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PRESSE/917: Liedermacher Konstantin Wecker meets Zen-Meister Bernie Glassman (Buddhismus aktuell)


Buddhismus aktuell, Ausgabe 2/2011
Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union

Über die Liebe - Ein Gespräch unter Männern

Liedermacher Konstantin Wecker meets Zen-Meister Bernie Glassman


Die beiden Männer verbindet viel: ihre nicht nachlassende und geradezu ungebändigte Kraft, sich für soziale und gesellschaftspolitische Projekte zu engagieren, eine durch Krisen gereifte Lebenserfahrung sowie die Erkenntnis, dass wir einzig durch liebevolles Handeln und tätiges Mitgefühl die Welt verändern können. Kein einfacher Weg, wie der 72-jährige Zen-Meister und der 63-jährige Liedermacher in ihrem Gespräch mit Christa Spannbauer bekennen.


KONSTANTIN WECKER: Was ich an dir, Bernie, so großartig finde und was mich von Anfang an beeindruckte, ist, dass du mir nie das Gefühl gibst, dass du der bessere oder der weisere Mensch bist. Ich kenne viele Menschen auf dem spirituellen Weg, die den Eindruck erwecken, sie hätten den einzigen Weg zur Glückseligkeit gefunden, und die irgendwo schon auch glauben, dass sie die besseren Menschen sind, weil sie meditieren. Viele spirituelle Traditionen betonen ja, dass du auf deinem Weg gar nicht weiterkommen kannst ohne die Berührung und Unterweisung eines Meisters. Und ich selbst glaube schon auch, dass es spirituelle Meister braucht, um an ihnen zu sehen, was uns als Mensch möglich ist. Wenn es sie nicht gäbe, gäbe es auch keinen Antrieb, auf dem spirituellen Weg weiterzugehen. Mich persönlich interessiert jedoch nur ein Liebender als Meister, einer, dem das Mitgefühl förmlich aus allen Poren quillt. Von einem spirituellen Lehrer, bei dem das nicht der Fall ist, würde ich mir vielleicht eine Meditationstechnik erklären lassen, doch sicherlich würde ich mich ihm weder anvertrauen noch ihn als Meister akzeptieren. Dafür habe ich einfach schon zu viele großartige Menschen in meinem Leben kennengelernt, die von Mitgefühl und großer Liebe erfüllt waren, ohne dass sie einen spirituellen Weg gegangen waren. Die sind mir weit mehr Meister als einer, der mir eine gute Meditationstechnik beibringen kann.

BERNIE GLASSMAN: In den ersten Jahren meiner Zen-Praxis war auch ich ein ziemlicher Hardliner. Im japanischen Zen gibt es den Kyosaku (Stock), den ich anfangs sehr viel benutzte, um die Leute damit zum Erwachen anzutreiben. Ich schrie die Leute an und schlug sie damit, bis sie wirklich Angst vor mir bekamen. Heute vergleiche ich diese Art von Zen mit chemischer Landwirtschaft. Man zwingt die Natur dazu, schneller zu wachsen, doch mit Mitteln, die sie schädigen.

Was mich wirklich von innen heraus verändert hat, ist das tiefe Gefühl der Liebe, das ich in den vergangenen Jahren bei meinen Auschwitz-Retreats erfahren durfte. Bei meinen ersten Retreats fühlte ich wie alle Menschen, die dorthin kommen, großen Schmerz und sehr viel Wut. Doch mit jedem weiteren Retreat veränderten sich diese Gefühle. Auschwitz ist mein großer Lehrmeister. Dieser Ort lehrte mich Liebe. Als ich im vergangenen Jahr von Auschwitz nach Berlin kam und wir beide uns erstmals trafen, sprachen wir sehr viel über die Liebe. Früher war ich beileibe kein Mensch, der über die Liebe gesprochen hätte. Doch durch die Veränderungen, die in meinem Leben stattgefunden haben, ist es mir zwischenzeitlich wichtig geworden.

KONSTANTIN WECKER: Als ich vor einiger Zeit ein Tourneeprogramm über die Liebe zusammenstellte, wurde mir bewusst, dass etwa 80 Prozent meiner 600 Lieder von der Liebe handeln. Das wusste ich bis dahin gar nicht. Ich sprach bis dahin auch nicht öffentlich über die Liebe. Doch seit einem Jahr ist es plötzlich das bestimmende Thema für mich. Dabei gibt es kaum ein Wort, das so missbraucht wurde wie die Liebe. Hollywoodfilme, Popsongs und Schlager haben sich ihrer bemächtigt und zeigen eine dramatisch eingeschränkte Vorstellung von der Liebe auf. Es gibt doch aber ganz andere Dimensionen der Liebe. In unserer Gesellschaft wird die Liebe wie ein Besitz gehandelt, als etwas, das wir haben wollen, an dem wir festhalten und das wir keinesfalls verlieren möchten. Liebe ist aber immer schon da. Wir können sie weder bekommen noch verlieren. Und "niemand kann die Liebe binden", wie ich in einem meiner Lieder geschrieben habe. Ich weiß nicht, wie es dir geht, ich aber habe das Gefühl, dass wir Männer uns in dieser Gesellschaft weit schwerer tun mit dem Lieben als die Frauen. Wir sind sehr gut im Geliebtwerden. Und das verwechseln wir dann oft mit Liebe. Wir glauben, bei der Liebe ginge es vor allem darum, geliebt zu werden. Ich selbst habe lange gebraucht zu verstehen, dass Liebe ein aktives Geschehen ist. Und ich glaube, dass wir Männer in Bezug auf das Lieben noch einiges lernen müssen und einen großen Nachholbedarf haben.

BERNIE GLASSMAN: Das trifft ganz bestimmt auch auf mein Leben zu. Ich hatte einen Vater, der keine Liebe zeigen konnte. Meine Mutter war ein liebevoller Mensch, doch sie starb, als ich acht Jahre alt war. Ich hatte also kein Vorbild für Liebe. Als meine zweite Frau vor einigen Jahren starb, erlebte ich dies als einen schweren Verlust, der zugleich einen grundlegenden Transformationsprozess einleitete. Erstmals verstand und erlebte ich, was Liebe wirklich ist. Doch das alles geschah, als ich bereits 60 Jahre alt war. Die Prägungen meiner Kindheit haben also sehr lange nachgewirkt. Ich stimme dir daher völlig zu: Die meisten Männer finden nur schwer Zugang zur Liebe. Und es ist immer noch schwierig für Männer, Liebe zu zeigen. Wo ich aufgewachsen bin, galt das als ein Zeichen von Schwäche. Das führt zu einem schmerzlichen Mangel im Leben vieler Männer. Auch ich litt lange darunter.

KONSTANTIN WECKER: Ich musste mir das Wort "Liebe" erst mal "entkitschen", um es wieder verwenden zu können. Das war ein langer Prozess. Gerade die Dichter sind ja dazu aufgerufen, sich die Worte wieder zurückzuerobern. Und dafür muss man sich erst einmal von ihnen befreien. Worte sind Symbole. Dieser Aussage hätte ich zwar schon im Alter von 20 Jahren zugestimmt, doch sie hätte für mich innerlich eine ganz andere Bedeutung gehabt. So geht es mir mit vielen Begriffen. Sie verändern sich unablässig. Ich habe auch den Tod schon sehr früh thematisiert, er kommt in vielen meiner Lieder vor. Oft handeln sie davon, sich dem Tod entgegenzustellen und sich ihm zu widersetzen. Seit einigen Jahren spüre ich nun, dass der Tod für mich weit mehr ist als ein gedanklicher Prozess und dass es nichts gibt, was wir ihm entgegensetzen könnten. Die Bedeutung des Wortes Tod ist bei und vor allem in mir angekommen. Sicherlich hat das auch mit dem Tod meiner Eltern zu tun. Ich bin plötzlich nicht mehr nur theoretisch sterblich, sondern habe begriffen, dass ich wirklich sterblich bin. Spätestens in meinem Alter sollte man auch dahin kommen, dies zu kapieren.

So geht es mir mit vielen Dingen und so ging es mir auch mit Gott. Es brauchte lange und schwere Auseinandersetzungen mit Gott, doch schließlich gelang es mir, ihn von all dem Ballast zu befreien, den das Wort "Gott" mit sich herumträgt. Ich habe Gott entdinglicht und entmenschlicht. Ich erkannte, dass Gott dieser unfassbare Bereich des Ganz-Anderen ist. Das ist es, was ich unter Mystik verstehe. Alles das, was wir mit unserem Denken nicht begreifen und mit Worten nicht ausdrücken können. Und das ist ungeheuer groß. Dieses Namenlose ist es auch, was Melodien und Gedichte schenkt. Die großen Dichter haben es geschafft, allein durch die Zusammenstellung der Worte diese von ihrer üblichen Bedeutung zu befreien. Sie konnten dadurch das hörbar machen, was mit Worten eigentlich nicht auszudrücken ist. Jedes gute Gedicht ist letztlich ein Liebesgedicht. Die großen Dichter wissen, dass es die Liebe ist, die die Welt im Innersten zusammenhält.

Würdest du sagen, Bernie, dass die sozialen Projekte, die du gegründet hast, auf Liebe basieren?

BERNIE GLASSMAN: Ganz sicher. Meiner Erfahrung nach bringt sozial engagiertes Handeln die Liebe in uns hervor. Es geht für mich immer um Menschlichkeit. Die Essenz des Buddhismus ist es, die Einheit des Lebens zu erfahren. Und wir erfahren diese am eindrücklichsten, indem wir anderen dienen. "Du kannst die Tiefe der Erleuchtung eines Menschen daran erkennen, wie er anderen Menschen dient", sagte Kobo Daishi, der Begründer des Shingon-Buddhismus. Wenn du dich um einen anderen Menschen kümmerst, dann ist dies Ausdruck von Liebe. Die Praxis des sozial engagierten Buddhismus, so wie ich sie vermittle, ist das Handeln aus der nicht dualistischen Erfahrung. Das unterscheidet sich grundlegend von landläufigen Vorstellungen des Helfens. Denn es beruht auf den drei Grundlagen der Zen-Peacemaker vom Nichtwissen, Zeugnisablegen und liebevollen Handeln. Wir gehen in jede Situation nicht wissend und mit völliger Offenheit hinein, wir hören sehr genau auf die Menschen, denen wir dienen wollen, und legen Zeugnis ab von dem, was sie fühlen und was sie brauchen. Wenn wir aus einer nicht dualistischen Sichtweise heraus handeln, dann kümmern wir uns nicht nur um die anderen, sondern sorgen zugleich auch für den Teil in uns, der hungrig ist, sich verletzt und ungeliebt fühlt. Wir dienen also immer auch uns selbst, indem wir anderen dienen. Dies öffnet uns für die Erfahrung der wechselseitigen Verbundenheit des Lebens. Wir strecken bewusst die Hand nach dem anderen aus, wissend, dass es einen anderen gar nicht gibt, da wir alle eins sind. Doch viele Menschen erleben sich als getrennt von den anderen. Das Dienen wird für sie zu einer Erfahrung der Verbundenheit.

Meine erste entscheidende Veränderung begann mit meinen Straßen-Retreats. Wenn wir für eine Woche auf die Straße gingen, dann hatten wir nichts bei uns, kein Geld, keine Nahrung, nur die Kleidung, die wir am Leibe trugen. Wir waren obdachlos. Und so wurden wir auch von den Menschen behandelt, die entweder wegblickten oder uns mit Abscheu anschauten. Ich musste feststellen, dass selbst die Helfer in den Suppenküchen mitleidig auf uns herabblickten. Damals entschloss ich mich, meine eigene Arbeit mit Obdachlosen anders zu gestalten - ohne Trennung und frei von Überlegenheit.

Um sich wirklich effektiv engagieren zu können, muss man erst herausfinden, was Sache ist. Das ist die Zen-Basis unseres sozialen Engagements: Nichtwissen und Zeugnis ablegen, von dem, was wir vorfinden. Wir haben eine Suppenküche eröffnet, die wir jedoch bewusst nicht Suppenküche nennen, sondern einfach nur Café. Jeder, der hereinkommt, wird bedient und wir servieren gutes Essen an gedeckten Tischen. Wenn du das Café betrittst, kannst du erst mal nicht unterscheiden, wer arm und wer reich ist, wer obdachlos ist und wer nicht. In das Café können Menschen aller Gesellschaftsschichten kommen. Diejenigen, die Geld haben, bezahlen für das Essen und diejenigen, die keines haben, kriegen es umsonst. Das Ausschlaggebende dabei ist, dass keiner sich als Mensch zweiter Klasse fühlt. Unser Motto lautet: Dienen mit Würde, dienen mit Liebe. Das ist eine Arbeit, die von Liebe getragen ist und in der sich Liebe gleichsam auf natürliche Weise entwickelt.

KONSTANTIN WECKER: Was für eine großartige Idee - ein gemeinnütziges Café, in dem einfach alle Menschen ohne Unterschied beieinandersitzen! Darüber müssen wir beide noch genauer reden, denn das sollte man unbedingt mit engagierten Leuten auch hier in München in die Tat umsetzen. Das ist ein wunderbares Beispiel für tätiges Mitgefühl. Für mich persönlich sind Liebe und Mitgefühl weit wichtiger als die sogenannte Erleuchtung. Ich weiß sowieso nicht, was Erleuchtung letztlich ist und deshalb bemühe ich mich auch nicht darum. Was ich mir jedoch wünsche, ist, eines Tages zu einem wahrhaft Liebenden zu werden.


Hinweis: Erstmals trafen sich die beiden Männer im vergangenen Jahr zu einer gemeinsamen Veranstaltung in Berlin. Aus der Begegnung erwuchs ihnen nicht nur eine tiefe Sympathie füreinander. Es entstand auch die Idee zu einem gemeinsamen Buch, das im August beim Kösel Verlag mit dem Titel "Es geht ums Tun und nicht ums Siegen" erscheinen wird und für das sie sich vor Kurzem zu gemeinsamen Gesprächen mit der Herausgeberin Christa Spannbauer in München trafen (www.christa-spannbauer.de). Bernie Glassman wird auf dem Buddhistischen Kongress in Mainz vom 11.-13. Juni zu diesem Thema einen Vortrag halten.

Infos unter: www.buddhismus-und-ethik.de

Konstantin Wecker, geboren in München, ist ein erfolgreicher deutscher Musiker, Liedermacher, Komponist, Schauspieler und Autor. Er war stets gesellschaftspolitisch engagiert, ob in der Friedensbewegung oder gegen den Rechtsextremismus, gehörte jedoch nie einer Partei an. Weitere Infos unter: www.wecker.de

Bernie Glassman Roshi ist Dharma-Nachfolger von Taizan Maezumi Roshi. Er gründete die Zen Community of New York und wurde als einer der Gründer des sozial engagierten Buddhismus bekannt.

Weitere Infos unter: www.peacemakers.org


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Quelle:
Buddhismus aktuell, Ausgabe 2/2011, S. 20-23
Herausgeberin: Deutsche Buddhistische Union (DBU)
Buddhistische Religionsgemeinschaft e.V.
www.dharma.de
www.buddhismus-deutschland.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2011