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PRESSE/805: Dorin Genpo Zenji - Vortrag nach einem Sesshin (Zenshin)


ZENSHIN - Zeitschrift für Zenbuddhismus, Nr. 1/09

Vortrag nach einem Sesshin

Von Dorin Genpo Zenji


Das Sesshin geht nun langsam zu Ende. Alle haben gut mitgemacht und dazu beigetragen, dass eine besondere Atmosphäre entstanden ist, die es ermöglichte, konzentriert und in aller Ruhe Zazen zu üben. Es ist für mich sehr wichtig mit Euch hier zu üben und ich bin sehr dankbar, dass ihr alle mit guter Motivation geübt habt.

Was erwartet man eigentlich von der Teilnahme an einem Sesshin? Angenehme Gefühle, Ekstase, Erleuchtungserlebnisse, Entspannung, Wellness? Warum nehmen die einen gerne teil? Warum kommen viele unserer Mitglieder und Freunde nicht zum Üben und halten sich von den Sesshin fern? Es gibt immer wieder viele wichtige Gründe und Erklärungen, warum man nicht teilnehmen kann: keine Zeit, zu beschäftigt, wichtigeres als die Begegnung mit sich selbst. Doch was gibt es wichtigeres als die große Sache von Geburt, Alter, Krankheit und Tod zu verstehen?

Habt Ihr Euch schon einmal überlegt wie es wäre, wenn ihr jetzt sterben müsstet? Was wäre, wenn jetzt eure Zeit gekommen wäre? Was würdet ihr machen? Wir alle wissen, dass wir einmal sterben müssen. Doch wir beschäftigen uns nicht gerne mit diesen Gedanken und verdrängen diese Tatsache. Zenleute lernen jedoch in ihrer spirituellen Praxis, sich solchen vermeintlich unangenehmen Gedanken zu stellen und sich damit intensiv auseinander zu setzen. Wer sich jedoch im Alltagsleben keine Mühe gibt und nur an der Oberfläche des Lebens bleiben möchte, der wird sich auch nicht gerne mit der Tatsache der Vergänglichkeit beschäftigen. Wer jedoch das Leben wichtig nimmt, wird sich daran machen, die große Sache von Leben und Tod bereits in diesem Leben erledigt zu haben.

Wer sich beim Sitzen ernsthaft fragt, Wer bin ich? Was macht mich eigentlich aus? Was ist mein Ego? Woher komme ich? Wohin gehe ich?, der wird die Antworten in sich selbst finden. Wer nur im Außen sucht oder wer erwartet, dass ihm jemand anderes diese Aufgabe abnehmen kann, der täuscht sich. Wer von Euch hat sich schon einmal ernsthaft gefragt, was sein Ego eigentlich ausmacht? Warum denken wir immer "Ich"?

Mit diesem Körper können wir die Wahrheit erfahren. Dieser Körper trägt die Wahrheit in sich. Wer sich nicht selbst begegnen möchte, der wird sich nicht auf den Weg machen. Wer den Dharma verstanden hat, der sieht die Wahrheit nicht getrennt von sich. Wer die Wahrheit gesehen hat, wird erkennen, dass Leben und Tod, Erleuchtung und Samsara, Weisheit und Unwissenheit nur die beiden Seite der Medaille sind. Form ist Leerheit, Lehrheit ist Form. Das bedeutet, alles ist mit allem verbunden, verwoben, ist ohne das andere nicht möglich.

Wir leben in einer Welt der Illusionen, die sich von Gier, Hass und Unwissenheit nährt. Es ist darum notwendig die Augen zu öffnen und zur Wirklichkeit zu erwachen. Wenn wir erkennen, dass sich unsere Denk- und Sichtweise ändern muss, können wir anfangen heilsam zu handeln. Durch unsere Art zu denken, produzieren wir am laufenden Band unheilsame Ergebnisse. Wenn wir anfangen unsere Art des Denkens zu verändern, dann verändern wir unsere Handlungen und auf diese Weise die Welt.

Es ist nicht leicht diesen Weg zu gehen, doch erlebt der Übende mit jedem Schritt, den er zurücklegt, dass sich die Wahrheit immer deutlicher zeigt. Zuerst zaghaft und leise, dann im Laufe der Zeit, zeigt sie sich immer deutlicher und überwältigend. Wenn sich die Wahrheit zeigt, dann haben Gier, Hass, Angst und Verzweiflung keinen Platz mehr im Herzen des Übenden.


Über Leben und Tod

Als Daito Kokushi spürte, dass sich sein Leben dem Ende zuneigt, wollte er noch einmal im vollen Lotossitz Zazen üben. Über Jahre hatte er Probleme mit den Beinen und konnte nur im halben oder viertel Lotossitz Zazen üben. So setzte er sich auf das Kissen und sagte sich, dass der Geist den Körper beherrscht und nicht umgekehrt. Er nahm ein Bein und legte es auf den Oberschenkel, durch die Bewegung brach ein Knochen. Auch als er das andere Bein nach oben zog brach ein Knochen. Der Bruch war ein offenen Bruch und Blut floss durch seinen Kolomo auf das Kissen. Doch er blieb im Zazen sitzen. Nach einiger Zeit rief er nach den Mönchen. Diese kamen erschrocken in die Zendo gelaufen. Er sagte ihnen auf Wiedersehen und starb.

Es gibt viele Geschichten von Zen-Meistern, die genau wussten, dass und wann sie sterben mussten. Viele haben die restliche Zeit benutzt, sich von ihren Schülern zu verabschieden und sie mit ihrem Vorbild zu sterben zu belehren.

Meister Hakuin starb mit einem kräftigen Schrei. Andere starben nachdem sie ein Sterbegedicht verfasst hatten. Seki Bokuo sagte zu seinen Schülern, jetzt ist genug ich muss sterben. Er fing an, das Shikuseigan zu rezitieren. Doch sein Lehrer Seisetsu Gensho Zenji war noch am Leben und kam in den Raum und sagte, nein, nein, das ist noch zu früh. Auch der Arzt, der gerufen wurde, meinte, dass er noch etwas Zeit hätte. Als jedoch alle Mönche und Freunde anwesend waren, begann er wieder das Shikuseigan zu rezitieren. Alle stimmten ein und er verstarb. Es ist sehr wichtig, wie wir sterben. Wenn wir uns vorbereiten und gelernt haben, mit dem Tod zu leben, dann haben wir keine Angst mehr und können nicht mehr verwirrt werden.

Die ganze Welt enthält die Wahrheit, ist die Wahrheit selbst.


Shikuseigan (Die vier Gelöbnisse)

So zahlreich die Lebewesen auch sind,
ich gelobe, sie alle zu retten.
So unerschöpflich meine Illusionen auch sind,
ich gelobe, sie alle auszulöschen.
So unermesslich die Dharmalehren auch sind,
ich gelobe, sie alle zu meistern.
So unendlich der Buddhaweg auch ist,
ich gelobe, ihm zu folgen.


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Quelle:
ZENSHIN - Zeitschrift für Zenbuddhismus, Nr. 1/09, S. 9-10
Herausgeberin: Hakuin Zen Gemeinschaft Deutschland e.V. (HZG)
Burggasse 15, 86424 Dinkelscherben
Redaktion: Nanshu Susanne Fendler / Bunsetsu Michael Schön
Übelherrgasse 6, 89420 Höchstädt a.d.D.
E-Mail: s-fendler@t-online.de / schoen-bio@gmx.de
Internet: www.shoboji.de

ZENSHIN erscheint halbjährlich.
Einzelheft 7,50 Euro inklusive Versand


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2009