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PRESSE/625: Flüchtlingskinder in der Obhut des Dalai Lama (Securvital)


Securvital 4/2007 - Juli/August
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Flüchtlingskinder aus Tibet
In der Obhut des Dalai Lama

Von Norbert Schnorbach


Tausende von Tibetern fliehen jedes Jahr aus ihrer Heimat - auf der Flucht vor den Chinesen, die die tibetische Kultur unterdrücken. Viele Kinder finden Zuflucht in Nordindien.


Tenzin G. war 13 Jahre alt, als er in tagelangen Fußmärschen durch Eis und Schnee über die 5.000 Meter hohen Pässe des Himalaya flüchtete. "In unserer Gruppe waren zwanzig Erwachsene und sieben Kinder, das jüngste zehn Jahre alt", berichtet Tenzin. "Die ersten zwei Tage ab Lhasa konnten wir auf einem Lastwagen fahren. Dann gingen wir neun Tage lang zu Fuß über die Schneeberge. Danach konnten alle Kinder vor lauter Erschöpfung nicht mehr weitergehen. Meine Füße waren entzündet und durch die Kälte und Infektion völlig taub geworden. Ich bekam hohes Fieber und die Erwachsenen trugen mich abwechselnd auf dem Rücken."

Fast 30 Tage lang dauerte diese Flucht über den Himalaya, bis die Gruppe das Flüchtlingszentrum erreichte. Tenzin kam ins Krankenhaus und lebt nun im Norden Indiens, wo unter der Obhut des Dalai Lama Heime und Schulen für tibetische Flüchtlinge errichtet wurden. Mehrere tausend Kinder, deren Eltern umkamen oder in Tibet zurückbleiben mussten, haben im Tibetan Children's Village, einem Kinderdorf nach dem Modell der SOS-Kinderdörfer Zuflucht gefunden.


Exil in Indien

Seitdem der Dalai Lama im Jahr 1959 vor den chinesischen Besatzern aus Tibet flüchtete und sich im nordindischen Ort Dharamsala im Exil ansiedelte, ebbte der Flüchtlingsstrom nicht mehr ab. Tausende von Tibetern flüchten jedes Jahr über die Berge nach Süden, darunter viele Kinder. Sie leiden besonders unter der chinesischen Besatzung, die die tibetische Kultur und Religion, Sprache und Medizin ausgrenzt und unterdrückt.

Die 17jährige Choedak aus der Provinz Qinghai berichtet, dass sie als Kind einer armen Bauernfamilie keine Chance auf Schulbildung hatte. "Meine Eltern mussten Strafen zahlen, weil wir fünf Geschwister waren - die Behörden hatten eine Obergrenze von drei Kindern pro Familie festgelegt." Weil die Familie das Geld für die Strafe nicht aufbringen konnte, entschlossen sich die Eltern zur Flucht nach Indien, wo mittlerweile bereits 100.000 Tibeter als Flüchtlinge im Exil leben.

Angesichts der sozialen Lage der Flüchtlinge gründete der Dalai Lama eine Kinderheimstiftung, um die zahlreichen Kinder zu versorgen und eine Erziehung in tibetischer Kultur und Religion zu ermöglichen. Das Tibetan Children's Village umfasst heute mehrere Kinderdörfer und Kinderwohnheime sowie auch ein Dutzend Kindertagesstätten, Schulen und Berufsausbildungsstätten. Insgesamt werden dort 15.000 Kinder und Jugendliche ohne Eltern oder aus bedürftigen tibetischen Familien betreut.

Die Arbeit des Tibetan Children's Village wird von deutschen Hilfsorganisationen unterstützt, unter anderem von den SOS-Kinderdörfern und von der Deutschen Welthungerhilfe. "Die Kinder, die hier ankommen, haben furchtbare Strapazen hinter sich: Wochenlange Fußmärsche über verschneite Himalayapässe. Sie sind unterernährt, unterkühlt und viele haben Erfrierungen an Händen, Füßen und im Gesicht erlitten", berichtet die Welthungerhilfe. "Das alles nehmen sie auf sich, um als Tibeter aufwachsen, ihre Sprache, Religion und Kultur bewahren zu können. Und für die Chance auf Bildung und Selbstbestimmung, die ihnen in ihrer Heimat seit der chinesischen Besatzung verwehrt bleiben. Ihre Heimat werden sie wohl nie wiedersehen." Wer es wagt, nach Tibet zurückzukehren, muss mit Gefängnis rechnen.

Die Erzählungen der neu eintreffenden Flüchtlinge ergeben ein düsteres Bild: Die Tibeter werden durch die vermehrte Ansiedlung von Chinesen zunehmend zur unterdrückten Minderheit im eigenen Land. Die traditionelle tibetische Medizin geht unter. An den Schulen wird der Unterricht von chinesischen Lehrern auf Chinesisch abgehalten. Die tibetische Sprache wird nur unzureichend oder gar nicht gelehrt, tibetische Geschichte fehlt ebenso auf dem Lehrplan wie tibetische Kultur und Religion. Dafür bestehen die meisten Lehrbücher aus Lobeshymnen auf Mao Tse-tung, das "chinesische Mutterland" und die "Befreiung Tibets von Feudalismus und Rückständigkeit".


Chance auf Bildung

Dagegen haben die Kinder im indischen Exil bessere Chancen, mit tibetischem Selbstverständnis aufzuwachsen, zumal der Dalai Lama als geistliches Oberhaupt Tibets seinen Wohnsitz im nordindischen Ort Dharamsala hat. Dort ist auch die tibetische Exilregierung ebenso wie die das Zentrum der tibetischen Medizin angesiedelt.

Im Kinderdorf in Dharamsala hat jede Wohngruppe ein eigenes Haus mit Küche, Aufenthalts- und Schlafräumen. "Die Älteren sind für die Jüngeren verantwortlich, jeder hat eine Aufgabe bei der Bewältigung des Familienalltags", erklären die Betreuer. Der Unterricht ist breit gefächert. Viele besuchen anschließend indische Universitäten. Das gemeinsame Ziel, das der Dalai Lama ihnen gegeben hat: Vorbereitet zu sein "für die Zeit, wenn wir wieder in unser Heimatland zurückkehren".


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Quelle:
Securvital 4/2007 - Juli/August, Seite 28-30
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2007