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PRESSE/807: Der Shoboji Zen-Tempel (Zenshin)


ZENSHIN - Zeitschrift für Zenbuddhismus, Nr. 1/09

Der Shoboji Zen-Tempel

Von Dorin Genpo Zenji


Manchmal gibt es viele Missverständnisse und Enttäuschungen wenn Teilnehmer zum ersten Mal zu uns kommen. Im Laufe der Jahre haben wir, habe ich, die unterschiedlichsten und gegensätzlichen Reaktionen unserer Gäste erleben dürfen und es kommen immer noch neue Varianten dazu. Einige davon sind besonders in Erinnerung geblieben oder "bemerkenswert" und sollen deshalb zu Papier gebracht werden.

Es kam sehr oft vor, dass jemand vor dem Gartentor stehen blieb und ganz entrüstet ausrief: "Das ist ja ein ganz normales Haus. Das ist doch kein Tempel!" Oder: "Das hab ich mir aber ganz anders vorgestellt." Manche machten dann tatsächlich kehrt, ohne das Grundstück betreten zu haben und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Wenn ich die Chance erhielt, den Ankömmling herein zu bitten, fragte ich den einen oder anderen, was er oder sie sich denn vorgestellt oder erwartet hätte. Die Antworten fielen alle sehr ähnlich aus: "Ein japanisches oder chinesisches Gebäude mit geschwungenem Dach. Ein Steingarten. Buddhistische Architektur und ein Tempeltor."

Gelegentlich kamen dann solch enttäuschte Besucher nur noch herein, um ihren Durst zu löschen und/oder baten darum, die Toilette benutzen zu dürfen und machten sich dann umgehend auf den Heimweg. Vielleicht waren sie dabei wenigsten froh, kein original japanisches Tempel-Plumpsklo vorzufinden. Vermutlich haben sie sich aber über solche Feinheiten keine Gedanken gemacht.

Nun aber einmal zu den Zeninteressierten, die sich trotz anfänglichen Widerstands, zum Bleiben und Mitmachen entschlossen hatten. Auch hier gab und gibt es eine bunte Palette von Reaktionen und Verhaltensmustern. Am einfachsten ist der Einstieg für solche Teilnehmer, die an keinen festen Vorstellungen haften und wissen, dass ihre Erwartungshaltung nicht das Maß aller Dinge sein kann. Des weiteren halten sich Überraschungen in Grenzen, wenn man sich bereits im Vorfeld über den Tempel und seinen Hintergrund informiert hat(te) und sich mit den schriftlichen Unterlagen beschäftigt(e). Wenn man sich dann entschließt, am Tempelleben oder am Sesshin teilzunehmen, sollte es eigentlich klar sein, wohin und warum man dort hin fährt.

So kann ich oft wenig Verständnis für folgende Fragen aufbringen: "Was soll denn die Buddhafigur da vorne? Warum rezitiert man hier so unverständliches Zeug? Sind Sie Buddhist? Warum soll ich so früh aufstehen? Warum gibt es hier so viele Regeln? Warum muss ich den Tagesablauf mitmachen?"

Es scheint wirklich so, dass "Tempel, Zen-Tempel, Kloster auf Zeit, buddhistische Gemeinschaft, Tempelleben, Retreat, Buddhismus, Zen-Buddhismus" für die Menschen unverbindliche, nichtssagende Begriffe sind. Dann möchten sie sich auch selten die Mühe machen, zu erforschen, was wirklich dahinter steckt. Unsere Gesellschaft, aber auch wir Buddhisten, gehen mit Worten oft sehr oberflächlich und leichtsinnig um. Alles wird zum eigenen Vorteil benutzt und umgedeutet. Auf den Missbrauch buddhistischer und spiritueller Titel möchte ich an dieser Stelle gar nicht eingehen. So ist es also kein Wunder, dass sich die Menschen in einem Tempel nicht so verhalten, wie es sich eigentlich geziemen würde. Gibt es doch in Europa sogenannte Tempel, die in ihren Gemäuern Bar und Disco beherbergen und die Zusammenkünfte zu Sesshin eigentlich nichts anderes als Happenings und Saufgelage sind.

Wie entsetzt reagieren manche Besucher und Teilnehmer, wenn sie im Shoboji nicht rauchen dürfen und keinen Alkohol bekommen. "Was seid ihr kleinlich und spießig!" Ebenso schwer fällt es vielen, wenn es um die Übung des Schweigens geht. Jede Gelegenheit, in der man sich unbeobachtet fühlt, wird zum Tuscheln und Gespräch genutzt. Mit Ärger und Entrüstung reagieren manche sogar, wenn man sie bittet, sich an die Tagesordnung zu halten, die festgelegten Zeiten einzuhalten und sich mit den Zenregeln auseinanderzusetzen. Auf Ablehnung und vollkommenes Unverständnis stößt, wenn die Anwesenden bemerken, dass eigentlich niemand da ist, der kontrolliert und maßregelt, sondern jeder Einzelne aufgefordert ist, selbstverantwortlich und gut motiviert, die eigene Schulung und Übung voran zu bringen. Immer wieder kommt es vor, dass ein Teilnehmer, obwohl er freiwillig und aus eigenem Antrieb zum Üben gekommen ist, jede nur erdenkliche Chance nützt, sich zu drücken, wo es geht. Nach ein oder zwei Tagen sagen solche Leute dann, dass sie nach Hause gehen, da es ihnen nicht gefällt, wie im Shoboji Zen in den Alltag integriert wird. Dabei sind sie es selbst, die nicht erkennen, dass sie eine einmalige Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen und sich im Einteilen, Beurteilen, Verurteilen und Ablehnen verlieren.

Gar nicht gut komme ich an, wenn ich die authentische Zenschulung umsetzen möchte. Bis heute habe ich kaum jemanden im Westen getroffen, mit dem man sich auf der "Zenebene" auseinandersetzen und sich wirklich gegenseitig auf den Zahn fühlen kann. Alles läuft hier auf der intellektuellen Schiene und niemand möchte wirklich tiefer schürfen. Das Ego wird verteidigt wie eine Festung über einem Pass. Kommt man dieser Festung zu nahe, erlebt man sein blaues Wunder.


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Quelle:
ZENSHIN - Zeitschrift für Zenbuddhismus, Nr. 1/09, S. 11-12
Herausgeberin: Hakuin Zen Gemeinschaft Deutschland e.V. (HZG)
Burggasse 15, 86424 Dinkelscherben
Redaktion: Nanshu Susanne Fendler / Bunsetsu Michael Schön
Übelherrgasse 6, 89420 Höchstädt a.d.D.
E-Mail: s-fendler@t-online.de / schoen-bio@gmx.de
Internet: www.shoboji.de

ZENSHIN erscheint halbjährlich.
Einzelheft 7,50 Euro inklusive Versand


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2009