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PRESSE/932: Viele Buddhas und der Ur-Buddha (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 3, September - Dezember 2011
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Viele Buddhas und der Ur-Buddha

von Hans Wolfgang Schumann


Der historische Buddha Gautama hatte erklärt, dass es bereits vor ihm voll erwachte Buddhas gegeben habe, dass aber niemals mehrere Buddhas gleichzeitig in der Welt auftreten. Jeder Buddha sei einer bestimmten Zeitperiode zugeordnet. Der Mahayana-Buddhismus vertritt die gegenteilige Meinung. Das Leiden in der Welt sei so erschreckend und so weit verbreitet, dass ein Buddha allein seiner nicht Herr werden könne. Es gebe deshalb Buddhas wie Sandkörner am Gangesufer - verstreut über alle Gegenden des Raums.

Fünf Buddhas wurden von den Gläubigen aus der Vielzahl von Buddhas herausgehoben. Im Zentrum der Kompassrose steht der historische Buddha Gautama, der auch als Shakyamuni ("der Weise aus der Shakya-Familie") oder Vairocana ("der Sonnengleiche") bezeichnet wird, aber nur in unserer Leidhaften Saha-Welt aktiv ist. An Bedeutung überstrahlt wird er von dem transzendenten Buddha Amitabha, der im Westen, dem Land der untergehenden Sonne, zu Hause ist. Hier verwaltet er das Zwischenparadies Sukhavati ("das Glückhafte"), in dem jeder wiedergeboren werden kann, der die karmischen Voraussetzungen erfüllt. Von diesem, von sinnlichen Verlockungen freien Zwischenparadies geht er beim Tod direkt ins Nirvana ein.

Analog gestaltet ist das im Osten gelegene Zwischenparadies des Buddha Akshobhya. Es heißt Abhirati ("das Genüssliche"), ist aber ebenfalls ohne Sinnesverlockungen und erlaubt dem dort Wiedererstandenen nach seiner Läuterung direkten Eingang ins Verlöschen (Nirvana). Zum Paradies Sukhavati steht es in scharfer Konkurrenz. Weniger bedeutend - und nicht als Zwischenparadiese anerkannt - sind das im Norden gelegene Reich des Buddha Amoghasiddhi und das südliche Reich des Buddha Ratnasambhava. Diese beiden Buddhas können nur innerweltlichen Nutzen gewähren wie gute Ernte und Reichtum. Das System der fünf Buddhas lässt sich graphisch darstellen und bildet das Thema vieler tibetischer Rollbilder: Eine neue Form von Buddhismus bahnte sich an im "Tantra der Geheimversammlung" (Guhyasamajatantra), einem Sanskrit-Buch des 5./6. Jh. nach Christus. Das Werk brachte erneut zu Bewusstsein, dass der im Zentrum der Windrose beheimatete Buddha Vairocana ("der Sonnengleiche") mit dem historischen Buddha Gautama identisch ist, der - schon in der Beschreibung der Pali-Texte - zum Sippenverband der Sonne (aditya) gehört und wie sie die ganze Welt durchstrahlt (virocate). Zudem enthält dieses Buch die Aussage, dass die vier Buddhas der Raumquartiere aus der Meditation des Vairocana hervorgegangen seien, der deshalb auch als "Vater der Buddhas" bezeichnet wird. Im 8. Jh. entstand unter den Tantrikern die Überzeugung, dass es sich bei Vairocana um den "Urbuddha" (Adibuddha) handele, in dem das Absolute sich personifiziert hat. Vairocana wurde darum aus der Realitätsebene der Sambhogakaya-Buddhas herausgehoben und auf die höchste Ebene, die des Dharmakaya versetzt. In seiner ältesten künstlerischen Daseinsform gab man ihm vier Gesichter und den Beinamen "Der Alleswisser" (Sarvavid).

Man kann annehmen, dass diese Aufstockung zum Absolutheitsbuddha dem Vorbild des Islam gefolgt ist, dessen Monotheismus schon im 7. Jh. Eingang nach Indien gefunden hatte. Anscheinend war es die Absicht der Tantriker, die schwer überschaubare Vielzahl mahayanischer Buddhas durch einen Mono-Buddhismus zu ersetzen.

Aber es blieb nicht bei Vairocana. Andere tantrische Schulen gaben dem Adibuddha andere Namen und stellten ihn in der Kunst in anderer Ikonographie dar. An der Stelle Vairocanas verehrten sie den Adibuddha als Vajrasattva, Vadjradhara oder Samantabhadra.

Um das Jahr 1200 mit der gewaltsamen Vertreibung des Buddhismus aus Indien durch muslimische Heere kam auch die schöpferische Aktivität buddhistischer Denker zum Erliegen. Die Lehre des Buddha wäre vermutlich ausgestorben und vergessen, hätte sie nicht zu jenem Zeitpunkt in den Ländern im Umkreis um Indien bereits eine neue Heimat und begeisterte Anhänger besessen.


Dharmakaya
(personifiziertes Absolutes)

Ur-Buddha Vairocana oder
Ur-Buddha Vajrasattva oder
Ur-Buddha Vadjradhara oder
Ur-Buddha Samantabhadra.


Sambhogakaya
(Transz. Buddhas der Raumgegenden)

Akshobhya
Ratnasambhava
Amitabha
Amoghasiddhi


Nirmanakaya
(Irdische Buddhas der Zeiten)

Kanakamuni
Kasyapa
Gaautama
Maitreya


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Das Mandala der fünf Vollendeten.

- Der Zentralbuddha Vairocana als Sarvavid, der "All-Wisser". Als Durchstrahler des Alls und Vereiniger des Erlösungswissens der vier Außenbuddhas ist er viergesichtig. Sein ursprüngliches Attribut, die Sonnenscheibe, ist durch das Rad der Lehre ersetzt.


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
43. Jahrgang, September - Dezember 2011/2555, Nr. 3, Seite 13-14
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2011