der Pettenkoferstr. verbreitet wurde, habe der Polizeihauptkommissar seine Beobachtungen durchgegeben, woraufhin das LKA die Anweisung zur Festnahme von Christoph T. und Tim H. gegeben habe.

Ein konkreter Tatverdacht oder gar -nachweis läßt sich aus dieser Schilderung nicht im mindesten ableiten. Die Staatsanwaltschaft hatte den dringenden Tatverdacht damit zu begründen gesucht, daß beide sich durch Kleidungswechsel auffällig verhalten und zudem Lampenölrückstände an Händen und Kleidung gehabt hätten. Das Amtsgericht Tiergarten hatte sich am 18. Juni 2009 - ebenso wie zwei Wochen später das Landgericht - geweigert, auf der Basis dieser kaum als solche zu bezeichnenden Indizien wie von der Staatsanwaltschaft beantragt Haftbefehl gegen Christoph T. zu erlassen. Erst im dritten Anlauf war dies den Strafverfolgern gelungen. Der 4. Strafsenat des Berliner Kammergerichts hatte am 13. Juli Haftbefehl erlassen, woraufhin Christoph T. am 15. Juli verhaftet und in Untersuchungshaft gebracht worden war. Laut Anklageschrift waren in T's Wohnung Antifa-Flugblätter gefunden worden sowie weitere Materialien mit Bezügen zur linken Szene. Diese seien, so die Anklageschrift, der Beleg, daß sich der Beschuldigte "in der sog. linken Szene (bewege), die sich zum Ziel gesetzt hat, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, wie z.B. der sog. Gentrifizierung einzelner Stadtgebiete, dem Sozialabbau und dem Kapitalismus durch Anzünden vermeintlich hochwertiger Kraftfahrzeuge entgegenzuwirken" [1].

Daß eine solche "Beweisführung" vor Gericht keinen Bestand haben können würde, müßte den Ermittlungsbehörden eigentlich klar gewesen sein. Die übrigen Schein-Indizien fielen ebenfalls in sich zusammen, und so schloß sich die Vorsitzende Richterin in der faktischen Würdigung der Beweisaufnahme in allen Punkten der Argumentation der Verteidigung an. So führte Richterin Cerener in ihrer Urteilsbegründung an, daß der vom LKA Berlin beauftragte Sachverständige Dr. Geyer-Lipman zur Frage der Lampenöl-Anhaftungen an Händen und Kleidung des Angeklagten dargelegt hatte, daß eine solche Kontaminierung auch noch nach mehreren Wochen nachweisbar sei und deshalb überhaupt keine Rückschlüsse auf den Umgang mit etwaigen Brandbeschleunigern zur Tatzeit zuließen. Erschwerend war hinzugekommen, daß am Tatort überhaupt kein Lampenöl festgestellt worden war. Die Richterin monierte, daß die Ermittler, obwohl noch weitere Personen zur fraglichen Zeit in der Nähe des möglichen Tatorts gewesen seien, die Frage nach Alternativtätern überhaupt nicht aufgeworfen hatten. Das als verdächtig interpretierte Verhalten der späteren Beschuldigten könnte auch, so Richterin Cerener, auf die von diesen bemerkte polizeiliche Observation zurückgeführt werden und stellte nicht zwingend ein Indiz für die diesen unterstellte Verdunkelungsabsicht dar.

Kurzum, so könnte geschlußfolgert werden, ein Sieg für die Verteidigung auf ganzer Linie, wäre da nicht der naheliegende Verdacht, daß die Berliner Ermittlungsbehörden in diesem wie in vielen weiteren Fällen auch wohlwissend, daß der letztgültige Tatnachweis nicht möglich und deshalb ein Freispruch nicht zu verhindern ist, nach dem hier erkennbar werdenden Muster gegen Linksaktivisten vorgehen und per Untersuchungshaft das durchexerzieren, was im regulären Strafverfahren (noch?) nicht durchsetzbar ist. Dementsprechend verhalten fiel denn auch die Freude über den gegen Christoph T. ergangenen Freispruch bei dessen Unterstützern aus, wie folgendem Fazit einer Aktivistin zu entnehmen ist, die auf die Frage, ob dieser Freispruch den Kriminalisierungseifer von Polizei und Justiz bremsen können wird, antwortete [2]:

Fatalerweise ist nicht davon auszugehen, daß die Justiz angesichts dieser "Schlappe" zur Besinnung kommt. Sondern im Gegenteil - politische Prozesse werden auch noch in nächster Zeit seitens des Rechtsstaates zu erwarten sein. Angesichts dessen stellt sich für politische Gruppen sicherlich auch die Frage, wie mit solchen Justizmethoden umzugehen ist. Eine Verurteilung von politischen Aktivisten, für welchen absurden Tatbestand auch immer, scheint das immerwährende Maximalziel von Polizei und Justiz zu sein. Wir haben da aber nicht die Kräfteverhältnisse, das einfach abzuwehren, sondern müssen Gegenöffentlichkeit schaffen.

Anmerkungen

[1] Prozeßbericht der Engarde-Soligruppe über den 4. Prozeßtag im Verfahren gegen Christoph T., 7.3.2010,
http://engarde.blogsport.de/2010/03/07/4-prozesstag-christoph/#more-96

[2] "Mediale Hetzkampagne hat Wirkung nicht verfehlt", Trotz mangelnder Beweise: Staatsanwaltschaft wollte angeblichen "Haßbrenner" unbedingt verurteilen lassen. Gespräch mit Paula Breitscheidt, Interview: Lenny Reimann, junge Welt, 6.3.2010, S. 8

8. März 2010



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