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PRESSE/712: Tempelleben im Shoboji (Zenshin)


ZENSHIN - Zeitschrift für Zenbuddhismus, Nr. 1/08

Warum ich zum "Berg der Erleuchtung" aufbrach?
Tempelleben im Shoboji

Von Matthias Dettmann


Seit ungefähr vier Jahren fahre ich nun schon regelmäßig nach Dinkelscherben in den Shoboji. Leider habe ich nur zwei bis dreimal im Jahr die Möglichkeit zu kommen, da ich aufgrund einer acht bis neun Stunden andauernden Bahnreise gleich für zwei oder drei Wochen dableibe. Wie jedes mal fuhr ich auch diesmal mit etwas gemischten Gefühlen los. Zum einen bin ich gespannt, was für neue Erfahrungen ich machen werde, zum anderen will ich mich alten Gewohnheiten und Denkmuster stellen und letztgenannte versuchen zu verändern. Gerade beim letztgenannten Punkt fällt es mir nicht immer einfach jahrelang gepflegte Denkweisen zu durchbrechen und umzugestalten. Doch der Shoboji bietet für mich die beste Gelegenheit, mich meinem Zweifeln und Ängsten zu stellen, denn hier habe und nehme ich mir die Zeit bei mir selbst "Inventur" zu machen.

Ich hatte studiumsbedingt im März noch Prüfungen und entschloss mich daher schon im Februar nach Dinkelscherben zu kommen, um vor den Examen nochmal einen freien Kopf zu kriegen. Manchmal werde ich gefragt: "Nimmst du dir nichts zum Lernen mit? Du hast doch hier genug Zeit dazu." Diese Frage beantworte ich immer mit einem klaren Nein, denn zum Lernen habe ich auch daheim ausreichend Gelegenheit gehabt und die zwei Wochen Aufenthalt im Shoboji werden für meine Übung und Praxis vollständig in Anspruch genommen. Leider habe ich, wie bereits erwähnt, nicht oft die Möglichkeit, zum Sesshin oder Tempelleben in den Shoboji zu kommen, weswegen ich mich bemühe, die Zeit in Dinkelscherben umso intensiver für meine Übung zu nutzen. Freilich hätte ich auch überhaupt nicht die Zeit, um zu lernen, da der Tagesablauf gut durchstrukturiert ist, und es überdies innerhalb und außerhalb des Tempels viel zu tun gibt. Die Meditation füllt ebenfalls einen Großteil des Tages aus, wobei, je nachdem was für Arbeiten anstehen, diese Zeit kürzer oder länger sein kann. Zudem ist der Shoboji auch ein Ort der Achtsamkeit, und wenn ich nebenbei noch mit anderen Angelegenheiten wie Studium beschäftigt bin, so wird zwangsläufig meine Zen-Praxis darunter leiden. Anfangs war es für mich nicht immer einfach, alle Regeln fürs Tempelleben richtig zu befolgen, zum einen weil ich abgelenkt war, zum anderen weil ich sie einfach vergessen hatte, wenn ein halbes Jahr zwischen meinem letzten Besuch vergangen war. Für letztgenannte Ursache habe ich mir mittlerweile ein Büchlein angeschafft, in dem ich mir alle wichtigen Regeln notiere, um beim nächsten Besuch nicht wieder "von vorne" anfangen zu müssen. Die vielen kleinen Regeln des Tempellebens mögen zuerst die Frage aufwerfen: "Wozu die ganzen kleinen Regeln? Ist es nicht egal, ob ich beispielsweise die Heizung anlasse, wenn gelüftet wird?" Nein, es ist nicht egal, ob, wie im letzten Beispiel, die Heizung an oder aus ist, denn bei maximal aufgedrehter Heizung wird nur Energie verschwendet wenn das Fenster offen ist, und es dauert zudem länger, bis der Raum richtig durchgelüftet ist. Die Regeln dienen meiner Meinung nach in erster Linie dazu, die eigene Achtsamkeit zu schulen, und zwar nicht nur in der Meditationshalle sondern auch im Tempelalltag also beim Kochen, Kehren, Saubermachen etc.. Ich bemühe mich, Achtsamkeit vor allem den kleinen Arbeiten und Dingen des Lebens entgegenzubringen, denn ich habe festgestellt, dass diese Übung sich positiv auf die Bewältigung des manchmal stressenden Alltages auswirken. Achtsamkeit ist indes für mich keine leichte Übung, manchmal ist mein Kopf mit anderen Sachen beschäftigt und schwupp! vergesse ich bspw. den Ablauf der Rezitation oder ich "verkoche" das Mittagessen, wodurch es ungenießbar wird. Eventuell kommen dem einen oder anderen solche Szenen bekannt vor, jeder macht schließlich mal "Fehler". Entscheidend für mich ist es, nicht andauernd die gleichen "Fehler" zu wiederholen, sondern aus ihnen zu lernen und als Ansporn zu nehmen, mit mehr Achtsamkeit im Alltag zu agieren. Das Wort "Fehler" ist eigentlich zu negativ besetzt, denn vieles, was wir bisher im Leben gelernt und erworben haben an Fertigkeiten, physisch wie psychisch, beruht auf dem Versuch eine bestimmte Fähigkeit, quasi immer ein bisschen fehlerfreier auszuführen und somit aus seinen Fehlern zu lernen. Daher spreche ich lieber von Gewohnheiten verändern, als von Fehler vermeiden, denn letztere sind wichtig fürs lebenslange Lernen (vorausgesetzt, dass das Fehlverhalten bei sich selbst erkannt wird...), wohingegen eine ständige Wiederholung von Fehlern eher auf negative Gewohnheiten hindeutet. Die eigenen eingefahrenen Denkmuster muss jeder selbst erkennen und verändern, indern er oder sie sich etwa die Frage stellt: Wie ist meine momentane Geisteshaltung? Wie kann ich diese in eine für mich und meine Umgebung möglichst positive Richtung lenken? Meine eingelebten Gewohnheiten zu verändern ist für mich eine der schwierigsten, gleichzeitig aber auch der wichtigsten Übungen. Gerade im Shoboji während eines Tempelaufenthaltes oder Sesshin bietet sich die beste Gelegenheit, einmal zu schauen, wie es momentan um einen Selbst bestellt ist und sich nicht davor zu scheuen, sich seine eigenen dummen Gewohnheiten und Verhaltensweisen genau vor Augen zu führen und heilsam zu verändern.

Manche Leute kritisierten den Zen-Buddhismus dahingehend, dass dessen Mitglieder nur für ihr eigenes Heil üben und sich komplett von der Außenwelt abkapseln, diese Kritik beruht meines Erachtens auf einem fundamentalen Verständnisfehler der buddhistischen Lehre. Ich muss erstmal bei mir selbst anfangen, meine eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen immer wieder kritisch hinterfragen und verändern, bevor ich andere nutzlos kritisiere. Dieser Übungsprozess, bei dem zunächst einmal das eigene Ego im Mittelpunkt steht, schließt meiner Meinung nach nicht aus, seinen Mitmenschen zu helfen oder bspw. politisch aktiv zu sein, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Im Gegenteil, Mitgefühl zu üben ist für mich ein wesentlicher, nicht zu trennender Bestandteil für die eigene religiöse Praxis. Für mich ist es deshalb wichtig einen Ort zu haben, wo ich an mir arbeiten und mich ganz auf meine Zen-Praxis einlassen kann, um wieder neue Kraft, Ideen und Motivation für den Alltag zu erhalten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es den Shoboji gibt...


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Quelle:
ZENSHIN - Zeitschrift für Zenbuddhismus, Nr. 1/08, S. 29-31
Herausgeberin: Hakuin Zen Gemeinschaft Deutschland e.V. (HZG)
Burggasse 15, 86424 Dinkelscherben
Redaktion: Nanshu Susanne Fendler / Bunsetsu Michael Schön
Übelherrgasse 6, 89420 Höchstädt a.d.D.
E-Mail: s-fendler@t-online.de / schoen-bio@gmx.de

ZENSHIN erscheint halbjährlich.
Einzelheft 7,50 Euro inklusive Versand


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2008