Schattenblick → INFOPOOL → RELIGION → BUDDHISMUS


PRESSE/1006: Die Grundlagen des Buddhismus (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Juni - August 2017
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Die Grundlagen des Buddhismus

von Axel Rodeck


Das indische Umfeld

Es war der Philosoph Karl Jaspers, der für die Periode zwischen 800 und 200 vor unserer Zeitrechnung den Begriff "Achsenzeit" prägte. Dieser Ausdruck ist treffend, denn tatsächlich war jene Zeit vor rund 2500 Jahren eine Drehachse des menschlichen Denkens. Das mythische Zeitalter ging zuende und es begann ein Prozess, der zur Entstehung des heutigen Menschen führte. Religionsstifter und Denker entwarfen neue Leitbilder und formulierten ethische Ideale.

In Persien lehrte Zarathustra, in China Konfuzius und Laotse, in Griechenland Heraklit und Platon. In Indien wirkten die Zeitgenossen Mahavira und der Buddha. Überall in Asien erwuchsen aus Dörfern Städte mit regem sozialem und geistigem Leben; die geistige Entwicklung ging hier wie auch in anderen Ländern mit einer Änderung der sozialen Zustände einher.

In Indien waren die Entwicklung einer urbanen Kultur und der Untergang der vedischen Opferkulte festzustellen. Abseits von den blutigen Opferkulten hatte sich eine Bewegung gebildet, die sich unabhängig von der überlieferten Religion auf die Suche nach geistiger Erweckung machte. Zahlreiche Männer verließen ihre Familien, um als Asketen oder hauslose Wanderbettler einen Weg zur Erlösung vom Leiden zu suchen. Zu diesen besitzlosen Wanderbettlern gehörte auch der Sohn des Gouverneurs des nordindischen Sakya-Stammes Siddhartha Gautama, der als 29-jähriger seine Heimatstadt und Familie verlassen hatte.


Siddhartha Gautama - der spätere Buddha

Der junge Siddhartha - "Siddhartha" war sein Vorname, "Gautama" sein Familienname - war wohlbehütet im Palast seines Vaters aufgewachsen. Wie er selber später berichtete, führte er ein luxuriöses Leben und alles Elend der Welt wurde von ihm ferngehalten. Doch den grüblerischen jungen Mann befriedigte dies nicht.

Die Legende von den "Vier Ausfahrten" aus dem Palast faßt seinen Gesinnungswandel gut zusammen:

Bei der 1. Ausfahrt mit einer Kutsche trifft Siddhartha auf einen sich mühsam dahin schleppenden Greis. Vom Kutscher belehrt, dass jeder Mensch dem Alterungsprozess unterliegt, lässt er erschüttert kehrtmachen und fährt zurück.

Dasselbe geschieht bei der 2. Ausfahrt, als er einen Schwerkranken trifft, und bei der 3. Ausfahrt, als er auf einen im Staub liegenden Toten stößt.

Doch bei der 4. Ausfahrt begegnet er einem Zufriedenheit und Leidfreiheit ausstrahlenden Asketen und er beschließt, diesem Ideal zu folgen. Bei Nacht verläßt er heimlich den Palast und führt jahrelang mit wenigen Begleitern ein weltabgewandtes Leben voller Askese und Selbstquälerei.


Erleuchtung und Urlehre

Letztlich aber beendete Gautama, unterernährt und geschwächt, die Askese und widmete sich der Meditation. Dann, in der ersten Vollmondnacht des Monats Mai im Jahre 528 v. Chr, hatte der nunmehr 35-jährige Siddhartha Gautama in einem sich über 9 Stunden hinziehenden Prozess die Buddhaschaft erlangt. Was war der Inhalt der Buddhaerleuchtung? Gautama erinnerte sich an seine Vorexistenzen, durchschaute, daß die Wiedergeburt durch das bewusste Handeln (karman) verursacht wird, und erkannte die Leidhaftigkeit jeder Existenzform - aber auch, wie der Prozess der Wiedergeburt durch die Einhaltung ethischer Regeln zu einem Ende gebracht werden kann.

Mehrere Tage überlegte er, ob er seine "schwer durchschaubare, schwer zu begreifende Lehre" für sich behalten oder sie anderen Menschen darlegen solle. Der nunmehrige "Buddha" entschied sich für die Verkündung. Zunächst suchte er die fünf Kameraden seiner früheren Askesezeit auf, die bei Benares im Wildpark von Isipatana weilten. Ihrem Vorwurf, sich von der harten Askese losgesagt zu haben, begegnete Buddha mit der berühmten ersten Lehrrede, dem "Sutra vom Andrehen des Dharma-Rades".

Er führte aus, die richtige Methode liege nicht in den beiden Extremen Askese oder Sinnesfreuden, sondern in einem "Mittleren Weg". Damit bot er eine vernünftige Alternative zu den extremistischen religiösen Ideen seiner Zeit. Der Kern seiner Lehre, welcher durch alle Zeiten und Entwicklungen der Lehre erhalten geblieben ist, war die Lehre vom Leiden (Die sog. "vier edlen Wahrheiten"). Gemäß einer aus der indischen Medizin abgeleiteten Methode, wonach der Arzt zunächst nach der Krankheit, dann nach ihrer Ursache, sodann nach der Möglichkeit von ihrer Aufhebung und letztlich nach dem Heilmittel fragt, ging der Buddha systematisch vor. Er führte aus, alles Dasein sei Leiden, Ursache sei die Gier (auch "Durst" genannt) und Heilung könne folglich nur durch Beseitigung der Gier erreicht werden. Hierzu bot er als "Heilmittel" acht Regeln an, den "achtfältigen Pfad".


Die Vier Edlen Wahrheiten

Hören wir uns einmal den Originaltext der vier als "edel" bezeichneten Feststellungen des Buddha an. Er sagte als "1. Wahrheit":

"Dies, Mönche, ist die hohe Wahrheit vom Leiden: Geburt, Altern, Krankheit und Tod sind leidhaft. Trauer, Jammer, Schmerz Gram und Verzweifelung sind leidhaft. Mit Unliebem vereint oder von Liebem getrennt sein ist leidhaft. Begehrtes nicht erlangen ist leidhaft. Kurz: alles, aus dem sich die empirische Person zusammen setzt, ist leidhaft."

Natürlich übersah der Buddha nicht, dass das Leben auch Freude mit sich bringt. Aber alle Glücksmomente sind vergänglich und wir leiden darunter, dass wir uns an ihnen festzuklammern versuchen. Und selbst wenn ein Glückspilz ein Leben voller Glück und Freude gehabt haben sollte - dem Tod könnte auch er nicht entgehen.

Mit der "2. Wahrheit" benennt der Buddha den Grund unseres Leidens:

"Dies, Mönche, ist die hohe Wahrheit von der Ursache des Leidens. Es ist die Wiedergeburt bewirkende, mit Leidenschaft verbundene Gier, die hier und dort Gefallen findet, nämlich die Gier nach Lust, die Gier nach Werden, die Gier nach Vernichtung."

Modern ausgedrückt: Wir wollen alles haben, was uns Lustgewinn bringt, und alles abwehren, was uns daran hindert. Und der mächtigste Drang ist der nach - möglichst langem - Leben, nach indischer Auffassung auch in künftiger Existenz.

Die "3. Wahrheit" folgt logisch aus der "2. Wahrheit":

"Dies, Mönche, ist die hohe Wahrheit von der Aufhebung des Leidens: Die restlose Aufhebung, Vernichtung und Aufgabe dieser Gier."

Wenn wir also aufgeben, nach den Schätzen der Welt zu streben und alles zu bekämpfen, was uns daran hindert, können wir die Ursache des Leidens in den Griff kriegen.

Damit kommen wir zur "4. Wahrheit", die dem Heilssucher einen praktischen Weg weist, der aus 8 Stufen besteht.

1. Am Anfang des Weges steht die "rechte Ansicht", d.h. die Erkenntnis von der oben geschilderten Leidhaftigkeit der Welt mit der Konsequenz, dem Buddhaweg zu folgen.

Nun gilt es, 2., eine "rechte Gesinnung" als neue Grundeinstellung zu gewinnen, also sich um ein Leben mit Bescheidenheit und Friedfertigkeit zu bemühen.

Die Stufen 3 - 5 betreffen ethisches Verhalten, nämlich

3. rechte Rede, insbesondere das Vermeiden von Lüge und Verleumdung,

4. rechtes Verhalten, insbesondere das Unterlassen von Mord, Diebstahl und allen anderen auch von staatlicher Seite inkriminierten Handlungen, sowie

5. rechten Lebensunterhalt, also einen Beruf, der keinen Wesen Schmerzen bereitet. Die letzten Stufen 6 - 8 sind dann der Meditation gewidmet:

6. rechte Anstrengung, das bedeutet eine geistige Übung, unheilvolle Emotionen zu erkennen und zu unterdrücken. Denn sie sind die Ursache für leidhafte Handlungen.

7. Rechte Achtsamkeit bedeutet tiefe Erkenntnis des Wesens der Dinge, insbesondere ihrer Vergänglichkeit. Schließlich

8. die rechte Konzentration, die zur Erlösung führende höchste Meditation.


Die Lehre vom Nicht-Ich

Neben der Wahrheit vom existentiellen Leiden verkündete der Buddha eine weitere Erkenntnis, die ihn bei den Brahmanen unbeliebt machte und auch heute noch für Erstaunen sorgt: Die Erkenntnis vom Nichtvorhandensein einer Seele, vom Nicht-Ich.

Die Upanishaden gingen von der Existenz einer Seele aus, welche den Tod überdauert und sich immer wieder inkarniert, also "ewig" ist. Es handelt sich dabei um eine feinstoffliche Substanz, eine "Monade", also nicht nur um etwas rein Geistiges. Diese Substanz enthält die Fähigkeit zur Speicherung von Wahrnehmungen und Empfindungen, sie speichert auch die Sinneseindrücke, die aus eigenen Handlungen resultieren, also das sog. "Karma".

Der Buddha lehnte jedoch die Seelenlehre der Brahmanen ab. Er vertrat stattdessen die sonst nur von den Materialisten gehegte Auffassung, eine ewige Seele, ein "Ich", sei in den Wesen nicht zu finden. Zu dieser Erkenntnis kam er durch eine Analyse der fünf sog. "Skandhas" jener Zusammenklumpung von Daseinsfaktoren - vergleichbar unseren "Atomen" - die die empirische Persönlichkeit bilden. Es handelt sich um den Körper als physischen Daseinsfaktor sowie die nichtphysischen Daseinsfaktoren Empfindung, Wahrnehmung, Geistesregungen und Bewusstsein. Alle diese fünf Daseinsfaktoren sind vergänglich und unterliegen dem Zerfall. Folglich gibt es im Menschen kein den Tod überdauerndes Etwas, die Person ist ohne Seele (Pali "anatta").

Hinsichtlich der Wiedergeburtslehre unterscheidet sich der Buddhismus also vom Hinduismus darin, dass er gemäß dem Prinzip der Vergänglichkeit alles Irdischen die Existenz von ewigen, zur Wiedergeburt gelangenden Geistmonaden bestreitet. Die Wiedergeburtenkette wird gemäß Buddhas Lehre bewirkt durch einen Konditionismus der Daseinsformen, wonach jede Wiedergeburt eine weitere bedingt. Nach diesem System geht also keine irgendwie geartete Seele in die neue Existenz über, sondern letztere wird konditional geprägt durch die Eindrücke, die der Sterbende hinterlässt. Das Bewusstsein der vorigen Existenz prägt das neue Bewusstsein, ohne jedoch mit ihm identisch zu sein.

Die Lehre Buddhas vom Nichtvorhandensein einer ewigen Seele deckt sich mit heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis, dass das "Ich" nur ein Bündel verschiedener Perzeptionen ist, die einander mit unbegreiflicher Schnelligkeit folgen und ständig in Fluss und Bewegung sind. Die Welt ist nicht, sondern sie geschieht.

Offenbar ist es so, dass auch die moderne Forschung das Vorhandensein einer Seele leugnet: Wenn sich immer mehr psychische Funktionen eindeutig materiell in gewissen Teilen des Gehirns verankern lassen, muß ihre Zuordnung zur Seele im Sinn einer vom materiellen Gehirn unabhängigen Substanz aufgegeben werden. Genau dies ist der Fall. Die Fähigkeit zu bewusster Wahrnehmung erklärt sich offensichtlich aus den physikalisch-neuronalen Abläufen in den Sinnesorganen und den entsprechenden Zentren des Gehirns. Dann müssten die Vertreter des Seelenglaubens aber schon plausibel machen, wie und warum eine vom Körper unabhängige Seele noch eine zusätzliche Wahrnehmungsfähigkeit besitzen sollte.


Das Heilsziel

Wohin führt also nun der Weg, den uns der Buddha so warm empfiehlt?

Zentrales Problem aller Universalreligionen ist die "Erlösung", also das Angebot eines Heils, welches an die Stelle des existenziellen Unheils treten soll. Der Buddhismus setzt als Heilsziel die Befreiung aus dem Kreislauf des mit ständigem Leiden verbundenen Daseins, das "Nirvana". "Nirvana" bedeutet "Verlöschen" und bezeichnet sowohl den Vorgang des Erlöschens als auch den Zustand des Erloschenseins. Mit Worten ist das Nirvana nicht (positiv) zu beschreiben. Denn es ist eine typisch mystische Heilsgröße, von der die Mystiker aller Kulturen nur in Negationen sprechen, weil ihnen die Inadäquatheit von Begriffen gegenüber dem Absoluten bewusst ist.

In diesem Sprachgebrauch ist Nirvana das Ungeborene und Ungeschaffene. Es ist das Versiegen der Triebkräfte Gier, Hass und Verblendung, das Ende weiteren Geborenwerdens und Sterbens. Doch man wird, wie der Religionswissenschaftler G. Mensching hervorhebt, "ohne eigene Erfahrung diesem Erlösungsereignis nachfühlend nur gerecht werden können, wenn man, was da im Erlösten geschieht, als das irrationale Aufbrechen verdeckter numinoser Wirklichkeit aus der Tiefenschicht menschlicher Existenz zu verstehen versucht."

Das Heilsziel "Nirvana" ist, jedenfalls nach Buddha Gautamas ursprünglicher Lehre, mühsam zu erarbeiten und die meisten Buddhisten werden sich in der Praxis damit begnügen, zunächst einmal eine bessere Wiedergeburt zu erlangen. Für den engagierten Heilssucher dagegen gibt es auf dem Wege zur Heiligkeit vier Stufen: den "Stromeintritt" mit höchstens noch sieben Wiedergeburten, den "Einmalwiederkehrer" mit noch einer Wiedergeburt, den "Nichtwiederkehrer" mit Wiedergeburt in der Himmelswelt und schließlich den "Heiligen", der - schon in dieser Welt - ins Nirvana eintritt. Denn Erlösung besteht in einem Zustand von Glück und Ruhe schon während dieses Lebens, und, wenn dieses zu Ende geht, darin, nicht wiedergeboren zu werden.


Schulrichtungen

Die von Gautama geschaffenen Grundlehren werden von allen späteren Schulen anerkannt und bildeten den Keim künftiger Entwicklungen. Alle späteren Neuerungen betreffen nicht die Axiome und die Kernlehre des Buddhismus, sondern nur den für empfehlenswert gehaltenen Heilsweg.

Man teilt den Buddhismus heute in 3 Hauptrichtungen ein, die als "Fahrzeuge" (yanas) bezeichnet werden: Das "Kleine Fahrzeug" (Hinayana) beruht hauptsächlich auf den Lehrreden des historischen Buddha Gautama; das "Große Fahrzeug" (Mahayana) ist die nach Ostasien weiter gezogene Entwicklung mit "Bodhisattvas" als Erlösungshelfern und das "Vajrayana" (Diamantfahrzeug) ist eine tibetische Version des Buddhismus.

*

Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
49. Jahrgang, Juni - August 2017, Nr. 2, Seite 6 - 11
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de
 
"Der Mittlere Weg - majjhima-patipada" erscheint
nach Bedarf und ist für Mitglieder kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang