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PRESSE/672: Menschenrechte aus buddhistischer Sicht (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2008, Januar-März
Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.

Die Menschenrechte aus buddhistischer Sicht, Teil II

Von Myoshin-Friedrich Fenzl


Der erste Teil ist in Heft 1/2007 erschienen.

Die Todesstrafe ist ein weiteres Hindernis zu einer buddhistischen Gewaltlosigkeit. Ihre Geschichte lehrt uns, dass ihre praktische Anwendung keineswegs zu mehr Sicherheit für die Gesellschaft wie für den Einzelnen geführt hat, vielmehr zu sittlicher Verrohung und zu einer Herabsetzung der Tötungsschwelle durch den Staat. Auch hier gilt es, die Wurzeln von Kriminalität und Verbrechen bloßzulegen, die sich häufig als erschreckende Armut, Unwissenheit, Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit darstellen. Bedauerlichweise hat diese ethische Wertung der Todesstrafe noch keine Resonanz in der buddhistischen Welt des Ostens gefunden. So haben erst zwei buddhistische Länder (Kambodscha, Bhutan) die Todesstrafe abgeschafft.

Eines der umstrittensten Themen unserer Tage ist die Abtreibung, durch deren Praktizierung Millionen ungeborener Wesen daran gehindert werden, geboren zu werden, um hier in der Menschenwelt den Weg zur Leidbefreiung aus dem Samsâra, dem Daseinskreislauf zu finden. Abtreibung ist eines der düstersten Kapitel einer durch einen positivistischen Pseudohumanismus fehlgeleiteten Gesellschaft. Der Buddhismus kann in seiner Ethik die Abtreibung jedenfalls nicht billigen.

Der schon einmal zitierte Dr. Hellmuth Hecker, Hamburg, schreibt: "Es ist kein böser Wille, wenn einzelne Buddhisten zu seltsamen Ansichten über die Zulässigkeit der Abtreibung neigen, sondern ein tiefes, tiefes Nichtwissen". Jenseits aller tagespolitischen Fragen stellt das Abtreibungsproblem wie auch das Drogenproblem eine echte Herausforderung nicht nur für den Buddhismus, sondern für jede dem Leben und einer echten Humanität verpflichteten Religion dar. Abtreibung zerstört die physische Existenz eines nach Geburt strebenden Wesens, Drogen dagegen den Geist und die psychische Verfassung eines bereits geborenen Menschen.

Zu diesen klassischen Fragen des ersten buddhistischen Silas kommen weitere, die in dieser Schärfe zu Lebzeiten Buddhas gar nicht existent waren, erst recht nicht behandelt wurden. Ich meine hier z. B. die Vernichtung, den im wahrsten Sinne des Wortes genoziden Massenmord von Lebewesen, die durch die Zerstörung der Tropenwälder, die Verseuchung der Meere, Flüsse und Seen ihres Lebensraumes und ihrer Existenzgrundlage beraubt werden.

Das zweite Sila betrifft das unrechtmäßige Aneignen von Besitz, der einem Anderen gehört. Der Buddhismus hat das Recht auf Eigentum stets betont, freilich auch die sittliche Pflicht des Wohlhabenden, von seinem Überschuss den Darbenden und Notleidenden abzugeben. Buddha erteilte den Kaufleuten den Rat, ein Viertel ihres Vermögens für den Lebensunterhalt, zwei Viertel für geschäftliche Investitionen und das letzte Viertel für Rücklagen zu verwenden. Er propagierte keinen geschäftsschädigenden Konsumverzicht, wohl aber Maßhalten und Bescheidenheit. Im Sighalovada-Sutra empfiehlt Buddha den Arbeitgebern, ihren Angestellten und Bedienten einen angemessenen Lohn zu zahlen, im Krankheitsfall für sie zu sorgen, ihnen von Zeit zu Zeit Urlaub zu gewähren und ihnen von besonderen Einnahmen ein en Teil zukommen zu lassen. Der ideologische Slogan von der "Expropriation der Expropriateure" hat keineswegs Wohlstand für alle gebracht, sondern Elend und Mangel für viele. Buddha hat auf den Wert des freien Unternehmertums stets hingewiesen, freilich auch auf dessen sittliche Verpflichtung, mit dem so Erworbenen und Erwirtschafteten etwas Vernüftiges anzufangen. Ein Beispiel in der Neuzeit wäre hier der japanische Großindustrielle Yehan Numata, der es aus bescheidenen Verhältnissen zum Eigentümer des weltgrößten Konzerns für elektronische Messinstrumente und Inhaber von vierzehn Fabriken gebracht hat. Den größten Teil seiner Gewinne verwendet er nicht nur für vorbildliche humane Arbeitsstätten für seine Mitarbeiter, sondern darüber hinaus auch für die Verbreitung der Lehre des Buddhismus durch buddhistische Lehrstühle an allen führenden Universitäten der Welt und die Publikation des Buches Die Lehre des Buddhismus, das in 41 Sprachen der Welt und in einer Auflage von zwei Millionen Exemplaren erschienen ist.

Das dritte Sila schützt die Menschenrechte und Menschenwürde im sexuellen Bereich. Der Buddhismus hat sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe nicht a priori verdammt, wohl aber Bereiche abgesteckt, in denen es einen besonderen Schutz gibt. Da ist der Ehebruch, denn er zerstört Ehen und Familien und macht Kinder zu Halbwaisen. Sexuelle Beziehungen mit unmündigen und unreifen Mädchen und Jungen gefährden oft deren weiteren Lebensweg, da sich diese über die Folgen und Tragweite pubertärer oder frühjugendlicher Sexualbeziehungen nicht im Klaren sind. In Sexualbeziehungen mit abhängigen Personen wie Mündel, Pflegebefohlenen, Schülern oder Dienstboten besteht die Gefahr, dass das Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt wird. Die Prostitution wiederum, der "Verkehr mit geschmückten Dienerinnen" wie es im Kanon heißt, ist ein besonders hässliches Kapitel der Ausbeutung der Frau. Man denke nur an deren zeitgenössische Auswüchse wie den Sextourismus in den Ländern Südostasiens und der Karibik.

Entgegen einiger polemischer Behauptungen war Buddha weder ein Frauenfeind noch weist der Buddhismus den Frauen eine untergeordnete Stellung zu. Ganz im Gegenteil hat Buddha ihnen die Chance der Verwirklichung des Nibbana ausdrücklich eingeräumt. Der Kanon ist voll von Beispielen von Nonnen und Laienanhängerinnen, die das Heilsziel realisierten. Den König Pasenadi, einen getreuen Laienanhänger, der in Missmut verfallen war, weil ihm eine Tochter anstelle eines Sohnes geboren worden war, tröstete er mit den Worten, dass eine Frau, die klug und sittsam und ihrem Gatten treu ist, mehr wert sei als ein Mann. Wolfgang Schumann, der deutsche Buddhologe, schreibt über Buddhas Einstellung zu den Frauen: "Alle im Kanon geschilderten Begegnungen des Buddha mit Frauen beweisen, dass er sie als Männern gleichwertig ansah. Dass es böse und zänkische Frauen gab, dass Frauen den Bhikkhu, den Mönch, vom Heilsweg ablocken konnten, hielt ihn nicht davon ab, zuzugeben, dass Frauen hohe Erkenntnisfähigkeit besitzen und viele von ihnen Männer an Herzenswärme und Opferbereitschaft übertreffen. Zudem wusste er, dass es meist die Frauen sind, die das religiöse Klima der Familie bestimmen und den Kindern ihre ethischen Grundsätze auf den Lebensweg mitgeben. Dass es unter den Freunden des Dharma, der buddhistischen Lehre, so viele Frauen gab, ist weitgehend dadurch zu erklären, dass Gotama ihnen, anders als andere Lehrer seiner Zeit, Mündigkeit und volle Erlösungschancen zuerkannte, für die sie sich ergriffen und beglückt, dankbar zeigten."

Ebenso wie Frauen sah Buddha auch Menschen aus niederen sozialen Ständen oder anderen Hautfarben als erlösungsfähig an. Unter seinen Anhängern befand sich sogar ein Mann, der vor seiner Bekehrung ein berüchtigter Straßenräuber war. In der 96. Lehrrede MN "Esukari" weist Buddha darauf hin, dass es nur das sittliche Verhalten eines Menschen ist, das ihn zu einem Edlen macht und nicht seine Abstammung. Diese ist für den Erlösungsprozess völlig belanglos. So wie Menschen zudem im Verlauf des Samsâra, des Daseinskreislaufs, in vielen Existenzen geboren werden können, also auch in verschiedenen Ständen, Kasten oder in verschiedenen Rassen und mit verschiedenen Hautfarben, so schrumpft der biologisch-genetische Faktor der Abstammung ebenso wie der Faktor der sozialen Umwelt, in die sie hineingeboren werden, im Lichte des Buddhismus zur Belanglosigkeit.

Abschließend möchte ich eine Geschichte aus dem Kanon erzählen: Einstmals wollte der König von Maghada ein anderes Volk überfallen. Er hatte aber Bedenken und sandte seinen Marschall zu Buddha, um seinen Rat zu hören. Buddha hörte den Bericht des Marschalls aufmerksam zu und stellte dann sieben Fragen über dieses Volk an seinen Jünger Ananda. Er fragte, ob es häufig zusammenkomme, einträchtig seine Angelegenheiten erledige, nicht willkürlich neue Gesetze erlasse, die Alten ehre und auf ihren Rat höre, ob es geordnete Formen der Ehe kenne, ob es die religiösen Stätten im Lande achte und ob man geistliche Persönlichkeiten fördere. Als Ananda alle sieben Fragen bejahte, erklärte Buddha, dass ein solches Volk naturgesetzlich zur Blüte komme und nicht besiegt werden könne. Und der Krieg unterblieb.

Damit ist das Ideal einer buddhistischen Gesellschaft im Sinne der Menschenrechte beantwortet. Eine demokratische Gesellschaft mit Gewaltenteilung, mit Mitspracherecht aller Bürger, eine Verfassung und Grundgesetze, die von allen geachtet werden, Religions- und Gewissensfreiheit und Schutz der Religion und ihrer Einrichtungen durch den Staat, der Schutz von Ehe und Familie als Grundzelle des Gemeinwesens und die Achtung der Senioren, die nicht ins Abseits abgeschoben werden sollen.


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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2008, Januar-März , Seite 10-12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2008