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DILJA/230: Mord? Mehrere Deutsche in Pakistan durch US-Drohnenangriff getötet (SB)


Auf Verdacht getötet

Wie stellt sich die deutsche Bundesregierung zur Tötung mehrerer deutscher Staatsbürger durch einen CIA-Drohnenangriff in Pakistan?


Nach Pressemeldungen, die auf Angaben des pakistanischen Geheimdienstes beruhen, wurden am gestrigen Montag in Pakistan im Grenzgebiet zu Afghanistan acht deutsche Staatsangehörige durch einen US-Drohnenangriff getötet. Wie bereits am Montagabend verlautbart wurde, habe am selben Abend ein unbemanntes Flugzeug zwei Raketen auf ein Gehöft, das auch von den Deutschen benutzt worden sei, in dem unwegsamen Stammesgebiet Nord-Waziristans nahe der Ortschaft Mir Ali abgefeuert [1]. Nicht nur die acht Deutschen, auch drei Männer aus Turkmenistan seien bei diesem Angriff getötet worden. Einer der Bewohner habe gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters telefonisch erklärt, daß die Menschen "sich zum Gebet versammelt hatten, als die Raketen einschlugen" [1]. Eine offizielle Bestätigung für diesen tödlichen Drohnenangriff in Pakistan und damit in einem Land, gegen das weder die USA noch die Bundesrepublik Deutschland oder ein anderer NATO-Partnerstaat offiziell Krieg führt, gab es seitens des Auswärtigen Amtes zunächst nicht.

Doch auch am heutigen Dienstag stellte sich die Informationslage des deutschen Außenministeriums den Erklärungen einer Sprecherin zufolge, die gesagt hatte, daß es "bisher keine Erkenntnisse" gäbe und daß "daran gearbeitet" werde [2], um keinen Deut besser dar. Ein ranghoher pakistanischer Behördenvertreter, aber auch mehrere Bewohner aus der Region sollen erklärt haben, daß die deutschen Männer in diesem Gebiet seit einem oder eineinhalb Jahren gelebt hätten, "um die paschtunische Sprache zu lernen" [2]. Der US-amerikanische Fernsehsender Fox News hingegen gab unter Berufung auf nicht näher spezifizierte "Geheimdienstkreise" die Information weiter, daß die bei diesem Drohnenangriff getöteten Männer "im Besitz einer Liste mit Bauten in Deutschland und Frankreich" gewesen seien, "darunter das Brandenburger Tor, der Hauptbahnhof und der Fernsehturm am Alexanderplatz in Berlin sowie der Eiffelturm und die Notre-Dame-Kathedrale in Paris" [2].

Wenn nicht näher benannte "Geheimdienstkreise" als Quellen brisantester Informationen oder möglicherweise Falschinformationen genannt werden, ist mehr als Vorsicht geboten. In diesem Zusammenhang muß man wissen, daß der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA in vielen Teilen der Welt, so auch in Pakistan vornehmlich im Grenzgebiet zu Afghanistan, einen inoffiziellen Drohnenkrieg führt und Tötungsbefehle ausführt, deren rechtliche Legitimation nicht einmal in den USA selbst unumstritten ist. In der westlichen Presse hieß es desweiteren bezeichnenderweise, es habe sich bei den Toten "vermutlich um Deutsche" gehandelt, "die sich zur Terrorausbildung in der Region aufgehalten hätten" [3]. Nun wurden in Deutschland eigens zu dem Zweck, als Terrorhelfer verdächtigte Menschen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, auch wenn sie noch gar keine Straftat im engeren Wortverständnis begangen haben, Gesetzesverschärfungen durchgeführt, die den Besuch eines "Terrorcamps" oder eine auf die Begehung von Anschlägen abzielende Ausbildung unter Strafe stellen.

Hätten sich die, basierend auf Geheimdienstangaben unklarer Herkunft, in der Presse verbreiteten Behauptungen, die am Montag getöteten acht Deutschen hätten an einer solchen Terrorausbildung teilgenommen, bei einer etwaigen Festnahme, polizeilichen wie strafjuristischen Untersuchung als nachweisbar und stichhaltig erwiesen, hätten sie, etwa nach ihrer möglichen Rückkehr in die Bundesrepublik, vor Gericht gestellt und ggf. verurteilt werden können. Sie wurden jedoch auf den bloßen Verdacht hin getötet in einer Situation, in der die von der US-Drohne abgefeuerten Raketen die Getöteten überrascht haben dürften, war es doch offensichtlich nicht im mindesten eine Kampfsituation.

In den vergangenen Tagen hatten US-amerikanische wie auch britische Medien wiederholt vor angeblich durch Islamisten drohenden Anschlägen gewarnt. Am Sonntag, einen Tag vor dem für acht Deutsche tödlichen Drohnenangriff in Pakistan, hatten die Medien dieser Länder von einer erhöhten Anschlagsgefahr in Europa berichtet und behauptet, "Terroristen" in Pakistan würden Anschläge wie den von Mumbai 2008 in europäischen Städten vorbereiten. In einem seltsam anmutenden Mißverhältnis steht dazu die Erklärung von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere, derzufolge es "keine Hinweise auf bevorstehende Terrorattacken" [1] gäbe. Da bei den vom US-Sender Fox News unter Berufung auf dortige Sicherheitskreise genannten potentiellen Anschlagszielen der Berliner Hauptbahnhof, das Hotel Adlon am Brandenburger Tor sowie der Fernsehturm am Alexanderplatz explizit genannt worden waren [4], läßt die Erklärung des deutschen Bundesinnenministers, die nach einer Unterredung mit den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, des Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes erfolgte, eigentlich nur den Schluß zu, daß die US-Terrorwarnungen in deutschen Sicherheitskreisen nicht als glaubwürdig eingestuft werden.

Dies ist keineswegs abwegig, sollen die jüngst publizierten vermeintlichen Erkenntnisse, die zur Rechtfertigung des seitens der USA in jüngster Zeit noch intensivierten Drohnenkrieges insbesondere auch in Pakistan verbreitet worden sein könnten, doch, so die diesbezüglichen Angaben bei Fox, auf Informationen beruhen, die von einem im Juli in Kabul festgenommenen Deutsch-Pakistaner stammen sollen. Dieser wird seit geraumer Zeit in dem berüchtigten US-Gefängnis auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram "verhört" [5] und soll von Terrorplänen berichtet haben, die Al-Qaida-Chef Osama bin Laden persönlich abgesegnet und finanziert habe [3]. Wie die Berliner Zeitung berichtete, sind die deutschen Geheimdienste diesen vermeintlichen Enthüllungen gegenüber nicht nur mißtrauisch. "Vieles höre sich an wie aus dem Handbuch für Desinformation, hieß es gestern in Sicherheitskreisen" [4], so die Zeitung.

Es steht jedoch auch zu bezweifeln, ob die deutschen Dienste tatsächlich so unwissend und unbeteiligt sind, wie sie offensichtlich bemüht sind, den Anschein zu erwecken. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß im afghanischen Kriegsgebiet, daß seitens der USA längst auf Pakistan ausgeweitet wurde, eine stillschweigende Arbeitsteilung besteht zwischen den schmutzigen und den besonders schmutzigen Aufgaben einer solchen Kriegführung. Will heißen, daß die offiziellen Truppensteller der NATO-Staaten, die diesen Krieg unter OEF bzw. ISAF führen und ihren jeweiligen Parlamenten durchaus rechenschaftspflichtig sind, den offizielleren Part übernehmen, während die CIA, die im Unterschied zu den regulären Streitkräften keinerlei Rechenschaftspflicht kennt, den Drohnenkrieg führt und intensiviert.

Daß von den deutschen Stellen, aber auch in der hiesigen Presse und Öffentlichkeit bis heute nicht einmal die Frage aufgeworfen wurde, ob es sich bei den Tötungen der acht Bundesbürger im fernen Pakistan nicht um Tötungsdelikte, um nicht zu sagen Morde gehandelt haben könnte, spricht für sich und läßt vermuten, daß es eine stillschweigende Übereinkunft in Fragen gibt, über die vollständigen Aufschluß zu erlangen für die Öffentlichkeit eines demokratischen Staates wie der Bundesrepublik Deutschland so selbstverständlich sein müßte, daß es weiterer Worte an dieser Stelle nicht bedarf.


Anmerkungen

[1] Pakistanischer Geheimdienst: Acht deutsche Islamisten bei US-Drohnenangriff getötet, Hamburger Abendblatt, 4.10.2010, 22.46 Uhr,
http://www.abendblatt.de/politik/article1652187/Acht-deutsche-Islamisten-bei-US-Drohnenangriff-getoetet.html

[2] Pakistan: Noch mehr deutsche Islamisten getötet, dnews.de, 5.10.2010,
http://www.dnews.de/nachrichten/panorama/333828/pakistan-noch-mehr-deutsche-islamisten-getotet.html

[3] Anti-Terror-Kampf. Pakistaner melden tödlichen Drohnenangriff auf deutsche Islamisten, 04.10.2010,
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,721227,00.html

[4] Terrorgefahr. Minister wirft USA Alarmismus vor, Berliner Zeitung, 5.10.2010,
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/313212/313213.php

[5] Vor Anschlägen in Europa gewarnt, junge Welt, 5.10.2010, S. 6


5. Oktober 2010