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GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/008: Krieg der Bäume - Richtungswechsel ...    Aktivist Tim im Gespräch (SB)


Grafik: © 2017 by Schattenblick

Tim ist in der Besetzung des Hambacher Forstes aktiv und versucht, die Verteidigung des Waldes gegen den Braunkohletagebau und darüber hinausgehende Anliegen und Kämpfe in weiteren Kreisen bekannt zu machen. Bei einem Besuch im Hambacher Forst hat ihn der Schattenblick nach Sinn und Zweck dieser Info-Touren, die ihn auch in entlegene Regionen der Bundesrepublik führen, so zum Beispiel ins Wendland [1], und einer eher ungewöhnlichen Form von Öffentlichkeitsarbeit gefragt.


Auf der Brücke über der alten A 4 - Foto: © 2017 by Schattenblick

Tim auf der Rote-Linie-Aktion
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Tim, könntest du einmal erklären, was der Inhalt deiner Vorträge ist? Geht es immer um den Widerstand im Hambacher Forst?

Tim: Die Info-Veranstaltungen sind je nach Ort oder dem Wunsch der Gruppen, die mich einladen oder wo ich hinfahre, ganz unterschiedlich. So gehe ich zum Beispiel explizit auf Aktionsformen ein. Darüber, daß Braunkohle blöd ist, braucht man nicht mehr zu reden, sehr wohl aber darüber, was man dagegen tun kann. So schildere ich einfach die Erlebnisse der letzten Jahre hier im Rheinischen Braunkohlerevier, was es an Aktionen gab und wie sie durchgeführt wurden. Dazu gibt es ein bißchen Hintergrundwissen, was davor und danach passiert ist. Dann gibt es Veranstaltungen, wo ich einfach nur über die Braunkohle informiere, von der Feinstaubbelastung bis hin zu dem, was du hier erlebst und was dich permanent bedrückt. Ich berichte von dem Kraftwerk, den Förderbändern, dem Lärm, davon, daß der Wald verschwindet und ganze Dörfer abgebaggert werden, daß aber auch die Grubenranddörfer durch das Absacken des Grundwassers im Endeffekt Sprünge in den Hauswänden haben.

Es hängt also ganz individuell davon ab, ob ich eine Bürgerinitiative besuche, deren Mitglieder ihr Wissen etwas auffrischen möchten, oder ob es eine Veranstaltung an der Universität ist, wo das Publikum mehr ins Detail etwa der Funktionsweise eines Tagebaus gehen will, ohne das von vornherein abzulehnen. Ich bin da sehr individuell und offen und richte mich hauptsächlich nach dem Publikum.

SB: Wirst du eingeladen oder gehst du auch auf eigene Initiative vor?

Tim: Mal so, mal so. Es gibt halt Formen wie Infoveranstaltungen, die als Tour gepackt werden, indem man etwa plant, in diesem Zeitabschnitt so und so viele Städte auf einer bestimmten Route etwa nach Norddeutschland zu besuchen. Dann schreibe ich halt Gruppen dort an und sage, wir würden gern in anderthalb bis zwei Monaten eine Tour machen, habt ihr Interesse daran. Oder Gruppen schreiben uns explizit an oder Einzelpersonen sagen, ich würde gerne bei mir im Dorf einmal so eine Veranstaltung durchführen. Manchmal zeigen wir einen Film oder halten eine Leserunde aus dem Buch "Mit Baumhäusern gegen Bagger" [2] ab, das wir geschrieben haben. Ich lade mich ein und ich werde eingeladen.

SB: Du hast auch mit politischen Parteien Kontakt, unter anderem mit den Grünen. Kannst du einmal davon berichten?

Tim: Es gibt unterschiedlichste Vereinigungen in den Parteien wie Arbeitskreise oder Arbeitsgruppen, die zum Beispiel das Thema Klima bearbeiten und gerne mehr über den Widerstand hier erfahren wollen. Dann kann es halt sein, daß ich bei der Partei Die Linke oder bei deren Jugendorganisation bin oder bei der Grünen-Jugend Veranstaltungen mache und denen erkläre, was wir machen, was hier passiert und wie unser Organisationskonzept eigentlich aussieht. So zum Beispiel, daß wir uns horizontal zu bewegen versuchen und die Idee haben, eigentlich viele Gruppen in diesen Kampf zu involvieren, uns aber nicht von ihnen vereinnahmen zu lassen. Das ist manchmal eine Gratwanderung. Wenn zum Beispiel die Grünen in NRW sagen, okay, wir sind gegen Braunkohle, aber 2030 ist Ausstieg, und das würde für uns am Wahltag bedeuten, daß wir politisch tot sind, dann kann ich in diesen Veranstaltungen erklären, wie wir vorgehen. Ihr findet das vielleicht nicht toll, aber vielleicht gibt es in diesen Gruppen auch Menschen, die meinen, daß, man im Widerstand weitergehen muß. Es reicht nicht mehr aus, daß wir die ganze Zeit nur appellieren und den Weg der politischen Parteien gehen. Es gibt ja immer auch eine andere Sicht der Dinge.

So kann ich zum Beispiel auf Herrschaftskritik zu sprechen kommen, das ist der Knackpunkt. Wie können zusammen gegen Braunkohle vorgehen, auch mit den Bürgerinitiativen, aber man stellt ja auch die Frage, wie es danach weitergehen soll, in welcher sozialen Umwelt wir leben und ob wir die Wirtschaft der Profitmaximierung komplett über Bord schmeißen wollen.

Auf diese Weise können andere Wege aufgezeigt werden, die für die Partei gar nicht begründbar sind, weil sie mit ihrem staatlich legitimierten Parteischema unvereinbar sind. Sie können halt keine Aktionen machen wie zum Beispiel sich an einem Radlader festketten. Es geht darum ihnen zu zeigen, daß es noch mehr außer euch gibt, daß ihr euer Spektrum erweitern und andere Kräfte einbeziehen könnt. Das kommt eigentlich ganz gut an und führt zu sehr interessanten Diskussionen, meist bei den Jugendorganisationen der Parteien, auch bei Umweltorganisationen wie BUND oder Greenpeace oder NABU. Die meisten Jugendgruppen sind für diese Themen sehr offen, weil sie gerade anfangen und erkennen, wie kaputt diese Welt ist und daß wir irgend etwas dagegen tun müssen. Ihr erster Schritt besteht meist darin, daß sie online gehen und auf NGOs oder Parteien treffen. Wenn ich dort Veranstaltungen mache und den Jugendlichen zeige, wie wir leben und was wir machen, dann zeige ich ihnen auch, wie man agieren oder sich vielleicht sogar dieser Entwicklung effektiv entgegenstellen kann.

Zugleich ist aber auch die Frage wichtig, wie wir eigentlich zusammenleben wollen. Das fasziniert die meisten noch mehr, vor allem Jugendliche, die, so denke ich, noch nicht so dogmatisch und nicht so machtbesessen sind. Macht korrumpiert, und wenn man in der Partei aufsteigt und irgendwann im Landtag sitzt, dann heißt es halt Kompromisse zu machen. So schmeiße ich meine gesamten Überzeugungen, die ich hatte, über Bord, habe vielleicht noch ein halbes Prozent davon, das ist dann die Mülltrennung zu Hause und vielleicht der grüne Strom, und der Rest ist genau das, was ich als Jugendlicher eigentlich abgelehnt habe. Diese Leute möchte ich wachrütteln und sagen, hey, schlaft nicht ein, es geht permanent weiter, und ob ihr uns toll findet oder nicht, ob ihr jetzt Petitionen gegen uns oder für uns macht, im Endeffekt tragt ihr jedesmal meinen Protest mit.

SB: Ein Standardargument der politischen Parteien in NRW bei der Frage des Braunkohleausstieges betrifft die Sicherung von Arbeitsplätzen. Was entgegnest du darauf, wenn du damit konfrontiert wirst?

Tim: Die Frage nach den Jobs ist interessant, weil die meisten immer nur auf die heutige Situation schauen. Im letzten Jahr wurden jedoch knapp 50.000 Arbeitsplätze in der Solarbranche plattgemacht, ohne daß es Demos gab, weil sie keine gewerkschaftliche Lobby haben. Wenn in der Braunkohle 600 Kumpels ihren Job verlieren, dann karren sie alle nach Berlin und machen einen Schulterschluß mit Gabriel. Die alten Energieträger haben eine starke Gewerkschaft und ein starkes Bündnis, aber sind zu sehr mit den Parteien verflochten. Eigentlich wird nur mit Arbeitsplätzen argumentiert und mit Arbeitslosigkeit gedroht. Es wird kein Weg nach vorne gezeigt, sondern Angst geschürt, dem halte ich die gesellschaftliche Frage entgegen: Wie wollen wir uns allgemein organisieren, und zwar ohne Achtstundentag, der gehört nicht mehr zu meiner Welt? Wenn wir in Zukunft eine Welt schaffen wollen, bei der man noch eine Vorstellung davon hat, die über unsere Generation hinausgeht, dann haben wir ein viel sichereres Leben auf diesem Planeten als jetzt und natürlich auch Arbeitsplätze oder entsprechende Aufgaben. Die Menschen denken oft sehr einfach. Bei den Kumpeln geht es häufig um die Familientradition und weniger um die Arbeit. Das ist ein kulturelles Erbe in der Region, das war schon immer so und wird auch immer so sein.

Dabei hat RWE gar nicht so viele Arbeitsplätze geschaffen. Das ist zwar ein riesiger Konzern hier im Rheinland, der die gesamte Landschaft geprägt hat, aber sie schüren nur Angst, obwohl sie wissen, daß 2045 der Ausstieg und dann Schicht im Schacht ist, wenn man dem glauben darf, was beschlossen wurde. Ob der Arbeitsplatzverlust heute oder übermorgen oder in zehn Jahren stattfindet, ist doch völlig irrelevant. RWE wie auch die Regierung haben die Energiewende einfach massiv verpennt. Sie versuchen, sämtliche Formen, alternativ zu leben und auch Gemeinden, die sich selbst mit Strom versorgen, mit Gesetzen so zu verpacken, daß sie immer einspeisen und zahlen müssen, so daß die Subventionen für die Solarindustrie verlorengehen. Man hätte einen anderen Weg mit der Solarbranche gehen müssen. Hätte RWE dies getan, dann hätte der Konzern auch mehr Arbeitsplätze geschaffen. In der Lausitz wurde eine Fotovoltaik-Fabrik für den Braunkohletagebau abgebaggert, im Garzweiler Raum werden die Windkraftanlagen abgebaut.

SB: Geht es bei den Debatten auch um Postwachstum, also Wachstumskritik im Grundsatz?

Tim: Es kommt auf die Veranstaltung und die Gruppen an, wie das Gefühl dort gerade ist und welches Umfeld eingeladen wird. Wir haben manchmal rege Debatten darüber, was passiert wäre, wenn wir das alles nicht hätten. Wenn man von lebensfeindlichen Technologien und Verhältnissen wegkommen will, dann gehören Atomkraft, Chemiebranche und auch der Militarismus dazu. Wenn wir den Stecker ziehen und die Braunkohle hier aufhört, dann arbeiten auch andere Industrien nicht weiter, weil das eng miteinander verzahnt ist.

Dann kommt schon die Überlegung auf, was wir eigentlich machen wollen und ob das nicht ein Rückschritt für uns ist. Es gibt auch primitivistische Ansätze in der Diskussion, anstatt zu überlegen, ob das nicht dazu führen könnte, weniger zu arbeiten und viel mehr Zeit zu haben, mit unserer Gemeinschaft zu kommunizieren. Wir könnten uns ganz anders organisieren. Wir könnten wieder anfangen zu gärtnern, wir könnten auch im Kleinen auf dem Balkon Sachen anbauen und wieder wertzuschätzen lernen, wieviel Aufwand es ist, diese Kartoffel zu pflanzen, zu ernten, zu gießen, zu jäten. Das ist meistens der Knackpunkt bei der Postwachstumsdebatte - der Mensch ist durch dieses Konsumverhalten so entrückt, daß er nur das Ergebnis sieht, aber nicht weiß, was dahintersteckt, was für ein Aufwand bei der Produktion betrieben wird. Wenn die Leute sich erst einmal damit beschäftigen, wo ihr Essen herkommt, dann würden sie es vielleicht anders zu schätzen wissen und weniger wegschmeißen oder anders kochen, vielleicht frische Lebensmittel kaufen oder wieder Konservierungstechniken anwenden, anstatt Fertig-Pizza zu holen.

SB: Besteht bei euch allgemein ein Interesse daran, das Bewußtsein über die herrschenden Verwertungsbedingungen auch über die eigenen Zusammenhänge hinaus zu schärfen?

Tim: Ich glaube, jeder Mensch sieht die Auseinandersetzung damit anders. Wenn wir Veranstaltungen machen, dann auch bei Parteien und in Diskussionsrunden, bei denen wir vorher wissen, daß wir - gefühlt - an die Wand gestellt werden, weil die mit Fachbegriffen um sich schmeißen, bei denen keiner hinterherkommt, der nicht studiert hat. Aber ich glaube, daß es sehr wichtig ist, daß wir diesen Protest nach außen tragen. Sonst würden wir nicht dort sein, wo wir heute stehen, wo in ganz Europa Plakate über den Hambacher Forst hängen und sich die Landesregierung den Kopf zerbricht, wie sie mit uns umgehen soll. Das geht schon bis nach Berlin. Es ist schon lange her, daß eine - gefühlt - kleine Gruppe, die permanent wechselt, es schafft, so einen Lärm zu machen wie einst vielleicht in Gorleben. Die aber auch von vornherein klarstellt, daß wir nicht 30 Jahre warten wollen, bis wir den Atomausstieg haben oder 30 Jahre, bis wir den Kohleausstieg haben. Wir fordern ihn jetzt ein, wir fordern das Leben jetzt ein. Dieses Nachaußentragen und immer wieder Leute motivieren und zeigen, da passiert ja was, bedeutet nicht, daß ich die Leute hierher bringe. Ich wie auch andere Menschen hier möchten einfach nur, daß das Bewußtsein dafür geschärft wird, daß du nicht alleine bist, daß überall Kämpfe stattfinden.

Wir leben im 21. Jahrhundert in der Internetwelt. Ich weiß, wo auf diesem Planeten gerade Bäume besetzt werden. Ich weiß, wo Menschen sich querstellen, und ich weiß, selbst wenn ich alleine im Baumhaus sitze, sind da noch andere Menschen, die auch gerade frieren. Und das gibt einem Kraft. Ich glaube, mit diesen Veranstaltung nach außen zu gehen und immer wieder Artikel und ähnliches zu lesen gibt einem mehr Kraft. Wenn sie nicht über uns berichten würden, wären wir tot. In der Geschichte ist es schon geschehen, daß Proteste entweder denunziert wurden oder man gar nicht über sie berichtet hat. Das schaffen sie hier nicht. Mit jeder Aktion, die hier stattfindet, egal, wie kritisch sie von vielen gesehen wird, wird ein Signal nach außen gesendet: Stop, nicht weiter! Das hält bereits fünf Jahre, und das ist der Anfang.

SB: Tim, vielen Dank für das Gespräch.


Fotoausstellung und Infoaushang in der Waldbesetzung - Fotos: © 2017 by Schattenblick Fotoausstellung und Infoaushang in der Waldbesetzung - Fotos: © 2017 by Schattenblick Fotoausstellung und Infoaushang in der Waldbesetzung - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Wo die Info-Tour zuhause ist ...
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0026.html

[2] http://hambacherforst.blogsport.de/hambi-buch/


Beiträge zum Widerstand im Rheinischen Braunkohlerevier im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → REDAKTION → REPORT:

GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/001: Krieg der Bäume - Kohlebrand verschlingt das Land ... (SB)
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26. März 2017


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