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PRESSE/762: Die Meditation im theravadischen Lehrgebäude (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Mai - August 2009
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Die Meditation im theravadischen Lehrgebäude

Von Axel Rodeck


1. Ein Themenblock des achtfältigen Pfades

1) Meditation und Vernunft

Die Vorstellung vom Buddhismus wird sowohl bei den meisten seiner Anhänger als auch bei den Nichtbuddhisten geprägt von der "Meditation", was immer man darunter versteht. Georg Grimm gab seinem Werk "Die Lehre des Buddha" den Untertitel "Die Religion der Vernunft und der Meditation" und bezeichnete damit die beiden Pfeiler, die den Buddhismus tragen mit unterschiedlich bewerteter Tragkraft. Im Laufe der Geschichte wurde mal der einen, mal der anderen Säule mehr Bedeutung zugemessen. Tatsache ist, dass der Buddha der Meditation und dem Verstehen der Lehre gleiche Bedeutung beimaß und auch klar erkannte, beide Wege würden nur sehr selten von ein und derselben Person beherrscht.

Schon zu Lebzeiten des Buddha pflegte daher ein Teil der Mönche sich primär der Meditation zu widmen, während ein anderer sich um die rationale Verständnisdurchdringung der Lehre bemühte. Der Mönch Mahacunda sah sich veranlasst, beide Gruppen zu Mäßigung und Toleranz gegenüber der jeweils anderen Fraktion aufzurufen, denn Meditierer und Denker, so führte er aus, gehörten zusammen. Während die Meditationstreibenden (vipassanadhura) in der Meditation den "todlosen Bereich" berührten, würden die Rationalisten (ganthadhura) Buddhas Aussprüche mit Weisheit durchschauen. Der Unterschied zwischen beiden Wegen, so erklärte der Buddha einmal dem Ananda (M 64,16), liege in der Verschiedenheit der menschlichen Begabungen begründet.

Die Zweiteilung in Meditierer und Rationalisten ist prinzipiell noch heute gegeben, wobei der Zeitgeist im Westen sicherlich eher bei den Meditierern ist. Denn der früher in Ost und West unbestrittene Gedanke, man könne durch geistiges Bemühen Gier, Hass und Unwissenheit überwinden und so über Wissen zu Weisheit (prajna) kommen, ist weitgehend verdrängt. Er ist der Vorstellung gewichen, dies führe allenfalls zu Kopflastigkeit, akademischem Bücherwissen und weltlicher Weisheit, nicht aber zu der für die Erlösung erforderlichen transzendenten Weisheit (prajna-paramita).

Gut beraten ist daher, wer sich beiden Pfeilern widmet und sowohl meditiert als auch die Lehre Buddhas (dhamma) studiert.

Schauen wir uns daher einmal Buddhas Lehre genauer an, um hier nach dem Element "Meditation" zu suchen. Bei den fundamentalen "Vier Edlen Wahrheiten" vom Leiden und seiner Überwindung stoßen wir in der Vierten Edlen Wahrheit, dem achtfältigen (auch "achtgliedrigen" oder "achtspurigen") Pfad, auf folgende der Erlösung dienliche Verhaltensweisen:

Nr. 1: Rechte Ansicht (samma-ditthi)
Nr. 2: Rechte Gesinnung (samma-sankappa)
Nr. 3: Rechte Rede (samma-vaca)
Nr. 4: Rechtes Verhalten (samma-kammanta)
Nr. 5: Rechte Lebensführung (samma-ajiva)
Nr. 6: Rechte Anstrengung (samma-vayama)
Nr. 7: Recht Achtsamkeit (samma-sati)
Nr. 8: Rechte Meditation/Konzentration (samma-samadhi)

Die Nummern 1 und 2 bilden den Themenblock "Erkenntnis", die Nummern 3 bis 5 den Themenblock "Ethik". Sie sollen uns hier nicht weiter beschäftigen und wir richten unser Augenmerk auf die letzten drei Glieder, nämlich Rechte Anstrengung (samma-vayama, Nr. 6), Rechte Achtsamkeit (samma-sati, Nr. 7) und Rechte Meditation bzw. "Konzentration" (samma-samadhi, Nr. 8). Sie bilden bei der Wahrheit vom Wege zur Leidensaufhebung den Themenblock "Meditation".


2) Meditation im weiteren Sinn

a) Die Regel Nr. 6 "Rechte Anstrengung" lässt nicht sofort ihren Zusammenhang mit Meditation erkennen. Es handelt sich dabei um eine Methode der geistigen Selbsterziehung, um unheilvolle Geistesinhalte zu mindern und heilsame zu fördern. Hierzu gehört die "Bewachung der Sinnestore", die darauf abzielt, aus den Wahrnehmungen unserer Sinne keine unheilsamen Emotionen aufkommen zu lassen.

Die Regeln 7 und 8 enthalten dann die beiden Hauptgruppen buddhistischer Kontemplation (bhavana):

b) "Rechte Achtsamkeit" (Nr.7) ist für den Heilssucher von größter Bedeutung und eine Art "Ausführungsvorschrift" dazu enthält das "Satipatthana Sutta", die "Lehrrede über die Erweckung der Achtsamkeit" (M 10 und D 22). Diese Lehrrede bezieht sich auf eine der wichtigsten Meditationsformen des Theravada und es ist anzunehmen, dass der Buddha die Grundzüge von seinem ersten Lehrer Alara Kalama erfahren hatte. Die Achtsamkeitsmeditation ist genuin buddhistisch, während andere Methoden auch von den Yogis angewandt wurden. Dabei handelt es sich um eine Meditation, die sowohl im Sitzen als auch bei den Verrichtungen des täglichen Lebens geübt werden kann. Das Satipatthana-Sutta beschreibt ausführlich, wie der Meditierende seine Achtsamkeit der Reihe nach auf den Körper, die Empfindungen (die Gefühle), den Geist (die Gedanken, citta) und die Geistobjekte (die Gegenstände der Welt) richten soll. Die Betrachtung soll emotionsfrei erfolgen und die Meditationsobjekte als vergänglich, leidhaft und ohne beständigen Kern (anatta) erkennen lassen.

Die Betrachtung des Atems (anapanasati) hat der Buddha an den Anfang seiner Ausführungen über die Körperbetrachtung gesetzt, was ihre Bedeutung unterstreicht.

c) "Rechte Meditation" (Nr. 8). Sie sollte besser "Konzentration" genannt werden, da "Meditation" ja schon die umfassendere Bezeichnung für den gesamten Themenblock ist und die Konzentration des Denkens auf einen Punkt ihren Gegenstand bildet. Es handelt sich um die Übung, mit der sich Gotama auf die Erleuchtung vorbereitet hatte, bestehend aus dem Vollzug von vier meditativen Versenkungsstufen (jhana). Bei diesen vier Stufen bleibt die Bewusstheit (= Achtsamkeit) des Meditierers wach und es wird darauf verzichtet, auf weiteren Tiefenstufen in yogische Trance abzusinken. Die Übung ist, wie gesagt, gekennzeichnet durch die Ausrichtung des Geistes (der Gedanken) auf einen Punkt ("Einspitzigkeit"; M 44,12) und wurde auch von den Yogins betrieben.

Das vorstehend genannte Gesamtgebiet buddhistischer Meditation lässt sich (nach Nyanaponika) in zwei große Übungswege unterteilen, nämlich die Entfaltung des Klarblicks (vipassana-bhavana) durch meditativ verfeinertes reflektierendes Denken und die in den meditativen Versenkungen (jhanas) erfolgende Entfaltung der Geistesruhe (samatha-bhavana). Über die Reihenfolge bestehen unterschiedliche Ansichten, kanonischen Texten zufolge kann der erlösende Klarblick auch ohne vorherige Erreichung der Vertiefungen gelingen.


3) Ein fakultatives Angebot

Wir halten also fest, dass die Achtsamkeitsmeditation (Nr. 7) genuin buddhistisch ist, während die "Konzentration" (Nr. 8) auf dem Gedankengut beruht, welches Gautama bei seinen yogischen Lehrern kennen gelernt hatte. Beide sind gemeinsame Bestandteile des Heilsweges. Der Buddha definiert in M 117 die "edle rechte Konzentration" (aryo sammasamadhi) als "Ausrichtung des Geistes (der Gedanken) auf einen Punkt; sie ist ausgestattet mit den (ersten) sieben Gliedern (des achtgliedrigen Weges)."
(Übersetzung U. Schneider)

Freilich kann die Erlösung bei entsprechender Disposition auch allein mit Achtsamkeitsmeditation oder, wie oben schon gesagt, auch ohne jegliche Meditation durch Weisheit erlangt werden, denn entscheidend ist allein die Vernichtung der wiedergeburtlichen Triebkräfte. Es lässt sich sagen, dass alle Sammlungsübungen "nur die zeitweilige Beruhigung des Geistes und die Aufhebung innerer Hemmungen zur Folge haben und nicht zur endgültigen Befreiung führen. Sie werden vom Buddha als heilsam empfohlen, aber unerlässlich sind sie nach des Buddha eigenen Worten nicht. Man kann das Ziel des Buddhaweges erreichen, ohne auch nur eine dieser Übungen durchgeführt zu haben."
(K. Schmidt)

Der achtfältige Weg ist also insoweit nur eine Empfehlung; die meditative Versenkung gewann überragende Bedeutung erst seit dem 6. Jh.n.Chr. im Zen-Buddhismus Ostasiens. Sicherlich ist aber dem Religionswissenschaftler M. Eliade zuzustimmen, dass die Zahl derjenigen gering ist, die allein durch Intelligenz (prajna) das Heilsziel erreichen. Selbst dem Lieblingsjünger des Erhabenen, Ananda, wurde trotz brillanter Kenntnis der Lehre die Aufnahme ins 1. Buddhistische Konzil verweigert, weil es ihm an Meditationserfahrung mangelte. Für das buddhistische Fußvolk im Theravada wird es im Normalfall wohl sowieso bei Atembetrachtung und Gehmeditation bleiben. Dennoch lohnt es sich, die vier oben erwähnten Versenkungsstufen (rupajjhana = "Form-Jhanas", weil der Meditierende noch Formen und Farben, d.h. Dinge wahrnimmt) einmal anzuschauen, befähigten sie doch den Gotama zur Realisierung der Buddhaschaft.


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II. Samma-samadhi (Rechte Meditation/Konzentration, Nr. 8)

1) Die Jhanas

Gemäß einer Definition von Nyanatiloka ist "Jhana" im weiteren Sinn jeder durch intensive Konzentration (samadhi) auf ein einziges geistiges oder körperliches Objekt (bhavana) hervorgerufener Versenkungszustand des Geistes. Im engeren Sinn besteht "Rechte Konzentration" aus den vier meditativen Tiefenstufen (jhana), die im Pali-Kanon wie folgt beschrieben werden:

1. Sinnlichen Lüsten fern, frei von unheilsamen Geistesinhalten, gewinnt der Mönch die mit Nachdenken und Erwägen verbundene, aus der Abgeschiedenheit resultierende, von Freude und Glücksgefühl erfüllte erste Versenkungsstufe und verweilt darin.

2. Nach dem Zurruhekommen von Nachdenken und Erwägen gewinnt er den inneren Frieden, die Konzentration des Geistes, die aus der Meditation resultierende, von Freude und Glücksgefühl erfüllte zweite Versenkungsstufe und verweilt darin.

3. Nach der Aufhebung der Freude verweilt er leidenschaftslos, achtsam und klarbewußt und fühlt in sich das Glück, von dem die Edlen sagen: "Glücklich ist, wer gleichmütig und achtsam weilt." So gewinnt er die dritte Versenkungsstufe und verweilt darin.

4. Nach dem Schwinden von Glücksgefühl und Schmerz und durch das Verschwinden der früheren Hochstimmung und Trübsal gewinnt er einen leid- und freudefreien Zustand, die durch Gleichmut und Bewußtheit gereinigte vierte Versenkungsstufe, und verweilt darin.

Text D 22, 21 = M 141, 31 = M 39, 15-18)

(Übersetzung H. W. Schumann)


Der Meditierende durchläuft also nacheinander vier Stufen der Versenkung und auf jeder Stufe wird angegeben, welche Art Glücksgefühl er empfindet - bis die letzte Stufe dann auch von diesem völlig frei ist. Glücksgefühl ist somit nicht das letzte Ziel der Meditation.


2) Der yogische Ursprung

Es fällt auf, dass unter der 8. Verhaltensempfehlung des buddhistischen Heilsweges kurzerhand vier yogische Versenkungsübungen benannt werden: "Samma-samadhi" ist gleich den vier "Jhanas"! (Nach anderer Auffassung ist es die konzentrative Vorübung zur Versenkung.) Der Buddha, der durch seine upanishadischen Lehrer mit den Yogapraktiken seiner Zeit vertraut gemacht worden war, hatte in seine Wegempfehlung offenbar eine "Öffnungsklausel" eingebaut, die einen Freiraum bei der Gestaltung der "rechten Konzentration" gewährte. Diese Gestaltungsfreiheit lag nahe, denn wie wir wissen, hatten viele von Buddhas Anhängern vor ihrer Aufnahme in den Orden anderen Philosophenschulen angehört und dort die Yoga-Jhanas kennen gelernt und praktiziert. Der Buddha hat - so vermutet der Übersetzer K. Schmidt alle diese Übungen (z.B. die Kasina-Übungen) wenn auch nicht empfohlen, so aber doch als Alternativen stillschweigend zugelassen. Denn wer schon auf dem Erlösungsweg fortgeschritten war, brauchte kaum noch spezielle buddhistische Versenkungsrichtlinien. Ihm standen viele meditative Praktiken und Psychotechniken, die es im damaligen Indien in großer Zahl gab, zur Verfügung. Schon die kanonischen Texte, so der Indologe U. Schneider, "haben in dieser Hinsicht ein erhebliches Überangebot - ein verwirrendes, in sich auch unstimmiges Bild."

Es ist daher nicht verwunderlich, dass selbst die vom Buddha bei seinem Lehrer Alara Kalama gelernten, dann aber von ihm als unbefriedigend abgelehnten Jhanas 5 - 8 von eifrigen Texttradierern später wieder dem Samma-samadhi zugeordnet wurden. Sie heben sich von den ersten vier Stufen, in denen der Meditierer achtsam, d.h. vollbewußt bleibt, dadurch ab, dass der Meditierer in yogische Trance absinkt. Wie sie in den Pali-Kanon gelangt sind, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben, ist aus dem Kanon nicht klar ersichtlich. Vermutlich, so der Indologe H.W. Schumann, hat der Buddha einem Vertrauten seine Erlebnisse bei Alara Kalama berichtet und der Zuhörer hat das Aufgenommene weitererzählt, so dass es bei der Kompilation des Pali-Kanons in die Textmasse geraten ist. Die Versenkungsstufen 5 - 8 werden wie folgt beschrieben:

5. Bereich der Raum-Unendlichkeit (d.h. Erlebnis der Unendlichkeit des Raums),

6. Bereich der Bewußtseins-Unendlichkeit (d.h. Erfahrung, dass das Bewusstsein alles durchdringt),

7. Bereich des Nichts (d.h. Erlebnis der Nichtheil aller Dinge),

8. Bereich jenseits von bewußt und unbewußt (d.h. Tieftrance).

Im Mahaparinibbana-Sutra wird dem Ganzen sogar noch ein neuntes Jhana ("Aufhören von Wahrnehmung und Gefühl") zugefügt. Überhaupt wird mit diesem Sutra die Angelegenheit etwas unübersichtlich: Offenbar als Konzession an Buddhas Bevorzugung der Jhanas 1 - 4, mit denen er die Erleuchtung erlangt hatte, wird ihm zwar das mehrfache Durchlaufen der Jhanas 1 - 9 vor seinem Sterben nachgesagt, der endgültige Eingang ins Parinirvana erfolgte jedoch in der 4. Jhana-Stufe, also in der Mitte statt am Ende der Stufenfolge (D 16,6,9).


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III. Aufnahme yogischer Gedanken

1) Wiederentdeckung zeitloser Lehren

Der Buddha hat niemals den Anspruch erhoben, eine neue "originelle" Lehre erfunden zu haben. Er betonte vielmehr, er habe nur den "alten Weg" der zeitlosen Lehre wiederentdeckt, den auch die Heiligen vergangener Zeiten gegangen seien. Der Buddha hat daher frei und ohne Scheu das 8. Glied seines Heilsweges "samadhi" der yogischen Schule entnommen, wie er sie bei seinen früheren Lehrern kennen gelernt hatte. Hier ist am ehesten ersichtlich, dass "eine alte (wie die Atman-Lehre esoterische) Yoga-Tradition in die Lehre des Buddha eingeflossen, hier allerdings in recht eigenständiger (exoterisch-ethisch-rationalistischer) Weise weiterentwickelt worden ist" (U. Schneider).

Der Buddha hat zwar mit der offensichtlich yogischen Struktur seiner Methode eine Reihe von seit Jahrhunderten bekannten Meditations- und Konzentrationsübungen aufgenommen, "aber es handelt sich um einen Yoga, der vom religiösen Genie des Erhabenen weiterentwickelt und uminterpretiert wurde." (M. Eliade) Diese Übernahme darf daher nicht dazu führen, dass der genuin buddhistische Charakter des Erlösungsweges nach der "Vierten edlen Wahrheit" verkannt wird. Deshalb wollen wir abschließend den buddhistischen achtfältigen Pfad mit dem gleichfalls achtfachen Yoga-Pfad vergleichen, wie er im Yoga-Sutra des Patanjali (vermutlich 2. Jh. v. Chr.) überliefert ist.


2) Das Yoga-Sutra

Sowohl der buddhistische als auch der Yoga-Weg beginnt mit ethischen Regeln, auf die hier aber nicht eingegangen werden soll. Der buddhistische achtfältige Pfad geht dann weiter mit den vorstehend erörterten Gliedern

Nr. 6 = Rechte Anstrengung (samma-vayama),
Nr. 7 = Rechte Achtsamkeit (samma-sati) und
Nr. 8 = Rechte Meditation/Konzentration (samma-samadhi).

Ziel des Meditierers ist, kein an den Wiedergeburtenkreislauf bindendes Karma mehr zu sammeln, und so ist die "rechte Anstrengung" zunächst für das Sammeln guten Karmas und die "rechte Achtsamkeit" für das Vermeiden selbst guten Karmas zuständig.

Das Yoga-Sutra benennt eine andere zum "Samadhi" führende Stufenfolge als der Buddha:

Nr. 1 "yama" (= Zügelungen) und Nr. 2 "niyama" (= Befolgung der Regeln) bilden die hier nicht zu erörternden Vorstufen jeder Askese.

Nr. 3 "asana" (= Sitzhaltung), hiermit beginnt "Yoga" im eigentlichen Sinn. Es werden bis zu 84 Positionen gelehrt,

Nr. 4 "pranayama" (= Atemzügelung), Regelung des Ein- und Ausatmens und der Atemfrequenz,

Nr. 5 "pratyahara" (= Einholen der Sinne), die Sinne werden von der Außenwelt abgezogen,

Nr. 6 "dharana" (= Festhalten), Binden des Denkens z.B. an Meditationsgegenstände, um die Gedanken zum Stillstand zu bringen,

Nr. 7 "dhyana" (= Versenkung), Loslassen der Gedanken; wenn in der Versenkung der Geist des Meditierenden und der Meditationsgegenstand miteinander verschmelzen, so erreicht man

Nr. 8 "samadhi" (= Konzentration), das Erlebnis der
Nichtverschiedenheit von Geist und Materie.

Der buddhistischen "rechten Anstrengung" nach Nr. 6, also einer Methode zur geistigen Selbsterziehung, stehen nach dem Yoga-Sutra dessen Nummern 3 - 5 gegenüber, offenbar mehr technische Anweisungen. Während das buddhistische samma-sati (Nr. 7 des Achtweges) die reine Betrachtung des Atems regelt, verlangt das Yoga-Sutra die Atemzügelung, also das aktive Eingreifen in den Rhythmus.

Wir können den Yoga und seine psycho-physiologischen Praktiken aber nur verstehen, wenn wir uns klar machen, dass diese der Beseitigung von hemmenden menschlichen Grundhaltungen dienen sollen: Dem natürlichen Bewegungsdrang wird mit "asana" eine der Beruhigung dienende Körperhaltung entgegen gesetzt. Entsprechend richtet sich "pranayama" gegen den Drang des Menschen, seiner jeweiligen psychischen Situation gemäß arhythmisch zu atmen. Denn "diese Unregelmäßigkeit verursacht eine gefährliche psychische Fluidität und folglich die Instabilität und Zerstreuung der Aufmerksamkeit. ... Die rhythmische Atmung muß ein automatischer Vorgang werden, damit der Yogin sie vergessen kann." (M. Eliade) Letztlich soll die Rhythmisierung und immer weitere Verlangsamung des Atems zu Bewusstseinszuständen führen, die dem Wachzustand unzugänglich sind.

Beide achtfachen Wege enden dann in ihren Nummern 8 mit "Samadhi", wobei das buddhistische Samadhi schon fast als Erreichung des Heilsziels angesehen werden kann - des Nirvana. Im Samadhi gemäß der Yoga-Philosophie sind Geist und Denkobjekt (Meditationsgegenstand) eins geworden: Der Geist erkennt, dass er aus dem selben Urstoff (prakriti) besteht wie das Denkobjekt. Der Yogi hat nun die irrtümliche Verbindung von Seele und Materie erkannt und ist erlöst - die Buddhisten können dem wegen ihrer Skepsis in der Seelenfrage (anatta-Lehre) nicht zustimmen.

Wie wir oben (II 1) feststellten, räumen die Buddhisten dem Glücksgefühl in der Versenkung nur einen begrenzten Raum ein. Die brahmanischen Mystiker hatten dagegen das Ziel, die Identität von Atman (Individualseele) und Brahman (Weltseele) zu erkennen und so in der "Wonne" (ananda) der erlösenden Erkenntnis aufzugehen.

Der eine Weg wird offen der ganzen Menschheit angeboten, der andere esoterisch an auserwählte Schüler weitergegeben.

Wir stellen also fest, dass Heilsweg und Samadhi in Buddhismus und Hinduismus in hohem Maß verschieden sind.


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Schema: "Meditation im theravadischen Lehrgebäude"

VIER EDLE WAHRHEITEN I. Wahrheit vom Leiden
II. Wahrheit von der Leidensursache
III. Wahrheit von der Leidensaufhebung
IV. Wahrheit vom achtspurigen Weg
    1. Glied: Rechte Ansicht
    2. Glied: Rechte Gesinnung
    3. Glied: Rechte Rede
    4. Glied: Rechtes Verhalten
    5. Glied: Rechter Lebensunterhalt
    6. Glied: Rechte Anstrengung (samma vayama)
    7. Glied: Rechte Achtsamkeit (samma-sati) >

   Erweckung der Achtsamkeit (satipatthana)
    a) Achtsamkeit auf den Körper > Atembetrachtung (anapanasati)
    b) Achtsamkeit auf Empfindungen
    c) Achtsamkeit auf den Geist
    d) Achtsamkeit auf die Geistobjekte


8. Glied: Rechte Meditation / Konzentration (samma samadhi)
    (4 jhanas) >
event. Alternativen aus Hinduismus
    a) Versenkungsstufe 1
    b) Versenkungsstufe 2
    c) Versenkungsstufe 3
    d) Versenkungsstufe 4
(später: weitere vier dem Yogasystem entstammende, zur Tieftrance führende Versenkungsstufen)


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"Die Erlebnisse, die der Meditierende in den Versenkungen hat können einem Menschen, der sie noch nicht gehabt hat, auf keine Weise begreiflich gemacht werden, ebenso wenig wie einem Mann die Gefühle begreiflich gemacht werden können, die eine Frau beim Gebären ihres Kindes erlebt"
(Kurt Schmidt)


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
41. Jahrgang, Mai - August 2009/2553, Nr. 2, Seite 1-19
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de

"Der Mittlere Weg - majjhima-patipada" erscheint
nach Bedarf und ist für Mitglieder kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2009