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PRESSE/747: Das Wesen der Tugend (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2009, Januar-April
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Das Wesen der Tugend und ihre Bedeutung für den (heutigen) Menschen

Von Wolfgang Krohn


Der Buddha lehrt uns, wenn wir auf dem Weg der Befreiung vorankommen wollen, die fünf Tugendregeln (sila) unbedingt zu befolgen. Was bedeutet Tugend? Sie ist die stetige Richtung des Willens auf das Sittliche. Sittlichkeit führt zum eigenen Wohl und organisiert das Miteinander der Menschen. Sie hält die verschiedenen Lebensgemeinschaften von der Familie über das Dorf, die Stadt, den Staat bis zur Menschheit zusammen. Der heute sich ausbreitende Individualismus fordert immer mehr Rechte für den Einzelnen, ohne dass dieser bereit wäre, entsprechende Pflichten zu übernehmen. Diese Entwicklung ist für die Erhaltung und Pflege von Tugenden bedenklich. Materialistische Ziele gelten heute als Wertmaßstäbe. Im Zuge des technischen Fortschritts erhöhen sich diese Ziele ständig unter Missachtung der ethischen Prinzipien, wie z.B. des Umweltschutzes. Wir befinden uns derzeit in einer Weltwirtschaftskrise, die, wenn sich die Menschen mehr an sittliche Regeln gehalten hätten, nicht in dem Maße, wie es jetzt geschehen ist, eingetreten wäre. Wer auch zukünftig in einer geordneten und harmonischen Welt leben möchte, sollte dem Sittenverfall entgegensteuern, denn es ist die Frage, ob Kultur, Kunst, Spiritualität und Erziehung ohne Sittlichkeit überhaupt weiter bestehen können.

Hinsichtlich der Tugenden ist zu unterscheiden: Erstens gibt es Tugenden in den einzelnen Religionen, im Sinne von Glaubensgemeinschaften einerseits und andererseits in der Lehre des Erwachten, die keine Glaubensgemeinschaft ist, da sie sich nicht auf den Glauben an ein höheres Wesen gründet. Zweitens kennen wir die so genannten bürgerlichen Tugenden im Sinne der Staatsraison, die eine Gemeinschaft vor Sittenverfall, der z.B. zu Kriminalität und Krieg führen kann, bewahren sollen. So hat der Begriff "Ruhe" zwei Bedeutungen. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! Sie soll drohendes Chaos vermeiden, den Staatsbestand sichern. Wenn der Buddha von Ruhe spricht, ist damit ein meditativer Geistes- und Körperzustand gemeint.

Die Brahmanen zu Buddhas Zeiten hatten eine Vielzahl von Tugendregeln (z.B. Tieropfer, das tägliche Reinigungsbad). Im Altertum übten die Stoiker Tugend im Sinne von Selbstbezwingung. Bei den Römern galt ein mutiger Krieger, der den Feind nicht fürchtete, als tugendhafter Mensch. So bedeutet virtus Tugend im Sinne von Tapferkeit, Mannhaftigkeit. Als Virtuosen bezeichnet man Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Im Mittelalter galt der gottgläubige Mensch mit all seinen Bußübungen, die bis hin zur Selbstkasteiung reichten, als tugendhaft. Im Buddhismus ist der Triebbefreite der wahrhaft Tugendhafte, weil er keine persönlichen Ziele mehr kennt. Er schadet niemandem und sein Verhalten kommt der Allgemeinheit zugute.

Welche alltäglichen Tugenden können wir als ganz normale Bürger pflegen und entfalten?

Ordnung: Die innere und äußere Ordnung sichert die bestmögliche Lebensorganisation des Menschen.
Reinlichkeit: Es gibt die körperliche und die geistige. Je reinlicher unser Geist durch den Achtpfad geworden ist, desto besser kommen wir auf dem Weg der Befreiung voran.
Bescheidenheit: Je weniger eigene Wünsche der Mensch hat, desto größer wird der Nutzen für alle Mitwesen.
Sparsamkeit: Sie verhilft zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit des Einzelnen und mindert die Existenznot.
Mäßigkeit: Das Maßhalten beim Essen und Trinken fördert die Gesundheit und das Wohlbefinden.
Gelassenheit: Warum sich immer gleich aufregen? Nichthandeln und Abwarten können viel Unheil verhindern.
Besonnenheit hilft, klare Entscheidungen zu treffen.
Vernunft: Ein vernünftig Handelnder kann Konflikte leicht lösen. Dies ist für das Gemeinschaftswesen sehr förderlich.
Hilfsbereitschaft: Sie trägt dazu bei, harmonisch und liebevoll miteinander umzugehen.

Welche Gefahren können Tugenden bergen? Sie können zum Dogma entarten und das Miteinander lähmen. Tugenden als Selbstzweck fördern den Dünkel. Tugenden, die der Selbstkasteiung dienen, hat der Buddha als verwerflich, zwecklos und unedel bezeichnet.

Wozu dienen nun die Tugenden? Sie schützen uns vor einem lasterhaften Leben. Sie bringen Wohlstand, erzeugen Freude und Liebe und bilden die Grundlage der Geistesruhe. Auf dieser Grundlage kann sich Weisheit entwickeln.


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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2009, Januar-April, Seite 27-28
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
Herausgeberin: Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.
Beisserstr. 23, 22337 Hamburg
Tel.: 040 / 6313696, Fax: 040 / 51902323
E-Mail: bm@bghh.de, buddha-hamburg@gmx.de
Internet: www.bghh.de

Die Buddhistischen Monatsblätter erscheinen
vierteljährlich.
Einzelpreis: 5,-- Euro
Abonnementspreis: 20,-- Euro jährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2009