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PRESSE/765: Das "buddhistische" Afghanistan (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Mai - August 2009
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Das "buddhistische" Afghanistan
Historische Erinnerungen an eine umstrittene Weltregion

Von Friedrich Fenzl


Die dramatischen Ereignisse der letzten Jahre, die Schreckensherrschaft der islamisch-fundamentalistischen Taliban, die Attentate von New York und Washington und die anglo-amerikanischen Luftangriffe auf Afghanistan lassen uns unsere Augen auf eine Weltgegend richten, die einst uraltes, buddhistisches Kulturland war.

Die Region des heutigen Afghanistan, Nordwestpakistan, Tadschikistan und Teile des heutigen Usbekistan wurden einst "Baktrien" genannt. Sie lag zwischen Herat und Amu-darja, "Gandhara" hieß die Gegend zwischen Kabul (heutige Hauptstadt Afghanistans) und Peshawar (heute Pakistan).

Alexander der Große errichtete während seines Feldzugs nach Indien (329-325 v.Chr.) hier mehr Städte, Garnisonen und Machtzentren als irgendwo sonst in den von ihm eroberten Ländern. Er bemühte sich um eine Verständigung zwischen Griechen und unterworfenen Persern, die der zoroastrischen Religion anhingen. Nach seinem frühen Tod (323 v.Chr.) errichteten einige seiner Generäle und Vasallen griechische Diadochenreiche (Satrapien) zwischen Oxus (Amu-darja), Hindukusch und Indus. Dieses graeco-baktrische Reich bestand nur etwa zwei Jahrhunderte. Es war eine der großartigsten Kulturschöpfungen der Menschheit, in der sich griechisch-hellenistischer Kunstsinn und Ästhetik mit indisch-buddhistischer Philosophie und Religiosität zu einer einzigartigen Symbiose verbanden. In den letzten beiden Jahrhunderten vor der Zeitenwende drang - nicht zuletzt gefördert durch die graeco-indischen Handels- und Kulturbeziehungen indo-buddhistisches Kulturgut in das Reich von Bhaktrien ein. So fand man eine in griechischer und aramäischer Sprache abgefaßte, von Kaiser Ashoka dem Großen (274-237 v.Chr.) gestiftete Felsplatte in der Nähe von Kandahar (heute Afghanistan), auf der die Menschen aufgefordert werden, die Lehre Buddhas zu verbreiten. Berühmt wurde ein Dialog, den ein griechischer Diadochenfürst namens Menandros (indisch: Milirida), der einer der bedeutendsten indo-griechischen Herrscher war, mit dem buddhistischen Mönch Nagasena geführt hat: Dieser Dialog ist als MILINDAPANHA in die buddhistische Weltliteratur eingegangen.

(Leseempfehlung: Milindapanha, O.W. Barth-Verlag, 1998, 397 Seiten)

Das zweite historische Ereignis geschah 135 v.Chr., als ein Volk, dass die Chinesen "Yuechi" und die Inder "Kuschan" nannten, in Bhaktrien eindrang, das griechisch-bhaktrische Reich stürzte und sich in der Landschaft Gandhara (Kandahar) am Kabulfluß und den Quellflüssen des Hilmand niederließ. Es waren große, blauäugige, blonde und ritterlich gekleidete Männer, die sich einer indogermanischen Sprache bedienten. Es dürften Skythen gewesen sein. Sie selbst nannten sich Tocharer. Ihr König Kanishkar ließ sich in Purushapura, heute Peshawar (Pakistan) nieder. Die Tacharer konvertierten zum Buddhismus und übernahmen die Kultur des graeco-persischen Mischvolks. Mit den Zoroastriern (Anhängern des persischen Philosophen Zarathustra) lebten sie in Frieden und Freundschaft.

So entstand hier die einzigartige "Buddhistische Antike" an der "Seidenstraße", die von China bis in die Levante und an die östliche Mittelmeerküste führte. Viele Kaufleute aus dem Kuschanreich, die die "Seidenstraße" bereisten, waren Buddhisten, die den Buddhismus und buddhistisches Kulturgut nach Zentralasien und China brachten.

Der große, buddhistische Pilger Hiuen-Tsiang, der Anfang des 7. Jd. nach Gandhara in das Kuschanreich kam, beschrieb es in begeisterten Worten. Im Jahre 632 (Todesjahr des Propheten Mohammed) traf er im Bamiyan-Tal ein. Im Tal von Bamiyan waren in das weiche Gestein Hunderte von Höhlen, Nischen und Grotten mit buddhistischen Fresken und Wandmalereien geschaffen worden. Bedeutender aber waren die beiden aus dem Fels gehauenen Riesenbuddhastatuen (53 und 35 Meter). Die kleinere hatte eine Verkleidung aus vergoldetem Metallblech, die größere, die den künftigen Buddha Maitreya darstellte, eine auf Stuck aufgelegte Mönchstoga, die gewiß farbig erhöht und mit Gold und Juwelen geschmückt war. Es entstanden unzählige Buddha- und Bodhisattvastatuen, in denen sich griechisch-hellenistische, ästhetische Formen widerspiegelten. Man nennt diese Kunst "Gandhara Kunst", sie ist eine der eindrucksvollsten Schöpfungen der Menschheitskultur. Münzen, die in jener Zeit geprägt wurden, zeigen Buddha in Lotussitz und eine Umschrift in indischer Prakrit- und griechischer (!) Schrift.

Die Katastrophe brach über Bamiyan und ganz Gandhara herein, als die hephtalitischen Hunnen und später die Moslems diese Gegend verwüsteten. Muslimische Eiferer meißelten den Statuen von Bamiyan die Gesichter ab. Ihre völlige Zerstörung erfolgte aber erst im "aufgeklärten" 21. Jd. durch die fundamentalistischen Taliban.


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
41. Jahrgang, Mai - August 2009/2553, Nr. 2, Seite 26-27
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2009