Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → BUDDHISMUS

PRESSE/730: Zur Frage nach einem "Volkskarma" (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 4/2008, Oktober-Dezember
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Zur Frage nach einem "Volkskarma"

Von Christine Schoenwerth


Immer wieder einmal wird die Frage nach einem "Volkskarma" gestellt. Darunter werden die leidvollen Auswirkungen des Karma bzw. des Wirkens eines ganzen Volkes für eben dieses Volk verstanden; wir fragen uns, worin wohl die Ursache des offensichtlichen Leids ganzer Völker und/oder Rassen liegen mag. Dabei scheint sich uns der Gedanke eines "Volkskarma" in gewissen Zusammenhängen geradezu aufzudrängen. In den alten Texten des Suttapitaka wird dieser Aspekt des Karmagesetzes jedoch nirgends erwähnt, so dass es dem Einzelnen überlassen bleiben muss, ob und inwieweit er ihn in sein Verständnis des Dhamma einbaut. Die Frage ist nur: Ist es wichtig, ist es erforderlich für das Begehen des Pfades, dieser Frage nachzugehen? Wie gesagt: Das "Problem" bietet sich zum Nachsinnen an. Der Buddha selbst hat uns ja dazu aufgefordert, nichts ungeprüft zu verwerfen oder anzunehmen. So weit, so gut. Wir sollten jedoch achtsam mit dieser vom Buddha nicht in den Dhamma einbezogen Idee umgehen, und zwar u.a. aus folgenden Erwägungen heraus:

1. Ein Mensch wird nicht grundsätzlich in ein und demselben Volk wiedergeboren. Das heißt: Ein Afrikaner, ein Tibeter, ein Jude, ein Franzose haben möglicherweise in zahllosen ihrem gegenwärtigen Leben vorangegangenen Existenzen einer anderen Rasse, Kultur und Religion angehört und somit gar nicht in dem von einem "Volkskarma" heimgesuchten Land gelebt und gewirkt. Soll dennoch das Prinzip des "mitgefangen, mitgehangen" gelten?

2. Das Karma und damit die Frucht des Karma ist eines der "vier unfassbaren Dinge", über die man nicht nachgrübeln sollte (Ang. 4, 77).

Fazit: Der Buddha hat von einem ein ganzes Volk treffenden karmisch bedingten Schicksal nicht gesprochen. Wenn wir diese Variante des Karmagesetzes dennoch in unser Lehrverständnis einbauen sollten wir (soweit dies überhaupt möglich ist) jedes Spekulieren vermeiden, da wir uns sonst "in einem Gestrüpp, in einer Sackgasse, in einem Gewirr von Ansichten" verfangen könnten (M 72).


*


Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 4/2008, Oktober-Dezember, Seite 21
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
Herausgeberin: Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.
Beisserstr. 23, 22337 Hamburg
Tel.: 040 / 6313696, Fax: 040 / 51902323
E-Mail: bm@bghh.de, buddha-hamburg@gmx.de
Internet: www.bghh.de

Die Buddhistischen Monatsblätter erscheinen
vierteljährlich.
Einzelpreis: 5,-- Euro
Abonnementspreis: 20,-- Euro jährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2008