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PRESSE/966: China, Dàoismus und der Einfluss auf den Buddhismus, 2. Teil (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2013, Januar - April
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

China, Dàoismus und der Einfluss auf den Buddhismus

von Norbert RinDô Hämmerle



(Fortsetzung und Schluss)

Der Dàoismus erreichte in seinen philosophischen Schulen, bei seinen Anhängern und im chinesischen Volk große Popularität, weil er sehr praktische, bodenständige und nachvollziehbare Ansichten vertrat. Aus den Schulen entwickelten sich spirituelle dàoistische Orden, die mit Beginn der neuen Zeitrechnung fest im gesellschaftlichen Leben verankert waren und sich ebenfalls in vielen Künsten (Gewerken) niederschlugen. Gemeinschaftsbäder an warmen Quellen, Gelehrtengärten zur Kräuterkunde, Tuschemalerei mit Naturmotiven, Weisheits- und Naturlyrik, Altäre mit Räucherwerk und Zeremonien erblühten. Der Dàoismus hat damit ähnliche Formen wie andere Religionen angenommen. Einerseits bildete sich in der vorwiegend bäuerlich, handwerklich geprägten Gesellschaft eine Art Volksglaube mit allerlei rituellen Handlungen und andererseits entstanden Klöster, Tempel und Klausen, in denen die Eliten von Weisen, die nicht immer beliebt waren, Heimat und Zuflucht fanden.

Einzig zur Zeit des Herrscherhauses Li wurden die Dàoisten wegen ihres Namensvetters Ri-Li (Laozi) aktiv gefördert und standen unter dessen Schirmherrschaft. Unter anderen, von Konfuzianern geprägten Herrscherhäusern, wurden sie wegen ihrer Kritik abgelehnt, verfolgt und, wenn es nicht möglich war, sie zu brechen, sogar ermordet. Tempel und Klöster gingen in Flammen auf. Dies hat die schon vorhandene Tendenz im Dàoismus, sich in Klausen zur Meditation zurückzuziehen, aus dem weltlichen Treiben auszusteigen, noch verstärkt und so wurden Klöster sowie Einsiedeleien zum Selbstschutz und zu Verstecken der Lehren. Der Mönch Zhang San Feng soll so nach einer Legende im 1. Jahrhundert den Kampf eines Kranichs mit einer Schlange beobachtet haben, bei dem der Kranich entkräftet aufgeben musste, da die Schlange durch geschickte Bewegungen den Schnabelhieben immer ausweichen konnte. Er entwickelte daraus die innere Kampfkunst Taijiquan (Tai Chi Chuan). Es ist durchaus möglich, dass zu dieser Zeit Mönche zur Pflege ihrer Lebensenergie für die Kontemplation und zu ihrer Selbstverteidigung die inneren Kampfkünste wie QiGong, Taijiquan (Tai Chi Chuan) und GongFu (KungFu) weiter entwickelten und pflegten und damit wiederum bei Kriegern sowie Herrschern Interessen und Begehrlichkeiten nach Stärke durch Innerlichkeit weckten. Einzelne Aspekte des Dàoismus wurden auch von Meistern verschiedener Künste an Schüler weitergegeben sowie in bedeutenden Familien gepflegt und so bis heute bewahrt.

Mit Beginn der neuen Zeitrechnung begann durch Handelsbeziehungen ein geistig-kultureller Austausch mit dem Westen. Kaufleute berichteten von ihren Beobachtungen und brachten nicht nur weltliche Schätze mit. Gelehrte besuchten Indien und kamen von dort nach China. So kam der Dàoismus mit seinen Lehren auf die im Menschen wirkenden kosmischen Energien, die im stetigen Wandel mit Bewegung, Gehen, Stehen, Sitzen sowie Atmung zusammenhängen, in Berührung mit dem Yoga und der Buddhalehre. Erste buddhistische Schriften wurden ins Chinesische übersetzt und sind nach der Zerstörung der wichtigsten buddhistischen Bibliothek in Bihar nur dadurch erhalten geblieben. Mit den Übersetzungen, für die nur der Dàoismus Begriffe hatte, haben sich natürlich auch Ungenauigkeiten eingeschlichen. So wurde beispielsweise der Dharma mit dem Dào gleichgesetzt, was jedoch bei der Rekonstruktion verloren gegangener Schriften nicht weiter schlimm ist, weil durch Fachkenntnisse und im Vergleich mit anderen Texten eine Rekonstruktion durchaus möglich ist.

Indirekt haben sich also die Geister Buddhas und Laozis in China doch noch getroffen und gegenseitig beeinflusst und es ist schön zu sehen, dass ein friedvoller Austausch im ersten Jahrhundert u. Z. möglich gewesen und in Gang gekommen ist. Für dàoistische Meister ist die Kunde vom historischen Buddha eine neue Quelle der Bereicherung, sie setzen sich mit den Sutren auseinander und übernehmen buddhistisches Gedankengut. Buddhistische Schriften halten Einzug in die Bibliotheken einiger dàoistischer Klöster und stehen neben den Werken ihrer Meister. Offen für den Wandel im Dào haben sich so dàoistische Mönche mit den fremden Gelehrten aus dem Westen beschäftigt und sie studiert. Ihre Meister zitierten in ihren Lehrreden auch schon den historischen Buddha. Jedoch waren die ersten buddhistischen Lehrer, die nach China kamen, wohl keine ausgesandten Missionare irgendeiner buddhistischen Schule, sodass zu diesem frühen Zeitpunkt im Sinne des später folgenden Chan-Buddhismus (Zen) nicht von einer authentischen Übertragung der Lehre Buddhas die Rede sein kann. Es ist nicht klar erkennbar, ob es sich damals um Hînayâna- oder Mahâyâna-Lehren gehandelt hat. Gemeinsamkeiten in der Atemschulung, im konzentrierten Sitzen und in der Wahrnehmung der Welt als einer Täuschung durch den subjektiven Geist haben auf die Anhänger Buddhas und Laozis gegenseitig befruchtend gewirkt.

In der weiteren Entwicklung haben sich in dàoistischen Sekten auch sehr irrige Vorstellungen von der Steigerung der Potenz bis hin zur Unsterblichkeit des Menschen durch mysteriöse Praktiken und die Einnahme von Drogen entwickelt. Ein zeitweilig irrig gewordner Dàoismus beförderte den seriöseren Buddhismus. Nicht alle dàoistischen Schulen blieben auf dem rechten Dào (Weg). Hier entstanden aus dem geheimnisvollen Fluss der kosmischen Lebensenergie im menschlichen Körper, Chi, und dem Kräuterwissen falsche, omnipotente Ansichten. In der schlichten Bevölkerung wuchs der Aberglaube und unseriöse Scharlatane verkauften Affendreck als einzunehmendes Allheilmittel, boten im Namen von Gesunderhaltung seltsame artistische Verrenkungen sowie merkwürdige körperliche Stellungen mit phantasievollen Bezeichnungen, wie Krötensitz, an, missbrauchten das edle Yî-jíng-Orakel zu wohlgefälligen Horoskopen und verdienten so ihr gutes Geld mit Krankheit, Alter und Tod. Auf den Jahrmärkten traten verrenkungstüchtige vor Gesundheit strotzende Jünglinge als angeblich 500 Jahre alte selbsternannte Meister auf, die gar nichts mit klösterlicher Praxis oder einem dàoistischen Orden zu tun hatten, sondern nur gut geübte Gaukler waren. Diese Entwicklung von Hokuspokus, die ähnlich auch in Indien von einigen Yogis praktiziert wurde und scheinbar immer der Abfall großer Lehren ist, hat natürlich nichts mehr mit dem eigentlichen Dàoismus zu tun und bringt ihn damit bis in die heutige Zeit hinein in Misskredit. Nur was wahr ist, bleibt die Lehre des wirklichen Dàoismus.

Ungeachtet des benannten Missbrauchs hat der Dàoismus im Kern seine Lehren von der Harmonie in der Mitte in mehreren Schulen bewahrt. Wie schon der Buddhismus, hat auch der Dàoismus keine zentrale Organisation entwickelt, mit allen Vor- und Nachteilen, und durch verschiedene Schulen gewirkt. Die ursprünglich knappen weisen Texte sind erst im frühen Mittelalter zu einem gut durchformulierten Gesamtkanon in den verschiedenen Orden kompiliert worden. Hier wird der Einfuß des Chan-Buddhismus deutlich. Vorweggenommen sei an dieser Stelle, dass sich die Versenkungspraxis in dàoistischen Klöstern von der im Buddhismus unterscheidet. Sie ist oftmals an Meditationsobjekte gebunden, also eher Kontemplation.


Kurz gesagt, sind dem Buddhismus und dem Dàoismus gemeinsam

01. Konzentration,
02. Atmen, Atembeobachtung,
03. Sitzen, in Versenkung hocken,
04 Stille, Kontemplation, Meditation,
05. Harmonie in der Mitte, ein mittlerer Weg sowie
06. ständiger Wandel im Werden sowie Vergehen ohne Anfang und Ende.


Unterschiede sind im Buddhismus und Dàoismus:

01. die Vorstellungen vom Lebenslauf
Buddhismus: es gibt das Rad karmabedingter Wiedergeburten
Dàoismus: 5 Wandlungsphasen bestimmen den Lebenskreislauf.

02. Ziel der Versenkungspraxis ist
Buddhismus: den Buddha-Geist zu wecken, Täuschungen abzustreifen, aufzusteigen, Erwachen ist die Erlösung im Paranirvana.
Dàoismus: Vitalenergie, Chi zu konzentrieren durch 3 Körperzentren, Erleuchtung ist die unsterbliche Vereinigung mit dem kosmischen Licht.

Um das Jahr 450 u. Z. wurde der Buddhismus unter den Kaisern Wencheng und Wuti (502-550 u. Z.) in Nanking zur Staatsreligion erklärt. Eine große Förderung der buddhistischen Klöster mit ihrer Übersetzungstätigkeit der Sutren ins Chinesische fand statt. Die Gesetzgebung orientierte sich am Buddhismus und so wurden Tieropfer, Todesstrafe und Fleischnahrung verboten. Bodhidharma, der im folgenden behandelt wird, soll sich einerseits allerdings abweisend zu den erhofften Verdiensten aus den Werken von Kaiser Wencheng geäußert haben und andererseits mit dem Dàoismus verbundene körperliche Übungen im Shao-lin-Kloster gefördert und hiermit die Wurzeln u.a. für QiGong gelegt haben. Es entstanden auf dem Boden des Dàoismus eigene chinesisch buddhistische Schulen, die auch für Laien offen waren, mit einer volkstümlichen Orientierung am Amida-Buddha (siehe: Meditationsbuddhas) mit einem himmlischen Paradies, dem reinen Buddhaland der Erlösung. Damit wurde die staatliche Förderung für den Dàoismus gekappt, jedoch haben die späteren Herrscher immer wieder nicht nur einerseits konfuzianisch Macht ausgeübt, sondern andererseits mit den beiden, unter den Leuten viel beliebteren buddhistischen und dàoistischen Lehren versucht, Sympathien im Volk zu gewinnen und diese damit teilweise instrumentalisiert. Neben dem volkstümelnden Buddhismus entstanden auch intellektuellere buddhistische Schulen mit chinesischen Denkern, die allerdings begrifflich noch in dàostischer Tradition standen. So werden die Leistungen einiger dàoistischer Könner, wie Seng-chao oder Dào-sheng im folgenden Chan-Buddhismus (Zen) als Wegbereiter in ihren Leistungen durchaus gewürdigt, wobei ihnen jedoch Authentizität abgesprochen wird.

Wang Chungyang gilt als Verfasser des Traktates des Ch`füan Chen Chiao-Ordens. Dieser Kanon, etwa im 16. Jh. u. Z. entstanden, soll hier noch besonders hervorgehoben werden, da seine Schule des Kreisenden Lichts (Goldene Blüte) bis heute von großer Bedeutung für alle Dào-Sucher ist. Dàoistische Orden sowie Familientraditionen haben in China noch bis zur Zerschlagung durch die Revolution 1911 bestanden. Doch da es Chinesen überall auf der Welt gibt, dàoistische Lehren sowie Anwendungen in der Bevölkerung zu Familientraditionen gehören und im Wudang-Gebirge Meister sowie Mönche in guter Tradition in Klausen überlebten, gibt es den Dàoismus in Lehre und Praxis bis heute. Neben dem Wudang-Orden und einigen Tempeln in der Volksrepublik China existiert eine aktive Schule in Taiwan, doch selbst in der Hauptstadt Beijing (Peking) gibt es noch den Dào-Tempel der weißen Wolke.

Noch ein paar knappe Worte zur dàoistischen Meditation, die in Wechselwirkung mit der Qigong-Praxis steht. Mit der Atmung wird die kosmische Energie (Lebensenergie, Chi [Qi], japanisch Ki), im unteren Körperzentrum (unteres Dantian, japanisch: Hara) gesammelt, über das mittlere (mittleres Dantian, auch Herzgeist) zum oberen (oberes Dantian, 3. Auge) geführt und dort als Lichterfahrung (kreisendes Licht), am höchsten Punkt des Kopfes als Verbindung mit dem Himmel erlebt. Dies ist mit Übungen im Dhyâna-Yoga und Stufen buddhistischer Versenkung vergleichbar.

In der Qigong-Praxis gibt es noch einige stille (unbeweglich/meditative) Übungen, die unabhängig von der monastischen Praxis des kreisenden Lichts, meditativ praktiziert werden und auf der geschilderten Vorstellung von aufsteigender Lebensenergie basieren. Der kleine und der große himmlische Kreislauf sind Vorstellungen vom Mond- und vom Sonnenkreislauf im menschlichen Körper. Hierbei geht es darum, den Energiefluss, Chi, durch geistige Konzentration auf den Leitbahnen, den Meridianen, durch den Körper zu lenken. Die Energie folgt dabei dem Bewusstsein und der Atmung. Als Beispiel hier der kleine Himmelskreislauf.


Der Mond kreist um die Erde

Die Mondumlaufbahn wird auf die zwei Energieleitbahnen (Sondermeridiane) Ren- und Dunmai übertragen. Diese verkörpern das Yin-Yang-Prinzip und treffen sich mit der Zungenspitze am Gaumen. Auf Ren- und Dunmai wird die Lebensenergie, Chi, in einem Kreislauf mittels Konzentration hinten hinauf und vorn herunter bewegt. Auf dem Weg durch den Körper werden Energietore mit dem Ziel, einen freien Energiefluss herzustellen und Blockaden zu lösen, geöffnet. Wird der Energiekreislauf mit dem Atemrhythmus verbunden, so atmet man beim Aufstieg im Dunmai ein und beim Abstieg im Renmai aus.

Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
1. Teil siehe im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → Religion → Buddhismus:
PRESSE/964: China, Dàoismus und der Einfluss auf den Buddhismus (Buddhistische Monatsblätter)

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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2013, Januar - April
, Seite 22-27
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2013